Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 4 / VIII / 1997

DAS ANTIKE THEATER VON EPHESOS


1. Einleitung
Das ephesische Theater ist mit seiner Lage am Hangfuß des Panayir-Dag (Peion) wie die Theater von Pergamon und Milet nach Westen ausgerichtet. Die Reisenden, die in der Antike gewöhnlich über das Meer nach Ephesos kamen, konnten das mächtige Theater als das größte Bauwerk der Stadt schon von sehr weit erblicken.


Abb. 1: Blick über Arkadiane

2. Die Bedeutung des antiken Theaters
In der Antike wurden im Theater, das seinen Ursprung in den Dionysos-Kulten fand, nicht nur Tragödien und Komödien aufgeführt, sondern auch vor allem Volksversammlungen, heilige Zeremonien, Musenspiele und Zunftwettbewerbe abgehalten.
In der späten Antike wurde diese zentrale Gründung beeinträchtigt und es wurden sogar sportliche Kämpfe abgehalten.

3. Die Besonderheit des ephesischen Theaters
Der Standort des ephesischen Theaters zeigt, daß dieses Gebäude von Anbeginn am wichtigsten Punkt der Stadt lag. Aus der Topographie des Bauwerkes wird ersichtlich, daß Ephesos sich zwischen Theater und Hafen entwickelt hat. Aber welches Ephesos dies war, wird erst mit Hilfe der Datierung des Theaters wirklich klar werden.
Gemäß den ältesten Spuren im Theater, von dem man allgemein meint, daß es nach 300 v.Chr. von König Lysimachos für seine neu gegründete Stadt Arsinoeia erbaut worden sei, muß freilich eher angenommen werden, daß die Bauzeit später anzusetzen ist.
Nach den vorhandenen Evidenzen ist es nämlich sehr wahrscheinlich, daß das Theater zusammen mit dem, als Haupthafen der 133 v.Chr. eingerichteten römischen Provinz Asia neu entstehenden, Ephesos erbaut wurde. Deshalb wird die sorgfältige archäologische und bauhistorische Untersuchung des Theaters einen bedeutenden Beitrag zur Erhellung der allgemeinen ephesischen Geschichte bedeuten.
Das Theater bildete auch eine wichtige Station am Wege der heiligen Artemis-Prozessionen rund um den Panayir-Dag. Die in der Apostelgeschichte überlieferte Brandrede des Demetrius gegen den heiligen Paulus mag ebenso im Theater stattgefunden haben.

4. Die Bauteile
A. Koilon (Zuschauerraum):
Das untere Koilon (ima cavea) wird vom ersten, das mittlere Koilon (media cavea) vom zweiten und das oberste Koilon (summa cavea) vom dritten Diazoma (=Rang, Umgang) begrenzt.
Die Außenwangen des Koilons werden Analemmata (=Aufbauten) genannt.
Der Mittelteil des Koilons (= Zuschauerraum) ist in den Bergfels gesetzt.
Der Zuschauerbereich des ephesischen Theaters war wie bei demjenigen von Pergamon und dem Dionysos-Theater von Athen in drei Zonen geteilt. Das Dionysos-Theater gehört der klassischen Zeit, das von Pergamon dem Hellenismus an. Die Dreizonen-Gliederung gab es also von Anbeginn.
Doch widerspiegelt die Zonenzahl eines Theaters nur die Größe einer Stadt. Diese Form des ephesischen Theaters bezeugt, anders als bei den meist nur zwei Diazomata aufweisenden kleinasiatischen Theatern (Magnesia am Maeander, Hierapolis und Milet), daß die Stadt ein bedeutendes Zentrum war. Aber aus der Form ist keine Datierung abzuleiten. Generell wurden die Theater entsprechend der Einwohnerzahl und den technischen Bedingungen mit einem oder mehr Diazomata gebaut.
Das Koilon weist im Schnitt eine leichte Konkavität auf. Diese auch aus antiken Quellen bekannte Besonderheit diente dazu, die Akustik zu steigern und die Optik zu verbessern. Außerdem aber wurde damit der Druck des Felsgrundes abgefangen.
Im ephesischen Theater ist jeder Koilon-Teil in sich konkav. Außerdem besitzt jeder Koilon-Teil für sich einen eigenen Mittelpunkt. Diese liegen auf einer Linie, die Ost-West verläuft. Auf diese Weise wird auch deutlich, daß die Koilonteile zu verschiedenen Zeiten gebaut wurden.
Die Planbreite jedes Koilon-Teiles ist ungefähr gleich. Von der Topographie unabhängig hat man sich bemüht, jeweils die gleiche Anzahl von Sitzen zu schaffen.
Das Koilon ist insgesamt in 55 Kerkides (= Keilfelder) unterteilt. Das untere Koilon umfaßt 12 Felder zwischen 11 Stiegen, die beiden oberen umfassen je 22 Felder zwischen 21 Stiegen.
Nach den vorhandenen Spuren kann das untere Koilon in den Hellenismus datiert werden.
Was es damals in den oberen Koilon-Teilen gab, ist noch fraglich. Aber die erhaltene Anlage stammt jedenfalls aus der römischen Kaiserzeit. Denn es ist klar, daß die Größe des Theaters mit der Entwicklung von Ephesos konform ging.
Die strukturelle Entwicklung des Theaters und seine Phasen werden durch die Untersuchung seiner Substruktionen erfaßt werden.
Die Substruktionskammern:
Das Theater lag ursprünglich nur im natürlichen Hang. Bei seiner Vergrößerung mußten die Seitenenden auf einer künstlichen Unterkonstruktion errichtet werden. Anstelle einer massiven Blockmauer wurden viel rascher aufzubauende leere Gewölbekammern übereinander gestellt, und nur die Außenschale aus groben Blöcken gesetzt. So wurden beide Analemmata (=Koilon-Enden) mittels einer Unterkonstruktion aus übereinander gebauten Gewölben aufgerichtet. Der Oberteil der mittels blinder Gewölbe hochgezogenen Analemmata gehört aufgrund der angewendeten Mauertechnik (opus caementitium) der römischen Kaiserzeit an. Das lateinisch Cavea genannte Koilon weist - so wie es heute zu sehen ist - aufgrund der Bautechnik römische Erneuerungen auf.


