Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 41 / XII / 2006

FUNDORT WIEN - EIN ARCHÄOLOGISCHER RUNDGANG DURCH DIE BUNDESHAUPTSTADT

Der jährlich vorgelegte archäologische Rundgang durch Wien beginnt diesmal im 3. Bezirk, wo im Jahr 1999 im Bereich der Krankenanstalt Rudolfstiftung von der Stadtarchäologie Wien ein Grubenhaus freigelegt wurde. So wie das Fundmaterial - großteils Keramik - lässt sich auch der Typus des in den Boden eingetieften rechteckigen Hauses gut mit ähnlichen Objekten der ausgehenden Latènezeit im randalpinen Raum vergleichen. Die Verortung zeitlich entsprechender Befunde in Wien (Abb. 1) zeigt mehrere in der Latènezeit genutzte Siedlungslandschaften: der Bereich der Wiener Pforte mit dem weithin sichtbaren Leopoldsberg, die Ebene nördlich der Donau (Aspern und Leopoldau) und die aus dem Wienerwald führenden Täler der Liesing und des Wienflusses. Die diesjährig behandelte Fundstelle liegt vor der Einmündung des Wienflusses auf einer Terrasse oberhalb der Donau. Die Fundstreuung lässt für diesen Bereich eine relativ ausgedehnte Siedlung der späten Latènezeit annehmen, die als Vorgänger der römischen Zivilstadt von Vindobona angesprochen werden kann; allerdings mit Vorbehalten, da der Nachweis einer nahtlosen Besiedlung weiterhin aussteht.


Stadteinwärts, dem Rennweg folgend, passiert man ein Areal (Rennweg 16), dessen 2005 durchgeführte Untersuchung Siedlungsspuren aus dem Endneolithikum, frühbronzezeitliche Bestattungen und römerzeitliche Baureste ans Tageslicht brachte. Die dort geborgenen römischen emaillierten Bronzekapseln (Abb. 2), die zum Versiegeln von Schriftstücken verwendet wurden, sind Grundlage eines Artikels, worin erstmals vergleichbare Wiener Fundstücke aufgelistet werden.
Mit dem 1. Bezirk setzen sich Beiträge auseinander, die einerseits Kleinfunde behandeln - Glaslampen und Fensterfunde aus der mittelalterlichen Synagoge am Judenplatz, ein merowingerzeitlicher Glasperlenanhänger, mittelalterliche Keramik vom Wildpretmarkt -, andererseits ein prekäres Thema aufgreifen: die "schwarze Schicht". Diese innerhalb des ehemaligen Legionslagers an mehreren Stellen nachgewiesene Bodenbildungsschicht steht in Verbindung mit einem siedlungsgeschichtlich noch nicht hinreichend geklärten Problem, der Siedlungskontinuität/-diskontinuität (?) von der Römerzeit zum Mittelalter.
Der Fundort eines Münzschatzes - bestehend aus 274 römischen Prägungen und drei Silbergefäßen - lässt sich nicht mehr ermitteln. 1945 im Bombenschutt gefunden, gelangte er über Umwege in das Kunsthistorische Museum und wird nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Der sorgfältigen Restaurierung ist es zu verdanken, dass auch eine Untersuchung des Geschirrdepots angeschlossen werden konnte. Denn wenn auch der Fundzusammenhang und der Grund der Deponierung des Schatzes weiterhin im Dunkeln bleiben muss, so lassen sich doch Einblicke in die Nutzung, Datierung und Herkunft von zwei silbernen Kasserollen gewinnen, deren eine durch eine Inschrift als Weihung an Merkur ausgewiesen ist (Abb. 3).


Auch den ehemaligen Wiener Vorstädten/-orten wird diesmal besondere Aufmerksamkeit geschenkt:
Einmal ist die Freilegung eines ehemaligen Militärfriedhofes in Gumpendorf Anlass, sich nicht nur mit der Geschichte des 6. Wiener Gemeindebezirkes auseinander zu setzen, sondern sie bietet auch mittels anthropologischer Untersuchungen Einblick in die Lebensumstände der k. u. k. Armee. Der Friedhof war die letzte Ruhestätte von Soldaten, die in einem nahe gelegenen Militärspital behandelt worden waren, einem Ort, der für den Zeitgenossen Fürst Karl Joseph von Ligne bezeichnenderweise nichts anderes war als "ein Schlachtfeld, wo mehr Männer starben als auf dem Kampfschauplatz".
Eine andere Seite des Umgangs mit Toten im 18. Jahrhundert zeigt eine Bestattung in der alten Hütteldorfer Pfarrkirche. Dass hier eine offensichtlich sozial hoch gestellte Person ihre letzte Ruhe fand, zeigt die kostbare textile Ausstattung des Sarges, deren Nachweis mit Hilfe mikrostratigrafischer Analysen gelang.

Eine Rätselinschrift ist alles, was vom sog. Schottenhof in Ottakring noch erhalten ist. Sie steht der Gedankenwelt der Jesuiten nahe, deren Grundstock die Ausbildung in den klassischen Sprachen war, und so verwundert es nicht, dass sich in diesem Rätsel eine Metamorphose des Ovid verbirgt - die Verwandlung der Nymphe Klytia in ein Heliotropium (Sonnenwendeblümchen).

