Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 17 / XII / 2000

AUSGRABUNGEN IM AMPHITHEATER VON VIRUNUM 1998-2000

Zur Grabung und Topographie
Das 1935 erstmals oberflächlich identifizierte Amphitheater von Virunum befindet sich im östlichen Teil der ehemaligen norischen Provinzhauptstadt Virunum, die um die Mitte des 1. Jhs. n.Chr. als Nachfolgesiedlung der Stadt am Magdalensberg in der Ebene des heutigen Zollfelds (zwischen Klagenfurt und St. Veit, pol. Gemeinde Maria Saal) gegründet wurde. Im Gegensatz zum Forums- und Kapitolsbereich mit den daran westlich anschließenden Insulaebauten sowie zum Bühnentheater wurde das auf halber Höhe des die Stadt im Osten überragenden Hanges gelegene Amphitheater (KG St. Michael/Zollfeld, Parzelle 485) in der Vergangenheit keiner archäologischen Untersuchung unterzogen [1]. Erst mit der Konstituierung der ARGE Virunum 1997 (jetzt Archäologieland Kärnten gem.GmbH) wurden die Rahmenbedingungen für archäologische Grabungen geschaffen, die seit 1998 in jeweils sechsmonatigen Grabungskampagnen unter der Patronanz des Landesmuseums für Kärnten durchgeführt wurden und 2001 zum Abschluss gebracht werden sollten. Bisher konnten rund 30 Prozent des Amphitheaters freigelegt werden, wobei die Schwerpunkte der Grabungen im Bereich der Scheitelpunkte gesetzt wurden.

Der Bau der ersten Periode
Das Amphitheater von Virunum war eine Holz-Steinkonstruktion, die auf einer künstlich geschaffenen Terrasse auf halber Hanghöhe über der Stadt errichtet wurde. Die Hauptachse des Amphitheaters ist Nord-Süd orientiert. Rund um den zentralen Platz (arena) laufen zwei parallele Mauerringe aus Bruchsteinen mit Kalkmörtel, die teilweise bis zu einer Höhe von 4,0m erhalten sind. Der durchschnittliche Abstand dieser Mauerringe und damit die Breite der Cavea beträgt 4,5 bis 5,5m. Der Grundriss entspricht nicht dem gängigen ellipsoiden Konzept von römischen Amphitheatern [2]. Die östlichen und westlichen Mauern weisen keine Krümmung auf. Sie verlaufen rund 62m gerade, ehe im Norden und Süden Halbkreise mit einem Radius von je 16m angesetzt sind. Die lichte Innenfläche (arena) hat eine Längserstreckung von 93,7m und eine Breite von 32m. Die Ausmaße des Baues betragen 108,1 x 46,5m. Damit entspricht das Baukonzept eher dem eines römischen Zirkusses denn dem eines Amphitheaters. Die außergewöhnliche Länge und die geringe Breite der Anlage kann mit den topographischen Gegebenheiten - der Lage am Hang und den damit notwendigen Anschüttungs- und Planierungsarbeiten - erklärt werden (Abb. 1). Darüber hinaus bewirkte die Hanglage, dass die östliche hangseitige Cavea rund 2,5 Höhenmeter über der westliche Cavea situiert war.


Abb. 1: Luftbildaufnahme des Amphitheaters während der Grabungskampagne 2000 (Foto: S. Tichy)

