Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 48 / IX / 2008

DAS SURVEY-PROJEKT "ALINDA"

Im Jahre 2007 wurde vom Institut für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zur Vorbereitung eines auf 3 Jahre ausgelegten Survey-Projekts eine zweiwöchige Kampagne in der antiken Siedlung von Alinda durchgeführt [1].

Grundlagen und Ziele
Die weitläufigen Ruinen von Alinda liegen im Norden Kariens in der Provinz Aydin unmittelbar neben dem modernen Ort Karpuzlu (Abb. 1). Sie wurden erstmals in dem Bericht des britischen Reisenden Richard Pococke über seine Reise in den Nahen Osten während der Jahre 1737-42 beschrieben und danach immer wieder von weiteren Forschungsreisenden besucht [2]. Aus diesen Begehungen gingen mehrheitlich summarische Beschreibungen des Ruinenbestandes bzw. Angaben zur Lage und Geschichte der Siedlung sowie zeichnerische oder photographische Aufnahmen bedeutender Monumente, z.B. des Theaters oder von Grabbauten, hervor. Sowohl diese Reisedokumentationen als auch vereinzelte besonders bedeutsame Funde, wie etwa die 1934 durch A. Laumonier publizierte Ehreninschrift für zwei Gefolgsleute des in seleukidischen Diensten stehenden Strategens Olympichos, prägen bis heute den Stellenwert Alindas in der Forschung [3].
Um die Mitte des 19.Jhs. publizierten W. H. Waddington und Ph. Le Bas [4] sowie P. Trémaux [5] in ihren Reisebeschreibungen je einen Gesamtplan der Ruinen, wobei allerdings jeder der beiden Stadtpläne auf seine Weise unvollständig blieb, so dass entweder einzelne Monumente oder auch ganze Stadtteile, wie z.B. die Oberstadt, nicht oder nur zum Teil erfasst und kartiert wurden [6]. Bis heute bilden diese Pläne jedoch die einzigen Grundlagen hinsichtlich der zusammenhängenden Erfassung und Darstellung des Stadtgebiets.
Die jüngere Forschung vor Ort setzte erst nach der Mitte des 20.Jhs. mit einigen wenigen Unternehmungen ein, die sich vorrangig ausgewählten und oberflächig ansichtigen Monumenten sowie Fragen der Stadtgeschichte widmeten. So forschte 1965 M. Anabolu [7] zur Entwicklung der Siedlung und S. Doruk [8] legte im Jahr 1987 eine erste bauhistorische Dokumentation der Halle an der Südseite der Agora vor. Mit einigem zeitlichen Abstand folgten dann ab 1997 die erfolgreichen, über mehrere Kampagnen kontinuierlich fortgeführten Surveys unter der Leitung von V. Özkaya, die sich schwerpunktmäßig intensiven und umfangreichen Studien in den Nekropolen widmeten [9]. Weitere systematische Feldforschungen oder Ausgrabungen haben bis dato in Alinda nicht stattgefunden.
Aufgabe des geplanten Survey-Projekts soll es daher sein, erstmalig konsequent alle baulichen Strukturen im gesamten Stadtgebiet und in den Nekropolen sowohl terrestrisch als auch GPS unterstützt aufzunehmen und in einem Gesamtplan zusammenzuführen sowie den gesamten Ruinenbestand sowohl deskriptiv als auch photographisch zu dokumentieren. Neben Keramik-Surveys und einem Spolienprogramm, das zur Aufnahme und Kartierung der zahlreichen dislozierten oder rezent verbauten Architekturglieder dienen soll, werden auch geophysikalische Prospektionsmethoden zur Anwendung kommen. Ziel ist die Erfassung, Periodisierung und Interpretation der Siedlungsgeschichte von Alinda nicht nur im Spiegel der Ruinen, sondern auch seiner materiellen Kultur und der historischen Quellen.


