Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 52 / IX / 2009

SANT YPOELTEN - STIFT UND STADT IM MITTELALTER

Das heurige Jahr 2009 steht in Sankt Pölten unter dem Motto "Stadt seit 850 Jahren". Den Anlass für dieses Jubiläum bietet die 850. Wiederkehr der Ausstellung einer Urkunde am 3. Mai 1159 durch Bischof Konrad II. von Passau, worin den St. Pöltner Bürgern stadtrechtsähnliche Privilegien gewährt werden. Auch wenn es sich bei dieser Urkunde nicht um ein Stadtrecht handelt, wird darin erstmals eine Bürgergemeinde fassbar, die sehr fortschrittliche, das Gerichtswesen betreffende Bestimmungen verbrieft bekommt, bei denen es sich um Elemente handelt, die in Stadtrechtsurkunden immer enthalten sind [1].

Unter den zahlreichen Veranstaltungen sind auch zwei Sonderausstellungen zu nennen, die sich in unterschiedlicher Weise mit der Stadtgeschichte auseinandersetzen [2]. Die Ausstellung im Stadtmuseum "Stadt im besten Alter - 850 Jahre Sankt Pölten" nähert sich dem Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln, durchaus auch von einer ironischen Seite. Im Diözesanmuseum hingegen wurde versucht, dem Besucher einen Überblick über die Entwicklung der mittelalterlichen Stadt und des damit verbundenen Klosters des heiligen Hippolytus zu bieten, sowie einen Einblick in das Leben zu dieser Zeit zu vermitteln (Abb. 1). Die Konzeption entstammt einer engen Kooperation zwischen Österreichischem Archäologischen Institut und dem Diözesanmuseum St. Pölten [3].
Die Ausstellung ist in mehrere Abschnitte gegliedert, wobei sich der erste mit der römischen Periode und der Völkerwanderungszeit auseinandersetzt. Die ursprünglich auf dem Boden des heutigen St. Pöltens liegende römische Stadt mit dem Namen Municipium Aelium Cetium wurde im Laufe der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n.Chr. entweder unter Kaiser Hadrian (117-138 n.Chr.) oder dem derzeit vorliegenden Fundspektrum nach erst unter seinem Nachfolger Kaiser Antoninus Pius (138-161) gegründet. Bisher konnten noch keine Spuren einer römischen oder keltischen Vorgängersiedlung aufgedeckt werden. Bei Cetium handelt es sich um eine autonome Stadt mit reinem Zivilcharakter und den Verwaltungsmittelpunkt im Nordosten der Provinz Noricum. In der Planung fand das generell für kaiserzeitliche Städte jenseits der Alpen gängige Prinzip der sich rechtwinkelig kreuzenden Straßen seine Anwendung. Die römische Stadt nahm ungefähr die Fläche der heutigen Innenstadt ein. Kurz nach 400 scheint die Stadt großteils verlassen worden zu sein. Einzelne Gräber in ehemaligen Wohnvierteln weisen auf einen Fortbestand der Siedlung in stark verkleinerter Form hin. Mit der Bestattung aus der Steinergasse, die aufgrund der Grabbeigaben in das 3. Viertel des 5. Jahrhunderts datiert werden kann, liegt der bisher jüngste Beleg der römischen Siedlung vor. Danach folgt eine mehr als 300 Jahre dauernde Siedlungsunterbrechung, die mit der Gründung des Klosters frühestens nach dem Ende der Awarenkriege Karls des Großen endete. Trotz der Diskontinuität in der Siedlungsgeschichte war die mittelalterliche Stadtentwicklung stark von der Anlage der römischen Stadt geprägt, da zahlreiche Straßen der Innenstadt, aber auch die Grenzen mehrerer mittelalterlicher Plätze und Gebäude auf die römische Vermessung zurückgeführt werden können. Wie zahlreiche, z.T. in der Ausstellung erstmals öffentlich präsentierte Funde aus der Umgebung zeigen, kann im Umland eine länger anhaltende Siedlungsunterbrechung nicht postuliert werden.
