Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 29 / XII / 2003
10. Österreichischer Archäologentag

DIE ÄGÄER KOMMEN: ZUR MYKENISIERUNG ITALIENS

Während der Bronzezeit lassen sich in der materiellen Kultur der Apenninhalbinsel und Siziliens ägäisch beeinflusste Veränderungen beobachten. Dieser unscharf als "Mykenisierung" zu bezeichnende Prozeß setzte schon in frühmykenischer Zeit (17.-15. Jh. v.u.Z.) ein (Abb.). Es handelt sich hier jedoch nicht um das Ergebnis militärischer Eroberung oder politischer Expansion. Dementsprechend findet der zentrale Mittelmeerraum in den Linear B-Texten der mykenischen Palaststaaten oder des mykenischen Palaststaates des 14. und 13. Jh. v.u.Z. keine Erwähnung.



Eine diachrone Betrachtungsweise der italisch-ägäischen Kontakte ist entscheidend, da einerseits die vorstaatlichen Gesellschaften der Apenninhalbinsel und Siziliens durchaus nicht geringfügigem gesellschaftlichem Wandel unterworfen waren und andererseits zwischen 1) der vor- und frühpalatialen Zeit des mykenischen Griechenland (MH III - SH IIB, SH IIIA1), 2) der entwickelten mykenischen Palaststaatlichkeit (SH IIIA Spät - IIIB Entwickelt) bis zu deren Krise (SH IIIB Ende - Beginn von SH IIIC Früh) und 3) der mykenischen Nachpalastzeit (SH IIIC Früh bis IIIC Spät und Submykenisch) im sozialen und ökonomischen Bereich klar zu differenzieren ist.
Bislang führten v.a. Datierungsprobleme der italo-mykenischen Keramik zu einer Überbetonung der palastzeitlichen Kontakte. Es konnten aber noch keine sicher palastzeitlichen mykenischen Luxusgüter (Goldschmuck, Elfenbeinarbeiten, Metallgefäße etc.) auf der Apenninhalbinsel oder Sizilien nachgewiesen werden. Ganz im Gegensatz zu den mykenischen politisch-ökonomischen Beziehungen zur Levante fand der Austausch mit dem zentralen Mittelmeerraum nicht auf der höchsten ökonomischen und politischen Ebene statt. Er nahm aber gegen Ende der Palastzeit zu und wurde nach dem Zusammenbruch des mykenischen Palastsystems noch intensiviert. Dies spielte sich nun zwischen den Häuptern der nach R. Peroni auf Gentil- und Klientelbasis organisierten Gruppen der italischen Jung- und Endbronzezeit einerseits und den "basileis" des SH IIIC andererseits auf annähernd gleicher sozialer Ebene ab, wobei auch Luxus-/Prestigegüter ausgetauscht wurden und die soziale Repräsentation ähnliche Formen annahm - z.B. bei gleichartig ausgestatteten Kriegergräbern. Während der italischen Endbronzezeit bzw. dem SH IIIC Fortgeschritten bis Submykenisch herrschte in beiden Räumen ein vergleichbarer ökonomischer und sozialer Entwicklungsstand.

Lise-Meitner-Projekt, ÖAW: "Vergleichende Chronologie von Südgriechenland und Süditalien in der Spätbronzezeit": http://www.oeaw.ac.at/myken/

© Reinhard Jung
e-mail: reinhard.jung@oeaw.ac.at

This article will be quoted by R. Jung, Die Agäer kommen: Zur Mykenisierung Italiens, Forum Archaeologiae 29/XII/2003 (http://farch.net).



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