Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 20 / IX / 2001

KOPIE UND FÄLSCHUNG
Eine Ausstellung des Papyrusmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek in Kooperation mit der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt Graz

Als im 19. Jahrhundert neues Interesse an Ägypten erwachte und Ausgrabungen intensiviert wurden, war Österreich durch einen Mittelsmann, den Teppichhändler Theodor Graf, vertreten - freilich nicht in offiziellem Auftrag, sondern Graf erkannte die Gunst der Stunde und ließ selbst in der Umgebung u. a. nach den so sehr begehrten Papyri und koptischen Stoffen suchen, denn "zu finden ist in diesem Land viel, man muß nur die richtigen Leute an der Hand haben", wie Graf an den damaligen Direktor der k. k. Hofbibliothek Wien, Josef Karabacek, am 28. März 1882 schreibt. Mit enthusiastischem Eifer ließ er durch Fellachen die Märkte absuchen, wie er in demselben Schreiben berichtet: "Der eine meiner Papyrus-Lieferanten ist sofort, nachdem ich ihn wegen der alten Stoffe gehörig instruiert , abgereist nach dem Inneren, um mir solche alte Stoffe aber hauptsächlich Papyrus zu bringen; er wollte gestern schon zurückkommen, aber da er bis heute noch nicht da ist, muß ich annehmen, daß er gute Ausbeute hat und mir vieles bringen wird."
Mit diesen Papyruskonvoluten wurden jedoch auch zahlreiche Fälschungen miterworben, die vor Ort nicht ausgeschieden werden konnten - auch schon deshalb, weil Graf kein Fachmann für antike Sprachen war. Diese Konvolute wurden dann über Erzherzog Rainer angekauft und gelangten 1899 als Geschenk an Kaiser Franz Joseph, der sie wiederum der k. k. Hofbibliothek überließ.
Unter den heute insgesamt 180.000 Objekten der Papyrussammlung sind rund 1000 Fälschungen. Die Vorgangsweise der Fälscher läßt sich daran recht klar erkennen: Unter den zahlreichen Papyrusfunden waren immer auch einige leere Papyrus- oder Pergamentblätter bzw. bloße Scherben (sogenannte Ostraka). Mitunter waren noch einige Schriftspuren zu erkennen, aber ein guter Preis ließ sich mit den leeren oder minimalst beschriebenen Stücken nicht erzielen; folglich beschrieb man diese Reste, indem man alte Schriften (Griechisch, Koptisch, Arabisch oder Hieroglyphen) imitierte. Dabei hatten die Fälscher keine Ahnung von den alten Schriften, man versuchte bloß irgendwie den Schrifttypus zu imitieren. Unter den Hieroglyphen ließen sich dabei recht einfach Phantasiegebilde erfinden, schwieriger war es schon mit dem Griechischen: bot doch etwa das griechische Omega als Kleinbuchstabe mehrmals hintereinander geschrieben eine wellenförmige Darstellung, die man schon als antik ausgeben konnte. Diese Stücke lassen sich heute sehr einfach und sofort als Fälschung erkennen. Die Kunst der Fälscher war hier sehr beschränkt, und doch reichte sie aus, um von unbedarften Touristen oder Antiquitätenjägern einen guten Preis zu verlangen. Wie die Ausstellung zeigt, scheute man nicht, jedes noch so kleine Stück auf diese Weise zu fälschen: Paradebeispiel dafür ist ein etwa 10 cm langes und 1 cm breites Pergamentstück, das mit wellenförmigen Zeichen versehen ist. Je sensationeller, um so besser: das bezeugen etwa beschriebene Palmblätter mit Hieroglyphen, die in dieser Ausstellung erstmals gezeigt werden.


