Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 36 / IX / 2005

DAS NYMPHÄUM VON APAMEA IN SYRIEN

Im Rahmen der belgischen Apamea-Grabung wurde zwischen 1978 und 1984 das Nymphäum im Stadtzentrum des antiken Apamea freigelegt. Bearbeitung und Publikation erfolgen in Zusammenarbeit von Archäologie und Bauforschung [1].
Der Bau liegt ca. 30 Meter nördlich der wichtigsten Straßenkreuzung der antiken Stadt (Abb. 1 Nr. 12) an der Ostseite der Großen Säulenstraße. Die prominente Lage an der Haupt-Verkehrsachse im Zentrum der Stadt, die für kaiserzeitliche Nymphäen im Osten generell charakteristisch ist, macht die zentrale Bedeutung klar, die diesen wasserspendenden Anlagen im urbanistischen Kontext zukommt.
Im Zuge der Freilegungsarbeiten wurden Teile einer opus-caementicium-Decke, über 100 Architekturteile und über 50 Skulpturenfragmente geborgen, die aufgrund ihrer Fundlage dem Nymphäum zuzuordnen sind, und die Hinweise auf Rekonstruktion und Datierung des Baus sowie seine Ausstattung liefern.
Der hufeisenförmige Bau (Abb. 2-4) öffnet sich zur Großen Säulenstraße hin und ist von einem Kranz von 10 Pfeilern umgeben. Zwischen diesen Pfeilern und der eigentlichen Nymphäumswand liegt ein ‚Bedienungsgang' mit Kanalsystemen aus Tonrohren für den Zu- und Ablauf von Wasser. Im südlichen ‚Bedienungsgang' befindet sich eine gepflasterte Rampe, die den Zugang zur östlich des Nymphäums gelegenen Latrine ermöglichte. Der Nymphäumswand ist ein kanalartiges Becken vorgelagert, das zum gepflasterten Hof hin durch eine steinerne Brüstung begrenzt ist. Die aufgehende Architektur des Nymphäums läßt sich aus dem in situ erhaltenen Baubefund und den zahlreich erhaltenen Baugliedern rekonstruieren. Außerdem geben Dübellöcher und Aufschnürungslinien Hinweise auf Architektur und Entwurfsschema des Baus.

Die Nymphäumswand
Von der Nymphäumswand ist nur die Sockelmauer im Norden und Osten (Brunnenhaus) erhalten. Der geradlinige Schenkel der Mauer ist von dem segmentförmig gebogenen Abschnitt durch einen Pilaster getrennt. Ein weiterer Pilaster befindet sich am Westkopf der Nymphäumsmauer. Diese Pilaster und ihre zu rekonstruierenden Pendants im Süden waren von korinthischen Kapitellen bekrönt und trugen Keilsteinbögen, auf denen die Dachkonstruktion auflag.
Auf dieser Sockelmauer aus grauem Kalkstein ist eine Wand mit einer zweigeschossigen verkröpften Ädikula-Architektur aus gelb-weiß geäderten Kalkstein zu rekonstruieren. Die untere Ordnung dieser Ädikula-Architektur war höher, die obere niedriger. Die Rekonstruktion wird durch den Befund der Skulpturen bestätigt (s. unten). Den oberen Abschluss der Ädikula-Architektur bilden Giebel, die von Eckhörnern eingefasst sind.
Das zentrale Brunnenhaus besteht aus zwei Risaliten, die zwischen sich eine zurückspringende rechteckige Nische bilden. Die Nische war mit einer monolithen Platte gedeckt, die auf dem Oberlager Wasserrinnen und an der Front Dübellöcher zur Befestigung von Wasserspeiern aufweist. Über diesem ‚Wasserfall' erhebt sich eine monumentale Ädikula mit Säulen auf Pflanzenbasen und mit vergoldeten korinthischen Kapitellen. Über den Säulen liegt ein Gebälk mit dorischem Trigylphon, das Reste roter und blauer Bemalung aufweist. Den krönenden Abschluß bildet ein monumentaler Giebel.

Brunnenbecken und Hof
An der Oberkante der Sockelmauer sind aufgrund von Dübel- bzw. Befestigungslöchern Wasserspeier zu rekonstruieren, insgesamt 12 für den ganzen Bau. Vor der Sockelmauer läuft das kanalartige Becken, das zum Hof hin mit eine Brüstung aus rosafarbenem Kalkstein abgegrenzt ist. Das Becken umschließt einen hufeisenförmigen Hof, der im Niveau von Osten nach Westen abfällt und der mit unterschiedlich farbigen Platten aus hellrotem, grau-grünem und gelb-schwarz geäderten Kalkstein gepflastert ist. Der Hof besitzt im Westen zwei Abflüsse, einen im Norden und einen im Süden.


