Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 12 / IX / 1999

KURZBERICHT ÜBER DIE ARBEITEN IN PALMYRA 1999

Im Rahmen des deutsch-syrischen Kooperationsabkommens fand vom 7. April bis 12. Mai 1999 eine weitere Kampagne im Areal der "hellenistischen" Stadt von Palmyra statt [1]. Die Kampagne war zuvor in München und Wien vorbereitet worden: Die 1997 und 1998 bei der geophysikalischen und topographischen Prospektion des Geländes erhobenen Meßdaten waren digital graphisch umgesetzt und ausgewertet worden (Abb. 1), erste Interpretationsvorschläge der dadurch sichtbar gewordenen unterirdischen Bebauungsstrukturen gemacht sowie ein graphisches Geländemodell erstellt [2].

Abb. 1: Palmyra, Magnetogramm der hellenistischen Stadt im 40 m - Gitter mit Angabe des Testschnittes 1999

Ausgehend von dieser Basis hatte die Kampage in Palmyra folgende Ziele: Durch eine Testsondage sollten die geophysikalisch gewonnenen Daten bzw. Informationen verifiziert bzw. modifiziert werden. Zweitens sollte exemplarisch ein Ausschnitt der urbanistischen Strukturen erfaßt werden. Drittens sollten durch stratigraphische Untersuchungen archäologische Kriterien für die relative und absolute Datierung der entsprechenden Baustrukturen gewonnen werden.

Abb. 2: Palmyra, Testschnitt 1999 in der hellenistischen Stadt; Abb. 3: wie Abb. 2, Öfen

Für die Testsondage wurde ein Schnitt von 25 m Länge, 5 m Breite und bis zu 5 m Tiefe angelegt (Abb. 2), der folgende Ergebnisse erbrachte: Die geophysikalischen Daten konnten in dem exemplarisch ausgewählten Areal bestätigt und präzisiert werden. Es wurde eine Straßenkreuzung mit angrenzender Wohnbebauung angeschnitten. Die Bebauung bestand in den unteren beiden Mauerlagen aus großen Kalksteinquadern mit einer darüber aufgehenden, in Mörtel gebetteten Lehmziegelarchitektur, die sich im Versturz deutlich nachweisen ließ. Bauornamentik aus Kalkstein läßt auf eine zur Straße hin aufwendig dekorierte Architektur schließen. Die Qualität der Architektur wird auch durch mehrere, sorgfältig gearbeitete Türangelsteine und Türschließen aus Kalkstein bestätigt. Die Straße sowie die Laufhorizonte der Wohnbebauung bestanden aus gestampftem Lehm mit Mörtel- und Kiesschüttungen. Im Straßenbereich dokumentieren ein monumentaler und sorgfältig angelegter Kanal sowie ein daneben liegender, vier Meter tiefer Brunnen eine ausgiebige Wasserversorgung.
In der Bebauung selbst lassen zwei in situ erhaltene Öfen (Abb. 3), mehrere in unmittelbarer Nähe gefundene große Pithoi, die z. T. inwendig Reste von Färbematerial aufweisen, sowie über fünfzehn Webgewichte (Abb. 4) auf eine wirtschaftliche Nutzung der entsprechenden Räume möglicherweise im Zusammenhang mit Textilproduktion schließen. Zahlreiche qualitätvolle Keramik-, Glas-, Eisen- und Bronzefunde (u. a. Spiegel, Messer) bestätigen den Wohlstand der entsprechenden Bewohner. Hervorzuheben sind ferner zwei fragmentarisch erhaltene Inschriften (eine in importierten Marmor gehauene griechische und eine palmyrenische), das 10 cm hohe Stuck-Köpfchen eines Satyrs (? Abb. 5), im Wandverputz einer Fassade erhaltene Grafitti, ein kleiner Altar und zwanzig Münzen.

Abb. 4: Palmyra, Webgewichte aus Testschnitt 1999
Abb. 5: Palmyra, Stuckköpfchen eines Satyr (?), aus Testschnitt 1999

Relativ chronologisch lassen sich mindestens vier Bauphasen nachweisen, die z. T. durch dazwischen liegende Sandschichten voneinander getrennt sind und deshalb keinen unmittelbaren Bezug aufeinander nehmen, und die aufgrund der stratigraphisch ergrabenenen Funde, insbesondere der Keramik, vom 3. Jh. vor Chr. bis in das beginnende 2. Jh. nach Chr. datiert werden können. Die detaillierte Auswertung der Keramik- und Münzfunde ist abzuwarten. Im Keramikbefund auffällig und für Palmyra bisher erstmalig ist aber in jedem Fall der hohe Anteil an hellenistischer Ware (Abb. 6-7):

Abb. 6: Palmyra, hellenistischer Amphorenhenkel mit Stempel, aus Testschnitt 1999
Abb. 7: Palmyra, Fragmente hellenistischer Keramik, aus Testschnitt 1999


