Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 8 / IX / 1998

Manfred Lehner
Frühägäisches aus der Grazer Institutssammlung

Gelegentlich hat es auch in Graz Anstrengungen im Bereich der ägäischen Vorgeschichte gegeben[16]. Ein durch Thuri Lorenz, der unter der Bedingung eines Griechenlandaufenthaltes erstmals Materialbearbeitungen aus den Museumsbeständen ermöglicht hat, vor zehn Jahren entfachtes Wiederaufglimmen dieser Disziplin verlosch in der steifen Brise des zur gleichen Zeit einsetzenden heimischen Grabungsbooms. Eine kurze Aufzählung der einschlägigen Bestände des Grazer Institutsmuseums ist daher das einzige, was der Berichterstatter als ein von dieser Brise frontal Angewehter und der Ägäis längst Entrissener - wenn auch nicht Entwöhnter - dem interessierten Leser guten Gewissens anbieten kann.

Abb. 4: Steinidol, Grazer Institutssammlung
Vor allem den Ordinarien Hans Schrader (1908 - 1910) und Rudolf Heberdey (1911 - 1933) ist der Grundstock einer Studiensammlung zu verdanken, die ganz im Sinne der berühmten Sammlung Georg Loeschckes in Bonn zumindest versucht, möglichst viele Bereiche mediterranen Töpferwesens abzudecken. Durch persönliche Kontakte zu Ausgräbern und Sammlern, durch eigenhändiges Aufsammeln vor Ort, durch Tauschgeschäfte oder durch Schenkungen des Athener Nationalmuseums (Beschriftung „Mus. Ath." auf vielen Stücken) gelangte Scherbenmaterial scheffelweise nach Mittel- und Nordeuropa und in die USA, vorzugsweise von prominenten Grabungsplätzen und sicher oft noch vor deren Publikation. Auch das Grazer Institut hat seinen Teil abbekommen: Dimini, Phylakopi, Mykene und Troja (mit dem Steinidol Abb. 4)[17] sind sehr gut vertreten, das vormykenische Helladikum vor allem durch Mattmalerei aus Ägina.
Daß es noch andere als die genannten Methoden gab, an Studienobjekte heranzukommen, belegt eine kleine Scherbengruppe aus Kreta: Es handelt sich um feine und stets typische Stücke, chronologisch gereiht und jedenfalls von Expertenhand ausgewählt. Sie steht sicher mit August Schörgendorfer (1914 - 1964), dem Assistenten Rudolf Schobers, in Verbindung, der 1941 zum Leutnant befördert und mit Sonderauftrag nach Kreta versetzt wurde[18]. Im Zuge dieses Auftrags ist nicht nur eine Grabung in Knossos begonnen[19], sondern auch aus dem englischen Grabungshaus von der Soldateska ausgeräumtes Fundmaterial „sichergestellt" und in die Heimat verschickt worden[20]. Betty Homann-Wedeking hat nach dem Krieg anhand ihr vorliegender Fotos hellenistische Keramik aus einer Grabung vom April 1937 publiziert, die sich jetzt in Graz befindet[21]. Englische Aufschriften und Etiketten auf minoischen Stücken (darunter ein intaktes SM IIIA-tall alabastron und mehrere Terrakottafigurenfragmente) brandmarken diese als Beutegut. Eine von Fritz Schachermeyr (Professor für Griechische Altertumskunde 1943 - 1945) in Graz hinterlassene Scherbensammlung vom Balkan und aus Kreta dürfte bestenfalls geringfügig anderen Ursprungs sein.
Die Sammlung Schörgendorfer konnte nach einer Kommissionierung durch Spyridon Marinatos im Jahre 1948 in Graz verbleiben; der Löwenanteil des minoischen Materials daraus gelangte in den siebziger Jahren nach Wien[22]. Im Grazer Universitätsarchiv fanden sich bisher keinerlei diesbezügliche Akten. Eine katalogmäßige Publikation der frühägäischen Materialgruppen im Rahmen der Grazer Institutsreihe ist intendiert.

[16] In jüngerer Zeit vor allem in Form von Diplomarbeiten und Dissertationen: I. Hiden, Die Idole aus den Syringes von Tiryns (1983); I. Weber-Hiden, Mykenische Frauenfigurinen der SH IIIA und B-Periode (1988); M. Lehner, Die Artefakte der Sesklo- und Diminikultur sowie der Bronzezeit Thessaliens (1988); E. Murlasits, Mykenische Keramik (1992); U. Lohner, Bronzezeitliche Keramik von Phylakopi auf Melos (1992).
[17] C.W. Blegen - J.L. Caskey - M. Rawson, Troy II (1951) Taf. 41 Typ 3.
[18] Laut Personalakt im Grazer Universitätsarchiv im Oktober 1943 verwundet, bereits im Mai 1944 Habilitation über „Die Rundgräber des minoischen Kreta".
[19] J. Hiller v. Gaertringen, AM 110, 1995, 475ff.
[20] R. Hampe, Gnomon 22, 1950, 6.
[21] BSA 45, 1950, Taf. 14. A. F 1-2.
[22] Freundliche Auskunft Erna Diez, Ordinaria 1963-1983.

© Manfred Lehner
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