Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 12 / IX / 1999

ZU DEN RÖMISCHEN MOSAIKEN WESTKLEINASIENS

Über die römischen Mosaiken des westlichen Kleinasiens liegt bis jetzt noch keine umfassende Untersuchung vor. Eine Tatsache, die eigentlich nicht einzusehen ist, wenn man bedenkt, zu welch ungeheurer Menge die ans Tageslicht gekommenen Bodenfunde bis heute angewachsen sind.
Sicherlich wird man dafür zum Teil das geringe Interesse verantwortlich machen dürfen, das dem Mosaik als Kunstform jahrzehntelang entgegengebracht wurde. Damit war auch das Versäumnis einer genauen Dokumentation verbunden: Lapidare Beschreibungen in älteren Grabungsberichten legen davon Zeugnis ab, die weder auf Dekorationsformen noch Farben eingehen, oft auch keine exakten Fundumstände und technische Details nennen, und denen meist keine bildlichen Darstellungen beigegeben wurden.
Das Mosaik fand als Kunstform des Niedergangs im Sinne einer antiquierten Auffassung der "klassischen Archäologie" wenig Beachtung. Im besonderen Maße galt das für rein geometrisch verzierte Tessellate [1].
Dabei sollten gerade die römischen Mosaiken Westkleinasiens im Brennpunkt des Interesses stehen, da sie sich im Spannungsfeld zwischen westlichen und östlichen Entwicklungstendenzen der Mosaikenproduktion befinden. Ein Blick auf die bis zum heutigen Tage entstandenen Publikationen vermag kein umfassendes Bild vom Mosaikschaffen in diesem Gebiet zu vermitteln. Größtenteils muß man sich mit punktuell veröffentlichten Ergebnissen, meist im Zusammenhang von Grabungsberichten, behelfen, wobei als erschwerender Faktor hinzukommt, daß Vorberichte vielfach nur in türkischer Sprache existieren [2].
Auf dem 10. Internationalen Kongreß für Klassische Archäologie 1973 in Ankara entstand daher die Idee, ein Corpus der antiken Mosaiken Kleinasiens ins Leben zu rufen, das die systematische Aufnahme, Untersuchung und Vorlage der Mosaiken aus diesem Raum zum Ziel hatte. Dieses kanadisch-österreichische Vorhaben, welches von Elisabeth Alföldi-Rosenbaum und Hermann Vetters initiiert wurde, hat folgende Werke zu den Mosaiken Westanatoliens hervorgebracht:
Werner Jobst hat 1977 in der Reihe Forschungen in Ephesos (VIII/2) die Römischen Mosaiken aus Ephesos I. Die Hanghäuser des Embolos vorgelegt: Hier werden die Mosaiken der Hanghäuser 1 und 2 nach Räumen geordnet dargestellt, wobei jedes einzelne mit Abbildung, Bibliographie, Beschreibung der technischen Merkmale, sowie Datierung in Verbindung mit ikonographischer und stilistischer Beurteilung versehen ist. Die katalogartige Aufschlüsselung des Mosaikenbestandes der Hanghäuser wird durch ein Resumée am Ende des Bandes ergänzt.
1991 veröffentlichte Sheila Campbell The Mosaics of Aphrodisias in Caria . In diesem Werk wurden zum ersten Mal die in den Grabungen von Aphrodisias ans Tageslicht gelangten Mosaikfunde gesammelt vorgelegt. Einem detaillierten Katalog folgen ein "geometrical summary", in dem alle auf den Mosaiken vorkommenden figürlichen Dekorationselemente abgebildet sind, sowie eine Schlußbetrachtung.


Abb. 1: Milet, Mosaiken des römischen Peristylgebäudes im Osten des Marktes
(nach H. Knackfuss, Der Südmarkt und die benachbarten Bauanlagen. Milet I 7 [1924] Taf. VII Abb. 53)