Die Topographie der Siedlung
Das entsprechend den Geländebedingungen länglich ausgebildete Stadtgebiet erstreckt sich über zwei Höhenrücken am südwestlichen Rand der fruchtbaren Ebene von Karpuzlu. Es setzt sich im Wesentlichen aus den großen, befestigten Stadtteilen der Unterstadt, die sich mit der Wohnbebauung und den öffentlichen Bauten, wie dem Theater, dem Heiligtum oder der Agora mit der dreigeschossigen Markthalle über den Ost- und Südhang des ersten, niedrigeren Höhenzuges ausdehnt, und der etwas von der Siedlung abgerückten Oberstadt am höchsten Punkt des zweiten Höhenrückens zusammen (Abb. 2) [10]. Weitläufige Nekropolen mit einem gemischten Repertoire an Grabformen, wie etwa Chamosorien, Sarkophagen und monumentalen freistehenden Grabbauten, umschließen die Stadt im Norden, Osten und Süden [11]. Die räumlich größte Nekropole liegt im Norden und verläuft vom Aquädukt am Westrand der Oberstadt bis an den Rand der Ebene nördlich der Unterstadt (Abb. 3). Sowohl die Grabanlagen der Ost- als auch der Süd-Nekropole werden zum Teil vom modernen Stadtgebiet von Karpuzlu überlagert, wobei einzelne freistehende Grabbauten in wirtschaftlich genutzte Räume umgewandelt und in die rezente Siedlung integriert wurden [12].

Überblick über die Arbeiten und Ergebnisse 2007
Als Grundlage für die Vermessungsarbeiten wurden ein geodätischer Koordinatenrahmen fixiert und und Festpunkte in der antiken Siedlung geschaffen. Die systematische Aufnahme der baulichen Strukturen im Grundriss erfolgte von Westen her und wurde beim Aquädukt begonnen und in weiterer Folge über die Oberstadt bis an die Unterstadt herangeführt. Den Schwerpunkt bildete dabei die Aufnahme der massiven, mit Türmen bewehrten, außerordentlich gut erhaltenen Befestigungsmauern der Oberstadt mit den beiden nach Osten verlaufenden Kurtinen, die den Anschluss an den Verteidigungsring der Unterstadt darstellen [13]. Die in einigen Abschnitten der Oberstadt nachweisbare flächige Innenbebauung wurde zunächst nur exemplarisch und v.a. aus Zwecken der Veranschaulichung dokumentiert, ihre vollständige Aufnahme wird in einem gesonderten Arbeitsschritt in einer der nächsten Kampagnen folgen. Im Bereich der Unterstadt wurden darüber hinaus punktuell auch das Heiligtum mit dem Tempel und den nach Westen und Osten entlang der Stadtmauer anschließenden Strukturen, das Theater, am Hang südlich des Theaters ein Teil eines Diateichisma mit einer Pforte und einem östlich davon liegenden, kleinen Laufbrunnen, die Markthalle und ein längerer Abschnitt der Stadtmauer im Osten der Agora aufgenommen (Abb. 4).


Nach den letztjährigen Arbeiten ist die maximale Ausdehnung des Stadtgebiets nunmehr in Ost-West-Richtung vom mittleren Turm der Westmauer der Oberburg bis zur Stadtmauer östlich der Agora mit etwa 950m sowie von Norden nach Süden vom Heiligtum am Sattel bis zum südlichen Ende der Westmauer der Unterstadt mit rund 300m anzugeben [14].
Die Oberstadt kann jetzt in drei miteinander verbundene Bereiche gegliedert werden: es ist dies im Westen (am höchsten Punkt der Stadt) die massiv befestigte Oberburg und die am Hang gegen Osten anschließende Unterburg. Beiden Anlagen wird im weniger steil abfallenden Gelände am Südhang die sogenannte ‚Südbastion' vorgelagert, welche im Osten mit der Unterburg durch eine Toranlage verbunden ist [15].
Die Oberburg, deren Mauerring wie die Befestigung der Unterstadt in spätklassische Zeit datiert wird [16], besaß in ihrer ursprünglichen Anlage ausschließlich militärischen Charakter [17] und verfügte über eine Innenbebauung, bei der es sich wohl um die Quartiere der in der Burg stationierten Besatzung gehandelt hat. Diese aus Quader gefügten Mauern werden durch später eingesetzte Strukturen aus Bruchstein- und Ziegelmauerwerk überbaut bzw. überlagert, die dicht gefügte, kleinteilige Raumgruppen erkennen lassen, welche die Reste von Wohnbebauung aus byzantinischer Zeit darstellen. Offensichtlich kam es in byzantinischer Zeit zu einer Verlagerung des städtischen Siedlungsraumes, wie dies auch aus anderen Orten bekannt ist, wobei das Stadtgebiet von Alinda stark reduziert und die Wohnsiedlung in das Areal der befestigten Oberburg verlagert wurde [18]. Im 10.Jh. nennt Constantinus Porphyrogenitus Alinda jedenfalls noch unter den befestigten Städten Kleinasiens [19]. Die Verlagerung der Wohnsiedlung ging mit Reparaturen bzw. mit der Verstärkung des Mauerwerks in der Oberstadt in Bruchsteinmauertechnik sowie mit der Umgestaltung der Zugangssituation in die Oberburg einher. Vermutlich wurde auch die Ostmauer der Unterburg, welche die Oberstadt gegen Osten zum Sattel und zur Unterstadt hin abgeschlossen hat, abgetragen und um wenige Meter nach Westen versetzt neu errichtet. Auf dem Areal der Unterburg sind keine Reste von späterer Wohnbebauung anzutreffen, so dass das Areal nicht in die byzantinische Wohnsiedlung miteinbezogen war. Es finden sich aber eine Ölpresse und sechs große gemauerte, in den Boden eingelassene Zisternen, so dass die Unterburg mit diesen wirtschaftlichen Einrichtungen funktional in die Organisation des kollektiven Lebensraumes innerhalb der schützenden Stadtmauern eingebunden war.
In die Befestigungen der Oberstadt sind zwei intakte, verborgene Pforten eingelassen, durch die Überraschungsangriffe gegen Angreifer durchgeführt werden konnten. Beide Ausfallspforten gehören zur originären Phase der Befestigung. Die eine ist in die Substruktionen des Turms an der Südwestecke der Oberburg eingebunden und führt - durch eine große natürliche Felspartie vor den Blicken der Feinde geschützt - vor die Befestigung. Die andere wurde unter der Stadtmauer im östlichen Abschnitt der sogenannten ‚Südbastion' hindurchgeführt, wobei dieser Gang eine natürliche Höhlung an der Unterseite eines mächtigen Felsens nutzte und der Auslass durch Felsformationen vor der Südseite der Mauer verdeckt war (Abb. 5).


