Zur Marmorwandvertäfelung aus der Nordost-Ecke
der Temenoshallen des sogenannten Serapeions in Ephesos/Türkei



Während der vom Österreichischen Archäologischen Institut durchgeführten Grabungskampagne des Jahres 1991 in Ephesos wurde bei Aufräumungsarbeiten in dem westlich an den Handelsmarkt und wirtschaftlichen Zentrum der Stadt, dessen antike Bezeichnung Tetragonos-Agora inschriftlich überliefert ist, angrenzenden Areal ein Versturz von Architekturteilen angeschnitten, der sich im Zuge der nachfolgenden archäologischen Untersuchung als ungestörter Befund der durch ein schweres Erdbeben zerstörten Osthalle des in der Ephesos-Forschung als sogenanntes Serapeion bezeichneten Tempelbezirkes herausstellte. Die numismatische Evidenz weist auf ein Ende der Benützung der Halle in der 2. Hälfte des 3. Jh. n. Chr., für die Zerstörung könnte also das in den literarischen Quellen überlieferte Erdbeben des Jahres 262 n. Chr. verantwortlich sein. Bei dem Tempelbezirk handelt es sich um einen 106 m auf 73 m messenden Platz, an dessen Südseite sich ein mit 15 m Säulenhöhe monumentaler prostyler Podiumstempel korinthischer Ordnung erhebt, während die übrigen Seiten von Säulenhallen, die nur an der Nordseite durch ein axial auf den Tempel ausgerichtetes Propylon unterbrochen sind, umschlossen wurden. Die Zuweisung des Heiligtums an Serapis stützt sich einerseits auf die die Cellawände des Tempels gliedernden Wassernischen - Wasser spielte im Kult der ägyptischen Götter eine wichtige Rolle - und andererseits auf ein 1926 im Schutt aus dem Bereich des Propylons gefundenes Fragment einer Architravinschrift, das sich auf die Bezeichnung eines Funktionärs der ägyptischen Kulte ergänzen läßt. Die Fundumstände des Bruchstückes lassen aber keineswegs eine gesicherte Deutung des Heiligtums zu, auch zumal die, wie die jüngsten Untersuchungen zumindest für die Nordost-Ecke des Temenos ergaben, Hallen in der Ausführung verschiedener architektonischer Details nicht völlig fertiggestellt waren; eine Beobachtung die sich allerdings auch am Tempel selbst machen läßt.

