Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 68 / IX / 2013
Symposion "Pflanzen und Tiere auf griechischen Vasen" / Abstract

„DIE ANTIKE SYMBOLIK IST GLEICHSAM EIN MÄRCHENHAFTER GARTEN VOLL VERZAUBERTER BLUMEN, STRÄUCHER, THIERE ……“

Zunächst wird ein Überblick zur Forschungsgeschichte zu Pflanzen und Tieren auf griechischen Vasen gegeben. Von philologischer Seite sind die erhaltenen antiken naturkundlichen Schriftquellen weitgehend erschlossen. Die Auswertung – auch poetischer Texte – war oft mit der Frage nach dem Verhältnis der Griechen zur Natur verbunden. Eine Antwort darauf aus archäologischen Zeugnissen zu gewinnen, ist weitaus schwieriger. Einem unserer Vorstellung von „Natur“ entsprechenden Begriff gibt es im Griechischen nicht, auch ein Wort für „Landschaft“ kannten die Griechen nicht. Landschaftsbilder fehlen in der griechischen Vasenmalerei. Umso lohnender ist es, einzelne Naturelemente, Pflanzen- und Tierarten zu untersuchen und nach ihrer Bedeutung im jeweiligen Bildzusammenhang zu fragen.
Die Vasenmaler lassen bei der Wiedergabe von Naturelementen allerdings unterschiedliches Interesse, auch Nachlässigkeit oder Unvermögen erkennen, in Bezug auf die Deutlichkeit der Zeichnung. Selbst bei sorgfältigen und detailreichen Bildern zeigt sich immer wieder, dass die Maler nicht die Intention hatten, einzelne Pflanzen- und Tierarten naturgetreu wiederzugeben. Dies sollte aber nicht dazu führen, die Betrachtung aus naturkundlichem Blickwinkel zu unterlassen und auf das Bemühen um Identifizierung zu verzichten. Im Gegenteil, wenn der Vasenmaler z.B. mit wenigen Merkmalen oder auch nur mit e i n e m charakteristischen Detail eine Baumart oder eine Vogelart erkennbar macht, erweitert sich die Bildaussage. Es gilt, die Beziehung zwischen der Pflanze bzw. dem Tier und der menschlichen oder mythischen Figur im Bild zu verstehen.
Aus der Pflanzenwelt wird u.a. an Baumbildern gezeigt, dass einige Vasenmaler eine gewisse Kenntnis von unterschiedlichen Baumarten erkennen lassen und bestimmte Merkmale an Laub- und Nadelbäumen hervorheben. Dabei dürften sie auch von eigener Anschauung und Lebenserfahrung geleitet worden sein und die naturgegebenen Lebensbedingungen ihrer Umgebung gekannt haben. Zu diesen gehörte, dass Bäume an unterschiedlichen Lebensstätten gedeihen, vor allem, dass sie in ihrer Qualität und Utilität z.B. als Frucht- und Holzlieferanten unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten boten. In der Wiedergabe sind die Laubgehölze oft nur mit punktförmigen Blättern unspezifisch erfasst. Wenn aber die Früchte nicht nur als Kreise dargestellt werden, sondern leicht geformt sind – wie in einigen Lebensbildern von Frauen bei der Ernte –, können Apfel- oder Quittenbäume gemeint sein. Diesen Szenen wohnt bei einer gewissen Naturnähe stets eine überzeitliche Bedeutung inne. Der Baum, der Früchte tragende Baum, ist ein Zeichen des im Jahresrhythmus wiederkehrenden Gedeihens und Symbol der Fruchtbarkeit.
Zuverlässiger lassen sich Baumarten dann benennen, wenn eine literarische Quelle zum Verständnis eines mythologischen Vasenbildes beiträgt, wie z.B. zum Innenbild der Schale München 8771 (Abb. 1), in der Theseus den Unhold Sinis bezwingt. Aus der schriftlichen Überlieferung ist bekannt, dass Sinis Reisende umbrachte, indem er sie an eine Kiefer (pitys) band und zu Tode schleuderte oder sogar zerreißen ließ. Der Vasenmaler hat die Kiefer treffend mit kurzen Ritz-Strichen an den Zweigen und mit rauer Rinde als Nadelbaum gekennzeichnet. Dabei gibt er sie im Wuchsbild keineswegs naturgetreu wieder, sondern verdeutlicht mit den stark gekrümmten Ästen sinnfällig deren Biegsamkeit. Diese nutzte der tückische Sinis – und Theseus ergreift den Ast, um den Gegner auf dieselbe Art zu bestrafen.


