Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 21 / XII / 2001

TÄGLICH ALTES.
Neu präsentiert in Fundort Wien 4/2001, dem Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien

Die archäologischen Forschungen auf dem Stadtgebiet von Wien um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sind untrennbar mit zwei Namen verbunden: Josef Nowalski de Lilia und Friedrich von Kenner. Ihnen vor allem ist es zu verdanken, dass die zahlreichen Baustellen dieser Zeit beobachtet und archäologisch relevante Daten aufgezeichnet wurden. Seit mehreren Jahren arbeitet die Stadtarchäologie Wien schwerpunktmäßig an der Überprüfung dieser Altgrabungen, indem sie die Quellen, wie Fundnotizen (Abb. 1), Inventare, Pläne und Publikationen, EDV-gestützt erfasst und mit Ergebnissen jüngster Grabungen, die nach heutigen Standards durchgeführt wurden, vergleicht. Die hieraus resultierende exaktere Verortung alter Fundpunkte, die Einbettung in Überblickspläne oder auch eine neuerliche Bestimmung der Funde führen häufig zu neuen Interpretationen.
Das Zusammenführen einer großen Datenfülle - immerhin muss Material aus mehr als 100 Jahren aufbereitet werden - sprengt allerdings zwangsläufig die gewünschte Artikelform von Fundort Wien, der als Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien auf ein möglichst breites Publikum ausgerichtet sein soll. Die jüngst gewonnenen Erkenntnisse sind aber so grundlegend und spannend, dass die Redaktion nicht auf die Möglichkeit verzichten wollte, diese möglichst schnell der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.
Die beiden umfangreichsten Aufsätze des vorliegenden Bandes stehen ganz im Zeichen dieser Neubewertung der Erkenntnisse zum römischen Wien. Die archäologischen Untersuchungen beziehen sich einerseits auf das Kommandogebäude (principia) des Legionslagers (1. Bezirk, zwischen Tuchlauben und Kurrentgasse), andererseits auf das Areal eines spätrömischen Gräberfeldes (1. Bezirk, Neuer Markt und Umgebung).
Die Forschungen zur principia ermöglichen eine exakte Lokalisierung des 0,87ha großen Gebäudekomplexes (Abb. 2), dazu die Identifizierung zahlreicher Bauphasen, vor allem aber auch einer Holzbauphase, die anscheinend auf eine frühe, womöglich vorclaudische Besiedlung von Vindobona hinweist. Eine 1912 durchgeführte Grabung im Rahmen eines Hausneubaus (Tuchlauben 13) brachte Mauerzüge und Fußböden des südöstlichen Teils der officia des Kommandogebäudes zum Vorschein. Im Zusammenhang mit den Grabungen der 1990er Jahre im Haus Tuchlauben 17 konnte die genaue Position und Funktion dieser Räumlichkeiten ermittelt werden. Durch Grabungen des Jahres 1987 (Artiskino-Jordangasse 5) und 1994 (Tuchlauben 17) ist auch der Innenhof (forum) der principia gut dokumentiert.

