Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 8 / IX / 1998

Fritz Blakolmer
Farbe in der ägäischen Bildkunst, in den Linear B-Texten und bei Homer

Die insgesamt 39 bislang nachweisbaren Farb- und Glanzausdrücke der Linear B-Texte und ihr Kontext erlauben nicht nur eine Rekonstruktion des sprachlichen Farbenkosmos der ägäischen Spätbronzezeit sondern auch den Versuch einer Charakterisierung des Bezuges des frühen Ägäers zu seiner chromatischen Umwelt. Insbesondere die Farben von Textilgeweben, Rinderkörpern und Pflanzen erfuhren in den frühgriechischen Texten Erwähnung, und eine reiche Palette an Farbausdrücken in Anthroponyma veranschaulicht uns den einst überaus lebendigen sprachlichen Umgang mit Farbe.

Abb. 14: Sog. 'Frühlingsfresko' aus Akrotiri, Thera
(nach S. Marinatos, Excavations at Thera IV (Athen 1971) Farbtaf. A)

Das Spektrum an Farbausdrücken sowie vereinzelte Textzusammenhänge lassen auf eine grundlegende Farbentrias, bestehend aus Weiß, Rot und Schwarz, mit den frühgriechischen 'Basic Color Terms' re-u-ko, e-ru-to-ro sowie ma-ra rückschließen. Von wesentlich geringerer Bedeutung waren hingegen satte Gelb- und Blauwerte, und auch das Fehlen eines Terminus für 'Grün' spiegelt ein Desinteresse an kurzwelligen Farbwerten wider, wie dies für nahezu jede frühzeitliche 'Farbensprache' feststellbar ist - chromatische Phänomene, die uns teils deutlich in der minoisch-mykenischen Bildkunst entgegentreten, in der Wandmalerei (Abb. 14), dem Keramikdekor und anderen kolorierbaren Materialgattungen.

Die Vielzahl heterogener Farbtermini veranschaulicht uns weiters den großen Stellenwert, den Glanz, Schimmer, Materialbeschaffenheit, Oberflächenstruktur, Unruhe und Bewegung im optischen Erfassen der natürlichen Umwelt einnahmen - eine Grundtendenz des frühägäischen Farbwortes, welche Expressivität und Abstraktion, vielleicht auch Willkür in der Verwendung von chromatischen Termini widerspiegelt. Dabei erkennen wir nicht nur eine überaus deutliche Entsprechung zur Farbanschauung der minoisch-mykenischen Bildwelt sondern auch zur Farbwortnutzung des frühen alphabetischen Griechisch. Gerade hierin erweisen sich die Farb- und Glanztermini der Linear B-Texte als in einem bemerkenswerten Naheverhältnis zum inneren Farbwortverständnis der Epik und frühen Lyrik Griechenlands stehend. Besonders augenfällig ist in einer Reihe von Einzelfällen die Koinzidenz der farblichen Schilderung konkreter Gegenstände in den Quellen des syllabischen Griechisch mit jener im homerischen Epos, die auf eine urtümliche expressiv 'poetisierende' Tradition im frühen Farbverständnis schließen läßt, welche mit dem Voranschreiten eines Denkens in wissenschaftlichen Kategorien im ersten vorchristlichen Jahrtausend nach und nach in den Hintergrund gedrängt wird.

Literaturauswahl:
F. Blakolmer, Wort und Bild. Die mykenischen Farbtermini der Linear B-Texte in kunsthistorischer Betrachtung, in: E. Walde (Hrsg.), Akten des 7. Österreichischen Archäologentages, 15.-17. 11. 1996 in Innsbruck (im Druck).
C. Gallavotti, Nomi di colori in miceneo, PP 52, 1957, 5-22.
E. Irwin, Colour Terms in Greek Poetry (Toronto 1974).
M.D. Petrusevski, Les désignations de couleur en grec mycénien, in: Atti e Memorie del 1° Congresso Internazionale di Micenologia (Rom 1968) 680-685.

© Fritz Blakolmer
e-mail: Fritz.Blakolmer@univie.ac.at



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