Die 1991 und 1992 durchgeführten Grabungen in dem 15 m auf 15 m
messenden Areal in der Nordost-Ecke des Temenos, sowie die 1993 und 1994
erfolgte exemplarische Aufnahme und Bearbeitung der daraus stammenden
Bauglieder und Architekturausstattung erlaubten anhand des
archäologischen Befundes eine neue, modifizierte Rekonstruktion des
Aussehens und der Ausstattung der Temenoshallen, die, ausgehend von
einer einheitlichen Konzeption in der Platzgestaltung, für den gesamten
Bereich des Heiligtums gültig ist. Demnach wurde der heilige Bezirk von
zweigeschoßigen Hallen korinthischer Ordnung mit folgendem Aufbau
umschlossen: Auf den zweistufigen Stylobat waren annähernd kubische
Säulenstühle oder Postamente mit attischen Basen gesetzt, die sich im
ergrabenen Bereich zum Teil noch in situ befinden, die Jochweite beträgt
3,00 m. Darüber folgten unkannelierte, monolithe Säulen, die
qualitätvoll und detailreich ausgeführte korinthische Kapitelle trugen,
an einem Stück wurde die zum Platz hin gewandte Abakusdekoration als
Blattmaske gearbeitet, bei einem anderen vermutlich als Tierprotome. Das
Gebälk des Untergeschoßes bestand aus einem durch drei Faszien
gegliederten Architrav mit angearbeitetem Polsterfries und einem
Zahnschnittgeison mit geschwungener Sima. Über Blöcken, in die die
Balken der Zwischendecke eingelassen waren, folgten die Stützen des
Obergeschoßes, Pfeiler mit zweiseitig angearbeiteten, kannelierten
Halbsäulen auf einfachen Basen in entsprechender Form, die von
Kapitellen korinthischer Ordnung abgeschlossen wurden. Im Obergeschoß
waren die Säulenjoche mit einfach profilierten Schrankenplatten
zugesetzt. Der Aufbau des Gebälks folgte dem des Untergeschoßes, das
Dach der Hallen mit einer errechneten Traufhöhe von 13,70 m bestand aus
Ziegeln korinthischer und lakonischer Form, die an der Traufe durch
marmorne Dachplatten und Kalyptere ersetzt waren. Die einzelnen
Bauglieder waren aus weißem Marmor gefertigt, die Rückwände der 6,20 m
tiefen Hallen bestehen im Untergeschoß aus Bruchsteinmauerwerk mit
Ziegelbändern, während im Obergeschoß ausschließlich Ziegel als
Baumaterial verwendet wurden. Außerdem ließ sich am Stylobat und den
Baugliedern des Untergeschoßes der Osthalle feststellen, daß als
optisches Gestaltungsmittel für die lange Hallenfront die Kurvatur
eingesetzt wurde. Die schon erwähnte Unfertigkeit in der Ausführung
architektonischer Details zeigt sich deutlich an den Säulenstühlen oder
Postamenten des Untergeschoßes, wo nur die Profile der Frontseiten
ausgearbeitet sind, während die Profile der Basen des Obergeschoßes
gänzlich unausgearbeitet sind, auch fehlen für beide Geschoße jegliche
Anhaltspunkte für die bei solchen Bauwerken zu erwartenden Bodenbeläge
aus Marmorplatten, zumal das Untergeschoß der Hallen mit einer
ausgesprochen qualitätvollen Marmorwandvertäfelung ausgestattet war.
Abb. 1 | Die während der beiden Grabungskampagnen 1991 und 1992 im Fundmaterial in großen Mengen zu Tage gekommenen Bruchstücke der Marmorwandvertäfelung des Untergeschoßes der Ost- und der Nordhalle des Temenos konnten 1994 von der Verfasserin im Rahmen einer Diplomarbeit an der Universität Wien exemplarisch aufgenommen und bearbeitet werden. Bescheidene Reste der Marmorwandvertäfelung befanden sich in diesem Bereich auch noch in situ an den Hallenrückwänden. Aufgrund der genauen Dokumentation der einzelnen Fundkomplexe innerhalb der Grabung und der durch den ungestörten Befund der Erdbebenzerstörung der Hallen gegebenen Vollständigkeit des Materials war es außerdem möglich, eine steingerechte Rekonstruktion der Marmorwandvertäfelung (Abb. 1 zeigt als Beispiel dafür Pilasterjoch OST III) auf einer Länge von etwa 30 Laufmetern zu erarbeiten. Es handelt sich dabei um eine aus weißem, bläulich bis violett gemaserten Marmor gefertigte Wandvertäfelung, die in ihrem Aufbau dem üblichen Typus der durch drei horizontale Zonen unterschiedlicher Höhe gegliederten Wanddekoration folgt. Die in der Mitte befindliche Pilasterzone wurde von der niedrigeren Sockel- und der Gebälkzone begrenzt, eine vertikale Gliederung der Wandvertäfelung erfolgte einerseits durch unterhalb der Pilaster angebrachte Sockelreliefs und andererseits durch die Pilaster selbst, die in ihrer Anordnung mit der Säulenstellung der Hallen korrespondierten. |
Abb. 2 | D ie Hauptzone der Marmorwandvertäfelung der Temenoshallen des sog. Serapeions war durch über attischen Basen angebrachte, kannelierte Pilaster, deren Kanneluren im unteren Drittel von Rundstäben ausgefüllt sind, gegliedert. Diese Pilaster trugen Kapitelle korinthischer Ordnung, die aufgrund ihrer höchst qualitätvollen und detailreichen Ausführung zu den interessantesten Objekten innerhalb des Fundmaterials zählen (Abb. 2). In der Gestaltung der Akanthusform folgen alle Pilasterkapitelle dem Typus des für die Arbeiten der berühmten Steinmetzkünstler aus Aphrodisias charakteristischen großgezackten Akanthus, der in dieser Form spätestens seit der Mitte des 2. Jh. n. Chr. kanonisch wird, der sich aber auch schon an inschriftlich früher zu datierenden Gebäuden in Ephesos, wie etwa dem sog. Hadrianstempel an der Kuretenstraße, feststellen läßt. |
A n drei Stücken sind die einzelnen Apices, die Akanthusblattzacken, derart manieriert gearbeitet, daß sich für die die Blattabschnitte unterteilenden Blattösen eine ungewöhnliche bohnen- oder nierenartige Form ergibt (Abb. 3). Als engstes Vergleichsbeispiel für eine solche Akanthusgestaltung läßt sich ein Pfeilerkapitell des in hadrianische Zeit zu datierenden und der Steinmetzschule von Aphrodisias zugeschriebenen großen Nymphaeums im Letoon bei Xanthos anführen. Für die zeitliche Einordnung der Temenoshallen des sog. Serapeions und ihrer Marmorwandvertäfelung in das erste Drittel des 2. Jh. n. Chr. spricht neben den Beobachtungen an der Architekturdekoration die Auswertung des Keramikfundmaterials, und hier besonders der Funde aus der Verfüllung der Zwischendecke der eingestürzten Nordhalle, das ebenfalls in diese Zeit weist. |
Abb. 3 |