Überdachung
Der in situ erhaltene Baubefund, die erhaltenen Fragmente von opus cementicium-Decken sowie die Analyse der erhaltenen Bauteile, insbesondere der Keilsteine dreier Bögen mit unterschiedlichem Radius erlauben folgende Rekonstruktion für die Überdachung des Baus:
1) Der östliche Bereich des Nymphäums (apsidialer Teil des Hofes und das Brunennhaus) war mit einer Halbkuppel aus opus-caementicium überdacht. Dieser Halbkuppel war ein Bogen (A) vorgeblendet, der auf dem östlichen Pilasterpaar des Nymphäums auflag.
2) Der westlich anschließende, quadratische Teil des Hofes war ebenfalls mit einer Tonne aus opus cementicium überwölbt. Diese lag höher als die Halbkuppel über dem Brunnenhaus und stieß im Osten an den genannten Keilsteinbogen (A) an, im Westen an einen zweiten Bogen (B) über dem westlichen Pilasterpaar des Nymphäums.
3) Der Schub der Tonnengewölbe wurde über die hinter der Nymphäumswand stehenden Pfeiler abgeleitet.
4) Die Porticus westlich des Nymphäums springt in die Säulenstraße vor und öffnete sich zu dieser mit einem dritten Bogen (C).

Wasserzufuhr und Kanalsysteme
Der Zufluss zum Becken erfolgte über den Wasservorhang (Wasserfall) über die Deckplatte der Nische im Brunnenhaus sowie zusätzlich über die genannten 12 Wasserspeier in der Nymphäumswand. Das Wasser konnte vom Hof aus geschöpft werden, wobei überschwappendes Wasser die Farbigkeit des Fußbodens gesteigert zur Geltung brachte. Reinigungs- und überfließendes Restwasser konnte über die Abflüsse im Boden an der Westseite des Hofes entsorgt werden.
Im ‚Bedienungsgang' zwischen der Nymphäumsmauer und den Pfeilern kamen insbesondere im Bereich des Brunnenhauses zahlreiche Tonrohrleitungen und Verteilerköpfe bzw. Leitungskniee aus Kalkstein zu Tage, die ein komplexes Leitungs- und Druckleitungssystem belegen. Die Leitungen fallen nach Süden bzw. Osten ab, was eine Entsorgung von Wasser zur Großen Säulenstraße hin bzw. in das Quartier südlich des Nymphäums nahe legt. Die Wasserzufuhr zum Nymphäum erfolgte wahrscheinlich über die massive Nordsüd-Mauer an der Rückseite des Baus.

Entwurf und Metrologie
Dem Entwurf der Anlage liegen klare Proportionen zugrunde: So entspricht der verdoppelte Radius der segmentförmigen Apsis der Tiefe des rechteckigen Hofes, die doppelte gesamte Tiefe der Apsis entspricht der Breite des Hofes. Die Breite des Baus (Nord-Süd) von Außenkante Sockelmauer bis Außenkante Sockelmauer ist gleich der Tiefe des Baus (Ost-West) von Stirn der Sockelmauer zur Rückseite des Brunnenhauses, und zwar jeweils 12,60 m. Daraus lässt sich ermitteln, dass dem Bau ein Modul von 28 cm zugrunde liegt. 12,60 m wären genau 45 Module zu 28 cm. Auch den einzelnen Plattenmaßen im Hof liegt ein Normmaß von 28 cm zugrunde.