Der zweite Abschnitt der Ausstellung ist der Phase der Neubesiedlung gewidmet. Ausführlich wird der Forschungsstand zur Gründung des Klosters dargelegt, die entweder unmittelbar nach Beendigung der Awarenfeldzüge Karls des Großen, oder spätestens um die Mitte des 9. Jahrhunderts durch das Mutterkloster Tegernsee erfolgte. Den historischen Persönlichkeiten des namensgebenden Heiligen Hippolytus und der beiden, in der Überlieferung als Klostergründer bezeichneten Brüder Adalbert und Ottokar wird ebenfalls Raum geboten (Abb. 2). Spannend gestaltet sich im Zusammenhang mit den angeblichen Gründern die Gegenüberstellung von historischer Überlieferung und Ergebnissen der Naturwissenschaft, die zu überraschenden Übereinstimmungen geführt hat. Ein kurzer Abriss der Klostergeschichte bis in das Spätmittelalter mit der Umwandlung von einer Benediktinerabtei in ein Kollegiatsstift für Weltpriester in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts und einer weiteren Reform durch Bischof Altmann als Augustiner Chorherrenstift im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts runden den historischen Teil ab.
Dem Kloster gegenübergestellt werden die Anfänge der weltlichen Siedlung, die archäologisch noch nicht fassbar ist. Mehrere Nennungen einer im passauischen Besitz befindlichen Ortschaft Treisma aus dem 9. Jahrhundert können vielleicht darauf bezogen werden, da in einer Urkunde von 976, ausgestellt von Kaiser Otto II., in der sich der Passauer Bischof Pilgrim seine Besitzungen bestätigen lässt, die Formulierung treisma ad monasterium Sancti Ypoliti enthalten ist. Mit dieser Urkunde liegt die älteste Nennung des Klosters vor und der Namen (Treisma) der angrenzenden Siedlung, auf die später der Name des Heiligen Hippolytus übergegangen ist.
Der dritte Abschnitt widmet sich der Baugeschichte des Klosters, vor allem der Klosterkirche, des heutigen Domes. Nach wie vor fehlt jeglicher bauliche Nachweis des Gründungsklosters aus dem 9. Jahrhundert. Besser sind wir über das spätmittelalterliche Kloster unterrichtet, von dem zumindest vom Osttrakt eine vorläufige Grundrissrekonstruktion erstellt werden kann. Zahlreiche Grabungen in und außerhalb des Domes haben unser Wissen über die Baugeschichte der Klosterkirche entscheidend bereichert. So konnte nachgewiesen werden, dass die heutige Südmauer auf den Strukturen eines Vorgängerbaus steht, der in die Zeit um 1000 n.Chr. zu datieren ist. Nach weiteren Umbauten wurde die spätromanische Klosterkirche im Laufe der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet. Einen bildlichen Eindruck vermittelt die älteste Darstellung der Klosterkirche auf einem Blatt aus einem Missale um 1400 n.Chr., das sich heute in der Pierpont Morgan Library in New York befindet. Einige bei diversen Umbauten zutage gekommene Bauglieder, sowie die noch erhaltenen kirchlichen Einrichtungsgegenstände ergänzen diesen Teil der Ausstellung.
Der nächste Abschnitt widmet sich der in passauischer Hoheit befindlichen Stadt, wobei die durch die Archäologie nachgewiesenen Bauten wie die Markthalle am Rathausplatz, die beiden durch geophysikalische Untersuchungen festgestellten Kirchenbauten am Domplatz oder der erste durch die Franziskaner um die Mitte des 15. Jahrhunderts errichtete Kirchenbau in der Wiener Straße vorgestellt werden. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurden dem Bedürfnis der damaligen Bevölkerung Rechnung tragend die Siedlung und das Klosterareal mit einer Stadtmauer eingefasst. Von den Privathäusern haben wir außer einigen wenigen Mauerresten und einzelnen Bauelementen kaum Kenntnis, doch kann davon ausgegangen werden, dass noch viel mehr Bausubstanz aus dieser Zeit in den Gebäuden steckt als bislang vermutet. Die Entwicklung läuft vom Hoch- zum Spätmittelalter generell von Leichtbauweise hin zu massiv aus Stein errichteten Gebäuden. Die in den Stadtplänen des 16. und 17. Jahrhunderts zu erkennende an die Hauptstraßen gebundene gekoppelte Bauweise ist letztendlich ein Ergebnis dieser Entwicklung. Dass sich der aufwendigere Steinbau schließlich durchgesetzt hat, lag auch an den vielen Bränden und deren verheerenden Folgen, von denen die Stadt betroffen war.

