Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 56 / IX / 2010

DAS PROJEKT AMPHITHEATER I (MILITÄRAMPHITHEATER) IN CARNUNTUM

Bereits 2007 wurden die Forschungen am sogenannten Amphitheater I (ATH) wiederaufgenommen - diese beschränkten sich zunächst auf den Westbereich, genauer das angebaute Nemeseum. Durch teils überraschende, im Zuge der Nachgrabungen angeschnittene Befunde wurde jedoch sehr bald deutlich, daß eine umfassende Neubearbeitung des Amphitheaters angebracht war (Abb. 1).

So hat der Verfasser mit der Einwilligung und im Auftrag des Archäologischen Parks Carnuntum die Erlaubnis erhalten, umfangreiche Nachgrabungen zu unternehmen, die dazu beitragen sollen die Baugeschichte des Amphitheaters im Kontext der canabae zu präzisieren. Franz Humer ist an dieser Stelle besonders für seine Unterstützung und Engagement zu danken. Die angestrebte Neuvorlage des Amphitheaters umfaßt folgende Schwerpunkte:
1) Aufarbeitung und Vorlage der Befunde und Funde aus den Altgrabungen (19.-20. Jh.)
2) Erstellung eines verformungsgetreuen, steingerechten Grundrisses, Bestandskartierungen
3) Nachgrabungen im Bereich der Tore des Amphitheaters mit Nemeseum und Westcarcer, Grabung im Bereich des südöstlichen vomitoriums bis hin zur Limesstraße, Nachgrabungen im Bereich des (südlichen) podiums bes. im Bereich der `Statthalterloge' und dem Vorfeld, Grabungen in der Nordcavea, Klärung der Einbauten in die Arena
4) Ausrichtung eines Amphitheater - Kolloquiums mit besonderer Berücksichtigung des Carnuntiner Bestandes
5) Befundvorlage, Neuperiodisierung, Phasenpläne, zeichnerische Rekonstruktion des Bauwerks und seiner Anbauten
6) Erstellung eines Befundsicherungskonzeptes und Planung von Schutzbauwerken

ad 1) Die Sichtung des Altgrabungsbestandes ist seit 2008 relativ weit gediehen. Erleichtert wurden die Arbeiten durch die Zusammenlegung aller Depotstandorte in der Kulturfabrik Hainburg - Hier sind ideale Bedingungen für die Bewältigung großer Fundmengen gegeben. 2009 wurde mit der quantitativen Bewertung des zu 98% unstratifizierten Fundmaterials der Altgrabungen begonnen. Nach den 2007 publizierten Münzen [1] aus dem ATH I werden nun Kleinfunde und Keramik vor allem aus der Grabung ‚Schutthügel' im Rahmen der Fundberichte aus Österreich folgen. Zurzeit arbeiten mehrere BearbeiterInnen (Yvonne Seidel, Ute Lohner, Alexandra Rauchenwald, Josef Eitler, Susanne Stökl) gleichzeitig unterschiedliche Fundgattungen wie Metall, Bein, Glas, TS, oxidierend gebrannte und reduzierend gebrannte Keramik auf.
ad 2) Mit Hilfe von tachymetergestütztem Handaufmaß und den Daten aus den Laserscans wird gegenwärtig ein zeitgemäßer Grundriß erstellt. Durch die Neuaufnahme wird es möglich sein, Abweichungen von der idealen Symmetrie sowie phasenbedingte Abweichungen von der ursprünglichen Symmetrie darzustellen. Gleichzeitig lassen sich, wie aus dem Zwischenstand der Arbeiten hervorgeht, bislang undokumentierte Reparaturen der Neuzeit fassen. Die Arbeiten werden durch Schnitte durch die Längs- und Querachse ergänzt, hinzu kommt noch die Abwicklung der Podiumsmauer (Abb. 2).

