Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 16 / IX / 2000

PRIESTERINNEN UND PRIESTER IM KAISERZEITLICHEN SPARTA


Ein Volksbeschluß [1] aus Histria am Schwarzen Meer unterscheidet bei der öffentlichen Ehrung einer Wohltäterin zwischen Priesterämtern, die üblicherweise von den wohlhabenden Frauen der Stadt ausgeübt wurden und "Großen" Priesterämtern, die traditionell von den Männern verwaltet worden sind [2]: Aba, die Tochter des Hekataios und Frau des Herakon, habe beide Arten in großzügiger Weise verwaltet und ernte deshalb öffentlich ausgerufenes Lob, den Ehrenkranz und die Aufstellung ihrer Porträts in Form von Statuen (oder Bildern [3])(Abb. 1).


Abb. 1: Galerien solcher Porträtstatuen säumten die Straßen und füllten die Plätze der griechischen Poleis in Hellenismus und Kaiserzeit: der Hof des Museums in Korinth mit seiner Ansammlung 'kopfloser' Ehrenstatuen kann einen Eindruck dieser Aufstellungspraxis geben. Die Statuen standen in der Antike allerdings auf bis zu 1 m hohen Basen.

Der Volksbeschluß aus Histria ist in seiner klaren Aussage zu traditionell geschlechtsspezifischer Aufgabenteilung bei der Finanzierung der öffentlichen Kulte einzigartig und führt zu der Frage, ob eine solche Verteilungspraxis auch in anderen Städten des griechischen Kulturbereiches üblich war [4]. Welche Kulte gehörten zum Aufgabenbereich der Männer, welche zu dem der Frauen, und wo läßt sich Derartiges überhaupt auf hinreichend breiter Quellenbasis feststellen? Eine Fallstudie zum kaiserzeitlichen Sparta erscheint für eine solche Untersuchung besonders reizvoll, weil den Frauen Spartas schon in klassischer Zeit eine Sonderrolle zugeschrieben wird: sie seien im öffentlichen Leben 'sichtbarer' gewesen als etwa die attischen Frauen [5].
Dazu kommt, daß die spezifisch lakonische Dürftigkeit der historischen Zeugnisse mit dem Beginn der römischen Kaiserzeit endet: die Anzahl der erhaltenen Zeugnisse, vor allem der Inschriften, nimmt seit der Mitte des 1. Jhs. n.Chr. sprunghaft zu [6]. Porträtstatuen verdienter und wohltätiger Männer und Frauen säumen auch im kaiserzeitlichen Sparta Straßen und Plätze. Erhalten sind meistens die Basen der Statuen. Sie tragen Inschriften [7], die etwa so lauten:
(Die Polis ehrt)
die Ponponia (sic) Kallistonike, (die Tochter) des Aristeas, Priesterin auf Lebenszeit und in Erbfolge der ruhmreichsten Göttin Artemis Orthia und der mit dieser zusammen verehrten Götter, und der Moirai Lacheseis und der Aphrodite Enhoplios und des Asklepios Schoinatas in Helos und der Artemis Patriotis in Pleiai und der Dioskouren und des Agon an den allerheiligsten Dioskoureia, wobei die Kosten trägt ihre Mutter, die ehrwürdigste und durch höchste Besonnenheit/Umsicht hervorragende Klaudia Polla, (die Tochter) des Eudamos.
[8]

Pomponia Kallistonike ist - in der Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts - die erste und einzige Orthiapriesterin, deren Namen wir kennen: Es war wohl lange nicht üblich, die Priesterinnen dieser Göttin mit dem neuen Medium der Porträtstauten öffentlich zu ehren. Dennoch wird man annehmen dürfen, daß das berühmte Heiligtum der Artemis Orthia durchgehend von Frauen verwaltet worden ist [9]. Durch den Periegeten Pausanias wissen wir aber auch von rituellen Aufgaben dieser Priesterin: in der kaiserzeitlichen Form des Peitschenrituals am Altar der Göttin hielt sie das Bild der Göttin in den Armen [10].
Die übrigen Ämter der Pomponia Kallistonike sind weniger deutlich zu erkennen: Kult der Moirai Lacheseis, der Aphrodite Enhoplios und des Asklepios Schoinatas ist hier singulär bezeugt, so daß nicht beurteilt werden kann, ob diese Ämter Frauen vorbehalten waren. Bei den Dioskourenämtern und wahrscheinlich auch bei dem Priesteramt der Artemis Patriotis aber kennen wir einen zweiten Amtsinhaber, den Sekstos (Pompeios) Eudamos [11]: diese Ämter könnten also sowohl von Männern als auch von Frauen verwaltet werden. Man hat auch an paarweise Amtsübung gedacht [12], doch läßt sich dies hier nicht zweifelsfrei erweisen. An anderen Stellen ist es möglich; so wissen wir, daß eines der Dioskourenpriesterämter des kaiserzeitlichen Sparta durch ein Priesterpaar ausgeübt worden ist [13].

