Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 72 / IX / 2014

DIE LÖSUNG DES DORISCHEN ECKKONFLIKTS DURCH EINE VERBREITERTE ECKMETOPE

Die älteste nachgewiesene Lösung des dorischen Eckkonflikts tauchte im 1. Drittel des 6.Jhs. v.Chr. auf und besteht in der Verbreiterung der Eckmetopen [1]. In diesem Fall endet der Fries an der Gebäudeecke jeweils mit einer Triglyphe, darüber hinaus wird – außer an den Ecken – die Achsbindung der einzelnen Triglyphen an die Säulen beachtet [2].
Bei der Anwendung dieser Lösung bleibt der Achsabstand der Säulen an allen Seiten und an allen Ecken derselbe. Die Friesglieder hingegen müssen so dimensioniert werden, dass durch sie alleine ein Ausgleich erfolgt. Die Ecktriglyphe wird aus der Säulenachse heraus nach außen gerückt, die erste Metope an allen Ecken breiter ausgeführt. Die restlichen Metopen und Triglyphen behalten ihre Breiten und ihr Verhältnis zueinander bei. Diese Veränderungen haben auch Einfluss auf die Breite der Regula an der Taenia unterhalb wie auch auf die der Mutulusplatte oberhalb jeder Eckmetope: Beide werden verbreitert und erhalten mehr Guttae als die übrigen. Eine deutlich starke Ausprägung der verbreiterten Eckmetope tritt beispielsweise am Athena-Tempel (sog. Ceres-Tempel) in Paestum auf [3].


Daraus folgernd ist die Gestaltung des Frieses unabhängig vom Grundriss des Tempels, da die Anpassungen erst auf der Friesebene vorgenommen werden. Säulen und Krepis wie auch die Form der Cella sind von den Auswirkungen nicht betroffen [4]. Die durch diese Lösung hervorgerufene bzw. unterstützte langgestreckte Tempelform wurde ein Charakteristikum vieler Tempel auf Sizilien, z.B. der Bauhütte Selinunts, die selbst nach Übernahme der einfachen Eckkontraktion die beliebten Proportionen statt der gedrungenen kanonisch klassischen Form beibehalten [5].
R. Koldewey und O. Puchstein waren die ersten, welche diese Ecklösung anhand ihrer Studien zu den „Griechischen Tempeln in Unteritalien und Sicilien“ erkannten und umfassend publizierten [6]. Wegen des häufigen und fast ausschließlichen Auftretens der Lösung durch Variation der Eckmetopen oder Ecktrigylphen in Magna Graecia bezeichnet E.-W. Osthues sie als „großgriechische Lösung“.
An der Wende vom 6. zum 5.Jh. v.Chr. traten an wenigen Tempeln auf Sizilien wie z.B. dem Herakles-Tempel und Olympeion in Akragas sowie dem Apollon-Tempel G in Selinunt verschiedene Jochweiten auf den Lang- und Schmalseiten der Tempel auf [7]. Die Jochdifferenzierung hatte zur Folge, dass es entweder – unter Beibehaltung des Metopen-Triglyphen-Verhältnisses – zu unterschiedlichen Triglyphenbreiten kam oder – unter Beibehaltung der Metopen- und Triglyphenbreiten – kein einheitliches Verhältnis der Metopen zu den Triglyphen gab [8]. Diese drei Tempel stehen zudem hier exemplarisch für eine gemeinsame Verwendung von einfacher Eckkontraktion an der Schmal- oder Langseite und verbreiterten Eckmetopen an der entsprechenden anderen Seite [9].
Im Verlauf der Klassik, mit Veränderungen der Vorstellungen der Proportionen eines Tempels [10], verdrängte die einfache Eckkontraktion zunehmend die „großgriechische Lösung“, wenn auch nicht ganz. Trotz der bei Vitruv (Vitr. 4,3,1) dokumentierten Ablehnung der dorischen Ordnung durch hellenistische Architekten fand die Verbreiterung der Eckmetopen seit dem 1. Drittel des 6.Jhs. v.Chr. bis in den späten Hellenismus Anwendung.

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[1] Riemann 1935, 29; Gruben 2001, 43; Robertson 1969, 110–112; Osthues 2006, 55.
[2] Osthues 2006, 55-57; s. a. dort für weitere Literatur.
[3] Koldewey – Puchstein 1899, 18–24; Gruben 2001, 270.
[4] Coulton 1977, 60f. 64.
[5] Müller-Wiener 1988, 140; Mertens 1984, 191–193. 206f.
[6] Koldewey – Puchstein 1899, 194–200. 206.
[7] Koldewey – Puchstein 1899, 196f.; Osthues 2006, 18f.; Osthues 2006, 67. Herakles-Tempel: Koldewey – Puchstein 1899, 145–152; Mertens 1984, 198. Olympeion: Koldewey – Puchstein 1899, 153–166; De Waele 1980, 190–209; Mertens 1984, 198f. Apollon-Tempel: Koldewey – Puchstein 1899, 121–127; Osthues 2006, 58.
[8] Osthues 2006, 13.
[9] Osthues 2006, 67. Herakles-Tempel: Koldewey – Puchstein 1899, 145–152.
[10] Koldewey – Puchstein 1899, 197f.; Riemann 1935, 201f.; Robertson 1969, 106–110; Gruben 2001, 41–44. 177–180; Müller-Wiener 1988, 112–120. 140–142; Mertens 1984, 202. 206f.

Literatur
J.J. Coulton, Greek Architects at Work. Problems of Structure and Design (London 1977)
G. Gruben, Griechische Tempel und Heiligtümer 5(München 2001)
R. Koldewey – O. Puchstein, Griechische Tempel in Unteritalien und Sicilien I (Berlin 1899)
D. Mertens, Der Tempel von Segesta und die dorische Tempelbaukunst des Griechischen Westens in klassischer Zeit (Mainz 1984)
W. Müller-Wiener, Griechisches Bauwesen in der Antike (München 1988)
E.-W. Osthues, Studien zum dorischen Eckkonflikt JdI 120, 2006, 1–154
H. Riemann, Zum griechischen Peripteraltempel. Seine Planidee und ihre Entwicklung bis zum Ende des 5. Jhds. (Düren 1935)
D.S. Robertson, Greek and Roman Architecture 2(Cambridge 1969)
J. de Waele, Der Entwurf der dorischen Tempel von Akragas, AA 1980, 180–241


© Kay Schrameyer
e-mail: kayhs@gmx.net

This article should be cited like this: K. Schrameyer, Die Lösung des dorischen Eckkonflikts durch eine verbreiterte Eckmetope, Forum Archaeologiae 72/IX/2014 (http://farch.net).



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