Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 8 / IX / 1998

Georg Nightingale
Die Kombination von Gold und Glas bei mykenischen Perlen

Aus wahrscheinlich auch allgemein menschlichen Gründen – die Anziehungskraft von Gold ist bis heute ungebrochen – steht Edelmetallschmuck bei der Betrachtung von Schmuck oft im Vordergrund. Das ist auch in der ägäischen Prähistorie nicht anders. Etwas ins Hintertreffen geriet dabei der Schmuck aus Glas und Fayence, der in der Palastzeit einen Großteil des Schmuckmaterials in den Kammergrabnekropolen ausmachte. Die Typen und das Dekor von Gold- und Glasperlen der mykenischen Palastzeit stehen sich sehr nahe oder sind überhaupt identisch. Um die Stellung des Glas- und Fayenceschmuckes in der Kultur der spätbronzezeitlichen Ägäis und in seinem Verhältnis zu Metallschmuck besser beurteilen zu können, erscheint es nützlich, die besonderen Perlen, bei denen Gold mit Glas verbunden wurde, etwas genauer zu betrachten. Sie stellen sozusagen ein Bindeglied zwischen beiden Materialien dar.

Es lassen sich mehrere Möglichkeiten der Verbindung von Glas und Fayence mit Gold beobachten: Bei ‘Möglichkeit 1’ (Glasperlen mit Goldfassung) wurde in das Fadenloch der Glasperle ein Goldröhrchen eingesetzt, an dessen Enden je eine Kappe befestigt wurde, die jeweils das Ende der Perle bedeckte[24]. Bei ‘Möglichkeit 2’ (Glasperlen mit Goldverzierung) wurden in Reliefperlen aus Glas kleine Goldrosetten eingelegt[25] oder schmale Goldstreifen aufgelegt[26]. Außerdem können noch kleine Gold- und Glasscheibchen, die untereinander mit Draht verbunden sind, an Reliefperlen befestigt werden[27]. Unter ‘Möglichkeit 3’ (besondere Verwendungen von Glasperlen) fallen z. B. Perlen, die auf einen Goldring aufgezogen sind[28], oder Perlen als Nadelköpfe[29]. Unter ‘Möglichkeit 4’ (Goldperlen mit Glasverzierung) werden Perlen zusammengefaßt, bei denen z. B. mit einem Glastropfen ein Detail hervorgehoben wird[30]. Bei Perlen der ‘Möglichkeit 5’ (Glasperlen mit Goldüberzug) handelt es sich um ganz mit Gold überzogene Glasperlen[31].
Gerade an den in Gold gefaßten oder mit Gold verzierten Glasperlen, die in diesem Zusammenhang in der Literatur bis jetzt zu wenig berücksichtigt wurden, wird deutlich, daß sie keineswegs nur prinzipiell Imitation von Goldperlen oder Perlen aus anderem Material waren. Die Eigenqualitäten des mykenischen Glases, sein Glanz und seine nahezu opake, intensive dunkelblaue Farbe wurden durch die Verbindung mit Gold besonders hervorgehoben.
Glas- und Fayenceschmuck wurde in den oberen Schichten der mykenischen Gesellschaft verwendet. Das belegen Funde in den Tholoi von Mykene, der höchstrangigen uns bekannten Grabkategorie, oder in anderen hochrangigen Gräbern wie den großen Kammergräbern von Dendra sowie in den Palästen selbst, wie z. B. in Theben und Mykene. Unter diesen Funden waren auch mit Gold überzogene Perlen. Glasperlen und mit Gold überzogene Glasperlen können deshalb nicht generell als ein Merkmal des ‘armen Mannes’ und als ‘billig’ angesehen werden[32].

Abb 12: Fresko der sogenannte „Mykenaia" aus Mykene

Zum Abschluß sei hier noch auf das Fresko der sogenannte „Mykenaia" aus Mykene (Abb. 12) verwiesen[33]. Wenn auch die Zuordnung einer bestimmten Farbe des dargestellten Schmuckes zu einem bestimmten Material nicht versucht werden soll, so illustriert dieses Beispiel doch sehr deutlich die Wertschätzung der Mykenäer für umfangreiche Kolliers und Armbänder aus Perlen sowie deren Mehrfarbigkeit, eine Wertschätzung, die sich auch in der Malerei niedergeschlagen hat.