ad 3) Die Grabungsabschnitte Nemeseum, Osttor, Westtor und Westcarcer sind bereits beendet, die Grabung ‚Südostfläche' wird 2010 zum Abschluß gebracht werden. Auch kleinere Schnitte an der Nordostcavea wurden bereits aufgenommen (Abb. 3). Nach 2011 werden die Grabungen bis zum Vorliegen eines verbindlichen Sanierungskonzeptes ruhen.
Durch die Nachgrabung Nemeseum konnte die bislang gültige chronologische Einordnung und diachrone Entwicklung des Bauwerks neu gezeichnet werden. Ein Vorgänger des Nemeseums bestand bereits vor der Mitte des 1. Jh. als Holzbau, abgelöst von vermutlich zwei separat angelegten Gebäuden, nachfolgend im letzten Drittel des 1. Jhs. entstanden. Der Grabungsbefund legt nahe, daß die spätere cella (C) sowie der Raum (E) zunächst getrennt entstanden, wobei möglicherweise nur die cella für den Nemesis-Kult bestimmt war. Zu großzügigen Umgestaltungen des Bauwerks kam es gemäß der bisherigen Ergebnisse aus den Nachgrabungen erst gegen Ende des dritten Jahrhunderts, als der Bau seine größte Ausdehnung erreichte [2]. Zu berücksichtigen wird allerdings noch die Datierung des Inventars des Heiligtums sein. Südlich des Nemeseums wurde der Bereich der äußeren Caveamauer angeschnitten; dabei traten deutliche Belege für eine Holzbauphase zutage - ein Paar von Pfostengruben, das westlich vor den mächtigeren Pfostengruben der hölzernen cavea lag, legt zudem Vorbauten im Bereich der Vomitorien nahe. Die nachfolgend errichtete Caveamauer weist eine bedeutende, bislang unerkannte Umgestaltungsphase auf, aus der sich eine Verstärkung der Caveamauern bei gleichzeitiger Errichtung neuer Radialmauern und der Herstellung von Pfeilern, die das Bauwerk auch im Süden aussteiften, ablesen läßt.
Auch im Osttor des Amphitheaters, in dem die rezenten Eingriffe und Veränderungen besonders ausgeprägt waren, konnten noch ausreichend antike Befunde gesichert werden. So wurden mit Pfostengruben auch hier eindeutige Belege für einen Holzvorgänger des ATH ergraben (Abb. 4). Die nachfolgenden, bereits oben skizzierten Bauphasen manifestieren sich auch im Baubefund des Osttores.

Mit dem Fund einer fragmentierten Bauinschrift, die wohl über dem Torbereich angebracht gewesen war, konnte die wichtige steinerne Gründungsphase des Bauwerks nachgewiesen werden, die durch spätere Umbauten jedoch stark gestört wurde. So kann durch den Grabungsbefund nun bewiesen werden, was Bormann in einer seiner trefflichen Analysen bereits 1893 [3] dargelegt hatte: Der erste Steinbau des Amphitheaters scheint bereits in frühflavische Zeit um 73 n.Chr. zu datieren (Abb. 5). Besonders interessant ist der sekundäre, erst in der Spätantike erfolgte Einbau jener monolithischen Steinpfeiler, die nun wohl zweifelsfrei als zu einem Carcersystem gezählt werden können. Hier konnten über eine Reihe von veränderbaren Balken Laufgänge und Boxen geschaffen und Vieh somit in die Arena getrieben werden. Dieser Einbau erfolgte wohl erst, nachdem die Cavea im Bereich des Osttores nicht mehr intakt war.

Die Grabungen im Westtor des Amphitheaters, die erst kürzlich abgeschlossen wurden, erhärteten die durch Archivbilder genährte Annahme, daß es sich bei den im Aufgehenden sichtbaren Strukturen durchwegs um rezente Wiederaufbaumaßnahmen handelt, die Anfang des 20.Jhs. entstanden sind (Abb. 6). Viele der typologischen Unschärfen, wie die ungewöhnliche Ausformung des sogenannten Zwingers, fehlende Stützen, oder Stützen die im Befund keinen Widerpart finden sowie die überaus mächtigen Pfeiler, welche jene berühmten Nuten aufweisen, die hölzerne Scherengitter aufgenommen haben sollen, sind teilweise freie Interpretationen des nur mehr in Spuren nachweisbaren Baubefundes. Auch die bereits durch viele historische Aufnahmen geläufig erscheinende Gestalt der Öffnung, die von zwei Halbbasen gerahmt wird, ist rezenten Ursprungs. Der für die Rekonstruktionen verwendete Mörtel, der nunmehr mitsamt seinen antiken Klaubsteinen und Spolien bereits an die hundert Jahre bewittert wird und somit durchaus antik erscheint, läßt sich allerdings glücklicherweise durch den ihm beigemengten rezenten Altenburger Grubensand durchwegs gut identifizieren (Abb. 7).

