Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 24 / IX / 2002

NEUE TERRA SIGILLATA FRAGMENTE AUS CALES [*]

In diesem kurzen Beitrag sollen einige neue Terra Sigillata (TS) Fragmente vorgestellt werden, die aus dem Gebiet der antiken Stadt Cales stammen. Cales (heute: Calvi Vecchia, Prov. Caserta) wurde 334 v.Chr. als latinische Kolonie gegründet. Sie lag an der Via Latina zwischen Teanum Sidicinum und Capua in Nordkampanien [1].
Cales war bereits in der Antike für seine Keramikproduktion bekannt [2]. Zu den geläufigsten keramischen Produkten gehörte die Schwarzfirnisware, die besonders ab der ersten Hälfte des 3. Jhs. bis in die Mitte des 1.Jhs. v.Chr. eine weite Verbreitung durch massiven Export erfuhr. Ab der Mitte des 1.Jhs. v.Chr. kam es jedoch zu einem Umschwung in der Keramikherstellung, bedingt durch die sich immer stärker durchsetzende italische TS (insbes. arretinische Ware). Diese "Modeerscheinung" setzte sich auch in Cales durch und es erfolgte eine Anpassung der Produktion [3].
Diese neuen Funde bereichern die Kenntnis der lokalen TS-Produktion [4] maßgeblich, sowohl was das Formenrepertoire und die Dekoration, als auch die Identifikation einiger neuer Inschriften betrifft.
Die Objekte stammen aus den Auffüllungen hinter der Stadtmauer von Cales, die aus verschiedenen Materialien, wie etwa den Abfällen an Schwarzfirnisware aus den Brennöfen oder den zerbrochenen Baumaterialien letzterer bestehen. Leider können keine näheren Angaben zur Chronologie des Fundzusammenhanges gemacht werden, da die Fundstücke ohne jeglichen genauen stratigraphischen Kontext sind.

KATALOG [5]

Calenische TS

1 - Form Consp. Nr. 4.3, Standring Consp. B 1, annähernd vergleichbar mit Beispielen aus dem Bereich der Schwarzfirnisware (vgl. Morel 1981, Typ P160). Der Stempel befindet sich am Bodeninneren und ist von einem Ratterdekorband zwischen zwei Furchen umgeben: THEOP; TH als Monogramm, rechteckige, zentrale Stempelform. Die Inschrift, die als Theop(hilus?) gelesen werden könnte, ist unveröffentlicht. Datierung: zweite Hälfte des 1.Jhs. v.Chr. (aufgrund der Form des Gefäßes und des Stempels) (Abb. 1 a-b).


2 - Offene Form. Der Standring ist der Form Consp. B 1.8 ähnlich, erinnert aber an Beispiele aus dem Bereich der Schwarzfirnisware (Morel 1981, Nr. 141a). Am Bodeninneren befindet sich ein zusammengesetzter Stempel: SATRI / Rad und Kanne horizontal gezeichnet, in rechteckiger, zentraler Stempelform: unveröffentlicht. Bemerkenswert ist das umgekehrte S, wofür als Vergleich CVArr. Nr. 1822c 1.2 und 1676/11 anzuführen sind. Dieses Fragment ist der Werkstatt des Satrius zuzuordnen, der im nördlichen Kampanien und wahrscheinlich gerade in Cales in der zweiten Hälfte des 1.Jhs. v.Chr. tätig gewesen ist. Vgl. Pedroni - Soricelli 1996, 188. (Abb. 2 a-b).


3 - Offene Form. Der Standring ist der Form Consp. B 3.8 ähnlich. Auf dem Bodeninneren liest man, umgeben von zwei konzentrischen Furchen: AVC / TVS (AVC / TAS ?) in Rundstempel; der zweite Teil des Namens könnte die Fortsetzung des ersten im Uhrzeigersinn darstellen, aber das zweite "V" ist auf den Kopf gestellt: unveröffentlicht. Datierung: letzte Jahrzehnte des 1.Jhs. v.Chr. Vgl. CVArr. Nr. 221-222; Schindler - Scheffenegger 1977, Taf. 92, Nr. 1-3; Mazzeo Saracino 1983, 485; Schindler-Kaudelka 1984, 36; Sanciu 1992, 673. (Abb. 3).

4 - Krater mit halbiertem Eierstabfries unter der Lippe; am Gefäßkörper sind Girlanden abgebildet, auf denen vereinzelt Vögel hocken: zu den spitz zulaufenden Olivenblättern und Beeren: vgl. Dragendorff 1948, Taf. 32, Nr. 573; das Gefäß wird der Werkstatt des Cn. Ateius zugeordnet. Den direktesten Vergleich, neben den Beispielen aus einer Villa bei Francolise, nahe Cales (Morris 1979, Abb. 34, 1-2), stellen bereits publizierte calenische Fragmente dar: Pedroni - Soricelli 1996, Abb. 6 e 8, 44-45. Datierung: augusteisch.
(Abb. 4 a-b).


