Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 8 / IX / 1998

Brinna Otto
Hoheitszeichen in der altkretischen Kunst

Im Gegensatz zu Äußerungen moderner Gelehrter, wonach die kretischen Paläste gesichtslos erschienen und alles fehle, was zur Identifizierung von Herrschern führen könnnte (G. Kopcke) oder wonach offenbar die Priesterschaft im bronzezeitlichen Kreta die regierende Klasse gewesen sei (N. Marinatos), spricht die antike Überlieferung von Königen wie Ammon, Asterios, Rhadamanthys, Sarpedon, Minos, Deukalion und Idomeneus.

Beachtet man das Zeugnis, das Depotfunde, Grabbeigaben, Siegelbilder, Terrakotten und Reliefs des bronzezeitlichen Kreta ablegen, so stellt man fest, daß folgende Gegenstände die Bedeutung von Hoheits- bzw. Würdezeichen hatten:

1. Die Wickelrobe. - 2. die Spitztiara. - 3. die Filzkappe. - 4. der lange Würdestab. - 5. der kurze Regentenstab. - 6. die Streitkeule. - 7. die Fensteraxt. - 8. die Lanze. - 9. Dolch oder Schwert. - 10. der Zeremonialwedel.

Abb. 7: Altpalastzeitlicher Terrakottakopf aus Raum 25 des Palastes von Phaistos (Umzeichnung nach L. Pernier, Il palazzo minoico di Festòs I (Rom 1935) Taf. XV)
Von diesen Hoheitszeichen verbinden der lange Würdestab und die Streitkeule Kreta mit Ägypten und dem Nahen Osten. Beide Hoheitszeichen sind dort in der Hand des Gottes wie auch des Königs nachweisbar. In der Zeit der zweiten Paläste Kretas wurde vom Nilland der Zeremonialwedel übernommen. Er gehört zu den Insignien des Pharaos, kann aber auch in der Hand eines Gottes erscheinen. Vom Nahen Osten kamen nach Kreta die Wickelrobe, die Spitztiara, die Filzkappe (Abb. 7), die Fensteraxt und der kurze Regentenstab. Sie treten dort als Attribute von Königen, Gottkönigen und Göttern wie Ischtar, Schamasch, Hadad und Reschep (Reschef) auf.

Daß ‘Götterszepter’ und ‘Götterwaffen’ auch im minoischen Kreta und im mykenischen Griechenland von Menschen hohen Standes getragen wurden, bezeugen die königlichen Grablegen von Isopata bei Knosos (Keulenkopf), von Vaphio (Fensteraxt) und von Mykene, wo sich im Gräberrund A (Schachtgrab IV) Goldbleche erhalten haben, die einst den langen Hoheitsstab umfingen.

© Brinna Otto



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