An mehreren Punkten konnten Aufschlüsse bezüglich der innerstädtischen Erschließung und der Anbindung von Alinda an Überlandstraßen gewonnen werden: so führt etwa eine gepflasterte und vermutlich bis in die Spätzeit benutzte Wegtrasse innerhalb des Stadtgebiets von einem Tor in der Südmauer der Unterstadt über den steilen Südhang westlich des Theaters bis auf den Sattel an der Nordwestecke der Unterstadt. Ob sie sich auch weiter auf die Oberstadt fortgesetzt hat, ist derzeit noch nicht klar. In der Unterstadt kann die Trasse dieses Weges auch abschnittsweise im Südosten des modernen Ortes - und damit außerhalb des befestigten antiken Stadtgebiets - verfolgt werden. Ein weiterer gepflasterter Weg innerhalb der Siedlung verbindet das Areal nördlich der Agora mit der Theaterterrasse.
Aus nordwestlicher Richtung führt entlang des Nordhanges eine gepflasterte Trasse durch die Nord-Nekropole an die Stadt heran, wobei noch unbekannt ist, durch welches Tor sie in das Stadtgebiet eingemündet hat. Trémaux [20] dokumentierte eine heute in dieser Form nicht mehr erhaltene gepflasterte Straße (Abb. 6), die gesäumt von den Gräbern der Ost-Nekropole aus der Ebene kommend auf die Stadtmauer östlich der Agora zugelaufen ist.

