Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 40 / IX / 2006

KERAMIK DES 5. JAHRHUNDERTS AUS ÄGINA-KOLONNA

Einer der Schwerpunkte der aktuellen Forschungen in Ägina Kolonna ist die spätarchaische und klassische Zeit und dabei unter anderem die Keramik jener Periode, die im folgenden kurz vorgestellt werden soll [1]. Ägina war im sechsten und frühen fünften Jahrhundert eine wohlhabende und mächtige Seemacht, deren Reichtum aus der Handelstätigkeit der Insel im Saronischen Golf und darüber hinaus in der östlichen Ägäis, in Ägypten und Italien resultierte [2]. So war Ägina nach der antiken Überlieferung als einzige nicht-ostgriechische Polis am Handelsunternehmen Naukratis beteiligt [3], importierte Getreide aus dem Pontos [4] und war in Italien aktiv [5]. Dies erweckte den Neid Athens und führte zur Besetzung der Insel 456 v.Chr. und zur Vertreibung der lokalen Bevölkerung 429 v.Chr. [6]. Eine kleine Zahl von Überlebenden kam 404 v.Chr. zurück, als die Insel wieder unabhängig war, doch Ägina erlangte nie wieder den Reichtum und die mächtige Position, die es in früheren Zeiten innegehabt hatte. Im Rahmen dieser historischen Ereignisse muss die in Kolonna gefundene klassische Keramik betrachten werden.
Eine wesentliche Frage ist jene, ob auf Ägina in der klassischen Periode eine lokale Keramikproduktion existierte. Es wird allgemein angenommen, dass Ägina in dieser Zeit keine eigene Feinware oder bemalte Keramik herstellte, sondern diese von auswärts importierte [7]. Diese Annahme scheint sich durch die laufenden Forschungen weitgehend zu bestätigen, die bislang mit zwei vermutlichen Ausnahmen [8] keine Belege für eine lokale Produktion von bemalter oder schwarzgefirnister Keramik in klassischer Zeit erbringen konnten. Anders stellt sich die Situation bei Kochgeschirr und grober Keramik dar. Die große Mehrheit der Kochgefäße aus Kolonna (Abb. 1) ist aus einem charakteristischen körnigen Fabrikat gefertigt, das reichlich plättchenförmige goldene und stäbchenförmige schwarzglänzende Einschlüsse enthält, beides Materialien vulkanischen Ursprungs [9]. Die meist sehr dünnwandigen, scheibengedrehten Kannen und Töpfe haben häufig eine streifig geglättete Oberfläche und eine sorgfältig verstrichene Innenseite, beides vermutlich Methoden, um die Oberfläche dichter und folglich wasserfester bzw. hitzeresistenter zu machen. Die große Zahl der aus diesem Fabrikat gefertigten Gefäße und auch die derzeit vom Fitch Laboratory in Athen durchgeführten naturwissenschaftlichen Analysen sprechen für eine äginetische Herkunft dieser Ware. Soweit man nach dem derzeitigen Kenntnisstand urteilen kann, hörte die lokale Produktion von Kochgeschirr nicht mit der Besetzung der Insel durch Athen 456 v.Chr. auf, sondern lässt sich zumindest bis in das späte dritte/frühe vierte Viertel des fünften Jahrhunderts gut weiterverfolgen. Es kann derzeit noch nicht festgestellt werden, inwieweit sich die Vertreibung der lokalen Bevölkerung von der Insel im Jahr 429 v.Chr. auf die lokale Keramikproduktion auswirkte.


Diversen Grabungsberichten zufolge wurde äginetisches Kochgeschirr im sechsten und fünften Jahrhundert weit exportiert, u. a. nach Athen [10], Thorikos [11], Kythera [12], Tocra in Libyen [13] und auf die Liparischen Inseln in Italien [14]. Das ruft uns die antike Bezeichnung Äginas als Χυτρπωλις in Erinnerung, die zeigt, dass die Insel bekannt war für den Verkauf von Kochtöpfen [15]. Es ist aus dem zuvor Gesagten heraus naheliegend anzunehmen, dass es sich dabei um Kochtöpfe aus der eigenen Produktion handelt.
Auch die nach Ägina importierte Keramik ist in Hinblick auf die historischen Ereignisse dieser Zeit von Interesse. So ist etwa der Anteil von attischer Keramik, v. a. von Schwarzfirnisware, während der ganzen archaischen und klassischen Periode hindurch hoch (Abb. 2) [16]. Das Fundmaterial von Kolonna gibt keinen Hinweis auf einen markanten Einbruch der Einfuhr von attischer Keramik, der mit einer politischen Krise verbunden werden könnte. Ganz im Gegenteil scheint Ägina unabhängig von der politischen Situation kontinuierlich große Mengen an Schwarzfirniskeramik importiert zu haben, die auf der Insel selbst wegen des Fehlens von geeignetem Ton nicht hergestellt werden konnte. Die keramische Evidenz von Kolonna unterstützt die Vermutung, dass Handel, und dabei v. a. Handel mit nicht lebensnotwendigen Waren wie Keramik, im Allgemeinen nicht oder nicht sehr stark beeinträchtig wurde von Feindseligkeiten oder Kriegen [17].


