Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 36 / IX / 2005

ÄGYPTEN - GRIECHENLAND - ROM
Abwehr und Berührung

Wie der Untertitel verrät, geht es in dieser hochkarätigen Ausstellung nicht einfach um eine vergleichende Abfolge oder Gegenüberstellung von Kunstwerken der drei antiken Hochkulturen. Der neuartige und anspruchsvolle Ansatz beruht vielmehr auf der Frage nach ihrem Zusammenspiel, nach interkulturellen Kontakten und deren Auswirkung auf das jeweils eigene Kunstschaffen, ein Gebiet also, in dem sich das Verhältnis der Völker untereinander augenfällig widerspiegelt.
Die Begegnung von Kulturen findet zu allen Zeiten im Spannungsfeld zwischen "Eigenem" und "Fremdem" statt. Sie reichte daher schon in der antiken Mittelmeerwelt von Krieg, Ausgrenzung, Fremdenhaß und Beharrung auf den eigenen, als höherwertig eingestuften Positionen bis zu dem Gegenpol, der sich mit Begriffen wie Integration, Assimilierung, Faszination und Anziehungskraft des Exotischen umreißen läßt.
Fremdländische Gegenstände wie Gefäße und Geräte, Schmuck und Amulette, aber auch Kunstwerke in Malerei und Skulptur, ja sogar Architekturelemente wirkten mit ihrer neuen, ungewohnten Bild- und Formensprache anregend und forderten wechselseitig zu Nachahmung und Aneignung heraus (Abb. 1).
Grundsätzlich ist dabei mit erheblichen gewollten und ungewollten Veränderungen zu rechnen. Entweder absichtlich oder irrtümlich aufgrund mißverstandener Bildinhalte gerieten Motive aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang, konnten beliebig abgewandelt und in anderer Bedeutung neu komponiert werden. Zuweilen führte das eigene Überlegenheitsgefühl dazu, die übernommenen Merkmale und Besonderheiten durch eine Hinwendung ins Humoristische oder Groteske lächerlich zu machen und damit zugleich ihre fremden Urheber abzuwerten.

Inwieweit bei dem durch ausländische Gesandte mit Geschenken oder Tributen, bei Warenaustausch reisender Kaufleute oder als Kriegsbeute erfolgten Kulturtransfer auch Inhalte wie Schrift und Sprache, religiöse und soziale Vorstellungen, Bestattungsbräuche, handwerkliche Fertigkeiten oder Kenntnisse in Literatur, Mythologie und Wissenschaft übermittelt wurden, schlägt sich in den einzelnen Epochen und Regionen ganz unterschiedlich nieder.
Seit der Reichseinigung um 3000 v.Chr. galten fremde Völker in Ägypten als Vertreter feindlicher Mächte, da sie außerhalb der durch die geographischen Besonderheiten des Niltals geprägten Landesgrenzen siedelten und latent die politische Ordnung bedrohten. Zudem waren sie Teil des allgemeinen Chaos, das permanent von Ägypten ferngehalten und abgewehrt werden mußte. Im Bildmotiv des mit Keule oder Schwert weit ausholenden Pharao, der ein Bündel besiegter, ethnisch genau definierter Feinde am Schopf gepackt hält oder sie als Sphinx unter seine Pranken tritt, zieht sich diese staatstragende Idee durch die gesamte ägyptische Geschichte. In der griechischen Ödipussage mit der thebanischen Sphinx als einem nunmehr weiblichen, menschenverschlingenden Monsterwesen wirkte diese Vorstellung lange nach, allerdings ohne den einstigen politisch-ideologischen Hintergrund. Die Griechen haben das "Erschlagen der Feinde" sogar unmittelbar in ihren mythologischen Kontext eingefügt und den Spieß dabei karikierend umgedreht: In der Busiris-Sage erscheint Herakles in der Pose eines Pharao als Bezwinger des grausamen ägyptischen Königs und seiner hell- und dunkelhäutigen Gefolgsleute (Abb. 2).

