Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 88 / IX / 2018

VOM SINN UND UNSINN EINER BIOGRAPHISCHEN PERSPEKTIVE AUF ANTONINUS PIUS

Die spezifische Quellenlage zu Antoninus Pius, geprägt von Marc Aurels Selbstbetrachtungen, Frontos Korrespondenz mit Mitgliedern der domus Augusta und der Vita Pii in der Historia Augusta, rückt die Person des Princeps in den Mittelpunkt und gewährt scheinbar höchst ungewöhnliche Einblicke in dessen Persönlichkeit. Dies hat immer wieder dazu geführt, dass die moderne Forschung Elemente seiner Politik mit charakterlichen Eigenschaften erklärt hat. Strukturgeschichtliche Gesichtspunkte traten demgegenüber häufig in den Hintergrund. Ein extremes Beispiel hierfür ist etwa Willy Hüttl, der in seiner zweibändigen Darstellung der Herrschaft des Pius (1933/1936) diesen mithilfe von Eduard Sprangers „Lebensformen“ in die Kategorie des „sozialen Menschen“ einordnen und aus dieser Disposition etwa Aspekte von dessen Religionspolitik herleiten wollte. Auch für diejenigen, die sich kritisch zur Herrschaft des Antoninus Pius äußerten, bot dessen Charakter eine Erklärung seiner Politik. Recht schnell war man etwa mitunter dabei, Pius als nur mäßig intellektuell darzustellen oder seine vermeintlichen Defizite bei der militärischen Sicherung des Reiches mit seinem unkriegerischen Charakter zu erklären.
Wie zahlreiche jüngere Studien gerade zu ‚schlechten‘ Principes gezeigt haben, sollte man allerdings beim Psychologisieren und bei der Suche nach dem ‚Kern‘ einer historischen Persönlichkeit Vorsicht walten lassen. Dies verstellt vielmehr häufig den Blick auf die Mechanismen des Prinzipats, die etwa insofern auf die Politik des individuellen Herrschers einwirkten als dieser gewissen etablierten Rollenbildern zu entsprechen hatte, die sich aus der dialektischen Kommunikation mit den verschiedenen Gesellschaftsgruppen ergaben. Ausdruck findet das in der visuellen Selbstdarstellung des Princeps. Auf dem Revers einer alexandrinischen Drachme (Abb.) etwa erscheint der oft als friedfertig charakterisierte Antoninus zu Pferde als heroischer Sieger über Barbaren.


Eine Ausklammerung des jeweiligen Individuums am Kopf des Imperium Romanum folgt daraus freilich nicht. Denn eine Schwerpunktsetzung des Herrschers war, wie diverse Beispiele illustrieren, durchaus möglich. Für eine Bewertung der Politik und Repräsentation des Antoninus Pius ist beispielsweise zu berücksichtigen, dass dieser bei seinem Herrschaftsantritt im Jahre 138 im Alter von 51 Jahren bereits jahrzehntelang Senator gewesen war. Er verfügte damit über eine grundlegend andere Disposition für eine erfolgreiche Kommunikation mit der Senatorenschaft als etwa der purpurgeborene Commodus, der seinem Vater Marc Aurel im Alter von 18 Jahren folgte und seit frühester Kindheit auf die Herrschaft vorbereitet worden war.
Zu fragen ist dabei jedoch, inwiefern wir für Antoninus Pius trotz der spezifischen Quellenlage überhaupt seine „Persönlichkeit“ oder nicht vielmehr einen senatorischen Habitus als ein ins Fleisch übergegangenes System von klassenspezifischen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata greifen können. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass viele Elemente, die früher dem ‚Privatleben‘ der Principes zugeordnet wurden, heute als ein Teil der Herrschaftsrepräsentation identifiziert werden, da der römische Kaiser über kein Privatleben im heutigen Sinne verfügte.

© Christoph Michels
e-mail: c.michels@hhu.de

This article should be cited like this: Ch. Michels, Vom Sinn und Unsinn einer biographischen Perspektive auf Antoninus Pius, Forum Archaeologiae 88/IX/2018 (http://farch.net).



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