Ähnlich ging man bei koptischen Textilien vor: Wie Theodor Graf in seiner Korrespondenz mit Josef Karabacek berichtet, gab es auch im Bereich alter Textilien, vor allem jenen mit schönen Motiven, eine große Nachfrage: Diese machten sich Fälscher zunutze und fügten die oft einzelnen Reste von Stoffen mit Motiven eines Vorhangs oder Gewandes zu einem Ganzen mehr oder weniger kunstgerecht zusammen. Bei genauer Betrachtung erkennt man entweder, daß ein Gebilde plötzlich in seinem Rhythmus unterbrochen ist oder daß in der Farbnuancierung deutliche Unterschiede bestehen. Einige dieser Stoffverfälschungen kann der Besucher in der Ausstellung sehen und dabei zugleich sein Auge schulen, um sich vor solchen Puzzles zu schützen - vor allem, wenn sie zu überhöhten Preisen angeboten werden.
Größere Fähigkeit von einem Fälscher verlangte schon eine literarische Fälschung. Dazu sind für die Antike so gut wie keine Originale erhalten; die Tatsache, daß man allerdings sehr- wohl gefälscht hat, ist in der antiken Literatur mehrfach bezeugt. Die Gründe dafür können verschiedenste Ursachen haben: Es mag der merkantile Zweck oder die Verbreitung eines Werkes unter einem bekannten Namen genauso eine Rolle gespielt haben wie die Ergebenheit gegenüber einer Persönlichkeit, die man gegen gewisse Angriffe durch eine unter seinem Namen publizierte Schrift schützen wollte.
Konkret überprüfbar werden Fälschungen aus dem urkundlichen Bereich. Da wir hier zumeist auf die Archive byzantinischer Klöster angewiesen sind, beschränken sich die Beweise für Fälschungen auf Aussagen der Mönche, und das sind nicht wenige. Man wundert sich oft, mit welcher Naivität hier vorgegangen wurde, etwa wenn Siegel am Ende einer Kaiserurkunde aufgemalt wurden. Doch bezeugt beispielsweise eine Urkunde, die angeblich der byzantinische Kaiser Andronikos III. Palaiologos für die Muttergotteskirche Olympiotissa in Elasson, Thessalien 1336 ausgestellt haben soll, daß man das Dokument auch in einem modernen Rechtsstreit herangezogen hat; darauf deutet zumindest eine Stempelmarke auf der Rückseite.
Es sollte nicht verwundern, wenn unter den frühen Christen genauso Texte gefälscht wurden wie zuvor unter den Heiden: Dies entsprang einerseits dem Bedürfnis nach eigener Unterhaltungsliteratur aus dem Umkreis der Heiligen, die das frühe Christentum noch nicht kannten, andererseits dem Wunsch von dem Leben und Wirken des Messias und seiner Jünger mehr zu erfahren. Damit war der Weg zu der reichen apokryphen Literatur geebnet. In der Ausstellung werden einige Textzeugen dieser Literaturgattung gezeigt, darunter auch ein 4,3 x 3,5 cm kleines Papyrusfragment, das als Faijum-Fragment (P.Vindob. G 2325) in die Wissenschaft einging: Einer umstrittenen Deutung zufolge handelt es sich hierbei vielleicht sogar um ein "nichtkanonisches Evangelium".