Während der Ptolemäerzeit findet sich das Motiv bei Tonstatuetten des über einen hilflos am Boden liegenden Feind hinwegsetzenden, griechisch gewandeten "Makedonenreiters"; zwar zeitgemäß umgeformt, inhaltlich jedoch ganz ägyptischer Tradition verpflichtet.
Bei Herodot, dem Vater der Geschichtsschreibung und frühen Ägyptenreisenden liest man ebenso wie in der biblischen Josephsgeschichte, daß die Ägypter sich nicht mit Fremden zu Tisch setzen und daß sie sich auch sonst in ihren Sitten und Gebräuchen von anderen Völkern fernhalten und abgrenzen.
Trotz dieser ideologisch begründeten, fremdenfeindlichen Grundhaltung führten die regen Handelsbeziehungen mit der Ägäis ab der Mitte des 2. Jahrtausends verstärkt zum Import kretischer und mykenischer Tongefäße, die sich in ägyptischen Gräbern als kostbare exotische Beigaben gefunden haben und in einheimischer Fayence imitiert wurden. Auf Waffenimporte aus dem ägäischen und syrisch-palästinischen Raum war Ägypten regelrecht angewiesen. Neben den ausgedehnten militärischen Konflikten mit Kleinasien und dem vorderen Orient kam es aber durchaus zu diplomatischen Beziehungen, politisch motivierten Heiraten zwischen den Herrscherhäusern und zu logistischer Hilfe wie der Entsendung von Ärzten ins Hethiterreich. Umgekehrt nahm die ägäische und vorderasiatische Welt zahlreiche ägyptische Anregungen in ihr Formen- und Bildnisrepertoire auf. Im Unterschied zu den nachfolgenden Epochen verkehrten die Mittelmeerkulturen in dieser Zeit sozusagen auf Augenhöhe, wobei das Pharaonenreich - vor allem aus seiner isolierten Lage und seiner bewußten ideologischen Abgrenzung heraus - stärker ausstrahlte, als es fremde Anregungen aufnahm.

