Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 76 / IX / 2015

TEMPELBERG UND ZENTRALORT? SIEDLUNGS- UND KULTENTWICKLUNG AM FRAUENBERG BEI LEIBNITZ IM VERGLEICH
Rückblick auf das Kolloquium im Schloss Seggau am 4.–5. Mai 2015

Anfang Mai dieses Jahres fand im Schloss Seggau ein Kolloquium statt, das dem unmittelbar benachbarten Frauenberg bei Leibnitz gewidmet war. Die Erforschung der latènezeitlichen Siedlung sowie des kaiserzeitlichen Heiligtums zählt seit langem zu den Schwerpunkten der ‚steirischen' Archäologie (Abb. 1) [1].

Die zunächst durch das Landesmuseum Joanneum betriebenen Grabungen im römischen Heiligtum wurden später durch langjährige Grabungen des Bundesdenkmalamtes im spätantiken Gräberfeld, wo sich auch der keltische Kultplatz befunden hatte, ergänzt. Untersuchungen des Österreichischen Archäologischen Institutes sowie durch die Archäologisch-Soziale Initiative Steiermark im römischen Tempelareal folgten, neben zahlreichen weiteren Rettungsgrabungen im Umfeld von Baumaßnahmen. Die Diskussion dieser vielschichtigen Fundstelle und der überregionale Vergleich mit anderen Orten war Beweggrund für das Kolloquium, das die Universität Graz in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt, der Archäologisch-Sozialen Initiative Steiermark und dem Archäologischen Verein Flavia Solva veranstaltete [2].
In den Beiträgen wurde die in der althistorischen Forschung geführte Diskussion zur formativen Epoche Noricums, die Frage nach der Stellung der spätlatènezeitlichen Stämme und deren Verhältnis zu Rom angesprochen. Civitas-Hauptorte und „Stammesheiligtümer“ in anderen Regionen wurden behandelt und prominente Beispiele mit gut erforschten latènezeitlichen Anlagen wie das oppidum auf dem Titelberg (Luxemburg), wo in der römischen Kaiserzeit ein Heiligtum erbaut wurde, vorgestellt. Unterschiedliche Varianten von Siedlungs- und Kultbaukontinuität wurden mit Blick auf die Situation des Frauenberges diskutiert. Referate zu Siedlungen wie Solva, Cambodunum, Virunum oder Savaria und zu Fundstellen in Höhenlagen wie Lienz, Georgenberg (Salzburg) legten die Basis für angeregte vergleichende Diskussionen. Die Frauenberger Grabungsbefunde im keltischen und dem römischen Heiligtum wurden dargestellt sowie die Frage zum spätantiken Baumaßnahmen und der Spolienverwendung thematisiert. Die Fragen nach der Verehrung der Nutrices in Poetovio sowie nach den pluralischen Gottheiten in Noricum und deren keltischen Herkunft wurden gestellt, Themen, denen in Anbetracht der neu gefundenen Votivstatuetten aus dem Heiligtum auf dem Frauenberg (Abb. 2) eine besondere Relevanz für diesen Fundort anhaftet [3].
Intersubjektivität gehört zu den grundlegenden Forderungen an die Wissenschaft, das heißt, erzielte Ergebnisse müssen in einer für andere nachvollziehbaren Weise publiziert werden [4]. Die Vorlage von grundlegenden Befunden ist daher verständlicherweise ein vordringliches Anliegen der Archäologie. Jedoch sind auch die Selbstreflexion und das In-Frage-Stellen der angewandten Methoden und der Schlüssigkeit von Interpretationen notwendig, wenn Wissenschaftlichkeit gefordert wird. Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zählt auch aus diesen Gründen mit Sicherheit zu den Dingen, die sinnvoll und notwendig sind, und das Kolloquium im anregenden Tagungsambiente des Schlosses Seggau schlug genau in diese Kerbe. Zu hoffen ist, dass durch die im Rahmen des Kolloquiums eingeleitete Diskussion eine Vertiefung der Kenntnisse der historischen Vorgänge im südöstlichen Noricum eintritt, genauso, wie ein Vergleich mit entfernteren Fundorten dazu beitragen kann, Prozesse wie Romanisierung oder Romanisation besser verstehen und einordnen zu können. Die Grabungsbefunde aus dem großen latènezeitlichen Kultplatz sind noch nicht im Detail vorgelegt worden, und auch die neuesten Grabungsergebnisse aus dem römischen Heiligtum harren noch der Publikation, dennoch sind die Veranstalter der Meinung, dass die Erörterung, Diskussion um die Interpretation von Befunden schon frühzeitig einsetzen sollte, und Ergebnisse sobald als möglich öffentlich gemacht werden sollten. Die Beiträge, die von den Referentinnen und Referenten aus Österreich, Ungarn, Slowenien und Deutschland an zwei Tagen vorgetragen wurden, sollen demnächst in einem eigenen Tagungsband publiziert werden.

[1] Der Frauenberg gehört auch zu den am intensivsten erforschten Fundplätzen, auszugsweise sollen hier nur wenige Literaturangaben gemacht werden: W. Modrijan, Frauenberg bei Leibnitz - seit alters ein "Heiliger Berg", Blätter für Heimatkunde 27 Heft 2, Graz 1953, 56–68; U. Steinklauber, Das spätantike Gräberfeld auf dem Frauenberg bei Leibnitz, FÖ Mat. 10 (2002); St. Groh – H. Sedlmayer, Der norisch-römische Kultplatz am Frauenberg, Protohistoire Européenne 9 (Montagnac 2005); B. Schrettle, Frauenberg bei Leibnitz – Die Transformation eines Heiligtums von der spät-latènezeitlichen Kultstelle zum außerstädtischen Heiligtum, in: U. Lohner - P. Scherrer (Hrsg.), Der obere Donauraum 50 v. bis 50 n. Chr., Region im Umbruch, Akten Symposium Graz 2011 (Berlin 2015) 291–312.
[2] Die Veranstaltung wurde mit maßgeblicher Unterstützung durch das Land Steiermark durchgeführt.
[3] B. Schrettle, Frauenberg bei Leibnitz. Heiligtum einer einheimischen Muttergottheit?, Archäologie Österreichs 25/2, 2014, 38–42.
[4] H. Tetens, Wissenschaftstheorie. Eine Einführung (München 2013) 17.

© Bernhard Schrettle
e-mail: bernhard.schrettle@asist.at

This article should be cited like this: B. Schrettle, Tempelberg und Zentralort? Siedlungs- und Kultentwicklung am Frauenberg bei Leibnitz im Vergleich. Rückblick auf das Kolloquium im Schloss Seggau am 4–5. Mai 2015, Forum Archaeologiae 76/IX/2015 (http://farch.net).



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