Vergleiche und allgemeine Architekturtypologie
Architekturtypus, Kanalsysteme und die Figurenausstattung lassen zweifelsfrei erkennen, dass es sich um eine monumentale Brunnenanlage bzw. ein Nymphäum handelt. Während für die kaiserzeitlichen Nymphäen im Westen des römischen Reiches und Nordafrika, in Griechenland und Kleinasien zusammenfassende Untersuchungen vorliegen, sind die Nymphäen im syrisch-palestinensischen Raum bisher nicht zusammenhängend erfasst und untersucht. Für viele dieser Anlagen ist - wie in Apamea - die Vielfarbigkeit der verwendeten Baumaterialien bezeugt. Auch in Apamea muss die Farbigkeit der unterschiedlichen Baumaterialien einen besonderen Reiz ausgeübt haben. Auch zweigeschossige Architekturen mit Figurenausstattungen sind für einige der genannten Nymphäen im Vorderen Orient zu rekonstruieren, aber bisher nicht publiziert.
In Grund- und Aufriß des Nymphäums von Apamea sind Elemente verschiedener Typen monumentaler Brunnenanlagen kompiliert: Der Typus des rechteckigen Brunnenhauses mit Eckrisaliten mit dem Typus des Kreissegment- bzw. Sigmabrunnens (‚Exedra-Nymphäum'); dieser Typus ist verbunden mit dem Typus der ‚Kreissegment-Portikus'. Auf diesem hufeisenförmigen Grundriß ist dann die zweigeschoßige Ädikula-Architektur eines Fassadennymphäums errichtet.

Figurenausstattung
Im Bereich des Nymphäums wurden über 50 Skulpturenfragmente aus Marmor gefunden, die aufgrund ihrer Fundlage eindeutig der Ausstattung dieses Baues zuzuordnen sind. Das Material der Figuren belegt, dass es sich um Importe handelt. Alle Figuren sind, soweit erhalten, an der Rückseite nur oberflächlich ausgearbeitet, was ihre Aufstellung in einer Nischen- oder Wandarchitektur belegt. Einzelne Teile der Figuren, insbesondere Köpfe, Arme sowie andere Körper- und Gewandpartien, waren separat gearbeitet und angestückt. Einige Figuren weisen Reste roter, blauer oder grüner Bemalung auf. Im einzelnen können folgende Figuren identifiziert werden: Hygieia (Abb. 5), Asklepios, Athena, Herakles (Typus Farnese), eine der drei Grazien, zwei Früchte tragender Knaben, zwei gelagerte Figuren (eine Nymphe, eine Psyche [?], Abb. 6), Hermes (?), eine Muse (?), Fragmente weiterer weiblicher Gewandfiguren sowie zahlreiche Fragmente nicht eindeutig zu identifizierender Figuren. Insgesamt lassen die Figuren ein Statuenprogramm erschließen, wie es auch für andere kaiserzeitliche Nymphäen und verwandte öffentliche Bauten üblich war. Besonders ähnlich scheint das Figurenprogramm in Gortyn/Kreta und Byblos gewsen zu sein. Auch treten andernorts z. T. dieselben Gottheiten in derselben Typenkombination auf wie in Apamea, so etwa Asklepios und Hygieia im Gymnasium von Salamis.
Trotz qualitativer Unterschiede stehen sich die Figuren aus dem Nymphäum stilistisch nahe. Auch technische Details wie die Anstückung von Marmorteilen sind identisch. Dabei handelt es sich z. T. um Kopien nach berühmten klassischen und hellenistischen griechischen Werken. Insgesamt finden die Varianten einzelner Figurentypen, ihre Frisuren und die stilistische Behandlung der plastischen Wiedergabe etwa der Gewänder ihre engsten Parallelen in spätantoninischer Zeit, was eine zeitliche Einordnung in die zweite Hälfte des 2. Jhs. n.Chr. nahelegt.
Es handelt sich um zwei Serien unterlebensgroßer Skulpturen, von denen die eine Serie rekonstruiert ca. 130 cm, die andere ca. 95 cm misst, die eine Serie also 1/3 (ca. 35 cm) kleiner ist als die andere. Rekonstruiert man nach Analogien unter den Figuren Basen in Höhe der halben Figurengröße, ergeben sich Gesamthöhen der Figuren mit Basen von ca. 1,95 bzw. 1,50 m. Daraus wiederum ergibt sich für die ursprüngliche Aufstellung der beiden Figurenserien zwanglos die Anordnung in der zweigeschossigen Nymphäumsarchitektur, wobei die größeren Figuren im unteren, die kleineren im oberen Geschoss gestanden haben.