Während der Entstehungszeit von Hellas und Rom im ersten Jahrtausend v.Chr. hatte Ägypten bereits 2000 Jahre Hochkultur mit drei großen Blütezeiten (Altes, Mittleres und Neues Reich) durchlaufen. Ägypten wirkte daher auf vielen Gebieten prägend und galt als richtungweisende Autorität.
In Griechenland wie später im römischen Imperium war man seit jeher von dem uralten Land am Nil mit seiner beeindruckenden Steinarchitektur (Pyramiden, Tempel, Obelisken) und Bildniskunst (Kolossalplastik, Relief und Malerei) fasziniert. Hinzu kam die Götterwelt mit ihren vielen fremdartigen Tiergottheiten, der hohe Stand der Wissenschaften (Astronomie, Kalender) und die geheimnisvolle Hieroglyphenschrift, deren Erfindung Platon auf den Gott Thot-Hermes zurückführte. Der Odysee zufolge verfügte jeder Ägypter als kundiger Arzt über bewundernswertes Wissen. Ägypten galt als "Mutterland der Weisheit".
Ab dem 7. Jh. v.Chr. nahmen die Kontakte zwischen Ägypten und Griechenland stetig zu, was durch Militärstützpunkte für ionische und karische Söldner und nachfolgende Handelsniederlassungen vor allem im Nildelta mit griechischstämmigen Siedlern begünstigt wurde (Naukratis). Manche brachten menschen- oder tiergestaltige Götterbronzen mit zurück, um sie in archaische Heiligtümer wie den Tempel der Göttin Hera auf Samos zu weihen - mehr als nur apartes Reisesouvenir, das dennoch den Stolz seines Besitzers auf einen kostbaren exotischen Gegenstand verrät. Die enorme Vergrößerung dieses samischen Tempels und der Wechsel von Holz- zu Steinarchitektur scheint ohne ägyptischen Einfluß kaum denkbar; dafür spricht auch die Verwendung der ägyptischen Königselle als Grundmaß.
Als das vielleicht bedeutendste Kulturgut Ägyptens kamen die bequem zu transportierenden Papyrusrollen in den Mittelmeerraum. Allen anderen Schreibstoffen überlegen, eroberte Papyrus als wichtigster Schrift- und Bildträger die antike Welt und trug so wesentlich zum interkulturellen Austausch bei.
Die Anlehnung an ägyptische Großplastik ist bei dem um 630 v.Chr. aufkommenden Statuentyp eines in idealer Nacktheit abgebildeten Jünglings (Kuros) hinsichtlich Haltung und Schrittstand literarisch überliefert und kunsthistorisch nachgewiesen (Abb. 3). Allerdings haben die griechischen Bildhauer die wohl aus eigener Anschauung erwachsenen Anregungen mit dem ihnen verfügbaren Marmor in eine Bewegtheit und Lebendigkeit des Menschenbildes umgeformt, die ein völlig anderes Kunstwollen zum Ausdruck bringt.
Überhaupt bewiesen die Griechen auf vielen Gebieten die Fähigkeit, bedeutende Impulse aus den weit älteren orientalischen Zivilisationen aufzugreifen, sich anzueignen und mit der ihnen gemäßen schöpferischen Kraft in etwas Neues und Eigenständiges zu transformieren.
Für den Kulturtransfer im gesamten Mittelmeerraum sorgten vor allem die als Kaufleute und Seefahrer weit herum kommenden Phönizier, die von ihrer Heimat, dem syrisch-palästinischen Küstenstreifen, Waren aus dem vorderen Orient bis an den Atlantik brachten. So gelangten neben leicht beweglichen Gefäßen und Transportbehältern, Schmuck und Skarabäen viele, bereits im Schmelztiegel der orientalischen Kulturen abgewandelte ägyptische Bildmotive wie Sphinx oder Greif und sogar Kunstgattungen nach Zypern, Griechenland, Sizilien, Sardinien und zu den Etruskern; ebenso auf die Balearen, nach Nordafrika und die iberische Halbinsel, um dort erneut variiert und - den eigenen Vorstellungen angepaßt - nachgebildet zu werden. Die zahlreichen Fundorte der Exponate spiegeln diese weiträumige Verbreitung von Originalen mit ihren jeweiligen lokalen Nachahmungen wider (Abb. 4).
Eine herausragende Besonderheit stellen die anthropoiden phönizischen Sarkophage dar, die auf einige, von Mitgliedern des Königshauses in Sidon wiederverwendete, monumentale ägyptische Steinsarkophage zurückgehen. Während diese aus Marmor oder Ton gearbeiteten Särge formal in ihrer ungegliederten Mumiengestalt mit rundplastisch ausgearbeitetem Kopfteil dem traditionellen ägyptischen Sargtypus verpflichtet sind, folgen sie stilistisch griechischen Werken. Auffallend ist die Vielfalt an unterschiedlich gelockten Haar- und Barttrachten bei Männersärgen und erst recht bei der Frisurenmode von Frauensarkophagen, welche im 5. u. 4. Jh. an der syrisch-palästinischen Küste, auf Zypern, Malta, Sizilien und in Südwestspanien in Gebrauch waren.
Auf dem Gebiet von Religion und Mythologie fand ein besonders reger interkultureller Austausch statt, was vor allem mit der Toleranz polytheistischer Glaubenssysteme zu erklären ist, die in fremden Gottheiten unbefangen die eigenen Götter wieder erkennen können.
Nach Herodot leiten sich die Namen fast aller griechischen Götter von den Ägyptern her; spricht er von ägyptischen Göttern, verwendet er die offenbar auch von den Priestern der Zeit um 450 v.Chr. gebrauchten Namensformen: z.B. Athena für Neith, Hephaistos für Ptah, Hermes für Thot, Apollon für Horus und viele andere. Auch in Funktion und Wesen entsprechen die einzelnen Ressortgötter einander und können problemlos miteinander verschmelzen: so etwa Osiris als Gott der Unterwelt und der Vegetation mit Dionysos, dem Gott des Weines und zugleich Mysteriengott, der das Glück der Verstorbenen im Jenseits gewährleisten sollte. Isis-Hathor verbindet sich als Göttin der Liebe und Schönheit mit Aphrodite und Hera ebenso wie mit der phönizischen Astarte. Immerhin unterliegt bei diesen Göttergleichsetzungen die Ikonographie mit Rücksicht auf die vertrauten Erscheinungsbilder vielfachen Wandlungen; so paßte man beispielsweise Kleidung und Attribute dem jeweiligen einheimischen Göttinnentypus an (Abb. 5).
Dementsprechend kann etwa Isis als Aphrodite oder Astarte nackt oder in faltenreichen Gewändern auftreten. Die traditionelle ägyptische Geierhaube der Isis, ein Vogelbalg als Kopfschmuck von Königinnen und Göttinnen, wandelte sich zuweilen in eine Taubenhaube, da dieser Vogel der Aphrodite wie der Astarte heilig war. Im Gegenzug übernahmen die griechischen und vorderasiatischen Göttinnen die typische Kompositkrone der Isis-Hathor: ein Kuhgehörn mit Sonnenscheibe und Doppelfedern.