Eine weitere bemerkenswerte Fundgruppe im klassischen Kolonna ist die korinthische Keramik (Abb. 3). Die beträchtliche Menge von hochqualitativen korinthischen Importen findet im fünften Jahrhundert an kaum einem anderen Ort dieser Periode ihresgleichen [18]. Vermutlich war Ägina durch Handelskontakte eng mit Korinth verbunden, indem äginetische Schiffe entweder korinthische Güter transportierten oder den am saronischen Golf gelegenen Hafen Kenchreai benutzten, um Waren zu liefern oder aufzuladen [19].
Kurz erwähnt werden sollen auch die in Kolonna zutage gekommenen Importe von ionischer Keramik (Abb. 4), die im fünften, besonders aber im sechsten Jahrhundert unvergleichlich zahlreicher sind als an anderen bedeutenden Plätzen des griechischen Festlandes wie z. B. Athen, Korinth oder Argos [20]. Ägina hatte bereits ab der früharchaischen Zeit eine bedeutende Position im Handel zwischen der östlichen Ägäis und dem griechischen Festland inne [21]. Die nicht unbedeutende Zahl von Funden ionischer Keramik aus dem 5. Jahrhundert kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass Ägina auch in klassischer Zeit noch aktiv auf dieser Handelsroute tätig war. Das zahlreiche Vorkommen von Keramik aus verschiedenen Regionen in Ägina-Kolonna bestärkt die Annahme, dass die Insel auch im fünften Jahrhundert eine bedeutende Handelsmacht war mit Verbindungen innerhalb des saronischen Golfs, aber auch darüber hinaus in die östliche Ägäis und nach Italien. Wir wissen nicht, welche Produkte die äginetischen Schiffe transportierten, vermutlich handelte es sich aber vornehmlich um fremde, nicht-äginetische Erzeugnisse [22]. Die äginetischen Schiffe hatten aber sicherlich auch das in großer Menge und Formenvielfalt lokal hergestellte und weit verbreitete Kochgeschirr an Bord. Auch wenn Keramik sicherlich nicht zum vorrangigen Handelsgut gehörte, sondern nur eine begleitende Ware von Lebensmitteln, Metallen und ähnlichem war [23], kann sie uns dennoch eine Vorstellung von den Beziehungen und Handelsaktivitäten der Insel im fünften Jahrhundert vermitteln.