Relative und absolute Chronologie
Da keinerlei literarische Überlieferung oder Inschriften für die Datierung des Nymphäums zur Verfügung stehen, können hierfür nur allgemeine urbanistische Überlegungen, die Architektur des Baus und seine figurale Ausstattung sowie gegebenenfalls Grabungsbefunde herangezogen werden. Die große Säulenstraße wurde nachweislich nach dem katastrophalen Erdbeben von 115 n.Chr. sukzessive von Norden nach Süden errichtet. Die Skulpturen sind der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n.Chr. zuzuordnen. Auch der - wenn auch spärliche - Architekturdekor legt eine Datierung in diese Zeit nahe. Das Nymphäum ist also offenbar Teil einer spätantoninischen Etappe im Wiederaufbauprogramm der Stadt.
Relativ chronologische lässt sich eine sekundäre Baumaßnahme nachweisen: Das Becken wurde sekundär zu zwei Dritteln mit opus caementicium verfüllt. Wie bei dem Umbau in der Latrine nachgewiesen werden konnte, handelt es sich auch hier offenbar um eine Maßnahme zur Reduzierung des Wasserverbrauchs. Wie ebenfalls im Befund der Latrine gezeigt werden konnte, erfolgte diese Maßnahmen wahrscheinlich im Anschluss an eines der Erdbeben von 458, 526 oder 528. Auf dieser Verfüllung fand sich südlich der Sockelmauer ein byzantinisches Körpergrab, was beweist, dass das Nymphäum in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. nicht mehr in Gebrauch gewesen sein kann.

Einzelfunde
Zahlreiche Einzel- und Kleinfunde liefern leider keine Anhaltspunkte für die Baugeschichte des Nymphäums. Dies gilt noch mehr für die Funde aus dem Füllschutt der an das Nymphäum anschließenden Boutiken. Bei ihnen ist sogar ein möglicher ursprünglicher Zusammenhang mit dem Nymphäum in keiner Weise gesichert. Hier nur zwei Funde über das Nymphäum hinaus weisen und für die Stadtgeschichte Apameas ganz allgemien von Interesse sind.


In der unmittelbar nördlich des Nymphäums gelegenen Boutique wurde im Versturz ein Hort von 746 römischen Kupfer- und Bronzemünzen des 4. Jhs. zusammen mit einem qualitätvollen Terra Sigillata-Teller (mit Stempel planta pedis ERMES) gefunden (Abb. 7). Dabei handelt es sich um den bisher umfangreichsten Münzfund im syrischen Raum überhaupt, der noch seiner genauen numismatische Auswertung harrt. Im selben Raum fanden sich 79 Marmorfragmente einer griechischen Inschrift mit grün und rot gefassten Buchstaben (Abb. 8). Die Inschrift gibt einen spätantiken-frühbyzantinischen Erlass (wohl des 4./5. Jhs. n.Chr.) der städtischen Behörde von Apamea wieder, dass wegen des hohen Olivenöl-Überschusses künftig die öffentliche Beleuchtung in der Stadt von 470 auf 1000 Kerzen (KANDELAI) erhöht werden soll. Dabei werden Gebäude und Plätze genannt, die von dieser Maßnahme profitieren. Die Inschrift gibt damit interessante Hinweise auf die Topographie von Apamea. Zugleich ist sie von wirtschaftsgeschichtlicher sowie allgemein kulturgeschichtlicher Bedeutung. Zum einen handelt sich um eine der höchst seltenen spätantiken-frühbyzantinischen Inschriften einer Stadtbehörde mit detaillierten Angaben zu einer öffentlichen Maßnahme. Zum anderen ist die Nachricht von dem hohen Ölüberschuss von besonderem Interesse, nicht zuletzt im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der sog. Toten Städte im Hinterland von Apamea. Der Reichtum dieser seit dem 2. Jh. aufsteigenden Orte basierte vornehmlich auf dem Export des in Monokulturen angebauten Olivenöls, und der Niedergang dieser bis in die Spätantike blühenden Ortschaften wird auf den rapiden Rückgang der Absatzmöglichkeiten der Öl-Überproduktion zurückgeführt.

[1] Beide Verfasser danken Jean-Charles Balty, dem damaligen Leiter des Centre Belge des Recherches Archéologiques à Apamée en Syrie, sehr herzlich für die Einladung, das Nymphäum freizulegen und zu bearbeiten. Im folgenden wird auf weiterführende Hinweise und Zitate verzichtet. Diese sind der in Vorbereitung befindlichen Abschlusspublikation vorbehalten.

© Andreas Schmidt-Colinet, Ulrike Hess
e-mail: andreas.schmidt-colinet@univie.ac.at

This article should be cited like this: A. Schmidt-Colinet - U. Hess, Das Nymphäum von Apamea in Syrien, Forum Archaeologiae 36/IX/2005 (http://farch.net).



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