Eine völlig anders gelagerte Befundsituation besteht im Bereich um den Neuen Markt, südlich des Legionslagers. Hier ist vor allem durch das gesichtete Fundmaterial die Besiedlung der canabae legionis wahrscheinlich bereits vom Ende des 1. bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts zu belegen. Die Baustrukturen des um die Mitte des 3. Jahrhunderts aufgelassenen und einplanierten Siedlungsbereiches sind kaum noch feststellbar. Dagegen traten spätrömische Ziegelplatten-, Steinkisten- und andere Körpergräber während der regen Bautätigkeit vor allem im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in relativ großer Zahl zu Tage (Abb. 3). Für das untersuchte Areal konnten 48 Gräber mit den für Pannonien typischen Beigaben des 4. bzw. der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Zwiebelknopffibeln und grautonige Henkeltöpfchen, festgestellt werden. Besonders bemerkenswert sind drei Kästchenbeschläge mit figürlichen Szenen (Muse Euterpe, Reiterdarstellung, Zirkusszene) aus einem Grab im Bereich des heutigen Kapuzinerklosters.
Drei weitere Aufsätze zur Römerzeit - ebenfalls aus einem Bereich der canabae legionis - behandeln außergewöhnliches Fundmaterial der Grabungen 1990/91 am Michaelerplatz:
Anhand eines wohl zur Abwehr von Unheil dienenden, tönernen Maskenfragments (Abb. 4) wird ein kulturhistorischer Abriss über die Verwendung von Masken in der Antike geboten. Ein kleinformatiges Altärchen, das innerhalb der Denkmalgattung Altar aufgrund seiner Schmuck- und Inschriftlosigkeit bisher wenig Beachtung fand, wirft Fragen zum Auffindungsort und zur Funktion derartiger Miniaturobjekte auf. Ein Zusammenhang mit dem Hauskult lässt sich gut herstellen. Letztlich führen Gefäßfragmente, die mit Reliefdarstellungen aus dem bacchischen Bereich versehen sind, zu detailreichen Betrachtungen über Typologie, Ikonographie und Produktionstechnik.
Eine unentbehrliche Grundlage für weitere Forschungen bietet die erste umfassende Zusammenstellung römischer Glasformen aus Wien. Bemerkenswert sind das vielfältige Formenrepertoire und die zum Teil aufwendigen Herstellungstechniken. Ein archäozoologischer Beitrag behandelt die Entsorgung von Pferde- und Rinderkadavern in Unterlaa, einem in fortdauernden Grabungskampagnen freigelegten Siedlungskomplex im Umland von Vindobona.
Unter den Beiträgen zur jüngeren Vergangenheit soll der restauratorische Befund eines barocken, sehr gut erhaltenen Hemdärmels (Abb. 5) hervorgehoben werden. Dieser wurde bei bauhistorischen Untersuchungen im Haus Judenplatz 8 entdeckt und dokumentiert anschaulich ein Gewandstück der breiteren Bevölkerung, deren Bekleidung bislang in Museen und Publikationen noch wenig berücksichtigt wurde.
Die Fundchronik sowie Tätigkeitsberichte informieren über die Aktivitäten der Stadtarchäologie Wien des vergangenen Jahres.

Beiträge:
F. Brein/R. Sauer, Eine tönerne Maske - "O Jegerl, der Mon-Mon!"
I. Pavic, Maske - Altar - Reliefkeramik: Ihre Fundsituation am Wiener Michaelerplatz.
I. Pavic/R. Sauer, Das römische Altärchen vom Michaelerplatz.
R. Chinelli, Drei Gefäßfragmente mit bacchischer Darstellung vom Michaelerplatz.
G. Vetters, Wandmalereien aus dem Legionslager von Vindobona - Altfunde vom Judenplatz.
S. Sakl-Oberthaler/Kinga Tarcsay, Römische Glasformen aus Wien.
I. Gaisbauer/M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil II: Altgrabungen im Bereich der principia.
M. Kronberger/M. Mosser, Ein spätrömisches Gräberfeld von Vindobona: Neuer Markt und Umgebung.
S. Czeika, Entsorgung von Tierkadavern im römerzeitlichen Unterlaa, Wien.
N. Müllauer, Jeder kleide sich nach seinem Stand ...
R. R. Novak, Das Kaiserliche Zeughaus in Wien.
J. Ehrenhöfer/E. Pichler, Spätlatènezeitliche und römische Funde aus Wien 3, Rudolfstiftung.
R. Chinelli/I. Mader/S. Sakl-Oberthaler/H. Sedlmayer, Die Grabungen im Botanischen Garten der Universität Wien.
S. Sakl-Oberthaler, Archäologische Betreuung beim Bau der Wendeanlage der U2-Station Karlsplatz.
Ch. Ranseder/S. Strohschneider-Laue, Ausstellungen und Vermittlungsprogramme der Stadtarchäologie 2000.

FWien 4, 2001
ISBN 3-902086-03-3, ISSN 1561-4891
ATS 469,-/EUR 34,-
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This article will be quoted by Wr. Stadtarchäologie, Täglich Altes. Neu präsentiert in Fundort Wien 4/2001, dem Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 21/XII/2001 (http://farch.net).



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