Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 45 / XII / 2007

NEUE FORSCHUNGEN ZU RÖMISCHEN VILLEN IM UMLAND VON FLAVIA SOLVA [1]

Die Erforschung römischer Villen im Umland von Flavia Solva erfuhr in den letzten Jahren durch die planmäßig durchgeführten Surveys im Lassnitztal, durch neue Grabungen in Retznei, den Untersuchungen in einer erst in den letzten Jahren entdeckten Villenanlage in Rannersdorf (Abb. 1) sowie durch die Arbeiten im Bereich einer Villa Suburbana in Obergralla, die neuerdings nach einer geophysikalischen Prospektion gut fassbar ist, einen neuen Aufschwung [2].

In Verbindung mit den durch die Universität Graz und das Bundesdenkmalamt durchgeführten Grabungen in steirischen Villen (Grünau, Grafendorf, Södingberg) sowie mehreren durch Surveys bekannt gewordenen Fundstellen ergibt sich nun ein neues Bild zur Verbreitung und zeitlichen Verteilung der Villen im Umland von Flavia Solva. Seit den wichtigen Arbeiten Walter Modrijans zu diesem Thema [3] hat sich das Wissen also stark vermehrt, auf der anderen Seite wurde die Villenforschung auch in anderen Regionen der Nordprovinzen verstärkt betrieben, wodurch sich auch Impulse für unsere Region ergaben. Fragen zu den landwirtschaftlichen Grundlagen, zur Besiedlungsgeschichte und Kontinuitätsproblematik wurden gerade anhand der germanischen Provinzen bearbeitet [4], in der Frage nach den Bautypen römischer Villen und deren spätlatènezeitlichen Vorgängern wurden manche wichtige Ergebnisse erzielt.
Vermehrt wurde in der letzten Zeit die eigenständige Entwicklung der Villenarchitektur der Nordprovinzen betont. In den Grundrisstypen, die sich in den Villen in verschiedener Form manifestieren, ließen sich vermehrt die einheimisch-keltischen Wurzeln fassen; diese späteisenzeitlichen Bautraditionen hätten die Herausbildung bestimmter Villentypen zur Folge gehabt, die ohne italisch-römische Vorbilder entstanden seien. Eine kontinuierliche Entwicklung sei von spätlatènezeitlichen Gehöftformen über die sog. Protovillen (reine Holzbauten) zu den kaiserzeitlichen Landsitzen feststellbar. Der "Typus Anthée" oder Achsenbauhof gehört zu diesen Villen, die in der Kaiserzeit den höchsten Repräsentationsansprüchen der Provinzialaristokratie gerecht wurden, und deren Herleitung aus spätkeltischen Gehöftformen inzwischen überzeugend dargestellt wurde. Da die Villa Thalerhof, die wohl zu einer der größten und luxuriösesten Villen der Nordprovinzen gerechnet werden kann und die - soweit sich bei der ungenügenden Ergrabung erschließen lässt - ebenfalls diesem Typus zugerechnet werden kann, im Jahr 2007 neu untersucht werden soll, dürfen zur Frage nach der Verbreitung dieser Villengrundform neue Erkenntnisse erwartet werden [5].