[1] Die klassische Keramik aus Ägina-Kolonna wird von der Verf. im Rahmen eines vom FWF geförderten und von F. FELTEN geleiteten Projektes bearbeitet (Projekt-Nr. P 16526-G08). Zu den aktuellen Forschungsarbeiten in Ägina-Kolonna s. zuletzt F. FELTEN u. a., Ägina-Kolonna 2003, ÖJh 73, 2004, 97-128; DERS., Zur Baugeschichte archaischer Akropolen: Athen und Aigina, in: B. BRANDT u. a. (Hrsg.), Synergia. Festschrift für Friedrich Krinzinger (2005) 179-189.
[2] Zur Vormachtstellung Äginas als See- und Handelsmacht u. a. T.J. FIGUEIRA, Aegina. Society and Politics (1981) 166-170; S. MORRIS, The Black and White Style. Athens and Aigina in the Orientalizing Period (1984) 91-103; J.E. JENNINGS, Aeginetan Trade 650-457 B. C.: A re-examination (1988).
[3] HDT. 2, 178; s. dazu u. a. J. BOARDMAN, Kolonie und Handel der Griechen (1981) 131-152; FIGUEIRA a. O. 257-261; M. KERSCHNER, Perspektiven der Keramikforschung in Naukratis 75 Jahre nach Elinor Price, in: U. HÖCKMANN - D. KREIKENBOM (Hrsg.), Naukratis. Die Beziehungen zu Ostgriechenland, Ägypten und Zypern in archaischer Zeit, Akten der Table Ronde in Mainz, 25.-27. November 1999 (2001) 80-90 bes. 89f.
[4] HDT. 7, 147.
[5] Dazu S. HILLER, Die Handelsbeziehungen Äginas in Italien, in: F. KRINZINGER (Hrsg.), Die Ägäis und das westliche Mittelmeer (2000) 461-469.
[6] Zu den Beziehungen Äginas zu Athen s. u. a. W. FELTEN, Attische schwarzfigurige und rotfigurige Keramik, in: H. WALTER (Hrsg.), Alt-Ägina II, 1 (1982) 33. 36. 38; D. WILLIAMS, Aegina, Aphaia-Tempel XI. The Pottery from the Second Limestone Temple and the Later History of the Sanctuary, AA 102, 1987, 672-678.
[7] So z. B.M. FARNSWORTH, Greek Pottery: A Mineralogical Study, AJA 68, 1964, 223; BOARDMAN a. O. (Anm. 3) 19. 53. 146; dagegen MORRIS a. O. (Anm. 2) 19-36, die eine Produktion von mittelprotoattischer Keramik in Ägina annimmt; gegen diese These von S. P. MORRIS s. E. WALTER-KARYDI, Gnomon 59, 1987, 378-380; DIES., Aigina versus Athens? in: J.H. OAKLEY u. a. (Hrsg.), Athenian Potters and Painters (1997) 385-394.
[8] Felten u. a. a. O. (Anm. 1) 118 mit Anm. 43 Abb. 24, 1. 5.
[9] s. dazu FARNSWORTH a. O. (Anm. 7) 222f; R. JONES, Greek and Cypriot Pottery. A Rieview of Scientific Studies. The British School at Athens Fitch Laboratory Occasional Paper 1 (1986) 167.
[10] B.A. SPARKES - L. TALCOTT, Black and Plain Pottery of the 6th, 5th and 4th Centuries B. C. The Athenian Agora XII (1970) 35f.
[11] JONES a. O. (Anm. 9) 724f.
[12] N. COLDSTREAM, Kythera (1973) 307 Abb. 49, 78-9 Taf. 46, 78-9.
[13] J. BOARDMAN - J. HAYES, Excavations at Tocra 1963-1965. The Archaic Deposits I. BSA Suppl 4 (1966) 135; DIES., Excavations at Tocra 1963-1965. The Archaic Deposits II and Later Deposits. BSA Suppl. 10 (1973) 58.
[14] Dazu JENNINGS a. O. (Anm. 2) 179 mit Verweis auf L. BERNABO-BREA - M. CAVALIER, Meligunis-Lipara II (1965).
[15] COM. ADESP. 669 (MEINECKE); dazu u. a. MORRIS a. O. (Anm. 7) 23.
[16] FELTEN a. O. (Anm. 6) 23. 33-38; WALTER-KARYDI a. O. (Anm. 7) 391; WILLIAMS a. O. (Anm. 6) 674-678.
[17] Dazu u. a. B. R. MACDONALD, The import of Attic pottery to Corinth and the question of trade during the Peloponnesian war, JHS 102, 1982, 114. 118-123; J. L. BENTZ, Pottery at Ancient Corinth from Mid-Sixth to Mid-Fifth Century B.C. (Ann Arbor 1982) 159.
[18] s. W. KRAIKER, Aigina. Die Vasen des 10. bis 7. Jahrhunderts v. Chr. (1951) 12f. zu korinthischen Importen der geometrischen Zeit bis zum 6. Jh.; D. CALLIPOLITIS-FEYTMANS, Import of Protocorinthian and Transitional Pottery into Attica, in: M.A. DEL CHIARO (Hrsg.), Corinthiaca. Studies in Honor of Darrell A. Amyx (Colubia 1986) 168-170.
[19] J.B. SALMON, Wealthy Corinth. A History of the City to 338 B. C. (1997) 115f. 143. 160.
[20] E. WALTER-KARYDI, Ostgriechische Keramik. Alt-Ägina II, 1 (1982) 9; D. WILLIAMS, Aegina, Aphaia-Tempel. V. The Pottery from Chios, AA 1983, 155-186.
[21] G. MARKOE, The Emergence of Orientalizing in Greek Art: Some Observations on the interchange between Greeks and Phoenicians in the 8th and 7th Centuries B. C. BASOR 301, 1996, 54f.
[22] s. u. a. HILLER a. O. (Anm. 5) 467; FIGUEIRA a. O (Anm. 2) 192. 230-279.
[23] Dazu u. a. R. M. COOK, Die Bedeutung der bemalten Keramik für den griechischen Handel, JdI 74, 1959, 114-123; D. W. J. GILL, Positivism, pots and long-distance trade, in: I. MORRIS, Classical Greece. Ancient histories and modern archaeologies (1994) 99. 102-107.

© Gudrun Klebinder-Gauß
e-mail: gudrun.klebinder@oeai.at

This article should be cited like this: G. Klebinder-Gauß, Keramik des 5. Jahrhunderts aus Ägina-Kolonna, Forum Archaeologiae 40/IX/2006 (http://farch.net).



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