Eine Durchsicht der gut 30 Priesterämter, die für das kaiserzeitliche Sparta bezeugt sind, ergibt ungefähr das folgende Bild: Der Kaiserkult wurde offenbar ausschließlich von Männern geübt (16 Personen sind alleine zwischen hadrianischer und konstantinischer Zeit als Priester der Kaiser belegt [14]), ein extraurbanes Heiligtum der Demeter dagegen wurde ausschließlich von Frauen verwaltet (wir kennen eine Priesterin, mehrere "Bankettleiterinnen" (thoinharmostriai), die Kultmahle finanzierten, und mehrere Assistentinnen jugendlichen oder kindlichen Alters, insgesamt 14 Personen [15].
Zwischen diesen Polen geschlechtsspezifischer Verteilung gab es eine breite Mitte von Kulten, die sowohl von Priestern als auch von Priesterinnen verwaltet werden konnten: hier dürfte es um eine möglichst gleichmäßige Verteilung der mit den Priesterämtern verbundenen Finanzlasten (Ausrichtung der Jahresfeste in den Heiligtümern, eventuell anfallende Reparatur- oder Ausstattungskosten u.ä.) unter den Familien der städtischen Oberschicht gegangen sein.
Obwohl das extraurbane Demeterheiligtum von Frauen verwaltet wurde, läßt sich von dem dort geübten Kult nicht behaupten, er sei alleine den Frauen der Stadt vorbehalten gewesen; die Nutzung mag zeitweise, aber nicht immer, geschlechtsspezifisch exklusiv gewesen sein [16]. Der öffentlich bedeutendste, am dichtesten bezeugte und sicherlich am prächtigsten ausgestattete Kult in Sparta aber war der Kaiserkult, und dieser wurde exklusiv von Männern im Priesteramt ausgeübt [17]. Dies überrascht nicht nur vor dem Hintergrund der sozialen Verhältnisse Spartas, wie wir sie für klassische Zeit rekonstruieren (siehe oben), sondern auch im Vergleichsrahmen der Kaiserzeit: sowohl im Westen des römischen Reiches wie auch in Kleinasien sind Frauen und Männer als Kaiserpriester agierend zu sehen, wobei eine schon länger währende Forschungsdebatte [18] sich um die Frage dreht, ob lediglich Priesterpaare oder auch einzelne Frauen mit voller Kompetenz zu erkennen sind. Wie dem auch sei: Im kaiserzeitlichen Sparta scheint man die Grenzlinien zwischen den Geschlechtern enger gezogen zu haben, zumindest im Bereich der öffentlichen Repräsentation.

[1] InHistria 57; Übersicht zur antiken Stadt im Mündungsgebiet der Donau bei O. Höckmann u.a., Histria an der Küste des Schwarzen Meeres, AW 28, 1997, 209-216.
[2] InHistria 57, Z. 17-21; SEG 30 (1980) 796.
[3] InHistria 57, Z. 50-52; der Text ist hier stark fragmentiert und in diesem Zustand nicht eindeutig; es könnten auch gemalte Porträts gemeint sein.
[4] Vgl. R. van Bremen, The Limits of Participation. Women and Civic Life in the Greek East in the Hellenistic and Roman Periods (1996).
[5] Vgl. etwa M.H. Dettenhofer, Die Frauen von Sparta, in: M.H. Dettenhofer (Hrsg.), Reine Männersache? (1994) 15-39.
[6] Vgl. A. Spawforth, Families at Roman Sparta and Epidaurus. Some Prosopographical Notes, BSA 80, 1985, bes. 201; R. MacMullen, The Epigraphic Habit in the Roman Empire, AJP 103, 1982, 233-240.
[7] IG V 1 (1913) 455 ff. (Männer), 573ff. (Frauen); SEG 11 (1954) 771ff.
[8] IG V 1 (1913) 602.
[9] Meine Münchener Dissertation 'Kulte im kaiserzeitlichen Sparta. Eine Rekonstruktion anhand der Priesterämter' (Berlin 2000) erscheint im Herbst; zum Orthiapriesteramt vgl. ebd. 71-74.
[10] Paus. III 16,10-11; Schol. Plat. Nom. 633 B (Greene); zur Funktion von Götterbildern vgl. T. Scheer, Die Gottheit und ihr Bild (2000).
[11] Vgl. A. Hupfloher, Kulte im kaiserzeitlichen Sparta (in Druck) 187ff. 209.
[12] A. Spawforth, BSA 80, 1985, 239; Stemma ebd. 242.
[13] IG V 1 (1913) 233.
[14] A. Spawforth, BSA 79, 1984, 283; Hupfloher a.O. 149ff.
[15] Vgl. Hupfloher ebd. 55.
[16] Vgl. ebd. 56-64.
[17] Vgl. ebd. 147-174.
[18] Skizziert etwa bei M. Wörrle, Stadt und Fest im kaiserzeitlichen Kleinasien (1988) 102; M.D. Campanile, I sacerdoti del koinon d'Asia (1994) 22-24; R.A. Kearsley, The Asiarchs of Cibyra Again, Tyche 11, 1996, 151-153; R. van Bremen, The Limits of Participation (1996) 44; S.J. Friesen, Highpriests of Asia and Asiarchs: Farewell to the Identification Theory, in: P. Scherrer - H. Thür - H. Taeuber (Hrsg.), Steine und Wege. Festschrift für Dieter Knibbe, SoSchrÖAI 32 (1999) 303-307.

© Annette Hupfloher
e-mail:
huann@gmx.de

This article will be quoted by A. Hupfloher, Priesterinnen und Priester im kaiserzeitlichen Sparta, Forum Archaeologiae 16/IX/2000 (http://farch.net).



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