Die Geschichte der Stadt wird illustriert durch eine Reihe von Originalurkunden, darunter ein Wappenbrief des Ungarnkönigs Matthias Corvinus, an den die Stadt gegen Ende des 15. Jahrhunderts verpfändet war (Abb. 3). Nach dessen Tod und der Rückeroberung Niederösterreichs durch die Habsburger erhielt der Passauer Bischof St. Pölten nicht mehr zurück, sondern die Stadt blieb in landesfürstlicher Hand.
Die Stadtgeschichte spiegelt sich sehr eindrücklich auch in der Entwicklung des St. Pöltner Wappens wider, das nach wie vor den Passauer Wolf trägt, ab 1538 aber nicht mehr mit dem Bischofsstab wie noch im erwähnten Wappenbrief des Matthias Corvinus (Abb. 4).
Der fünfte und letzte Abschnitt des ersten Ausstellungsraumes ist der bereits einleitend erwähnten Urkunde von 1159 und deren Umfeld gewidmet, die den Anlass der Feierlichkeiten bot.
Im zweiten Ausstellungsraum wird versucht anhand archäologischer Fundstücke aus dem Bestand des Stadtmuseums St. Pölten und den Grabungen des Österreichischen Archäologischen Instituts Einblicke in das Leben im mittelalterlichen St. Pölten zu vermitteln.
Die linke Raumhälfte ist dem Handwerk gewidmet, wobei exemplarisch das Töpfereigewerbe und die Beinverarbeitung präsentiert werden.
Im mittelalterlichen St. Pölten hatten die urkundlich mehrfach nachgewiesenen Töpfer (Hafner) ihre Werkstätten in der nach ihnen benannten ehemaligen "Hafenergazzen" (strata lutifigulorum = Hafnergasse), heute Rossmarkt. Bereits 1909 wurde ein großer Fundkomplex geborgen, dessen Interpretation als Werkstattabfall oder Brenngut nicht gesichert ist. Allerdings bietet dieses Fundensemble einen repräsentativen Querschnitt der Produktpalette der St. Pöltner Hafner aus der Zeit um 1300 (Abb. 5). 1991 konnten die Reste eines spätmittelalterlichen Ofens im Zuge von Notgrabungen am Gelände des Möbelhauses Leiner geborgen werden. Sein erhaltenes Erscheinungsbild entspricht zahlreichen in Niederösterreich aufgedeckten Brennöfen dieser Zeit, für die der Einbau von Töpfen in die Ofenkonstruktion charakteristisch ist.

Knochen und Horn waren in Zeiten vor der Erfindung des Kunststoffes beliebte Rohmaterialien, aus denen zahlreiche Gegenstände des täglichen Bedarfs hergestellt wurden (Abb. 6). Durch die Analyse der Zusammensetzung des Füllmaterials von Abfallgruben konnten auch für St. Pölten bestimmte verarbeitende Betriebe nachgewiesen werden. Zahlreiche Hornzapfen, an denen typische Spuren von schweren Hackmessern oder Beilen zu finden sind, deuten auf Horn verwertende Manufakturen hin. Abgesägte Enden von Langknochen, grob zugerichtete Knochenspäne und Knochenschäfte hingegen können eindeutig der Beinschnitzerei zugeordnet werden.
Noch heute lassen Gassennamen in St. Pölten auf Handwerker und ihre Werkstätten schließen, wie die Schreinergasse oder die Lederergasse. Auch einzelne Stadtviertel erhielten ihre Namen von den ehemals hier ansässigen Gewerben, so das Holz- und das Ledererviertel.
Im 15. Jahrhundert waren in St. Pölten nahezu alle Gewerbe in eigenen Zechen organisiert und mit Ordnungen ausgestattet, von denen die der Messerschmiede exemplarisch ausgestellt ist.
In der Mitte des Raumes befindet sich die Schatzkammer - u.a. sind Teile von zwei Münzschatzfunden zu sehen. Der eine, 1405 Münzen umfassende Fund kam 1923 im Zuge von Bauarbeiten an der Ecke Rathausplatz - Heßstraße zutage und dürfte um 1240/1250 verborgen worden sein (Abb. 7). Neben weiteren Münzen ist noch eine bei den Grabungen im Klostergarten 2002 gefundene sogenannte Bennofibel hervorzuheben, von denen derzeit 24 Stück bekannt sind, deren Fundorte sich von Skandinavien bis nach Albanien erstrecken. Auf der Vorderseite ist der frontale Kopf Kaiser Heinrichs III. mit der Umschrift BENNO ME FECIT angebracht (Abb. 8). An der Rückseite kann man noch die Lötspuren für die Halterungen der Nadel erkennen. Die Umschrift macht mit der Zeit eine Verwilderung durch, sodass in späteren Exemplaren wie am St. Pöltner Stück eine nicht mehr lesbare Kombination aus wenigen Buchstaben mit liegenden Rechtecken vorliegt.
In der zweiten Raumhälfte werden große mit der Bevorratung von Lebensmitteln in Verbindung zu bringende Gefäße, eine spätmittelalterliche Küche und ein gedeckter Esstisch gezeigt (Abb. 9). Ein steinernes Biforienfenster aus der Schreinergasse, mehrere ornamentierte Bodenfliesen, die in Klöstern, Kirchen, Burgen und vornehmen Bürgerhäusern Verwendung fanden und einige Ofenkacheln dokumentieren die Wohnsituation des gehobenen Bürgertums.
Aufgrund der Ergebnisse von anthropologischen Untersuchungen an mittelalterlichen Skeletten werden Rückschlüsse auf die Lebensumstände und Lebensbedingungen im Mittelalter gezogen. Besonders berührt dabei das festgestellte Krankheitsbild eines erwachsenen Mannes, der in einem goldgewirkten Gewande in der heute abgekommenen Pfarrkirche am Domplatz bestattet war.
Im Bereich der barocken Stiftsbibliothek werden Zeugnisse der im Kloster des Heiligen Hippolytus angesiedelten Buchmalereischule gezeigt. Die vermutlich im Mittelalter hier entstandene Hippolytussequenz wurde für die Ausstellung vertont; dieses Musikstück wird in einer Hörstation präsentiert.