Die angesprochenen Fragen sind für das Umland von Flavia Solva und das südöstliche Noricum relevant, da die historischen Prozesse in der Zeit des Überganges von der spätkeltischen Periode zur römischen Kaiserzeit, die Okkupationszeit bzw. die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr. noch zu wenig bekannt sind [6]. Erfreulich war daher die Entdeckung von Resten eines spätkeltischen Gehöftes unter der Villa Retznei (Abb. 2), das sich bereits bei den Grabungen 2006 abzeichnete und im Jahr 2007 nun in einer Sondage genauer untersucht werden konnte. Während die Errichtung der Villa über Terra Sigillata-Tardo-Padana in die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts datiert werden kann, ist noch unklar, wie lange dieses Gehöft bewohnt war. Ob zwischen dem spätkeltischen Bau und der Villa ein - mit den "Protovillen" des Rheinlandes vergleichbarer - Holzbau stand, ist noch nicht geklärt, ebenso wenig die Frage nach den Bewohnern der römischen Villa: Waren es romanisierte Einheimische aus der Oberschicht, die mit der römischen Okkupation die römische Kultur angenommen hatten und eine Villa im römischen Stil errichten ließen? Oder aus Oberitalien zugewanderte Italiker, Händler oder Veteranen, die an dieser landschaftlich günstig gelegenen Stelle einen luxuriösen Landsitz erbauten? Im Gegensatz zum angrenzenden Rätien [7], wo die römischen Siedler auf kaum vorrömische Bevölkerung stießen, gibt es in Noricum inzwischen zahlreiche Villen, in denen spätkeltische Bebauung nachgewiesen ist. Beispiele sind neben der Villa von Loig und mehreren anderen kaum erforschten Gutshöfen in Salzburg [8] die Villen Södingberg und Retznei. Die Forschungen im südöstlichen Noricum der letzten Jahre, die langjährigen Grabungen auf dem Frauenberg, am Saazkogel und mehreren ländlichen Siedlungen der Kaiserzeit könnten nun zur Klärung dieser Frage beitragen [9]. Dabei sind die neuesten Arbeiten zum Phänomen der Romanisierung bzw. zu den Abläufen des Akkulturationsprozesses im Rahmen der Provinzialisierung, die im Rahmen einer Ausstellung des Rheinischen Landesmuseums in Bonn entstanden, als Analogien hilfreich [10].

Zumeist unbekannt sind die Nebengebäude der großen Villenanlagen, Wirtschaftsgebäude wie Ställe, Scheunen, Schuppen, Werkstätten usw., aber auch sekundäre Bauten wie ein Heiligtum und eine eigene Nekropole, die in der Regel zur Villa zugehörig waren [11]. Bäder dürften meist in das Hauptgebäude integriert gewesen sein [12], eine von Modrijan für die Villa Löffelbach vorgeschlagene Bauabfolge, wonach ein ursprünglich freistehende Gebäude in den Hauptbau integriert wurde, ist fragwürdig. Der außergewöhnliche Luxus der Villa Thalerhof zeigt sich, wenn man das Ausmaß der mit Hypokausten versehenen Räume betrachtet: Während die Untersuchung von K. Roth-Rubi, die die Hauptgebäude von Villen des Schweizer Mittellandes untersuchte, ergab, dass etwa 20-30% ihrer Gesamtfläche mit Fußbodenheizungen versehen sind, und laut Dodt 8-21% bei den Badeanlagen der Provinz Germania inferior, so sind in Thalerhof 2500 m2 von einer Gesamtfläche von 4200 m2 etwa 60% beheizbar [13]. Die Heizanlagen, die aus Ziegelpfeilern bestanden, über denen sich die aus Keilziegeln gefertigten Bögen befanden, entsprechen den großen Villen des südöstlichen Noricum. Von Bogen zu Bogen waren halbrunde Abdeckziegel gelegt über denen der Mörtelestrich aufgetragen wurde. Diese in Flavia Solva, Retznei, Betnava [14], Behova, Thalerhof [15], Grafendorf, Södingberg belegte Konstruktion ist möglicherweise eine Besonderheit des südlichen Noricums, da andernorts die Ziegelpfeiler wesentlich enger gesetzt und mit großen quadratischen Platten überdeckt waren. Diese Hypokaustkonstruktion steht somit im Gegensatz zu der eher unpassend "norisches Hypokaust" genannten Konstruktion aus gemauerten Pfeilern mit darüber aufgebrachtem Gewölbe, die in den inneralpinen Regionen in den Territorien von Iuvavum, Virunum und Teurnia mehrmals belegt ist [16].
Eine aufwändige Badeanlage besaß auch die Villa Retznei, die seit dem Jahr 2004 untersucht wird (Abb. 2). Teile der Badeanlage waren bereits bei Grabungen im Jahr 1873 durch Friedrich Pichler freigelegt und anschließend wieder zugeschüttet worden; die Bestimmung der Funktion der einzelnen Räume, die mehrmals umgebaut wurden, ist erst nach den Nachuntersuchungen möglich [17]. Durch die Funde ist nunmehr eine Nutzung bis in das vierte Jahrhundert belegt, das von Pichler ausführlich beschriebene Becken, ein heute nicht mehr erhaltenes Bassin innerhalb des Caldariums ist wohl ebenfalls dieser späten Bauperiode zuzuordnen. Ebenfalls die Badeanlage einer Villa wurde in Rannersdorf freigelegt (Abb. 1). Der Hauptraum, ein oktogonaler Raum, der von einem Peristylhof aus zu betreten war, ist einer Bauperiode in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts zuzuordnen. Die Villa dürfte im vierten Jahrhundert dann ausgebaut worden sein, möglicherweise fand auch ein Bevölkerungszuzug statt, was die auffallend große Menge an spätantiken Münzen, die dort gefunden wurden (140 Stück, darunter 90 % in das vierte Jahrhundert zu datieren), erklären würde [18].