Norditalische TS

5 - Form Consp. R 12.1.2, Acobecher (konischer Steilrandbecher). Vom Reliefdekor ist florealer Dekor erhalten. Datierung: letzte Jahrzehnte des 1.Jhs. n.Chr. Der Dekor erinnert an die Werkstatt des Clemens: Lavizzari Pedrazzini 1987, 37 und Taf. 26-27; vgl. auch Dragendorff 1948, Taf. 27 Nr. 484; Ettlinger 1983, Taf. 61, 10; Rudnick 1995, Taf. 7, Nr. 26. (Abb. 5 a-b).



SCHLUSZFOLGERUNGEN

Obgleich es sich bei diesen Beispielen nicht um ein sehr verläßliches und besonders bezeichnendes Muster handelt, tragen die neuen, hier beschriebenen Fragmente dazu bei, das Gesamtbild der italischen TS in Cales etwas variantenreicher erscheinen zu lassen. Der chronologische Bogen der lokalen Produktion, der durch die aufgefundenen Fragmente gespannt wird, ist verhältnismäßig weit und reicht von der zweiten Hälfte des 1.Jhs. v.Chr. bis in die letzten Jahrzehnte des 1.Jhs. n.Chr.
Es ist vor allem angebracht, auf die ansehnliche Präsenz einheimischer TS hinzuweisen, deren Kenntnis sich für uns nicht nur in Hinsicht auf das Formenrepertoire, sondern auch aufgrund der Herstellerinschriften erweitert. Die wohl interessanteste Bestätigung erhalten wir durch die endgültige Lokalisierung des Produzenten P. Satrius in Cales, die bis jetzt nur vage angenommen werden konnte. Die Verbreitung der Gefäße des Satrius (der Gentilname ist in Cales auch inschriftlich bezeugt: CIL X 4897) über den lokalen Bereich hinaus beweist, daß trotz des drastischen Stillstandes der Produktion der Schwarzfirniskeramik um das Jahr 50 v.Chr., aufgrund der sich seit einigen Jahren zuvor immer stärker durchsetzenden arretinischen Ware, sich die calenischen Werkstätten der neuen Nachfrage anpaßten, sich neu organisierten und es ihnen sogar gelang, ein recht hohes qualitatives und produktives Niveau zu erreichen.
Die Hinweise, die sich aus dem - wenn auch nur vorläufigen - Studium der calenischen TS-Produktionen und der importierten Ware, gemeinsam mit den wenigen geschichtlich-archäologischen Informationen ergeben, stellen ein kohärentes Bild dar. Antike Schriftquellen übermitteln uns sehr wenige Nachrichten über das kaiserzeitliche Cales [6]. Auch archäologische Informationen dazu gibt es, trotz der durchgeführten Ausgrabungen im Stadtgebiet von Cales, kaum. Aus ihnen geht lediglich hervor, daß die Stadt in augusteischer Zeit, dank des calenischen Bürgers M. Vinicius, der dem Kaiserhaus sehr nahe stand, eine Blütezeit erlebt hat [7].
Es ist möglich, daß in dieser Periode - oder zumindest in iulisch-claudischer Epoche - die Hauptstraßen der Stadt neu gepflastert und einige öffentliche Gebäude restauriert worden sind. Zu dieser Zeit erwähnen Horaz und andere antike Schriftsteller auch den berühmten calenischen Wein [8].
Mit dem Beginn des 2.Jhs. n.Chr. nimmt die archäologische Evidenz - was sich auch anhand der Keramikfunde feststellen läßt - langsam ab. In diesem Zusammenhang ist es interessant, auf einen Brennofen hinzuweisen, den J.-P. Morel [9] in Cales ausgegraben hat ausgrub. In diesem Ofen wurden Amphoren, Schwarzfirnisware, Lampen und TS hergestellt. Als jüngste Keramikgattung konnten Amphoren der Form Dressel 2/4 aufgenommen werden, woraus man wohl schließen kann, daß der Ofen bereits in der frühen Kaiserzeit seine Produktion eingestellt hat. Um die Mitte des 2.Jhs. n.Chr. wurde in dieser Zone eine Nekropole errichtet, was ein klares Indiz für die Umwidmung der ehemaligen Produktionsstätte darstellt.
Somit könnte man für Cales vermuten, daß es spätestens ab der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. zu einem drastischen Rückgang der Produktion und des Imports (wieso Import, sie beschäftigen sich doch mit lokalen Produktionen?) von Feinkeramik gekommen ist, was wiederum mit der Verringerung der Weinproduktion und dem allgemeinen Rückgang des Lebens in der Stadt in Verbindung stehen könnte.