[24] Als Beispiel einer Goldfassung, bei der die zugehörige Perle vergangen ist: Mykene, ANM 2295: A. Xenaki-Sakellariou, Les tombes à chambre de Mycènes. Fouilles de Chr. Tsountas (1887-1898) (1985) 143f. Taf. 38, Nr. X 2295 (10). Beispiel einer gut erhaltenen in Gold gefaßten Glasperle mit zusätzlicher Granulaturverzierung: Mykene, eventuell T. 11, ANM 2287: Xenaki-Sakellariou a. O. 138 und Taf. 38 Nr. G 2287.
[25] Z. B. im Oberteil einer Wellenperle aus Mykene: ANM 2293: Xenaki-Sakellariou a. O. 138 und Taf. 39, Nr. G 2293 (3) vita.
[26] Bei einer Wellenperle aus Mykene: Gräber der Jahre 1887/88, ANM 2293: Xenaki-Sakellariou a. O. (Anm. 1) 138 Taf. 39, Nr. G 2293 (3) alpha.
[27] Z. B. an Wellenperlen aus Mykene: T. 55, ANM 2829: Xenaki-Sakellariou a. O. (Anm. 1) 170 Taf. 68; S. 311, abgebildet unter Nr. 137, Nr. G 2829: Zwei Glasscheiben sind noch eingehängt; Mykene, T. 24, ANM 2309: Xenaki-Sakellariou, ebenda, 84 Taf. 16, Nr. G 2309 (1): Zwei Goldscheiben sind noch eingehängt.
[28] Zwei Fayenceperlen, wahrscheinlich aus einem Grab in Enkomi: F. H. Marshall, Catalogue of the Jewellery, Greek, Etruscan, and Roman, in the Department of Antiquities, British Museum (1969, Neudruck der Auflage von 1911) 22 Taf. III, Nr. 287 und 288. Folgende Glasperlen aus Rhodos waren bei ihrer Entdeckung offenbar noch auf einem Goldreif aufgefädelt: Rhodos, Ialysos, T. 52, Mus. Inv. Nr. 4818: M. Benzi, Rodi e la civiltà micenea, Incunabula Graeca 94 (1992) 342, Nr. F2.
[29] Z. B. Enkomi, T. 92: Marshall a. O. (Anm. 5) 32 Taf. IV, Nr. 549.
[30] Z. B. goldene Argonautenperlen aus der Tholos von Kapakli bei Volos, ausgestellt im Nationalmuseum von Athen, mit einem Glastropfen in der Mitte der Körperschnecke.
[31] Zwei Varianten: 1. Eine normale Perle oder Reliefperle aus Goldblech besitzt einen Goldkern (nur nachweisbar, wenn die Goldperle beschädigt ist): z. B. Rhodos, Ialysos, T. 20: Benzi a. O. (Anm. 5) 273 Taf. 117 m. 184 b, Nr. 14B, 2. Eine Glasperle wird in eine dünne Goldfolie eingewickelt: z. B. kugelige Perlen aus Mykene: ANM 2944: Xenaki-Sakellariou a. O. (Anm. 1) 214 Taf. 99, Nr. G 2944 (2) oder Reliefperlen mit einem Efeuvierpaß aus Mykene: T. 69, ANM 2992: Xenaki-Sakellariou, ebenda, 199 Taf. 88; S. 306 mit Abb., Nr. 103, Nr. G 2992.
[32] Glas selbst war für die Mykenäer wahrscheinlich ein eher wertvolles Material, das importiert werden mußte und dessen Verarbeitung laut Ausweis der Steatitformen auf die Paläste konzentriert war. Zur Deutung der Linear B-Termini ku-wa-no und ku-wa-no-wo-ko-i und deren Interpretation als Glas bzw. Glasarbeiter vgl. die Diskussion in G. Nightingale, Glass and the Mycenaean Palaces of the Mediterranean, in: P. McCray – W. D. Kingery (Hrsg.), The Prehistory and History of Glassmaking Technology. Papers from the 99th Annual Meeting of The American Ceramic Society, Cincinnati, Ohio 1997 (1998) 205-226.
[33] Aus dem Südwestgebäude des Kultzentrums von Mykene: S. Marinatos, Kreta, Thera und das mykenische Hellas 2 (1986) Taf. LIV; S. A. Immerwahr, Aegean Painting in the Bronze Age (1990) 191 Abb. 32 h. Taf. XX, My No. 3 (aus SH IIIB).

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