Die Verfasserin hat sich die Untersuchung der Kompositionsschemata römischer Mosaiken Westkleinasiens zur Aufgabe gemacht. Geographisch kann das Forschungsgebiet sehr gut durch die im Synekdemos des Hierokles mit klaren Linien determinierten Provinzen Asia, Lydia und Karia eingegrenzt werden, während sich der zeitliche Bogen vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. spannt.
Zugunsten einer überschaubaren Materialpräsentation bietet sich eine Zweiteilung der Studie in einen Katalog- und einen interpretierenden Abschnitt an. Um dem Leser das Material übersichtlich vorzulegen, müssen die Informationen über das einzelne Bodendenkmal rasch verfügbar sein: Neben Fundort, Datierung und Aufbewahrungsort soll aus dem Katalog auf den ersten Blick hervorgehen, ob es sich um ein Mosaik mit figürlicher, geometrischer oder gemischter Darstellung handelt und ob sich darauf eine Inschrift befindet.
Ein wesentliches Anliegen der Arbeit besteht im Versuch, eine Chronologie der westkleinasiatischen Mosaikenproduktion zu erstellen: Datierungsargumente ergeben sich bei diesem Unterfangen aus einer Vielzahl möglicher Kriterien, wobei allerdings auch der Idealfall einer Mosaikinschrift mit Datumsangabe erst nach einer genauen Prüfung des Wortlauts einen unumstößlichen Hinweis auf die Entstehung des Tessellats zu geben vermag. Aus Münz- und Kleinfunden aus den Schichten unterhalb eines Mosaiks läßt sich ein terminus post quem ermitteln. Durch die Untersuchung des architektonischen Kontexts eines Mosaiks - die Betrachtung der Pavimentverteilung in den Räumen eines Gebäudes einerseits, die Beziehung des Bodenschmucks zur Dekoration der Wände und Decken andererseits - kann eine relative Chronologie aufgestellt werden. Daß man es in den seltensten Fällen mit fix datierten Tessellaten zu tun hat, geht aus der Liste hervor, die Alexandra Kankeleit ihrer Untersuchung zu den kaiserzeitlichen Mosaiken Griechenlands beigefügt hat [3]: Für knapp dreißig Mosaiken ihres Katalogs finden sich aus der Literatur übernommene Datierungsangaben. Bei genauer Durchsicht wird deutlich, daß diese "Ergebnisse" nicht unkritisch akzeptiert werden und als Basis für Vergleiche dienen dürfen. Vielfach drängt sich der Eindruck auf, daß Datierungen des architektonischen Kontexts eines Tessellats von vorschnellen Urteilen über die zeitliche Stellung des Mosaiks abgeleitet oder zumindest beeinflußt worden sind.
Man ist demnach in den meisten Fällen, besonders dort, wo nur unzureichend publiziertes Mosaikenmaterial vorliegt, auf Datierungen angewiesen, die sich aus seiner stilistischen Bestimmung ergeben: Für diese Datierungsmethode sind folgende Kriterien unerläßlich und ausschließlich anzuwenden:
Es muß die Summe der in einem Mosaik vorkommenden Einzelmotive untersucht werden, außerdem das Verhältnis von ornamentalem zu figürlichem Schmuck innerhalb eines Mosaiks sowie das Verhältnis der Dekoration zum Bildgrund. Ein weiterer Gesichtspunkt bei der stilistischen Zeitbestimmung ist der Grad der Farbigkeit eines Mosaiks. Nur bei genauer Befolgung dieser Vorgangsweise, quasi einem "Abklopfen" des Mosaiks auf diese Merkmale, lassen sich allgemeingültige Stilprinzipien erfassen, die eine chronologische Einordnung des Bodendenkmals ermöglichen können.