Zwischen den Mauerringen finden sich in regelmäßigen Abständen von rund 2,5m Radialmauern. Die so entstehenden Kammern waren bauzeitlich verfüllt worden. Neben der Stabilisierung der Mauerringe dienten die Radialmauern auch als Auflager für die hölzerne Tribünenkonstruktion, wie mehrere in die äußere Caveamauer eingelassene Balkenlöcher sowie Reste von verkohlten Holzbalken unmittelbar über den Radialmauern belegen. In der gedachten Verlängerung der westlichen talseitigen Radialmauern waren Stützpfeiler vorgeblendet, die die ursprünglich an die 7m hohe Außenmauer gliederten.
Von den ursprünglich vorhandenen zwei Toren konnte bisher das Nordtor großflächig ergraben werden. Das Tor der ersten Periode war 3,72m breit. Über verschließbare Türen verfügte nur der innere Mauerring, da für die äußere Mauer jeder Hinweis auf eine Schwellenkonstruktion fehlt. Während die Westwange des Tordurchgangs aus einer massiven Mauer gebildet war, konnte man im Osten wohl durch eine Pforte in einen durchschnittliche 0,7m schmalen Bedienungsgang gelangen, der der nordöstlichen inneren Arenamauer entlangführte. Derartige Bedienungsgänge waren notwendig, um eine rasche Abwicklung der munera zu Gewähr leisten. Durch einen Einlass in die Arena konnten etwa Verwundete abtransportiert werden. Die Ostwange des Tores mit der Eingangspforte war aus der Flucht des Nordtores nach Osten zurückversetzt, wodurch im eigentlichen Torraum ein rund 48,73m² großer Platz gebildet wurde. Zusätzlich war die nur 0,6m starke Ostwange mit einem massiven Mauersockel abgestützt. Unmittelbar östlich, ca. 0,8m unter dem Mauersockel, konnte eine römische Quellfassung freigelegt werden. Sie bestand aus verzahnten Eichenbalken über die eine Steinplatte gelegt war. Diese wurde mit Bruchsteinen zusätzlich abgedichtet. Von dieser gefassten Quelle, die in keinem direkten funktionalem Zusammenhang mit dem Amphitheater steht, führten insgesamt sechs ergrabene Holzrohrleitungen Richtung Westen und damit Richtung Stadt. Die Holzrohre befanden sich zum Teil aufgrund des feuchten Terrains in ausgezeichnetem Zustand. Deutlich am Befund abzulesen war, dass die Rohrleitungen immer wieder erneuert wurden. Das älteste Rohrsystem wurde von der Westwange des Nordtores überbaut, jedoch ohne dass seine Funktion dadurch beeinträchtigt wurde. Vier Rohrleitungen führten um die Torwange herum, während die jüngste Leitung die Mauer durchschlug. Somit ist die Quellfassung jüngstens bauzeitlich zum Amphitheater zu datieren.
An den Scheitelpunkten der Halbachsen weist das Amphitheater von Virunum architektonische Besonderheiten auf. Am Ostscheitel befand sich der einzige bisher feststellbare 4,84 x 5,9m große Innenraum in der Cavea. Ursprünglich wurde der Raum im Osten mit einer im östlichen Raumdrittel situierten Apsis abgeschlossen, die jedoch in einer späteren Umbauphase abgetragen wurde, wodurch die oben angegebenen rechteckigen Raummaße erreicht wurden. Der Raum konnte von der Arena her durch eine 1,4m breite Türe betreten werden.

Unmittelbar nördlich dieses Eingangs fand sich 1999 ein Fundensemble (Abb. 2) bestehend aus drei 0,5 bis 0,56m hohen Marmoraltären sowie wenig nördlich davon aus zwei 0,45 x 0,58 x 0,08m bzw. 0,52 x 0,42 x 0,07m großen Marmorreliefs. Zwei der Altäre waren der Nemesis, einer den Campestren geweiht. Die Reliefs zeigen zentral die Darstellung eines Altars, links die Göttin Nemesis und rechts den Opfernden, wobei bei einem Relief zusätzlich ein Bär dargestellt ist, wodurch der Opfernde als venator ausgegeben wird. Sowohl die Altäre als auch die Reliefs waren in situ. Der nördliche Altar war mit einer Steinplatte abgedeckt, unter der je ein Antoninian des Aurelian (RIC 120F, 270-275 n.Chr.) und des Probus (RIC 170, 276-282 n.Chr.) deponiert worden war. Die Reliefs waren an die innere Arenawand gelehnt und mit einer dichten Steinpackung abgedeckt worden.


Abb. 2: In-situ-Fundsituation der drei marmornen
Weihealtäre vor dem Nemeseum (Foto: F. Doliner)

Damit liegt hier eine bewusste Verbergung von Kultinventar vor, dessen ursprünglicher Standort nur mehr gemutmaßt werden kann. Jedoch ist es nahe liegend, in dem ehemals über einen apsidialen Abschluss verfügenden Innenraum am Ostscheitel das Nemeseum zu sehen. Auf Grund der topographischen Besonderheiten wird am Ostscheitel - etwa über dem Nemeseum - der Bereich der Ehrenlogen (pulpitum) zu lokalisieren sein, wenngleich archäologische Hinweise darauf fehlen.