Inwieweit der zwergengestaltige, fratzenhafte Dämonengott Bes als ikonographisches und wesensmäßiges Vorbild für Silene und Satyrn diente, steht weiter zur Diskussion und läßt sich an etlichen Beispielen der Kleinkunst wie z.B. den ostgriechischen Dickbauchdämonen überprüfen (Abb. 6).
Großer Beliebtheit erfreute sich der mit Eros geglichene Kindgott Harpokrates. Als Sohn des Götterpaares Isis und Osiris und zukünftiger Herrscher trägt er Götter- und Königskronen und wird mit den verschiedensten Symbolen für Nahrung und Fruchtbarkeit abgebildet.
Häufig erscheint Harpokrates als Säugling auf dem Schoß seiner Mutter Isis, ein Bildmotiv, das in seiner Schutzfunktion für eine glückliche Niederkunft den religiösen Bedürfnissen von Frauen kultur- und religionsübergreifend immer nahestand und so später auch ins Christentum einging (Maria lactans).
Besonders reizvoll dürfte es für die Besucher sein, bei den diversen Bronzefiguren und Terrakotten die charakteristischen Götterattribute aufzuspüren und ihre jeweils spezifischen, räumlich wie zeitlich differenzierten Darstellungsweisen - ägyptisch, hellenistisch, römisch - miteinander zu vergleichen.

Die Statue Alexanders des Großen aus Rosengranit, deren Ankauf durch das Liebieghaus im Sommer 2000 den eigentlichen Anlaß für diese Ausstellung bot, zeigt den erfolgreichen makedonischen Feldherrn und Gründer Alexandrias in Haltung und Tracht eines ägyptischen Pharao mit Schurz und Königskopftuch. Stilistische Gründe beweisen, daß hier ein griechischer Künstler am Werk war, der die von der griechischen Klassik entwickelten Gesetzmäßigkeiten mit dem traditionellen ägyptischen Bildnisschema zu vereinen suchte.
Die nach klassischer Körperauffassung darzustellende, organische Bewegtheit der Statue veranlaßte ihn zur Wiedergabe von Körperdrehungen und führte so zu deutlichen Assymetrien. Damit überschritt der Bildhauer zwangsläufig die Grenzen des im Rahmen des ägyptischen Statuenaufbaus Machbaren, der eine streng frontale Ausrichtung bei Einbindung in ein rechtwinkliges Achsensystem verlangt.
Dem gegenüber steht eine ganze Reihe meisterhafter Alexanderporträts, die ihn als Heros und Halbgott in spätklassischer, hellenistischer und römischer Darstellungsweise abbilden. Zusammen mit verschiedenen Skulpturen von Ptolemäerkönigen in teils ägyptischer, teils griechischer Bildniswiedergabe bietet sich so exemplarisch ein Überblick über die Porträtkunst der letzten Jahrhunderte vor der Zeitenwende und darüber hinaus.
Der Makedonenherrscher Alexander kam zwar selbst im Jahre 332 v.Chr. als Fremder nach Ägypten, wurde aber als Befreier von der persischen Fremdherrschaft begrüßt und durch göttliches Orakel zum Sohn von Zeus-Ammon erklärt, was ihn für die Nachfolge auf dem Pharaonenthron legitimierte. Die nach ihm regierende, griechischstämmige Ptolemäerdynastie übernahm ebenfalls ägyptische Insignien wie Schurztracht, Kronen oder Königskopftuch mit Uräusschlange. Neben ihrer gewohnten griechischen Bildnistradition ließen sich die Herrscher im Hinblick auf ihre ägyptischen Untertanen beim Kultvollzug in den Tempeln wie ein Pharao darstellen.
Darüberhinaus reihten sie sich in die griechisch-ägyptische Götterwelt mit ein und führten ihre Abkunft über den vergöttlichten Alexander, den Zeus-Sohn Herakles und mütterlicherseits Dionysos auf Zeus-Ammon zurück. Sie tragen daher Attribute wie dessen Blitzbündel und Widderhörner, den Strahlenkranz des Sonnengottes Helios, den Efeukranz des Dionysos oder die Keule des Herakles. Die ptolemäischen Königinnen zeigen sich außer in hellenistischer Gewandung auch in ägyptischer Tracht und mit Lockenfrisur, Kopfschmuck und Krone als Isis-Hathor-Aphrodite. Aufgrund der ikonographischen Angleichung können unbeschriftete Frauenstatuen dieser Epoche manchmal nicht sicher als Bildnis der Göttin oder einer Ptolemäerin bestimmt werden.
Bei ihrem Herrscherkult konnten die Ptolemäer zwar an die ägyptische Tradition der Gottessohnschaft anknüpfen, der dynastische Ahnenkult unter Einschluß weiblicher Mitglieder des Königshauses geht aber auf hellenistisch-griechischen Hintergrund zurück.
In den Darstellungen wirkte sich die Doppelfunktion der Ptolemäer als höchster Priester einerseits und als vergöttlichter Ahne andererseits dahingehend aus, daß ein und dieselbe Person sowohl aktiv beim Kultvollzug wie auch passiv als Kultempfänger auftreten kann.

