Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 53 / XII / 2009

EIN WEBBASIERTES INFORMATIONSSYSTEM FÜR KERAMIKSCHERBEN (fabrics) IM ZENTRALEN MITTELMEERRAUM (FACEM)

Die archäologischen Zielsetzungen des Projekts [1]
Die Identifizierung von Produktionsorten von Keramik hat sich in den letzten Jahren in verstärktem Maß zu einer zentralen Frage der Forschung entwickelt, da sich daraus Erkenntnisse zu kulturellen Kontakten, wirtschaftlichem Austausch oder auch Änderungen der politischen Machtverhältnisse ableiten lassen, um nur einige der vielen Möglichkeiten aufzuzählen. Während für einzelne Keramikgattungen, wie die figürlich bemalte attische Keramik oder die kaiserzeitliche Reliefsigillata die Herkunft relativ leicht aufgrund der Dekoration oder durch Töpferstempel erschlossen werden kann, fehlen diese Möglichkeiten für den mengenmäßig größeren Teil der unverzierten Gefässe, wie das Alltagsgeschirrs, die Küchenware und für viele Transportamphoren. Die spätestens seit den 1970er Jahren anwachsende Zahl von archäometrischen Untersuchungen von Keramik konnte hier nur teilweise Abhilfe schaffen, da sie sich in der Regel schon aus Kostengründen nur auf eine begrenzte Anzahl von Proben beschränken. Aufgrund des Fehlens einer der naturwissenschaftlichen Analyse vorangehenden archäologischen Klassifikation nach dem Scherben können ihre Ergebnisse jedoch nur schwer auf andere Beispiele derselben Produktion übertragen werden.
Am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien wurde die archäologische Scherbenklassifikation, aufbauend auf der von D.P.S. Peacock definierten Methodik, in den letzten Jahren weiterentwickelt und in unterschiedlichen Aufgabenbereichen eingesetzt, so etwa bei der griechischen Keramik des süditalischen Raums oder auch bei Sigillata in den Nordwestprovinzen [2]. Die einzelnen Produktionsorte der dabei definierten Gruppen wurden in der Folge entweder durch petrographisch-mineralogische Analysen und den Vergleich mit Proben von jeweils lokal anstehenden Rohstoffen [3] oder durch den Vergleich der fabrics mit Beispielen, deren Provenienz aufgrund von archäologischen Kriterien (Dekor, Töpferstempel, Töpfereiabfall) eindeutig feststellbar war, bestimmt.
Auf diese Weise entstand am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien eine umfangreiche Datenbank, die in Zusammenarbeit mit dem Dipartimento di discipline storiche Ettore Lepore, Università Federico II, Napoli (Italien) unter der Leitung von Giovanna Greco erarbeitet wurde und sich der tatkräftigen Unterstützung von zahlreichen Soprintendenten in Unteritalien und Sizilien erfreute [4]. Die Datenmenge liegt derzeit etwas über 1000 Proben, die aus mehr als 30 Produktionsorten stammen. Seit 2006 wurde diese Zusammenarbeit auf die Vakgroep Archeologie & Oude Geschiedenis van Europa der Universität Gent (Belgien) unter der Direktion von Roald Docter erweitert, die ihre Sammlung von Proben punischer Keramik aus Karthago und einigen anderen punischen Siedlungsplätzen einbrachten. Damit war sichergestellt, dass Fragen des kulturellen Austauschs und der wirtschaftlichen Kontakte nicht nur von einem hellenozentrischen Standpunkt aus betrachtet werden, sondern den tatsächlichen politischen und ökonomischen Realitäten in diesem geographischen Raum Rechnung tragen. Obwohl der zeitliche Schwerpunkt der Arbeiten auf dem Zeitraum vom 6. bis zum 2.Jh. v.Chr. liegt, wurden auch exportorientierte Waren der römischen Kaiserzeit in die Bearbeitung aufgenommen, wie die italische und die afrikanische Sigillata, da Rohstoffe in der Regel über längere Zeiten weiter genutzt wurden.

Die Entscheidung, die Ergebnisse unserer Forschungen nicht in der konventionellen Form als gedrucktes Buch, sonder in Form einer der open access policy verpflichteten webbasierten Datenbank mit dem Namen Facem = Fabrics of the Central Mediterranean vorzulegen, war durch mehrere Umstände bestimmt. Zum einen erscheint die Vorlage von großen Datenmengen in der Form einer Datenbank als adäquates Publikationsinstrument, zum anderen können damit Probleme vermieden werden, die in der Druckvariante in der Regel auftreten, wie etwa die Farbwiedergabe von Photos oder auch die Frage der Aufbringung der damit verbundenen hohen Finanzierungskosten. Entscheidend schien uns jedoch der Umstand zu sein, dass unsere Sammlung damit nicht als abgeschlossenens Projekt in dem Zustand und Umfang veröffentlicht wurde, den sie zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht hatte, sondern dass damit die Möglichkeit besteht, sie in Zusammenarbeit und mit der Hilfe von KollegInnen kontinuierlich zu erweitern und/oder zu korregieren und damit die engen Grenzen zu überwinden, die dem Vergleich von fabric-Proben früher gesetzt waren, als dieser in der Regel nur innerhalb eines Grabungsteams oder einer begrenzten ForscherInnengruppe stattfand.

