Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 36 / IX / 2005

OPERATION IRAQI FREEDOM UND DANACH: DAS ARCHÄOLOGISCHE ERBE DES IRAK UND DER KAMPF DER WISSENSCHAFT GEGEN DIE INTERNATIONALE KUNSTHANDEL-LOBBY

Krieg, Chaos und Archäologie

Mittlerweile sind mehr als zwei Jahre vergangen, seitdem eine Koalition unter der Führung der USA dem Irak den Krieg erklärt hat. In nur vier Wochen hatte diese Koalition den militärischen und politischen Sieg herbeigeführt und die Niederlage des brutalen Regimes Saddam Husseins bewirkt. Aber auch wirtschaftlich, sozial und kulturell ist das Land zusammengebrochen, und die seitherigen Bemühungen um den Wiederaufbau sind noch wenig erfolgreich. Chaos und Gewalt sind alltäglich und allgegenwärtig. Die kulturelle Ausplünderung des Irak und der illegale Handel mit mesopotamischer Raubkunst nach Europa und in die USA ist eine der tragischen Facetten des anhaltenden Chaos im Irak.
Am Institut für Orientalistik der Universität Wien wurde bereits kurz nach Beginn des Krieges die "Österreichische Initiative: Weltkulturerbe Irak" (OIWI) begründet. Bereits im Juni 2003 fand eine erste Irak-Tagung "Plündern, Vernichten, Vergessen: Kulturgüterschutz im Kriege und das kulturelle Welterbe im Irak" statt, bei der die damalige Direktorin des irakischen Nationalmuseums erstmals die Möglichkeit erhielt, außerhalb des Irak in der Öffentlichkeit über die Situation zu berichten. Eine Fortsetzung fand diese Tagung im November 2004 durch das Symposium "Geplünderte Vergangenheit - Digitalisierte Zukunft? - Krisenherde im Vorderen Orient und Kulturgüterschutz - Hilfe durch Computer?" im Rahmen des internationalen Workshops "Archäologie und Computer" im Wiener Rathaus. Ein besonders Augenmerk gilt seit Anbeginn der OIWI der Situation der archäologischen Fachbibliothek der Universität Baghdad und anderer kultureller und wissenschaftlicher Einrichtungen, worüber Prof. Walter Sommerfeld von der Universität Marburg berichtet hat. Folglich lag ein Schwergewicht der österreichischen Hilfeleistungen in einer großangelegten Buchspendeaktion für die Universität Baghdad. Auch wurde versucht, durch Gastbeiträge in verschiedenen Medien das Thema "Krieg und Archäologie" in den Medien präsent zu halten und Bewusstsein für die damit verbundenen Probleme zu schaffen, was zuletzt im Angesicht der Wahlen Ende Jänner 2005 vermehrt auf öffentliches Interesse gestoßen ist. Jüngst hat sich dieses Tätigkeitsspektrum noch um einen Aspekt erweitert, nämlich um den Kampf gegen den illegalen internationalen Handel mit antiker Raubkunst aus dem Irak. Einige international sehr angesehene US-amerikanische Wissenschaftler kämpfen nun seit zwei Jahren gegen diesen illegalen Handel vor allem in die USA, dem derzeitigen Hauptumschlagplatz für mesopotamische Raubkunst, wobei Erfolge und Misserfolge einander abwechseln. Nun wurde Wien zu einem weiteren Schauplatz dieser inner-amerikanischen Auseinandersetzunge um einen Schutz des kulturellen Erbes des Irak.

Das irakische Nationalmuseum in Bagdad

Nach dem Fall der irakischen Hauptstadt Bagdad im April 2003 wurde die Welt Zeuge der Plünderung und Verwüstung des irakischen Nationalmuseums. Mit Befremden musste man zur Kenntnis nehmen, dass diese Ereignisse mehrere Tage andauernden, ohne dass das US-Militär vor Ort Anstalten traf, den Zerstörungen Einhalt zu gebieten und das Museum zu schützen. Die Empörung der Öffentlichkeit konnte nach einigen Tagen der Plünderung und Verwüstung doch einen weiteren Schutz des Museums durch das US-Militär bewirken. Von den gestohlenen Objekten wurden in der Folge viele retourniert. Aber immer noch gelten etwa 8.500 Stück von den vielleicht ursprünglich über 500.000 Objekten des Museumsbestandes als vermisst! Der Wert der noch vermissten Stücke auf dem illegalen Kunstmarkt ist kaum zu schätzen. Dennoch: Die Situation im Irak-Museum ist unter Kontrolle, das Museum ist gesichert und auch renoviert. Die dort ansässigen Wissenschaftler haben ihre Arbeit wieder aufgenommen.