Bei aller wechselseitigen Durchdringung der Götterwelt widersprach der ägyptische Tierkult mit seinen tiergestaltigen Gottheiten und den vielen, als absonderlich empfundenen Mischwesen letztlich doch griechischer Religionsauffassung. Ptolemaios I. schuf daher aus dem stiergestaltigen Apis in seiner Erscheinungsform als verstorbener und vergöttlichter "Osiris-Apis" einen neuen Gott mit Namen Serapis.
Das Kultbild dieses Gottes in der Metropole Alexandria erhielt das Aussehen einer gelockten und bärtigen griechischen Vatergottheit in lang wallendem Gewand und mit einem Korb für Feldfrüchte als Fruchtbarkeitssymbol auf dem Haupt. Isis erschien über ihre Verbindung mit der für Ernte und Landwirtschaft zuständigen Demeter als passendes Pendant und stieg darüberhinaus als leidgeprüfte Gattin des ermordeten Osiris, Muttergöttin par excellence und über die Verschmelzung mit weiteren weiblichen Gottheiten zur Universalgöttin auf. Zusammen mit ihrem Kultgenossen Serapis erlangte sie in Griechenland und noch stärker im kaiserzeitlichen Rom eminente Bedeutung.

Kleopatra VII. ist als letzte Ptolemäerkönigin über ihre Beziehungen zu Rom und zu zwei der bedeutendsten Römer ihrer Zeit in die Weltgeschichte eingegangen - der ausdrucksstarke Berliner Porträtkopf Cäsars aus oberägyptischem Grünschiefer gibt davon Zeugnis. Die Büste vereinigt Züge der griechisch-römischen und der spätägyptischen Porträtkunst (Abb. 7).
Mit der militärischen Niederlage Kleopatras und ihres Geliebten Mark Anton und der nachfolgenden Eroberung Alexandrias durch Oktavian - den späteren Kaiser Augustus - fiel Ägypten 30 v.Chr. unter römische Herrschaft. Die durch kulturelles Neben- und Miteinander bestimmte, gräko-ägyptische Mischkultur blieb auch im römerzeitlichen Ägypten erhalten: Römische Kaiser ließen sich weiterhin in den von ihnen erbauten oder vergrößerten Tempeln als Pharaonen darstellen und die Götterbilder folgten der allgemeinen Stilentwicklung (Abb. 8).

Ein Bereich beweist besonders nachdrücklich die Offenheit der Zuwanderer gegenüber ägyptischen Religionsvorstellungen und dokumentiert auf breiter Basis die Tendenz, eigene und fremde Kultur miteinander zu verbinden: Totenbrauchtum und Bestattungswesen.
Obwohl die in Ägypten ansässigen Griechen zunächst die heimische Brandbestattung bevorzugten, erschienen ihnen die ägyptischen Jenseitsvorstellungen mit ihrer Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod bald attraktiver als die eigenen vom Schattenreich des Hades. Gegen Ende des Hellenismus praktizierten alle besser gestellten Bevölkerungsschichten die Mumifizierung als vorherrschende Bestattungsform; die Ausstattung von Mumien mit Kopfmasken aus Kartonage steht dabei ganz in ägyptischer Tradition.
Erst mit der Einnahme Ägyptens durch die Römer kam es in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende zu entscheidenden Neuerungen, die über die Kaiserzeit hin bis zum Ende des 4. Jh. n.Chr. bestimmend blieben: Mumienporträts und Stuckmasken. Vor allem in der Oase Fayum wickelte man auf dünne Holztafeln gemalte, lebensnahe Porträts über der Gesichtspartie so in die Mumienbinden mit ein, daß die Verstorbenen wie aus einem Fenster herausschauen. Parallel dazu fertigte man in Mittel- und Oberägypten rundplastisch ausgearbeitete, farbig bemalte Stuckmasken, die sich genau wie die Porträts an der stadtrömischen Kleider- und Frisurenmode orientierten. Großformatige, bemalte Leichentücher mit einem Abbild des Verstorbenen - manchmal in Begleitung von Totengöttern - zeigen in besonderer Weise das Nebeneinander ägyptischer und römischer Darstellungsweise.