Abb. 3: Nemesis-Victoria-Relief (Foto: F. Doliner)

Abb. 4: Nemesis-Luna-Relief (Foto: U. P. Schwarz)

Am Westscheitel gegenüber von Nemeseum und Pulpitum führte ein 1,85m hoher unterirdischer Zugang unter der Cavea hindurch bis zur Mitte der Arena. In der bestand die Decke dieses Zugangs aus bis zu 2,4m langen Schieferplatten. Am Gangende überwand eine nicht näher rekonstruierbare Holzkonstruktion die 2,5m Meter Höhendifferenz. Reste der Holzkonstruktion in Form von Balken und Pfählen hatten sich in dem lehmig-feuchten Untergrund erhalten.

Umbauten am Amphitheater
Im archäologischen Befund lassen sich mehrere zum Teil massive Eingriffe in den Baukörper des Amphitheaters nachweisen, wobei über die Auslöser der Baumaßnahmen nur spekuliert werden kann. Auffallend ist, dass mit Ausnahme des nordöstlichen Viertels das gesamte Amphitheater von vermutlich zwei massiven Großbränden heimgesucht wurde. Das Innenniveau der Arena wurde im Laufe der Nutzung durch mehrmalige Anschüttungen um bis zu 1m angehoben. Der unterirdische Zugang von Westen, der für die Inszenierung der Spiele mit Sicherheit eine große Rolle gespielt hatte, wurde dabei ebenfalls zugeschüttet und aufgegeben. Das Nemeseum am Ostscheitel wurde durch Abtragen der nicht bündig in die Seitenmauern eingesetzte Apsis vergrößert. Entsprechend den Aufschüttungen in der Arena wurde auch das Innenniveau des Nemeseums mehrmals erhöht, wodurch auch der Eingangsbereich umgestaltet werden musste. Deutlich zu erkennen ist die Erneuerung der vom Nemeseumeingang nach Norden führenden inneren Arenamauer auf einer Länge von mindestens 10,67m.


Abb. 5: Marmorne Renovierungsinschrift 183/184 n.Chr. (Foto: F. Doliner)

Die bisher am massivsten nachweisbaren Umbauten wurden am Nordtor vorgenommen, wobei das Tor durch Abtragen der ursprünglichen Westwange um 3,89m erweitert wurde. Offensichtlich nicht kalkulierte Probleme bei diesem Umbau mit dem hoch anstehenden Quellwasser machten während des Baues eine Änderung im Bauplan erforderlich. So wurde die zunächst abgerissene Mauer wieder um 0,6m aufgemauert um durch eine Höherlegung des Torbereichs dem Wasserproblem auszuweichen. Dementsprechend musste in der Arena eine Anschüttung erfolgen. Die aus Lehm-Steinpackungen bestehenden Anschüttungen an der östlichen, hangseitigen Caveainnenmauer zeugen von wiederholten statischen Problemen. Durch diese Unterfütterungen der Mauern sollte ein Sich-nach-Innen-Neigen der Mauern unterbunden werden. Ebenso wurde in einer Umbauphase der Bedienungsgang vom Nordtor her zum Teil abgetragen und verfüllt.
Die wiederholten Umbau- und Renovierungsmaßnahmen schlugen sich auch epigraphisch nieder. 1998 wurde eine vollständig erhaltene Bauinschrift (0,87 x 1,31 x 0,15m) geborgen, die darüber Aufschluss gibt, dass der Duumvir Sextus Sabineius Maximus die Mauern mit Verputz renovieren, sowie Zugänge und Tore des Amphitheaters erneuern ließ (Abb. 5). Die beiden ersten Zeilen sind eradiert, können aber als Datierung zur Zeit von Kaiser Commodus gelesen und auf die Jahre 183/184 n.Chr. eingeschränkt werden [3]. In der Aufschüttung im Nemeseum wurde 1999 eine weitere vollständige Tafel geborgen (0,87 x 0,55 x 0,13m): C. Cassius Honoratus ließ die eingestürzte Mauer erneuern, das Podium des Amphitheaters mit Malerei muneris sui ausschmücken und ein neues Tor errichten. Zu datieren ist die Inschrift durch Tagesangabe und Konsuldatierung auf den 15. Mai des Jahres 237; die Namen des Kaisers Maximinus Thrax und seines Sohnes Maximus sind eradiert. Weitere Fragmente von Inschriften bezeugen die oftmalige Erneuerung des Verputzes im Amphitheater sowie dessen Ausstattung mit Malerei (picturis, pictura).