Abb. 8: Palmyra, Fragment hellenistischer Reliefkeramik mit figürlicher Darstellung, aus Testschnitt 1999
Syrische Imitationen attischer schwarz engobierter Keramik (Fischteller) sowie schwarz engobierte Tarsusware vom ausgehenden 3. Jh. v. Chr. (Lampen, Teller), rot engobierte Reliefkeramik aus dem östlichen Mittelmeerraum des beginnenenden 2. Jhs. v. Chr. mit figürlichen Darstellungen (Abb. 8), rot engobierte lokale Ware (Lampen sowie Imitationen von Fischtellern und Megarischen Bechern des 2. Jhs. v. Chr.), lokale glasierte (sog. parthische) Ware vom Anfang des 2. Jhs. v. Chr. (Fischteller) bis zum 1. Jh. n. Chr., ein hoher Anteil an Eastern Sigillata A (auch schwarz engobiert!) des 2. Jhs. v. Chr. sowie insbesondere des 1. Jhs. v. und n. Chr. sowie möglicherweise zyprische Importkeramik des 1. Jhs. n. Chr. Die späteste Keramik ist lokale Ware des späten 1./ beginneneden 2. Jhs. n. Chr. Insgesamt ergibt sich daraus zum ersten mal für Palmyra nicht nur eine gesicherte Abfolge hellenistischer Keramik, sondern auch ein erster Einblick in die vorrömische "hellenistische" Phase der Urbanistik der Stadt.

Damit eröffnet sich in Palmyra die für den Vorderen Orient bisher einzigartige Möglichkeit, vorrömisch-"hellenistische" Siedlungsstrukturen kontinuierlich über einen längeren Zeitraum sowie auf einer größeren Fläche zu untersuchen. Dies kann nur exemplarisch in einem kleinen, aber doch aussagekräftigen Ausschnitt geschehen, was in drei weiteren Kampagnen geplant ist. Im Frühjahr 2000 soll zunächst der Testschnitt erweitert und eine größere Fläche freigelegt werden, einerseits um die ergrabenen Befunde in ihrem urbanistischen Zusammenhang verstehen zu können, andererseits um eine breitere Basis für die absolute Datierung insbesondere der frühesten Siedlungsaktivitäten in dem betreffenden Areal zu erhalten, zumal der sog. gewachsene Boden bisher an keiner Stelle der Sondage erreicht ist. Durch eine "Gegenprobe" an anderer Stelle, weiter im Norden des "hellenistischen Hügels", sollen die Ergebnisse dann verifiziert bzw. modifiziert werden. Parallel dazu soll das Material, insbesondere die Keramik aufgearbeitet werden. Mittelfristig ist geplant, die gewonnenen Daten und Erkenntnisse mit dem bereits von französischen Kollegen erstellten und in großzügiger Weise zur Verfügung gestellten Vermessungsplan aller überirdisch sichtbaren Bebauungsstrukturen auf dem "hellenistischen" Hügel zu kompilieren und in einen topographischen Gesamtplan von Palmyra mit einzubringen, der im Rahmen eines EU-Projektes unter Federführung des Institut Francais d'Archéologie du Proche Orient (IFAPO) erstellt wird.

Allgemeine Literatur:
Palmyra. Geschichte, Kunst und Kultur der syrischen Oasenstadt, Katalog Linz (1987).
Palmyra and the Aramaeans, ARAM 7, 1995.
Palmyra and the Silk Road, Int. Colloquium 1992, AAS 42, 1996.
A. Schmidt-Colinet, Palmyra. Kulturbegenung im Grenzbereich2 (1997).
A. Schmidt-Colinet - A. Stauffer, Die Textilien aus Palmyra, DaF 8 (Herbst 1999).
J. Starcky - M. Gawlikowski, Palmyre (1985).
E. Will, Les Palmyréniens. La Venise des sables (1992).

[1] Die Arbeiten standen wieder unter Leitung von Doz. Dr. Andreas Schmidt-Colinet (Wien) und Khaled al-As'ad (Palmyra). Weitere Mitarbeiter waren Ahmed Taha (Technischer Attaché, Palmyra), die Archäologen Silke Kucher und Mag. Georg Plattner (beide Wien), Dr. Christiane Roemer-Strehl (vom 28.04. bis12.05., Keramologin, Clausthal-Zellerfeld), Cornelius Schmidt-Colinet (vom 8. bis 21. April, Student, Bern).
Die Projektleiter danken dem Deutschen Archäologischen Institut und der General-direktion der Altertümer und Museen Syriens für die Trägerschaft sowie für alle finanzielle und administrative Unterstützung. Auch die bewährte Gastfreundschaft aller Mitarbeiter der Außenstelle Damaskus sei dankbar erwähnt. Ferner ist Prof. Michal Gawlikowski zu danken, der die Mission vom 26. bis 28. April besuchte, um mit uns vor Ort einzelne Funde sowie grundsätzliche Fragen zur Urbanistik Palmyras zu diskutieren.
[2] s. Berichte beider Vorjahre. Für unbürokratisch gewährte Amtshilfe und Mitarbeit ist Dr. Helmut Becker (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege) und Dr. Manfred Stephani (Lehrstuhl für Potogrammetrie und Fernerkundung, TU-München) zu danken.

© Andreas Schmidt-Colinet
e-mail:
andreas.schmidt-colinet@univie.ac.at

This article will be quoted by A. Schmidt-Colinet, Kurzbericht über die Arbeiten in Palmyra 1999, Forum Archaeologiae 12/IX/99 (http://farch.tsx.org/forum0999/12palm.htm).



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