Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 33 / XII / 2004

Echt - ƒalsch? - ECHT

Das kleine Dachziegel-Fragment mit Hercules-Ritzung, das 1961 bei den Ausgrabungen in Aguntum (Osttirol) zum Vorschein kam (Abb. 1) [1], verführte durch eine primäre Fehleinschätzung zu mindestens einem falschen Schluß. So meinte zwar G. Langmann richtig, daß die Zeichnung nach dem Brand eingeritzt worden sei [2], was angesichts der von dieser ganz ausgefüllten Fläche auch wahrscheinlich ist: Denn umgekehrt hätte sonst später (z.B. nach der Zerstörung des Hauses) jemand das kleine Kunstwerk sorgfältig aus dem Dachziegel herausbrechen müssen; weiters wäre dann wohl auch davon auszugehen, daß der Zeichner noch in der Ziegelei aktiv wurde. Nach allem bleibt daher gewiß nur anzunehmen, daß das Ziegelfragment als solches geschmückt wurde, jedenfalls mit Sicherheit nicht während oder gar nach der Dachdeckung.
Damit sind jedoch alle Schlüsse hinfällig, die den Heros in einen bestimmten geplanten Zusammenhang stellen wollen. Und zugleich erhalten die Zweifel an der Echtheit des Fundstücks, wie sie immer wieder zu hören waren, neue Nahrung.
Das einzig wirklich Sichere scheint zu sein, daß hier Hercules in klassischer Pose nicht einmal so ungeschickt dargestellt wurde, viel besser jedenfalls als im Falle der beiden keltischen Jäger- bzw. "Mars"-Figuren, die Langmann zum Vergleich anführte [3]. Tatsächlich ist aber insbesondere die Ausführung des Gesichtes auf dem Aguntiner Fragment ganz anders als bei diesen: Denn hier führen kantige, -förmige Nasenlinien (unter denen Mundwinkel angedeutet scheinen) direkt zu eingetieften Knopfaugen; außerdem fehlt der Hals unter dem ballonartigen Schädel, und die Brustwarzen sind angegeben. Eine derartige Darstellungsweise scheint nun auch auf römerzeitlichen Ritzzeichnungen oder ähnlichem nicht zu finden, wohl aber in einem ganz anderen Bereich:


Nämlich auf dem merowingischen Grabstein von Niederdollendorf [4] aus dem 7.Jh. (Abb. 2-3), dessen beide Seiten eine verblüffende Parallele zu unserem Hercules aufweisen. Während das eine Flachrelief einen Lanzenträger mit Brustschild und Nimbus auf Wellen und vor einer "Aurora" vorstellt [5], zeigt das andere einen sich kämmenden Krieger mit Schwert und Pilgerflasche , von drei schwanenhalsartigen Schlangen umgeben. Bei letzterem sehen wir eine geradezu identische Augen-Nase-Partie in einem ebenfalls ballonartigen Schädel.
Entfernt verwandt ist auch die Thor-Gestalt auf der Riemenzunge von Mikulčice (ČR) (Abb. 4) [6], in deren ähnlichem Schädel die Augen-Nase-Partie wie ein umgedrehter Zwicker aussieht. Immerhin erweist sich darin eine Tradition, die anscheinend im Germanischen und Slawischen wurzelte [7]. Stellt sich nur die Frage, warum gerade der antike Heros für ein augenscheinliches Apotropaļkon gewählt wurde. Doch war Hercules bekanntlich nicht nur in der frühchristlichen Zeit, sondern auch außerhalb darüber hinaus ein beliebtes Motiv für Kraft und Tugend.
Insgesamt zwingt uns der Krieger von Niederdollendorf wohl, den Aguntiner Hercules nicht nur für bare Münze zu nehmen, sondern die beiden direkt nebeneinander zu stellen. Das würde möglicherweise bedeuten, daß ein Franke das Ziegelfragment als Bildträger verwendet hat. Und das führte zu einem höchst interessanten Schluß, nämlich daß sich im 7.Jh. Franken im Drautal nicht nur bewegt, sondern hier auch gewisse Siedler-Aktivitäten entfaltet hätten. Damit wäre dann u.U. sogar ein archäologischer Beleg für die von den norditalischen Bischöfen beklagten Übergriffe auf katholische Kirchen gegeben, die seitens der Franken im 2. Viertel des 6.Jh.s vorgenommen wurden [8], und die damals zitierte (ecclesia) Augustana müßte dann doch Aguntum meinen. Dennoch wäre unser Hercules dafür letztlich eine zu schwache Evidenz, da ja ebensogut ein Relikt aus der Zeit um und nach 600 vorliegen könnte, als die Baiuwaren im Drautal operierten [9], denen unser Hercules ebenso wie dem Steinmetz von Niederdollendorf zuzutrauen ist.
So bleibt nur festzuhalten, daß diese Aguntiner Ritzzeichnung wohl doch echt sein müßte... [10]

[1] s. G. Langmann, Herakles domesticus. Behüter eines Hausdaches in Aguntum, 14. Beih. ArchA (1976) = Festschr. f. R. Pittioni, 187ff., und W. Alzinger, Aguntum und Lavant3 (1974) 42.
[2] Langmann a.O. Anm. 5; anders Alzinger a.O.: "vor dem Brand in den noch feuchten Ton flüchtig eingeritzt".
[3] Langmann a.O. Abb. 2, 1-2.
[4] s. den Ausst.Kat. Die Franken. Wegbereiter Europas (1996) 741 Abb. 608-609.
[5] Die Figur wird als Christus in der Mandorla gedeutet: s. ebda. 1024f.
[6] s. Ausst.Kat. Europas Mitte um 1000 (2000) 320 Abb. 228.
[7] Ganz anders sind dagegen die Gesichter auf dem karolingischen Reliquiar von Werden gebildet, auch wenn sie in Vielem an Mikulcice erinnern, s. Ausst.Kat. Karolingerzeit II (1999) VII.35.
[8] s. dazu St. Karwiese, Die Franken und die Suffragane Aquileias, in ÖJh 51 (1976-77) 173ff.
[9] vgl. dazu St. Karwiese, Der Ager Aguntinus (1975) 31.
[10] Denn auszuschließen ist gewiß, daß jemand 1961 Niederdollendorf kopiert hätte.

© Stefan Karwiese
e-mail: stefan.karwiese@oeai.at

This article should be cited like this: St. Karwiese, Echt - ƒalsch? - ECHT, Forum Archaeologiae 33/XII/2004 (http://farch.net).



HOME