Die 1991 und 1992 durchgeführten Grabungen in dem 15 m auf 15 m messenden Areal in der Nordost-Ecke des Temenos, sowie die 1993 und 1994 erfolgte exemplarische Aufnahme und Bearbeitung der daraus stammenden Bauglieder und Architekturausstattung erlaubten anhand des archäologischen Befundes eine neue, modifizierte Rekonstruktion des Aussehens und der Ausstattung der Temenoshallen, die, ausgehend von einer einheitlichen Konzeption in der Platzgestaltung, für den gesamten Bereich des Heiligtums gültig ist. Demnach wurde der heilige Bezirk von zweigeschoßigen Hallen korinthischer Ordnung mit folgendem Aufbau umschlossen: Auf den zweistufigen Stylobat waren annähernd kubische Säulenstühle oder Postamente mit attischen Basen gesetzt, die sich im ergrabenen Bereich zum Teil noch in situ befinden, die Jochweite beträgt 3,00 m. Darüber folgten unkannelierte, monolithe Säulen, die qualitätvoll und detailreich ausgeführte korinthische Kapitelle trugen, an einem Stück wurde die zum Platz hin gewandte Abakusdekoration als Blattmaske gearbeitet, bei einem anderen vermutlich als Tierprotome. Das Gebälk des Untergeschoßes bestand aus einem durch drei Faszien gegliederten Architrav mit angearbeitetem Polsterfries und einem Zahnschnittgeison mit geschwungener Sima. Über Blöcken, in die die Balken der Zwischendecke eingelassen waren, folgten die Stützen des Obergeschoßes, Pfeiler mit zweiseitig angearbeiteten, kannelierten Halbsäulen auf einfachen Basen in entsprechender Form, die von Kapitellen korinthischer Ordnung abgeschlossen wurden. Im Obergeschoß waren die Säulenjoche mit einfach profilierten Schrankenplatten zugesetzt. Der Aufbau des Gebälks folgte dem des Untergeschoßes, das Dach der Hallen mit einer errechneten Traufhöhe von 13,70 m bestand aus Ziegeln korinthischer und lakonischer Form, die an der Traufe durch marmorne Dachplatten und Kalyptere ersetzt waren. Die einzelnen Bauglieder waren aus weißem Marmor gefertigt, die Rückwände der 6,20 m tiefen Hallen bestehen im Untergeschoß aus Bruchsteinmauerwerk mit Ziegelbändern, während im Obergeschoß ausschließlich Ziegel als Baumaterial verwendet wurden. Außerdem ließ sich am Stylobat und den Baugliedern des Untergeschoßes der Osthalle feststellen, daß als optisches Gestaltungsmittel für die lange Hallenfront die Kurvatur eingesetzt wurde. Die schon erwähnte Unfertigkeit in der Ausführung architektonischer Details zeigt sich deutlich an den Säulenstühlen oder Postamenten des Untergeschoßes, wo nur die Profile der Frontseiten ausgearbeitet sind, während die Profile der Basen des Obergeschoßes gänzlich unausgearbeitet sind, auch fehlen für beide Geschoße jegliche Anhaltspunkte für die bei solchen Bauwerken zu erwartenden Bodenbeläge aus Marmorplatten, zumal das Untergeschoß der Hallen mit einer ausgesprochen qualitätvollen Marmorwandvertäfelung ausgestattet war.


Abb. 1
Die während der beiden Grabungskampagnen 1991 und 1992 im Fundmaterial in großen Mengen zu Tage gekommenen Bruchstücke der Marmorwandvertäfelung des Untergeschoßes der Ost- und der Nordhalle des Temenos konnten 1994 von der Verfasserin im Rahmen einer Diplomarbeit an der Universität Wien exemplarisch aufgenommen und bearbeitet werden. Bescheidene Reste der Marmorwandvertäfelung befanden sich in diesem Bereich auch noch in situ an den Hallenrückwänden. Aufgrund der genauen Dokumentation der einzelnen Fundkomplexe innerhalb der Grabung und der durch den ungestörten Befund der Erdbebenzerstörung der Hallen gegebenen Vollständigkeit des Materials war es außerdem möglich, eine steingerechte Rekonstruktion der Marmorwandvertäfelung (Abb. 1 zeigt als Beispiel dafür Pilasterjoch OST III) auf einer Länge von etwa 30 Laufmetern zu erarbeiten. Es handelt sich dabei um eine aus weißem, bläulich bis violett gemaserten Marmor gefertigte Wandvertäfelung, die in ihrem Aufbau dem üblichen Typus der durch drei horizontale Zonen unterschiedlicher Höhe gegliederten Wanddekoration folgt. Die in der Mitte befindliche Pilasterzone wurde von der niedrigeren Sockel- und der Gebälkzone begrenzt, eine vertikale Gliederung der Wandvertäfelung erfolgte einerseits durch unterhalb der Pilaster angebrachte Sockelreliefs und andererseits durch die Pilaster selbst, die in ihrer Anordnung mit der Säulenstellung der Hallen korrespondierten.
Der verwendete Marmor läßt sich aufgrund seiner charakteristischen Textur makroskopisch den in der Antike berühmten Steinbrüchen von Dokimeion in der Nähe des heutigen Afyon in Zentralanatolien zuweisen. Zur Befestigung der einzelnen Elemente der Wandvertäfelung an den Hallenrückwänden dienten Bronzehaken, die von oben und seitlich in die Marmorplatten und Profilstücke eingriffen. Die Hallenrückwände selbst waren von einer dicken Schicht aus mit Ziegelmehl versetztem Mörtel überzogen, die eine großflächige Haftung der Platten gewährleistete, während eine Stützung von unten durch die schon angebrachten Elemente erfolgte. Die Sockelzone war in zwei horizontale Streifen unterteilt, in einen niedrigen, unteren aus glatten Marmorplatten und einen hohen, der von einem jeweils unterhalb und oberhalb der Sockelreliefs verkröpftem Profil abgeschlossen wurde. Das Repertoire der für die Sockelreliefs paarweise verwendeten Motive reicht von verfremdeten, rein geometrischen Formen, wie Raute und Rhombus, über verschiedene Schilddarstellungen bis zur Wiedergabe von Doppelthyrsoi und Dreifüßen auf Omphalosbasen. Diese Sockelreliefs lassen keine Rückschlüsse auf eine Zuweisung des Heiligtums an eine bestimmte Gottheit zu, es dürfte sich dabei lediglich um die Wiedergabe von Weihegeschenken als Reliefdarstellungen handeln, die einem allgemein gültigen Kanon entsprachen. So wurde beispielsweise auch im Olympieion von Ephesos, dem monumentalen Kaiserkulttempel für Hadrian, eine ebenfalls von der Marmorwandvertäfelung der Temenoshallen stammende Reliefplatte mit einer sehr ähnlichen Darstellung eines Doppelthyrsos gefunden.


