Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 29 / XII / 2003
10. Österreichischer Archäologentag

CORPUS DER DENKMÄLER MIT LYKISCHER SCHRIFT.
Ein Einblick

Das "Archäologisch-sprachwissenschaftliche Corpus der Denkmäler mit lykischer Schrift" verfolgt eine Neuaufnahme aller Monumente, die über eine lykische Inschrift verfügen. Die große Mehrzahl dieser Denkmäler wird dabei von Grabbauten gebildet, die trotz intensiver archäologischer und sprachwissenschaftlicher Forschung noch immer zahlreiche ungelöste Probleme aufwerfen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht es in vielen Fällen, hier weiterzukommen, da durch einen Vergleich von beiden Befunden neue Einsichten gewonnen werden können.
Das läßt sich beispielsweise an der Regelung für die Plazierung des Grabherrn und seiner Familie bei Anlagen mit einer oberen und einer unteren Grabkammer (im Lykischen hrzzi ñtata bzw. ñtri ñtata) ersehen. Überlegungen zu dieser Sonderform unter den sepulkralen Denkmälern stellen zwar bereits seit langer Zeit den Gegenstand wissenschaftlicher Forschung dar, doch lassen sich die Ideen durch die Gegenüberstellung von archäologischem und sprachwissenschaftlichem Befund jetzt präzisieren. In vielen Fällen beinhaltet die Inschrift die Verfügung, daß der Grabherr mit seiner Gemahlin in der oberen Grabkammer bestattet sein wollte, während die untere Kammer zumeist für die Nachkommen reserviert war. Bei manchen Gräbern (wie z. B. am Grab des Siderija in Limyra, TL 117, oder jenem des Ñturigaχã in Çindam, TL 77)(Abb.) gibt die Inschrift zwar darüber Aufschluß, wer hier bestattet werden sollte, erläutert aber nicht die genaue Form der Belegung selbst. Hier läßt nun der archäologische Befund mit der Anzahl und den Maßen der einzelnen für die Bestattung vorgesehenen Steinbänke erkennen, nach welchen Kriterien die Beisetzungen vorgenommen wurden.

Die fruchtbare Zusammenarbeit von Archäologie und Sprachwissenschaft läßt sich am Grab des Ñturigaχã in Çindam an einem weiteren Beispiel demonstrieren: Es ist auffallend, daß dieses Grabmal sowohl in seiner Gesamterscheinung, als auch in vielen Details, wie beispielsweise der Gestaltung der Fassade bzw. der Grabkammern, aus dem Rahmen kanonischer lykischer Sepulkralbauten fällt, was in der Forschung bereits des öfteren zu Diskussionen geführt hat. Diese Eigenheiten lassen sich jedoch durch die Lesung der Inschrift erklären, da das Grab aufgrund der Datierungsformel "ênê arppaχuhe χñtawata - in der Regierungszeit des Harpagos" noch dem 5. Jh. v. Chr. - und hier wahrscheinlich der Mitte - zugehörig ist. Dadurch ist es gemeinsam jenem des Xlasitini in Phellos (N 310) das älteste durch die Inschrift datierbare Grab in Lykien, was auch seinen altertümlichen Eindruck begreiflich macht, da allem Anschein zufolge zu dieser Zeit der endgültige Kanon in der Gestaltung noch nicht gefunden war.

© Martin Seyer
e-mail: martin.seyer@univie.ac.at

This article will be quoted by M. Seyer, Corpus der Denkmäler mit lykischer Schrift. Ein Einblick, Forum Archaeologiae 29/XII/2003 (http://farch.net).



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