Da daher nur die Kombination von Motiven als Untersuchungskriterium gelten kann, ist es nicht zulässig, eine stilistische Datierung aus dem Vergleich von Einzelmotiven mehrerer Mosaiken abzuleiten. Das geometrische Ornamentrepertoire bleibt bei den römischen Mosaiken über Jahrhunderte hinweg gleich und wird erst gegen Ende der Antike wesentlich erweitert [4].
Im Idealfall sollte es möglich sein, jedem beliebigen römischen Mosaik einen Platz in der Stilgeschichte zuzuweisen, wobei gleichzeitig an einzelnen Motiven lokale Besonderheiten abgelesen werden können.
Für eine Gegenüberstellung von westkleinasiatischen Tessellaten und jenen anderer römischer Provinzen bieten sich aufgrund der geographischen Nähe besonders die griechischen Inseln und das Festland an, zumal die Mosaiken dieses Raumes bereits ausführliche Behandlung erfahren haben [5]. Monographisch bearbeitetes Vergleichsmaterial existiert außerdem für Zypern und den Vorderen Orient [6].
Um die Stellung Westkleinasiens in der Auseinandersetzung zwischen westlichem und östlichem Mosaikschaffen richtig zu beurteilen, bedarf es einer Definition dieses Antagonismus. Die römische Mosaikkunst der westlichen Reichshälfte entwickelte sich nach anderen Voraussetzungen als die des Ostens. Während man hier auf eine jahrhundertelange Tradition des Mosaikverlegens zurückblicken konnte, ist das Vorhandensein von Mosaiken im Westen Gradmesser der Romanisierung. In Italien begann man gegen Ende der Republik neue Wege in der Tessellatdekoration zu beschreiten, die von den bisherigen, einem hellenistischen Prinzip des illusionistischen Emblemas folgenden Gliederungsschemata in starkem Maße wegführten.
Aus zwei Untersuchungen zu den römischen Mosaiken Griechenlands geht hervor, inwiefern die Begriffe "hellenistisch" und "italisch" heute als Gegensatzpaar innerhalb der Oberflächengestaltung eines Mosaiks zu verstehen sind: Während Philippe Bruneau mit einem Verweis auf die hellenistische Tradition jeglichen Fremdeinfluß auf die griechische Mosaikenproduktion leugnet und somit alle Mosaiken des 1.-4. Jahrhunderts n. Chr. als einheitliche (undatierbare!) Gruppe betrachtet, vermeint Gisela Hellenkemper-Salies im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. eine deutliche Beeinflussung der griechischen durch die italischen Mosaiken ausmachen und sie deshalb mit diesen in eine Entwicklungsreihe stellen zu können [7].
Das Profil des griechischen Mosaikschaffens ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. ergibt sich aus der Übernahme oder Ablehnung westlicher Gestaltungsgrundsätze: Zwar wurden nach italischem Vorbild Gliederungsschemata aus der Deckendekoration, Textilkunst und anderen Gattungen auf Mosaiken übertragen, doch dominierte weiterhin der konzentrische Bildaufbau mit einer markanten Mittelzone, der schon die hellenistische Flächendekoration bestimmt hatte. Eigenständigkeit äußerte sich andererseits in der Ablehnung von gewissen Dekorationsprinzipien: So konnte in Griechenland beispielsweise der Schwarz-Weiß-Stil (und mit ihm der style fleuri sowie freie Figurenkompositionen ohne geometrische Gliederung) nicht richtig heimisch werden [8].
Für das Mosaikschaffen des Vorderen Orients scheint hingegen bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. ein Festhalten an hellenistischen Traditionen charakteristisch gewesen zu sein. Im 4. Jahrhundert wurden die Böden mit geometrischem Dekor überzogen und die Gliederungsschemata des Westens übernommen. Und erst die Edikte Theodosius' I. vermochten die mythologischen Emblemata mit ihren geometrisch verzierten Rahmenzonen zurückzudrängen.