In ihrer Hauptstadt pflegten die römischen Kaiser schon seit Augustus ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Ägypten. Einerseits schaffte man repräsentative Monumente wie vor allem Obelisken nach Rom, um sie als triumphale Machtzeichen in das Stadtbild zu integrieren; ein etwa mannshoher Obelisk und Verkleidungsplatten des Obelisken von der Tiberinsel vertreten dieses Leitmotiv ägyptischer Architektur in der Ausstellung.
Ägyptisierende Wanddekorationen und Bodenmosaiken mit üppigen Nillandschaften schmückten luxuriöse Villen und öffentliche Gebäude und verraten die Sehnsucht der römischen Oberschicht nach dem fernen, Glückseligkeit verheißenden Traumland Ägypten. Fremdartige Menschen wie die kleinwüchsigen, negroiden "Pygmäen", exotische Pflanzen wie Lotos und Papyrus, heilige Tiere wie der Ibis sowie die Furcht einflößenden Nilpferde und Krokodile bilden quasi die Kulisse für Bootsfahrten und religiöse Zeremonien in immerwährender, ausgelassener Festtagsfreude.
Andererseits versuchten manche Herrscher, der sprunghaften Ausbreitung orientalischer Kulte im gesamten römischen Imperium wie der überaus beliebten Isis- und Serapisreligion mit zeitweiligen Verboten Herr zu werden. Vergeblich; ihre bedeutenden Heiligtümer in Rom, Pompeji und andernorts haben uns eine Fülle aus Ägypten verschleppter Götter- und Priesterstatuen, außerdem Tierskulpuren wie Löwen, Sphingen, Paviane und Krokodile zusammen mit einheimischen, ägyptisierenden Nachbildungen bewahrt. Daneben sind Kultgeräte wie vor allem das als Musikinstrument gebrauchte Sistrum, diverse Behälter für heiliges Wasser und Schöpfkellen erhalten geblieben.
Farbige Fresken aus Pompeji und Herkulaneum schildern das Kultgeschehen der in den Tempeln begangenen Mysterien wie das Suchen und Finden des sich im heiligen Nilwasser manifestierenden Gottes Osiris mit seiner Fruchtbarkeits- und Wiederauferstehungssymbolik (Kanopus).
Kaiser Hadrian hat für seinen jugendlichen Freund Antinous, der auf einer gemeinsamen Nilreise 130 n.Chr. im Fluß ertrank und so als Osiris-Antinous in den Kreis der Götter aufstieg, am Ort des tragischen Ereignisses eine Grabstätte eingerichtet und die nach ihm benannte Stadt gegründet. Zudem ließ er in vielen Provinzen und in seiner Villa bei Tivoli Statuen des vergöttlichten Jünglings aufstellen. Die Skulpturen greifen auf Vorbilder der klassisch-griechischen Plastik zurück und zeigen Antinous in idealer Nacktheit mit üppiger Lockenpracht und häufig an Götter wie Hermes oder Dionysos angeglichen. Daneben findet sich ein äygptisierender Statuentyp, der den Jüngling mit plissiertem Schurz, Königskopftuch und manchmal der Uräusschlange über der Stirn abbildet. Das Nebeneinander des vergöttlichten Kaiserlieblings als Dionysos - dem hellenisierten Osiris - und in traditioneller ägyptischer Bildniswiedergabe beweist noch einmal, wie bei aller wechselseitigen Durchdringung und Befruchtung der Kulturen mit fremden Vorstellungen und anderen künstlerischen Ausdrucksformen das Eigene stets seine Gültigkeit behielt.