Abb. 2
D ie Hauptzone der Marmorwandvertäfelung der Temenoshallen des sog. Serapeions war durch über attischen Basen angebrachte, kannelierte Pilaster, deren Kanneluren im unteren Drittel von Rundstäben ausgefüllt sind, gegliedert. Diese Pilaster trugen Kapitelle korinthischer Ordnung, die aufgrund ihrer höchst qualitätvollen und detailreichen Ausführung zu den interessantesten Objekten innerhalb des Fundmaterials zählen (Abb. 2). In der Gestaltung der Akanthusform folgen alle Pilasterkapitelle dem Typus des für die Arbeiten der berühmten Steinmetzkünstler aus Aphrodisias charakteristischen großgezackten Akanthus, der in dieser Form spätestens seit der Mitte des 2. Jh. n. Chr. kanonisch wird, der sich aber auch schon an inschriftlich früher zu datierenden Gebäuden in Ephesos, wie etwa dem sog. Hadrianstempel an der Kuretenstraße, feststellen läßt.
A n drei Stücken sind die einzelnen Apices, die Akanthusblattzacken, derart manieriert gearbeitet, daß sich für die die Blattabschnitte unterteilenden Blattösen eine ungewöhnliche bohnen- oder nierenartige Form ergibt (Abb. 3). Als engstes Vergleichsbeispiel für eine solche Akanthusgestaltung läßt sich ein Pfeilerkapitell des in hadrianische Zeit zu datierenden und der Steinmetzschule von Aphrodisias zugeschriebenen großen Nymphaeums im Letoon bei Xanthos anführen. Für die zeitliche Einordnung der Temenoshallen des sog. Serapeions und ihrer Marmorwandvertäfelung in das erste Drittel des 2. Jh. n. Chr. spricht neben den Beobachtungen an der Architekturdekoration die Auswertung des Keramikfundmaterials, und hier besonders der Funde aus der Verfüllung der Zwischendecke der eingestürzten Nordhalle, das ebenfalls in diese Zeit weist.
Abb. 3

Zur detailreichen Ausführung der Architekturdekoration sei schließlich noch erwähnt, daß jedes der Pilasterkapitelle eine andere Abakusdekoration trägt und auch die Enden der Voluten und Helices unterschiedlich ausgestaltet sind. Den Abschluß der Marmorwandvertäfelung bildete die Gebälkzone, die in vermutlich drei niedrige Streifen gegliedert und durch ein Profil akzentuiert war, für diese Zone muß die Rekonstruktion rein theoretisch bleiben, da bei der exemplarischen Aufnahme des Fundmaterials die das Gros ausmachenden Fragmente von glatten Platten weitgehend ausgeklammert wurden.

(c) K. Koller
Vortrag Österreichischer Archäologentag 1996, Innsbruck.


HOME