Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 29 / XII / 2003
10. Österreichischer Archäologentag

SOG. ERSCHEINUNGSFENSTER IN DER MINOISCHEN IKONOGRAPHIE ?

Auf der Konferenz "The Function of Minoan Palaces" in Jahre 1984 präsentierte R. Hägg eine neue Rekonstruktion der Westfassade des Neuen Palastes in Knossos. Im oberen Geschoss desjenigen Fassadenteils, der am meisten in westliche Richtung zum Hofplatz hervortritt, nimmt er die Existenz eines großen Fensters an, des sog. Erscheinungsfenster. Von ihm aus konnten auch die auf dem westlichen Hofplatz versammelten Menschen näher an den Ritualen (wahrscheinlich Ritualen der Epiphanie) teilnehmen. Aufgrund der Parallelen aus Ägypten (die Gräber und die Paläste in El-Amarna; Tempel Ramses' III. in Medinet Habu) kann man feststellen, dass das Fenster dazu diente, bei speziellen Gelegenheiten bestimmte (die Gottheit personifizierende?) Personen, ggf. Gegenstände zu zeigen. Zweck dieser Studie ist es, diese Hypothese durch die Existenz des "Erscheinungsfensters" auch in der minoischen Ikonographie zu unterstützen. Zugleich werden hier neue Interpretationsmöglichkeiten von zwei bekannten Werken der minoischen Kunst präsentiert - des sog. Mother of Mountains Sealing (Knossos; SM II) und des sog. Sacred Grove and Dance Fresco (Knossos; MM IIIB / SM IA).
Im linken Bildteil auf dem sog. Mother of Mountains Sealing steht ein mit "horns of consecration" geschmückter Bau. Ich bin der Meinung, dass sich in dem unteren Teil des Baus eine quadratische Fensteröffnung befindet. Weil es bezüglich des Gebäudes mit höchster Wahrscheinlichkeit um eine Palastfassade geht, handelt es sich meiner Meinung nach im Falle des Fensters gerade um ein "Erscheinungsfenster".
Am linken Rand des sog. Sacred Grove and Dance Fresco findet sich ein einige Mauerreste darstellendes Fragment. Ich vermute, dass es sich bezüglich der Mauer um eine Palastfassade handelt. Inmitten der Fassade würde sich dann meiner Meinung nach ein großes, wohl quadratisches "Erscheinungsfenster" befinden. Eine Rekonstruktion der Palastfassade mit "Erscheinungsfenster" auf dem Fresko kann man mit folgenden Gründen erklären: 1) Das "Erscheinungsfenster" auf einer Palastfassade wäre selbstverständlich eine sehr passende Stelle, wo sich die Priesterin den gesammelten Zuschauern bei den Ritualen der Epiphanie zeigen könnte. 2) In der minoischen und theraischen Architektur sind einige als "Erscheinungsfenster" interpretierten Fenster erhalten geblieben; die Existenz weiterer Fenster wird angenommen.

© Tomáš Alušík
e-mail: ala@c-mail.cz

This article will be quoted by T. Alušík, Sog. Erscheinungsfenster in der minoischen Ikonographie?, Forum Archaeologiae 29/XII/2003 (http://farch.net).



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