Abb. 2: Zuschauerraum und Bühne

B. Die Aufgänge (= Aditus):
Die Aufgänge in den Analemmata sind wie im Theater von Milet mit Blöcken ausgekleidet.
Um zu den oberen Rängen zu gelangen, baute man tunnelförmige Aufgänge in die Analemmata ein. Man kann davon ausgehen, daß die Zugänge und Vomitorien (= "die, die Leute auf die Ränge speien") in der römischen Kaiserzeit errichtet wurden. Die Aufgänge sind an die Hangsituation angepaßt. Die Entwicklung des ephesischen Theaters ist insbesondere aus den Substruktionen der Analemmata zu verstehen. Die in diesen gelegenen offenen oder geschlossenen Auf- und Durchgänge zeigen die strukturellen Veränderungen auf.
Da sich das ephesische Theater über einer bedeutenden Erdbebenfalte befindet, hat es die Wirkungen der in dieser Gegend häufigen Erdbeben auch in extremer Weise miterlebt. Deshalb können die alten Reparaturen dieses Bauwerkes auch mit den bekannten Erdbeben in Verbindung gebracht werden. Die Zerstörungen im nördlichen Analemma haben am Ende einen vollkommen neuen Aufgang notwendig gemacht. Die zum zweiten Diazoma führenden Vomitoria wurden in byzantinischer Zeit außen mit Sperrmauern geschlossen.
In byzantinischer Zeit wurde das Theater wie in Milet und Aphrodisias als Bollwerk in die neue Stadtmauer einbezogen; aber die Benutzung des Theaters hörte noch nicht auf.
Die jüngsten Arbeiten haben vor allem im Nord-Analemma bisher unbekannte Fakten zur Spätzeit des Theaters ans Licht gebracht: So haben die schweren Erdbeben von 262 und 359-366 n.Chr. zu großen Beschädigungen des Gebäudes und bei den Zugängen zu Umbauten und schließlich zur Aufgabe geführt (Der oberste Aufgangstunnel des Nord-Analemmas stürzte wegen Erdbeben zweimal zusammen. Wo dieser Tunnel ursprünglich in das Koilon mündete, kann nur durch archäologische und bauhistorische Forschungen festgestellt werden).
Die Aussage des römischen Architekten Vitruvius im 5.Buch, Kap.7,2 seiner "Zehn Bücher über Architektur" zum griechischen Theater, nämlich: "... die Zwischenaufgänge zwischen den Hauptstiegen und Sitzrängen sollen vom Mittelpunkt der Orchestra über die Quadratecken bis zum ersten Diazoma geführt werden, ab diesem sollen dazwischen weitere Verdoppelungen der Stiegen vorgenommen werden" wird im Theater von Ephesos rezeptartig reflektiert.
Bis vor kurzem war die Form des Koilons über den Analemmata unbekannt. Im Zuge der jüngsten Sicherungsmaßnahmen konnten mittels drei in situ konservierter Blöcke die entsprechende Planergänzungen vorgenommen werden.
Trotz anderer Zeitstellung ähneln die Sitzreihen jenen von Priene und Pergamon: als ebene Unterlage wurde ein grob behauener Block verwendet, der mit fein bearbeitetem Marmor verkleidet wurde. Diese hellenistische Methode hat sich auch noch später gehalten.
Die heute im ephesischen Theater zu sehenden Sitzsteine sind zumeist moderne Ergänzung und Interpretation.
Hinter dem dritten Diazoma befindet sich - wie sich aus Wilbergs Zeichnungen ergibt - eine einreihige Säulenkolonnade. Die hier durchgeführten Grabungen haben Räume freigelegt, die einen daran denken lassen, daß an diesem beherrschenden Punkt das Nemeseion (Nemesis kontrollierte als Rachegöttin alle Wettkämpfe) gelegen habe.
Auf einer Inschrift im Nord-Analemma steht zu lesen, daß sich in der römischen Zeit über der Cavea ein Velum (=Sonnensegel) befand. Es ist zu bezweifeln, daß dieses Segel den gesamten Zuschauerraum überdachte. Denn wenn sich auch in der unteren Cavea geeignete Vertiefungen für die Stützen eines Segels befinden, hätte dann von den oberen Rängen aus das Geschehen in der Orchestra nicht mehr verfolgt werden können.
Die Aussage des Plinius in seiner 77 n.Chr. dem Kaiser überreichten "Naturgeschichte", daß «Ephesos den Pion emporwächst», meint gewiß auch das von rot bedachten Häusern umgebene Theater.