Das Informationssystem FACEM - technische Konzepte und Umsetzung
FACEM wird in Zusammenarbeit von IKA (Institut für Klassische Archäologie, Universität Wien) und CHC (Research Group for Archaeometry and Cultural Heritage Computing, Universität Salzburg) als Expertensystem für Spezialisten aus den Fachgebieten Archäologie und Archäometrie entwickelt. Ziel ist die Administration, Visualisierung und Auswertung großer Datenmengen (Beschreibungen, technische Analysedaten und Bildmaterial). Interaktive Verbreitungskarten zeigen den vermuteten Herkunftsort jedes einzelnen Fabrics (s. oben), die Fundorte aller analysierten Samples oder alternativ dazu die Fundorte jener Samples, die einem bestimmten Fabric zugeordnet sind.

Die Web-Anwendung wird in einer Open Source LAMP-Umgebung (Linux - Apache MySql - PHP) entwickelt, wobei AJAX-basierte Komponenten im Bereich der Kartendarstellung für hohe Benutzerfreundlichkeit sorgen. Das Kartenmaterial selbst wird auf der Grundlage von NASA-SRTM Daten erstellt und ist je nach Bedarf durch adaptierte, georeferenzierte TIFFs einfach erweiterbar. Die Kartenapplikation läuft auf einem Server der Universität Salzburg und wird von ITS gehostet. Das System kann mit jedem (einigermaßen) aktuellen Webbrowser verwendet werden. Getestet werden MS Internet Explorer, Firefox, Safari, Opera und Google Chrome in ihren jeweiligen Windows-, MacOS- und Linux-Umgebungen. Die Anwenderfreundlichkeit soll mittels einer stringenten Benutzerführung gewährleistet werden und wird durch den Verzicht auf zusätzliche Software (sog. Plug Ins) und konsequente Seitengestaltung auf Basis von CSS unterstützt. Die Webseite verwendet keine Frames und kann sinnvoll zitiert werden, zeigt also keine mehrzeiligen, in die Irre führenden und aus kryptischen Zeichen zusammengesetzte Links, wie das bei Web-Datenbankanwendungen noch immer eher die Regel ist. Insgesamt soll so ein System entstehen, das eine möglichst flache Lernkurve und intuitive Benutzung bietet.

Offline Betrieb
Obwohl das Informationssystem für eine webbasierte Umgebung entwickelt wird, ist eine Möglichkeit vorgesehen, dass Texte und Bilder in einer Stand Alone Anwendung auch ohne Internetanschluss weiter zu benutzt werden können. Damit ist die Datenbank auch bei der archäologischen Feldarbeit einsetzbar, bei der in der Regel kein Internetzugang gewährleistet ist.

Open Access
Das Datenmodell ist im Hinblick auf die Definition, die Beschreibung und den Vergleich von Fabrics konzipiert und soll ohne Zugangsbeschränkungen öffentlich zur Verfügung stehen. Registrierte Benutzern erhalten zusätzlich die Möglichkeit, "private" Workspaces anzulegen und dort eigene Bilder auf dem Server zu speichern, die dann mit Bildern verglichen werden können, die das Informationssystem anbietet. Dafür wird ein eigenes Bildvergleichs-Werkzeug entwickelt.

Ausblick
Zukünftiges, über das gegenwärtige Projekt hinausgehendes technisches Entwicklungspotential, bieten vor allem Werkzeuge zum maschinenunterstützten Farbabgleich für Bilder aus unterschiedlichsten Quellen sowie zur (teil-)automatisierten Analyse der Bildstrukturen der Fabrics um "ähnliche" Bilder aus einer beliebigen Anzahl von Vergleichsaufnahmen vorselektieren zu können.

[1] Mitarbeiterinnen des Projekts sind Babette Bechtold (Graz), Silvia Radbauer und Maria Trapichler (beide Wien).
[2] D.P.S. Peacock, Ceramics in roman and medieval archaelogy, in : D.P.S. Peacock (ed.), Pottery in Early Commerce (1977) 21-34. Zur Definition des Scherbentyps (fabric) vgl. C. Orton, P. Tyers, A. Vince, Pottery in Archaeology (1993) 67ff. 132ff.; für die Entwicklungen in Wien vgl. V. Gassner, Materielle Kultur und kulturelle Identität Eleas in spätarchaisch-frühklassischer Zeit. Untersuchungen zur Gefäss- und Baukeramik aus der Unterstadt (Grabungen 1987-1993), Velia-Studien 2 (2003), 25-34 mit umfassender Bibliographie. Zur Klassifizierung der Sigillata siehe P. Donat - S. Radbauer, Klassifikation von Scherbentypen an Terra Sigillata. Fundort Wien, Berichte zur Archäologie 2/99 (1999) 208-209; V. Gassner - S. Radbauer, Produktionszuweisung bei Terra Sigillata durch Scherbenklassifizierung, Xantener Berichte 13 (2003) 41-75; S. Radbauer, Provenienzstudien zu reliefverzierter und glatter Terra Sigillata im mittleren Donauraum (in Vorbereitung).
[3] Diese Arbeiten wurden von Roman Sauer an der Abteilung Archäometrie, Universität für Angewandte Kunst, Wien, geleitet von. Bernhard Pichler, durchgeführt.
[4] Soprintendenza di Napoli, Soprintendenza Archaeologica delle Province di Salerno, Benevento e Avellino, Soprintendenza della Calabria, Soprintendenza di Messina, Soprintendenza di Palermo.


© Verena Gassner, Kurt Schaller
e-mail: verena.gassner@univie.ac.at, kurt.schaller@sbg.ac.at


This article should be cited like this: V. Gassner - K. Schaller, Ein webbasiertes Informationssystem für Keramikscherbentypen (fabrics) im zentralen Mittelmeerraum (FACEM), Forum Archaeologiae 53/XII/2009 (http://farch.net).



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