Die beiden erst zum Teil ergrabenen Villen Retznei und Rannersdorf sind Teil des dichten Netzes luxuriöser Bauten, die vom späten 1. bis in das 4. Jh. n. Chr. die ländliche Besiedelung des südöstlichen Noricum prägten (Abb. 3). In dem vom Verfasser angestrebten Forschungsvorhaben sollen einerseits die Besonderheiten der architektonischen Traditionen, die sich in der Anlage von Villen manifestierten, untersucht werden [19]. Grundlagen hierfür sind die Vorlage von Detailbefunden, die erst die Analyse dieser Entwicklung erlauben [20]. Andererseits können, basierend auf den für manche Regionen intensiven Surveys, siedlungsarchäologische Untersuchungen zur Verbreitung, zu den wirtschaftlichen Grundlagen sowie zur Dichte und Betriebsgröße der Villae Rusticae durchgeführt werden [21]. Da sich die ländliche Besiedelung am Fernstraßennetz orientierte, können nach einer vollständigen Kartierung und Interpretation der Fundstellen auch Rückschlüsse auf die Verkehrswege und Hauptstraßen gezogen werden [22]. Eine siedlungsgeschichtliche Auswertung, in der die topographische Lage der Villae, die Beziehung zwischen der Siedlung und der Landschaftsform sowie der Aufbau der Gehöfte in Betracht gezogen wird, kann in der Folge unternommen werden [23].