Mit sehr diffizilen Kriterien und durchaus nicht immer überzeugend geht die Wissenschaft bei literarischen Fälschungen vor, bei denen ganze Texte unter dem Namen eines bislang nur namentlich bekannten antiken Autors gefälscht wurden. Wie schwierig hier die Identifizierung ist, zeigt ein Blick auf die Arbeitsweise eines herausragenden Fälschers des 19. Jahrhunderts, der einem Konrad Kujau unserer Tage gleichgesetzt werden kann: Konstantinos Simonides (1820-1867). Er arbeitete sich sowohl kalligraphisch als auch wissenschaftlich sehr genau in seine Materie ein und hatte sehr gute paläographische Kenntnisse. Hier begegnet man der Schwierigkeit, vor der die Wissenschaft steht: Wenn ein Fälscher die von der Wissenschaft erarbeiteten Kriterien etwa für die Schrift einer Zeit oder den Stil eines Werkes bzw. einer Zeit genau einhält - und dies alles perfekt eingeübt hat -, wird es der Wissenschaft kaum möglich sein, die Fälschung zu widerlegen. Doch hat man im Bereich der Urkundenlehre im Laufe des 20. Jahrhunderts so grundlegende Forschung betrieben, daß heute einige Echtheitskriterien angewendet werden, die den früher fälschenden Mönchen unbekannt waren. Bei Simonides war das allerdings nicht so einfach; er hat seine Fälschungen in seinem Geltungsdrang immer ein wenig übertrieben, was ihn aber schlußendlich entlarvt hat. So etwa in einem seiner "Frühwerke", einer Geschichte der Universität von Symi, seiner Heimatstadt: Nicht nur, daß die Universität in dem sagenhaften Codex aus dem Nachlaß seines Onkels bis auf die Zeit des Kaisers Theodosios II. (408-450) zurückgeführt wird, sondern Gelehrte der Universität haben angeblich auch das Schnellschiff, die Typographie und anderes mehr erfunden.
Diese maßlosen Übertreibungen bei einer seiner spektakulären Fälschungen überführten ihn schließlich auch: ein Matthäus-Evangelium im Ägyptischen Museum in Liverpool, das vorgibt, im 15. Jahr nach der Himmelfahrt Christi im Auftrag des Apostels von einem Diakon Nikolaos geschrieben zu sein. Ein Faksimile dieser perfekten Imitation ist in der Ausstellung zu sehen.
Simonides machte sich selbst die Abschriften nicht einfach. Immer wieder fälschte er Texte in Form von Palimpsesten. Während hier gewöhnlich die untere Schrift die ältere ist, die abgeschabt oder abgewaschen wird, und mit einer neueren, meist späteren Schrift (aus Pergamentknappheit) überschrieben wird, machte er genau das Gegenteil: Er nahm sich eine Handschrift, zu der er Zugang hatte, und fälschte eine ältere Schrift (paläographisch korrekt), indem er mit blasserer Tinte schrieb. Ein Meisterwerk dieser Kunst ist ausgestellt, es handelt sich um ein Doppelblatt eines Codex, in dem er eine Passage aus dem Werk "Hirt des Hermas" als Palimpsest fälschte (der Codex befindet sich heute in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek; Cod. suppl. gr. 119). Als ein derartiges Palimpsest bietet Simonides 1855 das Werk eines sonst nur aus Zitaten bekannten Historikers Uranios an: der Text, der schon für eine Publikation durch den bekannten Philologen Wilhelm Dindorf vorbereitet war, wurde schließlich von einem Ägyptologen in letzter Minute als Fälschung deklariert: Bei dessen Verhaftung finden sich auch die Fälscherutensilien, u. a. rostige Nägel zur Herstellung gelber Tinte. Simonides wußte für alle Vorwürfe natürlich sofort eine Erklärung, etwa, daß er rostige Nägel für das von ihm zum Trinken bevorzugte bleihaltige Wasser verwende. Er wußte sich auch Kontakte zu verschaffen oder zumindest aufzubauen: in der Autographensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek sind heute noch zwei Schreiben an die bedeutenden Gelehrten Franz von Miklosich und Theodor Georg Ritter von Karajan erhalten, in denen er für das Werk des Uranios wirbt.