[1] Der Generaldirektion für Kulturgüter und Museen darf an dieser Stelle für die Erteilung der Genehmigung gedankt werden; ebenso zu danken ist der Regierungsvertreterin, Frau Nihal Metin (Ankara), für die gute Zusammenarbeit sowie der Belediye Karpuzlu für mannigfache Unterstützungen und Hilfeleistungen, v.a. auf dem Sektor der Infrastruktur. Mitarbeiter der Kampagne waren außer dem Verfasser: Frau Doz. Dr. G. Bockisch (Rostock), Frau. cand. phil. J. Köck (Wien) und als Geodät Herr DI Chr. Kurtze (Wien/Hochkirch).
[2] R. Pococke, A Description of the East and some other Countries, II, 2 (1745); zur älteren Forschungsgeschichte s. V. Özkaya - O. San - G. Barin, Alinda (Karpuzlu), AST 16, 2 (Ankara 1999) 299-301.
[3] vgl. etwa bezüglich der monumentalen römischen Grabbauten in Alinda H. v. Hesberg, Formen privater Repräsentation in der Baukunst des 2. und 1. Jhs. v. Chr. (Köln u.a. 1994) 17 Taf. 2 c und Chr. Berns, Untersuchungen zu den Grabbauten der frühen Kaiserzeit in Kleinasien, AMS 51 (Münster 2003) 141-143, 221-223. Zur Olympichos-Inschrift s. A. Laumonier, Inscriptions de Carie, BCH 58, 1934, 291-298 Nr. 1; zur Biographie von Olympichos vgl. K. Kobes, Kleine Könige. Untersuchungen zu den Lokaldynasten im hellenistischen Kleinasien (323-188 v. Chr.) (St. Katharinen 1996) 80. 109-111. 136-145. 193-195. 257-259 bzw. J. Ma, Antiochos III. and the cities of Western Asia Minor ²(Oxford 2005) 69-71. 168f.
[4] W.H. Waddington - Ph. Le Bas, Voyage archéologique en Grèce et en Asie Mineure, fait pendant les années 1834 et 1844 (Paris 1847-1877).
[5] P. Trémaux, Exploration archéologique en Asie Mineure, comprenant les restes non connus de plus de quarante cités antiques (Paris 1865-1868) s.v. Alinda.
[6] vgl. dazu auch die kritischen Anmerkungen zu diesen Plänen von E. Fabricius, Zu den Institutsschriften, JdI 4, 1889, 188-189.
[7] M. Anabolu, Alinda, Karpuzlu, TAD 14 (Ankara 1965) 87-102.
[8] S. Doruk, Antik Alinda Kentindeki Pazar Yapisi, Belleten 51, 1987, 1117-1137.
[9) Özkaya - San - Barin a.O. (Anm. 2) 299-323; V. Özkaya - O. San, Alinda, Nekropolü I, AST 17, 2 (Ankara 2000) 263; V. Özkaya - O. San, Alinda Nekropolü II, AST 18,2 (Ankara 2001) 181-196; V. Özkaya - O. San, Alinda. An ancient city with its remains and monumental tombs in Caria, REA 105, 2003, 103-125; V. Özkaya, Alinda: Kentsel Dokusu ve Nekropol Kalintilari ile Karia Bölgesi'nde bir Kent, in: A. Erkanal-Öktü u.a. (Hrsg.), Hayat Erkanal`s Armagan. Kültürlerin yansimasi (Istanbul 2006) 606-611.
[10] vgl. G.E. Bean, Kleinasien jenseits des Mäander. Karien mit dem Vilayet Mugla (Stuttgart 1974) 200-208; Özkaya - San a.O. (Anm. 9) REA 105, 106-113.
[11] vgl. Özkaya - San a.O. (Anm. 9) AST 17, 2, 263; Özkaya - San a.O. (Anm. 9) AST 18, 2, 181-196; Özkaya a.O. (Anm. 9) Hayat Erkanal`s Armagan, 607-609.
[12] s. Bean a.O. (Anm. 10) Taf. 16 oben; O. Henry, Considérer la mort: de la protection des tombes dans l'antiquité à leur conservation aujourd'hui, Les dossiers de l'IFEA 2, 2003, 23 Abb. 11, http://www.ifea-istanbul.net/website/dossiers_ifea/Bulten%20Y-2.pdf (17.07.2008).
[13] Bean a.O. (Anm. 10) Abb. 30; A. W. McNicoll, Hellenistic Fortification from the Aegean to the Euphrates (Oxford 1997) Abb. 3; I. Pimouguet-Pédarros, Archéologie de la defense (Paris 2000) 253-259.
[14] Die vorläufigen Daten in P. Ruggendorfer, Survey Projekt Alinda - die Kampagne 2007, AST 2007 (in Druck) weichen davon geringfügig ab.
[15] Bean a.O. (Anm. 10) 206 bezeichnet die Südbastion als eine "Art Nebenzwinger".
[16] McNicoll a.O. (Anm. 13) 26.
[17] vgl. die bekannte Nachricht bei Arrian Anab. 1, 23, 8, der im Zusammenhang mit der Machtübernahme im hekatomnidischen Herrscherhaus durch Pixodaros und dem Exil der Dynastin Ada Alinda als eine der am besten bewehrten Städte in Karien bezeichnet.
[18] vgl. die Überlegungen hinsichtlich der Reduzierung des Stadtgebiets in lykischen Städten von J. Ganzert, Das Kenotaph für Gaius Caesar in Limyra, IstForsch 35 (1984) 4-11.
[19] Constantinus Porphyrogenitus, De thematibus et de adminstrando imperii 3, 39.
[20] Trémaux a.O. (Anm. 5) Taf. 1. 6.

© Peter Ruggendorfer
e-mail: peter.ruggendorfer@oeaw.ac.at


This article should be cited like this: P. Ruggendorfer, Das Survey-Projekt "Alinda", Forum Archaeologiae 48/IX/2008 (http://farch.net).



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