[1] Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um die in aller Kürze zusammengefassten Überlegungen zu Problemen und Fortschritten bei der Erforschung römerzeitlicher Villen im Umland von Flavia Solva. Eine ausführliche Aufarbeitung der Thematik, für die vor allem auch die gründliche Durchsicht der älteren Fundbestände des Landesmuseums nötig ist, ist wünschenswert.
[2] Zur Villa Obergralla jetzt: S. Groh - V. Lindinger - H. Sedlmayer, Forschungen zur römischen Villen-landschaft im Territorium von Flavia Solva, Schild von Steier 20, 2007, 219-252. Vgl. Verf., Römische Villen im Umland von Flavia Solva, Schild von Steier 20, 2007, 253-267. Zu den Ergebnissen der Sur-veys: G. Fuchs, Die röm. Straße im Laßnitztal, in: Via Claudia Augusta und Römerstraßenforschung im östlichen Alpenraum, IKARUS 1, 2006, 440-456.
[3] W. Modrijan, Römerzeitliche Villen und Bauernhöfe in der Steiermark, SchvStKlSchr 9, 1969. Ders., Römische Bauern und Gutsbesitzer in Noricum, Gymnasion Beiheft 7, 1970, 120-137.
[4] U. Heimberg, Römische Villen an Rhein und Maas, BJb 2002/2003, 2002/2003, 57-148.
[5] Zur Villa Thalerhof: J.T. Smith, Roman Villas. A Study in Social Structure (1997) 191 f Abb. 52.
[6] Ausführlich diskutiert wurden diese Fragen zuletzt bei: P. Scherrer, Vom Regnum Noricum zur römischen Provinz, in: P. Scherrer - M. Šašel-Kos (Hrsg.), The Autonomous Towns in Noricum and Pannonia, Bd. 1, Situla 40, 2002, 11-70. P. Scherrer, Die Ausprägung lokaler Identität in den Städten in Noricum und Pannonien. Eine Fallstudie anhand der Civitas-Kulte, in: A. Schmidt-Colinet (Hrsg), Lokale Identitäten in Randgebieten des römischen Reiches, Symposion Wiener Neustadt 2003, Wiener Forschungen zur Archäologie 7, 2004, 175-187.
[7] T. Fischer, Das Umland des römischen Regensburg, MBVFG 42 (1990) 121.
[8] K. Genser, Die ländliche Besiedlung und Landwirtschaft in Noricum während der Kaiserzeit (bis einschließlich 5. Jahrhundert), in: H. Bender - H. Wolff (Hrsg.), Ländliche Besiedelung und Landwirtschaft in den Rhein-Donau-Provinzen des römischen Reiches. Kolloquium Passau 1991, Passauer Universitätsschriften Arch. 2 (1994) 343.
[9] Zur gegenwärtigen Diskussion: Verf., Romanisation im südöstlichen Noricum. Das Heiligtum auf dem Frauenberg und die Herausbildung einer norisch-römischen Provinzialkultur, RÖ 30, 2007, 107-128.
[10] D. Krause, Das Phänomen Romanisierung. Antiker Vorläufer der Globalisierung, in: Rheinisches Landesmuseum Bonn (Hrsg.), Krieg und Frieden. Kelten - Römer - Germanen, Ausstellungskatalog Bonn 2007, 14-24. C. Schucany, Romanisierung, in: Rheinisches Landesmuseum Bonn (Hrsg.), Krieg und Frieden. Kelten - Römer - Germanen, Ausstellungskatalog Bonn 2007, 25-36.
[11] T. Fischer, Das Umland des römischen Regensburg, MBVF 42, 1990, 41.
[12] Fischer a.O. (Anm. 11) 107.
[13] K. Roth-Rubi, Beobachtungen zur Wärmeverteilung im Herrenhaus römischer Gutshöfe und was daraus entstehen kann: der "Abbruch" des Hallenhauses von Hölstein (BL/CH), ArchKorr 28,3(1998) 451-466. Etwa 8-21% beheizbare Räume: M. Dodt, Die Thermen von Zülpich und die römischen Badeanlagen der Provinz Germania Inferior, Diss. Bonn 2003, 122-128.
[14] M. Strmcnik-Gulic, Roman use of area in prehistoric space, BalacaiKöz 5 (1997) 91-96.
[15] M. Grubinger, Blätter für Heimatkunde 33, 1959, 12.
[16] T. Fischer, Noricum (Mainz 2004) 111. H.J. Kellner, Neue Ausgrabungen an Badegebäuden in Nordwest-Noricum, BayVgBl 24 (1959) 146-172.
[17] S. Tsironi, Das Fundmaterial aus dem südlichen Hofbereich der Villa Retznei, Dipl. Graz 2007.
[18] Die Münzen wurden zum überwiegenden Teil in den umgelagerten Humusschichten gefunden, viele fanden sich aber auch - so wie spätantike Zwiebelknopffibeln und eine Riemenzunge - im Schichtzusammenhang.
[19] Fischer a.O. (Anm. 16) 108.
[20] Die Notwendigkeit einer solchen Grundlagenarbeit: Fischer a.O. (Anm. 16) 108.
[21] P. Rothenhöfer, Die Wirtschaftstrukturen im südlichen Niedergermanien. Untersuchungen zur Entwicklung eines Wirtschaftsraumes an der Peripherie des Imperium Romanum, KSARP 7 (2005) 39-43.
[22] Fischer a.O. (Anm. 11) 109.
[23] Fischer a.O. (Anm. 11) 102ff.

© Bernhard Schrettle
e-mail: be.schrettle@uni-graz.at


This article should be cited like this: B. Schrettle, Neue Forschungen zu römischen Villen im Umland von Flavia Solva, Forum Archaeologiae 45/XII/2007 (http://farch.net).



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