Die an Baumbildern weniger interessierten Archäologen könnten einwenden, dass das Bestimmen einzelner Arten zu spitzfindig sei, zumal nicht allen Menschen Kiefern und Fichten, Tannen und Zypressen unterscheidbar erscheinen. Jedoch können gerade naturkundliche Überlegungen die Bildanalyse erhellen. Dies trifft z.B. für Tannen zu, die in der Heimat der Kentauren wachsen. Deren ausgerissene Jungbäume und Äste verwenden sie in vielen Bildern als Waffen. Vasenmaler charakterisieren Tannen mit geradem Stamm und horizontalen, symmetrisch zur Seite strebenden Ästen. Bewusst dürften sie diese Darstellungsform gewählt und tradiert haben, da die Tanne – in größerer Höhenlage wachsend – als Gebirgsbaum bekannt war und deshalb als ,Kentauren-Baum‘ gesehen werden konnte.
Eine besondere Bedeutung kommt den in zahlreichen Vasenbildern erscheinenden, von Bäumen und Büschen geschnittenen Zweigen und Kränzen zu. Die Arten sind oft nicht klar unterscheidbar aber gelegentlich mit wenigen Mitteln markiert und identifizierbar, wie z.B. Weinlaub, Efeu, Lorbeer, Ölbaum oder Myrte. Gerade die in Griechenland in weniger wasserversorgten Wuchszonen so verbreiteten Hartlaubgewächse, wie Lorbeer, Myrte und Ölbaum, versinnbildlichen mit ihren – unabhängig vom Jahresrhythmus – dauerhaft kräftig grünen Blättern starke, anhaltende Lebenskraft. Eine differenzierte Studie zur Myrte in der Vasenmalerei hat den Blick für diese Pflanze geschärft, deren Verbindung mit unterschiedlichen Gottheiten bezeugt und ihre vielfältige Verwendung, Bedeutung und Symbolkraft im Kult und Fest-Brauchtum sowie im sepulkralen Bereich erhellt.
Auch für Darstellungen von Tieren in der Vasenmalerei können naturkundliche Aspekte zum Verständnis der Bilder beitragen. Hier werden neben einigen frei lebenden Tierarten, auf die man die Jagd ausübte, auch Haustiere aus der unmittelbaren Umgebung des Menschen vorgestellt. Vor allem aus der Vogelwelt werden Vasenbilder mit wildlebenden und gezähmten Vögeln herangezogen. Dabei ist deren Identifizierung nicht einfach, wenn sie in Aussehen und Haltung sehr allgemein gehalten sind. Gelegentlich haben aber auch hier Vasenmaler Merkmale so treffend markiert, dass eine Identifizierung – und danach auch die Benennung des „anonymen“ Vogels in analogen Bildern – möglich ist. Dies trifft beispielsweise für den Stelzvogel mit langem Hals zu, der im Frauengemach auf der Lekythos, ehem. Sammlung Hirschmann (Abb. 2) erscheint. Dessen Haltung und Hinwendung zur Frau – wohl einer Hetäre – zeigt Vertrautheit an, die zahmen Tieren eigen ist. Bei genauerem Hinsehen ist ein zarter Schopf am Hinterkopf erkennbar, der auf einen Kranich weist, wie er aus anderen Frauengemachszenen bekannt ist. Auch wenn hier die typischen längeren Brustfedern fehlen, kann er nach vergleichbaren, deutlicheren Darstellungen als Jungfernkranich angesprochen werden. Diese wurden wegen ihrer leichten Zähmbarkeit und Zutraulichkeit gern als attraktive Haustiere gehalten. Da wohl auch den Griechen bekannt war, dass Kraniche lebenslang mit einem Partner verbunden bleiben, bringt der Vogel eine pikante, widersprüchliche Konnotation in dieses Hetären-Bild.
Eine besondere Vertrautheit mit der Vogelwelt zeigt Aristophanes in seiner Komödie „Die Vögel“ mit der Vielfalt von über 70 genannten Vogelarten! Er konnte wohl voraussetzen, dass das Theaterpublikum eine Vorstellung vom Aussehen und den Verhaltensweisen vieler Vögel gehabt hat, sonst hätte es die vielen witzigen Anspielungen gar nicht verstanden. War Aristophanes, der Vogelarten aus den unterschiedlichsten Biotopen auftreten lässt, ein erfahrener Vogeljäger?


© Elke Böhr
e-mail: elke.boehr@gmx.de

This article should be cited like this: E. Böhr, „Die antike Symbolik ist gleichsam ein märchenhafter Garten voll verzauberter Blumen, Sträucher, Thiere …“. ΦΥΤΑ ΚΑΙ ΖΩΙΑ, Forum Archaeologiae 68/IX/2013 (http://farch.net).



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