Die archäologischen Stätten

Anders sieht die Situation an den zehntausenden archäologischen Kulturstätten des Landes aus. Hier ist leider fast nichts unter Kontrolle, im Gegenteil: die Plünderungen, die im Frühjahr 2003 begonnen haben, halten auch zwei Jahre nach der Meldung vom (vorgeblichen) Ende der Kampfhandlungen unvermindert an. Und gerade das sumerische Kernland, die Schwemmlandebene südlich von Bagdad bis zum Golf, hat es am schwersten getroffen. Hier entstand die erste "Hochkultur" der Menschheit; hier wurde die Schrift entwickelt; hier finden sich die ersten Städte, deren Ruinen oft nur ansatzweise erforscht sind. Sie werden nun gnadenlos ausgeplündert und vernichtet - für immer zerstört. Zum Teil wird sogar schweres technisches Gerät eingesetzt; oft handelt es sich dabei um organisierte Banden, für die die zögerlichen Bemühungen um staatliche Kontrolle kein ernsthaftes Hemmnis bilden. Zurück bleiben Kulturstätten, die nun - mit Raubkratern übersäet - wie Mondlandschaften aussehen; archäologische Kontexte sind für immer verloren.


Rechtliche Schritte zur Eindämmung des illegalen Kunsthandels in den USA

Als nun die Schäden am irakischen Nationalmuseum, an den archäologischen Stätten sowie am sonstigen Kulturgut im Irak immer offenkundiger wurden, verdoppelten US-Wissenschaftler ihre Anstrengungen und ihr Lobbying im Kongress. Niemals zuvor kamen so viele Altorientalisten in den Medien zu Wort. Das Archaeological Institute of America (AIA) initiierte eine Kampagne zur Schließung von rechtlichen Schlupflöchern im Bereich des Denkmalschutzes und des Kunsthandels. Das AIA unterstütze maßgeblich den von Rep. Phil English im US-Repräsentantenhaus eingebrachten "Iraq Cultural Heritage Protection Act", der anders als der schwächere, von Sen. Charles Grassley im US-Senat eingebrachte "Emergency Protection for Iraqi Cultural Antiquities Act of 2003", einen wirkungsvolleren Schutz versprach. Aus politisch-strategischen Gründen wurden schließlich beide Initiativen fallen gelassen und stattdessen ein mit beiden Häusern des Kongresses akkordierter "Emergency Protection for Iraqi Cultural Antiquities Act of 2004" verabschiedet, an dessen Zustandekommen das AIA ebenfalls maßgeblich beteiligt gewesen ist. Dieses Gesetz gab dem US-Präsidenten nun die Möglichkeit, Verfügungen zu erlassen, die den Handel mit mesopotamischer Kunst unterbinden, die seit August 1990 aus dem Irak illegal exportiert worden war. Zwar musste erst der Widerstand von Kunstsammlern und Händler gebrochen werden, doch war der Erfolg diesmal auf Seiten der Wissenschaft.

The 2003- Iraq War & Archaeology-Project

Altorientalisten und andere Wissenschaftler haben bisweilen große Unterstützung für ihre Vorhaben durch die amerikanische Öffentlichkeit erfahren, besondern im Jahr 2003. Ich selbst habe bereits im April 2003 mit einer Internetseite begonnen: "The 2003- Iraq War & Archaeology", die heute am Server der Universität Wien liegt. Die englischsprachige Seite bietet ausgewogene, reiche und erschöpfende Informationen und Dokumentationen für Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und die interessierte Öffentlichkeit. Der Hauptteil besteht in einer Sammlung von Rezensionen bzw. Zusammenfassungen von Internetartikeln (in Englisch, Französisch, Deutsch, Niederländisch, Italienisch etc.) und anderen Informationen, gelegentlich durch Anmerkungen ergänzt.
Seit zwei Jahren habe ich nun diese Seite beinahe täglich aktualisiert und alle Artikel archiviert. Angesichts der Verwirrung um die Plünderung des irakischen Nationalmuseums habe ich eine Rubrik "educated guess of the losses" eingeführt. Diese basiert auf allen verfügbaren, zum Teil widersprüchlichen und sich konstant ändernden Informationen, die veröffentlicht oder mir privat zugänglich gemacht wurden. Später fügte ich auch eine Liste der bestätigten Plünderungen archäologischer Stätten hinzu; derzeit halten wir bei mindestens 37 dokumentierten geplünderten oder beschädigten Stätten, manche davon völlig zerstört und für die Forschung verloren. Die wirkliche Zahl der von Plünderung betroffenen Stätten liegt weit höher, geht in die Hunderte. Diese Angaben wurden rasch zur Referenz für viele Journalisten. Ich habe auch zahlreiche Interviews gegeben und ungezählte Male Anfragen von Journalisten beantwortet.
Meine Internet-Plattform blieb während all der Zeit seit Beginn der Krise bis heute online und wuchs täglich. Die Seite wird ausschließlich von mir selbst gewartet, das Projekt blieb bis zuletzt ohne die Basis einer akademischen Heimat-Institution und ohne gesicherte finanzielle Unterstützung - eine reine Privatinitiative. Die Seite lag auf dem Server der University of Missouri in Kansas City, die den Webspace ohne Entgelt zur Verfügung stellte.