[*] Die hier publizierten Objekte sind Zufallsfunde seitens der Autoren des Aufsatzes aus dem Gebiet der römischen Stadt Cales. Es handelt sich hierbei um Material, das nicht aus einer regulären Ausgrabung oder einer Notgrabung stammt. Die Keramikfragmente befinden sich im Magazin der Soprintendenza Archeologica per le Province di Napoli e Caserta - Ufficio di Cales.
[1] Liv. VIII, 16; Vell. II, 14; vgl. Pedroni 1993.
[2] Varro apud Non. 545; vgl. Pedroni 2001, 29-34.
[3] Pedroni 1986; 1990; 2001.
[4] Lasfargues - Picon 1982; Morel 1989; Schneider - Hoffmann 1990; Pedroni - Soricelli 1996.
[5] Die verwendeten Abbildungen beruhen auf Aufnahmen der Autoren. Die Fotos sind nicht im Maßstab wiedergegeben.
[6] Pedroni 1993.
[7] Z.B. Tac. Ann. VI, 15, 1; Suet. Aug. 71, 2.
[8] Hor. Od. I, 31, 9; IV, 12, 14; Plin. N.h. XIV, 65. Vgl. Tchernia 1986, 159-160; Pedroni 2001, 336-339.
[9] Morel 1989.

BIBLIOGRAPHIE
Consp. E. Ettlinger u. a., Conspectus Formarum Terrae Sigillatae Italico Modo Confectae (1990).
CVArr. A. Oxé - H. Comfort, Corpus Vasorum Arretinorum (1968).
Dragendorff 1948 H. Dragendorff, Arretinische Reliefkeramik mit Beschreibung der Sammlung in Tübingen (1948).
Ettlinger 1983 E. Ettlinger, Die italische Sigillata von Novaesium, Novaesium IX, Limesforschungen 21 (1983).
Lasfargues - Picon 1982 J. Lasfargues - M. Picon, in: S. Schnurbein, Die unverzierte Terra Sigillata aus Haltern. Mit einem Beitrag von J. Lasfargues und M. Picon, Bodenaltertümer Westfalens 5 (1982).
Lavizzari Pedrazzini 1987 M. P. Lavizzari Pedrazzini, Ceramica romana di tradizione ellenistica in Italia settentrionale. Il vasellame "tipo Aco" (1987).
Mazzeo Saracino 1983 L. Mazzeo Saracino, Problemi della terra sigillata italica nella regione VIII, Studi sulla città antica, L'Emilia Romagna (1983) 465-495.
Morel 1981 J.-P. Morel, Céramique Campanienne. Les Formes, BEFAR 244 (1981).
Morel 1989 J.-P. Morel, Un atelier d'amphores Dressel 2/4 à Cales, in: Actes du Colloque, Amphores romaines et histoire économique: dix ans de recherche, Siena 1986 (1989) 558-559.
Morris 1979 J. Morris, The Terra Sigillata wares and imitations, in: M. A. Cotton (Hrsg.), The late republican villa at Posto (1979) 117-130.
Pedroni 1986 L. Pedroni, Ceramica a vernice nera da Cales (1986).
Pedroni 1990 L. Pedroni, Ceramica a vernice nera da Cales 2 (1990).
Pedroni 1993 L. Pedroni, Problemi di topografia e urbanistica calena, Samnium 66, 1993, 208-230.
Pedroni 2001 L. Pedroni, Ceramica calena a vernice nera. Produzione e diffusione (2001).
Pedroni - Soricelli 1996 L. Pedroni - G. Soricelli, Terra sigillata da Cales, ArchCl 48, 1996, 169-191.
Rudnick 1995 B. P. M. Rudnick, Die verzierte Arretina aus Oberaden und Haltern, Bodenaltertümer Westfalens 31 (1995).
Sanciu 1992 A. Sanciu, Bolli su terra sigillata italica da Olbia, L'Africa Romana, Atti del IX convegno, Sassari (1992) 673-684.
Schindler-Kaudelka 1984 E. Schindler-Kaudelka, Terra Sigillata aus Rom. Die Sammlung Olcott, Studien zu römischen Keramik, ActaReiCret XXIII-XXIV, 1984, 13-36.
Schindler - Scheffenegger 1977 M. Schindler - S. Scheffenegger, Die glatte rote Terra Sigillata vom Magdalensberg, Archäologische Forschungen zu den Grabungen auf dem Magdalensberg 5, Kärntner Museumsschriften 62 (1977).
Schneider - Hoffman 1990 G. Schneider - B. Hoffman, Chemische Zusammensetzung italischer Sigillata, in: Consp. 27-38.
Tchernia 1986 A. Tchernia, Le vin de l'Italie romaine. Essai d'histoire économique d'après les amphores, BEFAR 261 (1986).

© Luigi Pedroni, Barbara Tasser
e-mail:
lp0612@hotmail.com
Barbara.Tasser@uibk.ac.at

This article will be quoted by L. Pedroni - B. Tasser, Neue Terra Sigillata Fragmente aus Cales, Forum Archaeologiae 24/IX/2002 (http://farch.net).



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