Noch einer weiteren Kategorie von Kleinkunst wird in dieser Ausstellung erstmals Aufmerksamkeit geschenkt: den Siegeln; erhalten sind sie auch auf Papyri als Tonsiegel, doch wurde der Markt in den letzten Jahren von Fälschungen derartiger Siegel überschwemmt. Komplizierter, aber keinesfalls geringer ist die Fertigung von byzantinischen Bleisiegeln, die in dieser Ausstellung mit Sammlungsstücken aus der Privatsammlung Theodoridis (München), Seibt (Wien) und Zarnitz (jetzt Staatliche Münzsammlung München) im Mittelpunkt stehen. Zu einem vermehrten Auftreten solcher Fälschungen kam es vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten, wenngleich diese Kunstobjekte bereits ab dem Auftreten von numismatischem und sigillographischem Sammlerinteresse zahlreich gefälscht wurden. Wie bei den Papyri und Stoffen gilt auch hier: Mit dem steigenden Interesse wuchs die Zahl solcher Fälschungen. So gilt grundsätzlich, je spektakulärer und prachtvoller ein Siegel ist, um so größere Skepsis ist geboten. Geradezu abschreckend sollten die in dem begleitenden Katalog jeweils angeführten Rufpreise der Fälschungen aus Auktionskatalogen gelten, die sich von mehreren hundert Mark bis gar DM 10.000,- erstrecken. Die Fälscherwerkstätten dazu sind schwierig ausfindig zu machen, da die Objekte sehr geschickt im Antiquitätenmarkt verteilt werden. Gerade für die byzantinische Sigillographie ist die Zahl der Experten so dünn gesät, daß Händler sehr leicht getäuscht werden können. Kriterien sind neben typologischen Merkmalen vor allem die Gestaltung des Kanals des Siegels und die Art der Patina.
Die Ausstellung behandelt auch die harmlosere Imitation: die Kopie, die von sich aus nicht vorgibt, ein Original zu sein. Dafür scheint das Papyrusmuseum geradezu prädestiniert zu sein, sind doch die literarischen Texte allesamt Kopien und zeigen das Bemühen, einen antiken Text für die Nachwelt zu erhalten. Vielen antiken Autoren war durch mangelnde Nachfrage ein solches Nachleben nicht vergönnt, die (paar oder manchmal gar nur eine) Papyruskopie(n) wurde(n) Opfer des materiellen Zerfalls, und während sich heutzutage von jedem gedruckten Buch immer noch ein paar Exemplare in die Bibliotheken "retten", war damals einer großen Zahl von Autoren kein literarisches Nachleben vergönnt. Exemplarisch zeigt die Ausstellung die kopiale Verbreitung eines Werkes, das uns nicht im Original erhalten ist, anhand einiger Vertreter der Bibelüberlieferung; darunter ein Blatt des weltberühmten Chester Beatty-Papyrus P.Vindob. G 31975 mit Matthaios 25, 41-26, 39 aus dem 3. Jahrhundert.
Allerdings hat unsere Zeit mittlerweile auch einen gewissen Sinneswandel erfahren: War früher nur ein Original wertvoll und konnte die Kopie - sofern sie nicht wiederum eine antike Kopie war - im Wert niemals mithalten, ist mittlerweile die perfekt gemachte Kopie zu einem Sammlergut geworden. Dem trug diese Ausstellung mit einer eigenen Abteilung von Faksimiles des Weltmarkenführers, der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt Graz, Rechnung. 120 Faksimile-Ausgaben wurden bislang im 50jährigen Bestehen dieses Verlages auf den Markt gebracht; und da bei jeder Faksimile-Ausgabe bis hin zum Einband (etwa im Farnese-Stundenbuch aus Metall oder im Codex Etschmiadzin in einer detaillierten Wiedergabe des Elfenbeineinbands, auf perfekte Originaltreue Wert gelegt wird, wurden diese Faksimile-Ausgaben - jeweils nur in streng limitierter Auflage - zu Wertanlagen und erreichen im Antiquariatshandel bereits den doppelten Verkaufspreis, vor allem, wenn sie bereits vergriffen sind (so im Falle des Wiener Dioskurides). Die detailgetreue Wiedergabe wird in der Ausstellung unter anderem an dem ältesten erhaltenen, reich illustrierten Kräuterbuch der Antike, dem Wiener Dioskurides, und einem armenischen Tetraevangeliar, dem Codex Etschmiadzin, deutlich gezeigt: Jeder Anbiß einer griechischen, türkischen oder armenischen Maus wurde in der Reprodukion genau übernommen, auch die einzelnen Blätter wurden im Faksimile entsprechend beschnitten.

Die Ausstellung findet im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek (Heldenplatz, Eingang Mitteltor, 1010 Wien) statt und läuft noch bis 26. Oktober; Spezialführungen zu freiem Eintritt am 13. 9., 27. 9. und 11. 10. (Treffpunkt Papyrusmuseum 19.00). Zu der Ausstellung ist der Katalog "Kopie und Fälschung" erschienen, der alle Objekte beschreibt und Einführungen zu den Fälschungen in den verschiedenen oben angeführten Bereichen gibt (ATS 248,00; Euro 18,00).

Führungen gegen Voranmeldung (0049/1/53410/323): hermann.harrauer@onb.ac.at
Homepage: http://www.onb.ac.at/sammlungen/papyrus/index.htm


© Christian Gastgeber
e-mail: Christian.Gastgeber@oeaw.ac.at

This article will be quoted by Ch. Gastgeber, Kopie und Fälschung. Eine Ausstellung des Papyrusmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek in Kooperation mit der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt Graz, Forum Archaeologiae 20/IX/2001 (http://farch.net).



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