Knebelung der Wissenschaft in den USA: das Projekt geht offline

Mitte April 2005 wurde meine Seite ohne Warnung vom Netz genommen. Nach mehreren Rückfragen stellte sich heraus, dass die University of Missouri von einem Rechtsanwalt, der einen New Yorker Antikenhändler vertritt, mit Klage bedroht worden war. Dieser behauptete, dass ich seinen Klienten durch das Posten/Zitieren eines dessen Ruf schädigenden Artikels einer niederländischen Internetseite in meiner Internet-Plattform diffamieren würde. Der besagte Artikel enthält tatsächlich die Anschuldigung, dass der New Yorker Antikenhändler ein im Irak gestohlenes, neu-assyrisches Relief in die USA geschmuggelt habe.
Wie die Benützer meiner Plattform wissen, besteht der Hauptteil meiner Seite aus einer großen Sammlung von Artikeln aus online verfügbaren Publikationen zum Thema. Ich exzerpiere Passagen; Zitate sind deutlich durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Ich versuche, ein einigermaßen komplettes und vor allem ausgewogenes Bild der Situation im Irak zu bieten. Das bedeutet aber auch, dass ich zeitweise Artikel zitieren muss, die einander inhaltlich widersprechen, auch solche, die den Gegenstand manchmal nachweisbar ungenau oder fehlerhaft beschreiben. Wo ich es kann, versehe ich diese Artikel mit Anmerkungen bzw. Korrekturen. Darüber hinaus verweist jede meiner Internetseiten selbstverständlich auf den Vorbehalt, dass der Inhalt der hier platzierten/zitierten Artikel nicht meiner Meinung entsprechen muss. Dieses Vorgehen entspricht international üblichen Kriterien.
Der Anwalt des New Yorker Antikenhändlers bestand jedoch darauf, dass auch das bloße Zitieren des besagten Artikels eine Diffamierung seines Klienten darstelle und drohte weiterhin mit Klage, falls der Artikel in meinen Archiven online verfügbar bleibe. Die University of Missouri zog es vor, aus diesem Anlass gleich meine gesamte Seite aus dem Netz zu nehmen, um weiteren Problemen dieser Art vorzubeugen. Auch ist mein Fall nicht der einzige dieser Art: bereits in mehreren Fällen haben in den USA Antikenhändler und Kunstsammler, die in der Szene wohlbekannt sind, durch rechtliche Schritte akademische Institutionen oder einzelnen Wissenschaftler dazu gezwungen, ihnen unangenehme Informationen zurückzuziehen bzw. aus dem Netz zu nehmen. Juristisch gesehen könnte es problematisch sein, ob mir (in den USA) in meinem konkreten Fall das Recht zugesprochen würde, Berichte auf meiner Internetseite einfach zu zitieren, wenn der Inhalt dem einen Händler oder dem anderen Sammler in den USA unangenehm ist. Das heutige Internet ist in juristischer Hinsicht weitgehend Terra Incognita. Wie auch immer, wahrscheinlich würde dieser Personenkreis ohnehin nicht davor zurückschrecken, mich zu verklagen. Sie könnten sich dabei - im Unterschied zu mir - auf unendliche Finanzressourcen und einflussreiche Lobbys stützen. Auch müsste ich meine ganze Zeit und Energie für meine Verteidigung verschwenden, anstatt mich meinen so notwendigen Arbeiten widmen zu können.

Freiheit der Wissenschaft in Österreich: das Projekt geht wieder online

Ich bin nun in der glücklichen Lage, eine freundliche Einladung des Instituts für Orientalistik der Universität Wien annehmen zu dürfen, meine Plattform als Kooperationsprojekt in Wien weiterzuführen. Seit Anfang Mai ist die Plattform wieder online: http://iwa.univie.ac.at. Es ist einerseits bedauerlich, dass innerhalb der USA eine ausgewogene Berichterstattung zum Thema der Plünderung des kulturellen Erbes des Irak durch juristische Winkelzüge potenter Lobbyisten zumindest erschwert wird und dass sich akademische Institutionen vor Sammlern und Händlern, deren Geschäfte in einem fragwürdigen Licht erscheinen, immer wieder zurückziehen müssen. Andererseits freue ich mich, meine Plattform nun jenseits der zermürbenden Kämpfe der US-Kunst- und Antiken-Lobby wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen zu können.

Weiterführende Literatur:
M. Bogdanos, The Casualties of War: The Truth about the Iraq Museum, AJA 109, 2005,
http://www.ajaonline.org/issues/pdfs/AJA1093_bogdanos.pdf
F. T. Schipper, The Protection and Preservation of Iraq's Archaeological Heritage from Spring 1991 to Spring 2003, AJA 109, 2005,
http://www.ajaonline.org/archive/109.2/pdfs/AJA1092_Schipper.pdf

© Francis Deblauwe
unter Mitarbeit von Friedrich Schipper
e-mail: fdeblauwe@yahoo.com

This article should be cited like this: F. Deblauwe, Operation Iraqi Freedom und danach: Das archäologische Erbe des Irak und der Kampf der Wissenschaft gegen die internationale Kunsthandel-Lobby, Forum Archaeologiae 36/IX/2005 (http://farch.net).



HOME