Zur Sonderausstellung wurde auch ein 29 Beiträge umfassendes gleichnamiges Begleitbuch konzipiert, in dem von 23 namhaften Autoren auf 254 Seiten die wesentlichen Fakten zur Geschichte der Stadt und zum Leben in St. Pölten im Mittelalter in übersichtlicher Form und reich bebildert dargelegt werden. Dieses Buch ist über das Diözesanmuseum zu beziehen. Die Ausstellung kann noch bis zum 31. Oktober 2009 besichtigt werden.

Kontakt:
Diözesanmuseum St. Pölten
Domplatz 1
3100 St. Pölten
Tel: +43 (0) 2742 324 331
Email: info@dz-museum.at
Homepage: www.dz-museum.at

Öffnungszeiten:
Dienstag - Freitag 10-12 und 14-17 Uhr
Samstag 10-13 Uhr
Führungen nach Vereinbarung auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich.

[1] H. Dienst, Das Privileg Bischof Konrads II. von Passau für die St. Pöltner Bürger vom 3. Mai 1159, in: Sant Ypoelten - Stift und Stadt im Mittelalter. Katalogbuch zur Sonderausstellung (St. Pölten 2008) 79-86.
[2] Die dritte Sonderausstellung in der Niederösterreichischen Landesbibliothek, die die Statuarstadt St. Pölten in alten Ansichten zeigte, lief nur bis 28. August.
[3] Die wissenschaftliche Leitung lag in den Händen von Dr. Wolfgang Huber (Diözesanmuseum) und dem Berichterstatter. Für die Graphik und Ausstellungsdesign zeichnen Marcello M. H. Hrasko und Doris P. B. Zichtl von den no-mad-designern verantwortlich. Wissenschaftliche Mitarbeit und Beratung: Heide Dienst (Institut für Geschichtsforschung), Alfred Galik (Veterinärmedizinische Universität Wien), Kathrin Hahn, Alice Kaltenberger, Fabian Kanz (Medizinische Universität Wien), Jan Kiesslich (Gerichtsmedizin Salzburg), Eugen Novak und Heidemarie Specht (Diözesanarchiv St. Pölten), Johann Weißensteiner (Diözesanarchiv Wien).
Dank an: Georg Bergner (Ausstellungsbau), Andrea Euler-Rolle (Oberösterreichisches Landesmuseum), Nicolas Gail (Fotografie), Karl Herold und Ursula Egger (Restaurierwerkstätte ÖAI), Thomas Karl, Thomas Pulle und Erwin Wallner (alle Stadtmuseum St. Pölten), Michaela Kronberger (Wien Museum), Peter Scherrer (Universität Graz); Susanne Schmidt und Eva Voglhuber (Diözesanmuseum St. Pölten), Robert Kaltenberger-Löffler und Johannes Hahn.

© Ronald Risy
e-mail: ronald.risy@oeai.at


This article should be cited like this: R. Risy, Sant Ypoelten - Stift und Stadt im Mittelalter, Forum Archaeologiae 52/IX/2009 (http://farch.net).



HOME