Chronologie
Die Enstehung des Amphitheaters ist anhand der Kleinfunde in trajanische Zeit (etwa um 100 n.Chr.) zu setzen. Besser greifbar ist das Enddatum. Rund um die deponierten Altäre war eine münzreiche Brandschicht angebracht, deren Schlussmünze ein Follis des Licinius (RIC S. 424 Nr. 17) ist, womit sich für die Deponierung ein Terminus post quem von 315/316 n.Chr. ergibt. Mit einem Follis des Constantinus I (Siscia 320/321 n. Chr., RIC S. 444 Nr. 159) ist die jüngste Münze im Umfeld des Amphitheaters zu fassen. Zusammen mit dem um 315/316 zu datierenden Verbergen der Nemesis-Kultstätte liegt ein starker Hinweis dafür vor, dass der Spielbetrieb ab constantinischer Zeit nicht mehr aufrecht erhalten wurde. Die gut datierten epigraphischen Hinweise auf die Umbauten können mit gebotener Vorsicht mit den archäologischen Funden in Einklang gebracht werden. Die massiven Umbauten im Nordtor weisen Brandspuren auf. Münzfunde aus der Aufschüttung über dem jüngeren Brandhorizont in der Südwestkurve belegen, dass der Brand frühestens 193 n.Chr. und somit wahrscheinlich in severischer Zeit erfolgte (Sesterz des Septimius Severus, Rom 193 n.Chr., RIC 657). Somit könnten die commoduszeitlichen Umbauten jenem Brand zum Opfer gefallen sein. Auf der in das Jahr 237 n.Chr. zu datierende Inschrift ist die Erneuerung eines 11,84m langen Mauerstücks von Boden an festgehalten (... murum / longitudinis p(edum) XXXX ruina con / lapsum a solo restituit ... ). Sowohl nördlich als auch südlich des Nemeseums zeigt die Innenmauer der Cavea deutliche Flickungen mit Marmorquadern, so dass eine Zuordnung zu dem epigraphischen Beleg denkbar ist. Die umfassenden Funde und Befunde der Grabung sollen in einer Monographie 2002 publiziert werden.

Bibliographie:
Die Ausgrabung des Amphitheaters von Virunum 1998, Carinthia I 189, 1999, 143 ff.
Die Ausgrabung des Amphitheaters von Virunum 1999, Carinthia I 190, 2000, 83 ff.
FÖ 37, 1998, 777 ff.
FÖ 38, 1999, 838 ff.

[1] Zusammenfassende Darstellung des Forschungsstandes bei M. Fuchs, Virunum. Archäologie-Alpen Adria 3 (Klagenfurt 1997). Die jährlichen Grabungskampagnen des Landesmuseums für Kärnten werden in Vorberichten in der Carinthia publiziert.
[2] Zu Amphitheatern allgemein: J.-C. Golvin, L´amphithéâtre romain. Essai sur la théorisation de sa forme et ses fonctions (Paris 1988). - P. Gros, L´architecture romaine du début du IIIe siècle av. J.-C. à la fin du Haut-Empire. I: Les monuments publics (Paris 1996) 317 ff.
[3] Zu den Inschriften künftig H. Dolenz, Die Inschriften aus dem Amphitheater von Virunum (in Vorbereitung).

© Renate Jernej
e-mail:
rjernej@aon.at

This article will be quoted by R. Jernej, Ausgrabungen im Amphitheater von Virunum 1998-2000, Forum Archaeologiae 17/XII/2000 (http://farch.net).



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