Abb. 2: Milet, Mosaiken des westlichen Raumes des römischen Peristylgebäudes im Osten des Marktes
(nach H. Knackfuss, Der Südmarkt und die benachbarten Bauanlagen. Milet I 7 [1924] Taf. VIII Abb. 54)

In groben Zügen zeichnen sich einige Tendenzen innerhalb der Komposition römischer Mosaiken in Anatolien ab: Während im südöstlichen Kleinasien eine Hinwendung zu den bzw. eine Beeinflussung durch die syrischen Mosaiken feststellbar ist [9] und in Südwestkleinasien eine gemischte Aufnahme westlicher und östlicher Stilprinzipien erkannt werden kann, haben Untersuchungen zu ephesischen und pergamenischen Mosaiken die Ausrichtung Westkleinasiens auf den Westen angezeigt [10].
Diese Beobachtungen gilt es im Rahmen der Arbeit über die Kompositionsschemata römischer Mosaiken Westkleinasiens weiterzuverfolgen sowie zeitlich einzugrenzen. Da das zu untersuchende Material einen Zeitraum von acht Jahrhunderten abdeckt, ist auch der Wandel der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Situation zu berücksichtigen, der zu unterschiedlich gerichteten Einflüssen und Formfindungen geführt hat.

[1] Vgl. dazu J. Clarke, Roman Black-and-White Figural Mosaics (1979) S. XX. - Überraschend früh, nämlich zu Beginn der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts, hat der englische Forscher Charles T. Newton einen wichtigen Beitrag zur Mosaikenforschung in Kleinasien geleistet: Er grub in Halikarnassos den Großteil einer spätrömischen Villa aus, die mit zahlreichen Mosaikböden ausgestattet war. Ihnen widmete er nicht nur ca. 40 Seiten seines dreibändigen Werkes Discoveries at Halicarnassus, Cnidus and Branchidae (1862), sondern ließ auch Fotographien derjenigen Böden herstellen, die er aus Mangel an Gips nicht abnehmen konnte und wieder zuschütten mußte. - Daß selbst in unserer Zeit die unsachgemäße Behandlung von Mosaikböden gleichsam als "Kavaliersdelikt" gewertet wird, klingt bei W. Müller-Wiener, IstMitt 22, 1972, 53 an, wenn er schreibt, daß ein im Zuge einer Sondage entdecktes milesisches Tessellat "ohne Bedenken durchschlagen" werden konnte.
[2] Eine der Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Mosaikenforschung, die nicht nur im Zusammenhang mit den hier zu behandelnde Mosiaken des westanatolischen Raumes von Bedeutung ist, ist das Werk Doro Levis mit dem Titel Antioch Mosaic Pavements (1947). Vgl. dazu S. Campbell, The Mosaics of Antioch (1988). - Ludwig Budde brachte eine Monographie über die antiken Mosaiken in Kilikien heraus (1969 und 1972), die allerdings einige Wünsche hinsichtlich einer systematischen Voralge des Materials offen läßt. - Eine im Verhältnis zu ihrem begrenzten Veröffentlichungsraum ausführliche zusammenfassende Behandlung erfuhren dagegen die Mosaike aus dem Gebiet Kommagene-Kilikien-Isaurien in jüngster Zeit durch Gisela Hellenkemper-Salies (RBK IV (1990) Sp. 319-347 s. v. Kommagene-Kilikien-Isaurien). - Die Monographie Orhan Bingöls mit dem Titel Malerei und Mosaik der Antike in der Türkei (1997) erweist sich hingegen als lockere Auswahl anatolischer Bildkunst.
[3] A. Kankeleit, Kaiserzeitliche Mosaiken in Griechenland I (1994) 87ff.
[4] V. von Gonzenbach, Die römischen Mosaiken der Schweiz (1961) 292 hat bereits eindringlich vor diesem falschen Ansatz gewarnt, gleichzeitig aber auf andere sich daraus ergebende Möglichkeiten aufmerksam gemacht: "Vom Mosaikmaterial jedes geschlossenen Werkstattkreises aus kann eine grundsätzlich immer gleichbleibende Stilgeschichte geschrieben werden, während andererseits die Geschichte der jeweiligen Erscheinungsformen des Mosaiks in jedem von ihnen eine andere sein wird".
[5] Vgl. St. Pelekanidis, Syntagma ton palaiochristianikon psephidoton dapedon tes Ellados I. Nesiotike Ellas (1974); M. Spiro, Critical Corpus of the Mosaic Pavements on the Greek Mainland 4./5. Centuries (1978); S. E. Waywell, Roman Mosaics in Greece, AJA 83, 1979, 293ff.; G. Hellenkemper-Salies, Römische Mosaiken in Griechenland, BJb 186, 1986, 241-284; P. Assimakopoulou-Atzaka, Syntagma ton palaiochritianikon psephidoton dapedon tes Ellados II. Peloponnesos-Sterea Ellada (1987); A. Kankeleit a. O.
[6] J. Balty, Mosaïques antiques de Syrie (1977); M. Piccirillo, The Mosaics of Jordan (1993); M. Chehab, Mosaiques du Liban (1957-59), W. Daszewski, Corpus of Mosaics from Egypt I (1985); ders. - D. Michaelidis, Mosaic Floors in Cyprus (1988).
[7] Ph. Bruneau, Tendances de la mosaïque en Grèce a l'époque imperiale, ANRW II 12, 2 (1981) 320-346; G. Hellenkemper-Salies, Römische Mosaiken a. O.
[8] Kankeleit a. O. 139ff.
[9] Hellenkemper-Salies, RBK 319ff.
[10] W. Jobst, Akten des 10. Internationalen Kongresses für Klassische Archäologie, Ankara 1973 (1978) 653; ders., Die römischen Mosaiken in Ephesos I. Die Hanghäuser des Embolos, FiE VIII/2 (1977) 85; D. Salzmann, AA 1991, 456.

© Veronika Scheibelreiter
e-mail:
Veronika.Scheibelreiter@oeaw.ac.at

This article will be quoted by V. Scheibelreiter, Zu den römischen Mosaiken Westkleinasiens, Forum Archaeologiae 12/IX/99 (http://farch.tsx.org/forum0999/12mostr.htm).



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