Nach Abschluß der Grabungen kann eine kanonische Zugangssituation erschlossen werden, die aus einem Haupt- und aus zu beiden Seiten liegenden Nebeneingängen besteht. Im Befund haben sich ins System der Radialmauern passende Setzmörtelstreifen erhalten, in denen Werkblöcke ihre Spuren gezeichnet haben. In die Arena führten zweifellos symmetrisch angeordnete portae posticae, wobei der dahinter liegende nördliche Gang zunächst selbst als carcer genützt wurde, wohingegen der südliche wohl auch den Durchgang zum an die cavea angebauten Nemeseum erlaubte. Das so einzigartige Halbrund, das als `Zwinger´ bezeichnet wurde, paßt nach der festgestellten Bauabfolge nicht problemlos zum ursprünglichen Konzept des Amphitheaters. Nach dem momentanen Kenntnisstand handelt es sich hingegen um einen chronologisch später anzusetzenden Eingriff in den ursprünglichen Bauplan.
Die Grabungen an der Südostfläche verknüpfen die Untersuchungen und Flächengrabungen von Hauser 1888 [4] und Groller 1907 [5]. Den Südabschluß der Untersuchungsfläche bildet die am Amphitheater vorbeiführende Limesstraße, den Ostabschluß die Grabung Groller und im Norden die cavea (Hauser) und der Osttorbereich des ATH. Durch die breit angelegte Fläche kann die Entwicklung der Limesstraße im Zusammenhang mit der Bebauung im Vorfeld des Amphitheaters dargestellt werden. Neben der ins erste Jahrhundert reichenden Geländeaufbereitung wurden wasserbautechnische Einrichtungen zu Beginn des zweiten Jahrhunderts ergraben. Weitere Erschließungsmaßnahmen beziehen sich auf Niveauerhöhungen, die im engen Zusammenhang mit der Nutzung des ATH stehen. Auch ein von der Limesstraße zum Osttor führender Zugang scheint erschlossen worden zu sein. Im Laufe des dritten Jahrhunderts kommt es zur Errichtung von Wohnbauten, die sich Richtung Caveamauer ausbreiten. Einige von diesen waren mit Schlauchheizungen ausgerüstet. In der Folge kann eine gemischte Bebauung nachgewiesen werden, Wohn- und Gewerbebau überlagern einander dabei. So sind mindestens zwei Kuppelöfen sowie eine Grube, in der Kalk gebrannt wurde, nachzuweisen, in einem Ofen wurde die seltene Prägung der Dryantilla ergraben (Abb. 8). Zahlreiche Herdstellen wurden ebenfalls ergraben.
ad 4) Im Herbst des kommenden Jahres, in dem auch die Niederösterreichische Landesausstellung stattfindet, wird in der Hainburger Kulturfabrik ein Kolloquium mit dem Schwerpunkt "Amphitheater" abgehalten werden. Im Rahmen dieser Veranstaltung soll ein europaweiter Überblick zur Erforschung von Amphitheatern gegeben sein und Detailfragen der aktuellen Forschung besprochen werden. Des weiteren sollen Probleme im Spannungsfeld zwischen moderner Nachnutzung und Konservierung erörtert, sowie Lösungsansätze für konkrete Vorgehensweisen erarbeitet werden.
ad 5) Ziele des Projektes sind die Neuvorlage des Baubefundes unter Berücksichtigung der Nachgrabungsergebnisse, die Neuperiodisierung des Bauwerks, die Befundvorlage der Grabungen sowie eine vollständige Fundauswertung der neuen Grabungen in Form einer Monographie.
ad 6) Nach Abschluß der Grabungen wird ein Maßnahmenkatalog auf Basis der Bestandskartierung erarbeitet, der zu setzende, die antike und überlieferte Bausubstanz sichernde Eingriffe darstellt. Damit soll ein Beitrag dazu geleistet werden das tradierte Gesamtbild der Ruine zu bewahren. Bereits jetzt wurde damit begonnen, Pflichtenhefte für gegebenenfalls zu errichtende Schutzbauten zu erarbeiten.

[1] M. Alram - F. Schmidt-Dick (Hrsg.) Numismata Carnuntina, Denkschriften der philosophisch Historischen Klasse 353 (Wien 2007).
[2] D. Boulasikis, Neue Grabungen am Nemeseum des Amphitheaters I von Carnuntum, Forum Archaeologiae 46/III/2008; D. Boulasikis, Das Nemeseum am Westtor des Amphitheaters I von Carnuntum - Vorbericht zu den Grabungen. Mit einem Beitrag von M. Pregesbauer. CarnuntumJB 2008, 95-109.
[3] E. Bormann, Epigraphische Funde, AEM 16, 1893, 205–236, bes. 205-207.
[4] A. Hauser, Ausgrabungen in Carnuntum, AEM 14, 1891, 162-167.
[5] M. Groller, Die Grabungen in Carnuntum, RLÖ 10 (Wien 1909) 1-78.

© Dimitrios Boulasikis
e-mail: dimitrios.boulasikis@archnet.at


This article should be cited like this: D. Boulasikis, Das Projekt Amphitheater I (Militäramphitheater) in Carnuntum, Forum Archaeologiae 56/IX/2010 (http://farch.net).



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