Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 8 / IX / 1998

Felix Lang
Zur Deutung der spätminoischen Larnax von Episkopi

Die 1946 in einem Kammergrab bei Episkopi gefundene Larnax, die sich nun im Museum von Hierapetra befindet, ist in zwölf Bildfelder unterteilt. Zusätzlich ist sie noch mit zwei Appliken, die an den Enden des Firstes des Deckels angebracht sind, verziert. Die eine stellt einen Stierkopf, die andere eine nackte Frau, deren Kopf leider nicht erhalten ist, dar. Auf den Feldern der Schmalseiten, des Deckels und an einer Rückseite sind Motive und Szenen dargestellt, die auf Larnakes häufig auftreten. Dabei handelt es sich um Oktopoden, Pflanzen, eine Kuh, die ein Junges säugt und von einer Person an einem Strick gehalten wird, sowie Wildziegen, die von Hunden, neben denen auch Jäger auftauchen können, gejagte werden.

Abb. 9: nach A. Kanta, The Late Minoan III Period in Crete. A Survey of Sites, Pottery and Their Distribution, SIMA LVIII (1980) Taf. 62, 1

Interessantes bietet aber vor allem die Vorderseite des Sarkophags (Abb. 9), deren Thema in der Ikonographie der minoischen Larnakes singulär ist: Im linken Bildfeld ist ein Streitwagen, der über einen Oktopus fährt, mit drei Insassen dargestellt. Ihm geht ein sog. Pferdeführer, der sich zwischen den Feldern befindet, mit erhobenem Stab voran. Im Hintergrund stehen drei weitere Personen, die Kylikes in den erhobenen Händen halten. Auf der rechten Seite ist ein Pferd, das ein Junges säugt, zu sehen. Dieses wird an einem Strick von einer Figur festgehalten, die zusätzlich ebenfalls eine Kylix hält. In der anderen Hand trägt sie an einer langen Stange einen großen, scheibenförmigen Gegenstand. Es handelt sich offensichtlich um dasselbe Objekt, das auch die mittlere Person im Streitwagen hält. Worum es sich dabei handelt, ist in der Forschung umstritten.

Diese Objekte wurden bisher als Standarten, Sonnenschirme oder Spiegel interpretiert. Meiner Meinung nach dürfte es sich aber um die Darstellung von Papyrus handeln, der in der ägäischen Kunst, neben der gewöhnlichen dreieckigen Form, auch scheiben- bzw. rosettenförmig dargestellt sein kann - der Papyrus ist dann nicht von der Seite, sondern von oben gezeigt. Auf Larnakes gibt es zahlreiche Beispiele dieser Pflanze, die als Element einer nilotischen Landschaft zu betrachten ist. Das Motiv des Papyrusträgers ist jedoch auf anderen Sarkophagen bislang nicht belegt. Es findet sich in der minoisch-mykenischen Kunst bisher nur eine Parallele dazu auf einem kretischen Siegel (CMS XI Nr. 20), auf dem eine Frau mit beiden Händen eine Papyruspflanze hält. Mehr Vergleichsmöglichkeit bietet Ägypten. Hier begegnen in den Gräbern zahlreiche Darstellungen von Papyrus sowie von Papyrusträgern, die an Prozessionen teilnehmen. Um eine Prozession anläßlich einer Bestattung handelt es sich wohl auch bei der Szene auf der Larnax von Episkopi - mit Streitwagenfahrern, Personen mit Gefäßen in den Händen und Papyrusträgern.

© Felix Lang



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