Im Rahmen des Forschungsprojektes "Burgeninventar Wien" wurde Sievering eine eingehende Untersuchung gewidmet. Sie beschäftigt sich mit der Adelsfamilie, die sich nach Sievering nannte und in Schriftquellen des 12. Jahrhunderts mehrmals begegnet, mit der Lokalisierung ihres Sitzes und der Geschichte des Ortes selbst. Eine detaillierte bauhistorische Analyse ermöglichte es erstmals auch das sich wandelnde Erscheinungsbild der Pfarrkirche zum Hl. Severin vom Mittelalter bis zu den letzten Umbauten im 20. Jahrhundert zu ergründen.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 9/2006
Aufsätze
Elisabeth Pichler, Ein spätlatènezeitlicher Grubenhausbefund aus Wien 3, Rudolfstiftung.
Sigrid Czeika, Tierknochenfunde aus der Verfüllung eines spätlatènezeitlichen Grubenhauses aus Wien 3, Rudolfstiftung.
Martin Mosser, Siegelkapseln von Vindobona.
Günther Dembski, Ein römischer Schatzfund aus dem zerbombten Wien des Jahres 1945.
Michaela Kronberger, Drei Silbergefäße aus der Sammlung des Wien Museum.
Kinga Tarcsay, Ein merowingerzeitlicher Glasperlenanhänger mit Rosettendekor aus Wien 1, Judenplatz.
Kinga Tarcsay, Glaslampen- und Fensterfunde aus der mittelalterlichen Synagoge am Judenplatz in Wien.
Ingeborg Gaisbauer, Mittelalterliche Keramik vom Wildpretmarkt im 1. Wiener Gemeindebezirk.
Ingeborg Gaisbauer, "Schwarze Schicht" - Kontinuität/Diskontinuität.
Gerhard Reichhalter/Heike Krause, "Die einzige Merkwürdigkeit des Dorfes ist die Kirche" - Ein Beitrag zum "Burgenstandort Sievering" und zur Baugeschichte der Sieveringer Pfarrkirche.
Michaela Binder/Martin Mosser, Ein Militärfriedhof der Barockzeit und ein Beitrag zur Geschichte von Gumpendorf - Grabungen im Innenhof des Bundesrealgymnasiums Wien VI, Marchettigasse 3.
Viktor H. Böhm, Die in ein Heliotropium verwandelte Nymphe Klytia - Ein Lösungsversuch der "Ottakringer Rätselinschrift".
Natascha Müllauer, Und bettet das Haupt zur letzten Ruhe - Mikrostratigrafische Untersuchung zur textilen Sargausstattung der Neuzeit.
Martin Mosser, Praktische Anwendungen der Computer-Software TachyCAD und PhoToPlan bei Ausgrabungen der Stadtarchäologie Wien - Ein Erfahrungsbericht.
Tätigkeitsberichte
Rita Chinelli/Chiara Magrini/Francesca Sbarra, Die Erforschung der spätantiken Produktion römischer glasierter Keramik in der Ostalpenregion und in den Donauprovinzen.
Fundchronik
Wien 1, Tuchlauben 8 und 11 (Martin Mosser)
Wien 1, Wipplingerstraße 35 (Martin Mosser)
Wien 1, Weihburggasse 28-30 (Heike Krause)
Wien 3, Klimschgasse 19-21 (Michaela Müller)
Wien 3, Klimschgasse 40 (Michaela Müller)
Wien 3, Mohsgasse 20 (Ingrid Mader)
Wien 3, Rennweg 16 (Martin Mosser)
Wien 3, Schützengasse 24 und Rennweg 57 (Sabine Jäger-Wersonig/Christoph Öllerer)
Wien 4, Paniglgasse 14 (Johannes Groiß)
Wien 6, Marchettigasse 3 (Martin Mosser)
Wien 9, Sensengasse 1-3 (Constance Litschauer)
Wien 10, Unterlaa - Klederinger Straße (Johannesberg) (Martin Penz)
Wien 17, Ortliebgasse 17/ehemaliges Brauhaus zu Hernals (Heike Krause/Marcello La Speranza)
Wien 22, Erzherzog-Karl-Straße 211 (Sylvia Sakl-Oberthaler)
Wien 22, Erzherzog-Karl-Straße 212 (Sylvia Sakl-Oberthaler)
Wien 23, Kellerberg (Christoph Öllerer)

FWien 9/2006
ISBN 3-901232-77-X ISSN 1561-4891
Einzelpreis EUR 34,-. Abonnement-Preis EUR 25,60
Aktion: Fundort Wien 2/1999 bis 9/2006 (8 Bände) zusammen nur EUR 148,-
Inhaltsverzeichnisse zu allen Bänden unter www.wien.at/archaeologie

Schriftentausch per E-Mail: biblioarchae@m07.magwien.gv.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, A-1050 Wien, Austria
E-Mail: office@phoibos.at

© Magistrat der Stadt Wien, MA 7 - Referat Stadtarchäologie
e-mail: biblioarchae@m07.magwien.gv.at

This article should be cited like this: Referat Stadtarchäologie, Fundort Wien - Ein archäologischer Rundgang durch die Bundeshauptstadt, Forum Archaeologiae 41/XII/2006 (http://farch.net).



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