Wie vielfältig sich die wechselseitigen Kontakte im künstlerischen und kunsthandwerklichen Bereich über einen Zeitraum von über 1800 Jahren gestaltet haben, soll anhand von ca. 400 exquisiten Exponaten verdeutlicht werden: Sie reichen von herausragenden Herrscherbildnissen und kostbarem Schmuck über prächtige Götterstatuen und -statuetten aus Stein und Bronze, ägyptische und phönizische Sarkophage, Grabbeigaben, Mumienmasken und glücksbringende Amulette aller Art, feinste Glaswaren, erlesene dekorierte Keramik und pompejianische Wandfresken bis hin zu verspielten Terrakottafiguren als lebhaften Zeugnissen der Volksreligion. Achtzig Museen und Sammlungen weltweit tragen mit ausgesuchten Leihgaben zu dieser ungewöhnlichen und sehenswerten Ausstellung bei, die auch als Beitrag für die aktuelle Begegnung mit Menschen fremdländischer Kulturen und als Anregung für ein Nachdenken über die eigene Identität und Standortfindung verstanden werden will.

Literaturauswahl
P.C. Bol, G. Kaminski, C. Maderna (Hrsg.), Fremdheit - Eigenheit. Ägypten, Griechenland und Rom: Austausch und Verständnis, Städel-Jahrbuch, Neue Folge Bd. 19, 2004.
Wolfgang Helck, Die Ägypter und die Fremden, in: Saeculum 15, 1964, 103-114.
Manfred Bietak (Hrsg.), Ägypten und seine Nachbarn, Wien 1996.
Günter Vittmann, Ägypten und die Fremden im ersten vorchristlichen Jahrtausend, Mainz 2003.
Walter Burkert, Die Griechen und der Orient, München 2003.
Jan Assmann, Weisheit und Mysterium. Das Bild der Griechen von Ägypten, München 2000.
Manfred Bietak (Hrsg.), Archaische Griechische Tempel und Altägypten, Wien 2001.
U. Höckmann - D. Kreikenbom (Hrsg.), Naukratis. Die Beziehungen zu Ostgriechenland, Ägypten und Zypern in archaischer Zeit, Möhnesee 2001.
Simone Frede et al., Die Phönizischen Anthropoiden Sarkophage, Teil 1 (Mainz 2000) und 2 (2002).
Günther Hölbl, Ägyptisches Kulturgut im phönikischen und punischen Sardinien, Leiden 1986.
Günther Hölbl, Ägyptisches Kulturgut auf Malta und Gozo, Wien 1989.
Heinz Heinen, Geschichte des Hellenismus, München 2003.
Günter Grimm, Alexandria, Mainz 1998.
Michael Pfrommer, Alexandria, Mainz 1999.
Heinz Felber - Susanne Pfisterer-Haas (Hrsg.), Ägypter - Griechen - Römer. Begegnung der Kulturen, Kanobos. Forschungen zum griechisch-römischen Ägypten I, 1999.
Barbara Borg, Der zierlichste Anblick der Welt. Ägyptische Porträtmumien, Mainz 1998.
Katja Lembke - Cäcilie Fluck - Günter Vittmann, Ägyptens späte Blüte, Mainz 2004.

Ausstellung des Liebieghauses im Städelmuseum
26. November 2005 - 26. Februar 2006
Dürerstr. 2 (Museumsufer)
60596 Frankfurt am Main
http://www.liebieghaus.de
http://www.staedelmuseum.de

Öffnungszeiten:
Dienstag, Freitag bis Sonntag 10.00 - 19.00 Uhr
Mittwoch, Donnerstag 10.00 - 21.00 Uhr
Montag geschlossen
Weihnachtsfeiertage 10.00 - 19.00 Uhr
Neujahr 11.00 - 19.00 Uhr
24. und 31.12.05 geschlossen

Eintrittspreise: 8,- Euro, ermäßigt 6,- Euro; Familienkarte 16,- Euro
Öffentliche Führungen: Dienstag, Samstag, Sonntag 15.00 Uhr; Mittwoch, Donnerstag 19.30 Uhr; Freitag 11.00 Uhr; Führungsgebühr 2,50 Euro

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog.

© Beatrix Gessler-Löhr
e-mail: beatrixgess@web.de

This article should be cited like this: B. Gessler-Löhr, Ägypten - Griechenland - Rom. Abwehr und Berührung, Forum Archaeologiae 36/IX/2005 (http://farch.net).



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