C. Das Bühnengebäude:
Das heute als "Kulisse" verstandene Gebäude bildet die Westfront des Theaters. Davor liegt das Proskenion (=Vorderbühne), auf dem ebenfalls Aufführungen stattfanden.
Die Skene wirkte von der Hafenstraße her wie eine Talsperre. Im Gegensatz dazu war die Innenseite (scenae frons) mit einer reichen Architektur geschmückt.
Die Skene (= Bühnengebäude), deren Bau im Hellenismus begonnen wurde, ähnelte jenen der Theater von Priene und Assos. Zwischen dem einstöckigen Bau und der Orchestra gab es ein schmales Proskenion. Im Inneren hatten Umkleideräume und ein Hyposkenion (= Unterbühne) Platz. Der Bau war mit einem Satteldach bedeckt.
Abb. 3: scenae frons
Im Zuge der Veränderungen des Theaters während der römischen Kaiserzeit wurde auch die Skene verändert: Das Proskenion wurde erweitert und wie in Hierapolis auf drei Säulenreihen gestellt.
Die Innenseite des Bühnengebäudes (scenae frons, Abb. 3) wurde in der römischen Kaiserzeit schließlich mit einer dreistöckigen Tabernakel-Fassade versehen. Dafür wurde das ganze Bühnenhaus mit acht starken Streben abgestützt. Reste der Stufen zum zweiten Stock sind noch erhalten.
D. Orchestra:
Dieser heute als "Bühne" verstandene Bereich war der Platz, wo ursprünglich archaische Chöre und Tänze aufgeführt wurden.
Im Hellenismus hatte die Orchestra, wie aus dem sie umgebenden Wasserkanal deutlich hervorgeht, eine Hufeisenform (etwas größer als ein Halbkreis). Die Kerkides begannen unmittelbar hinter dem Kanal auf derselben Höhe wie die Orchestra.
Während der Orchestra-Boden in der römischen Epoche auf gleichem Niveau blieb, wurden die Kerkides um 2 m zurückgenommen und begannen jetzt auf einem ca. 1,8 m hohen Podium. Außer einer nahmen auch die Stiegen von hier ihren Ausgang.
Die Ausbildung der Orchestra als exaktes Halbrund fand in der römischen Epoche statt. Freilich hat man dabei im allgemeinen die Hufeisenform der älteren Theater nicht verändert.
In der römischen Kaiserzeit wurden neben den Bühnenaufführungen auch sportliche Spiele und schließlich sogar Gladiatorenkämpfe aufgeführt. Die entsprechenden Belege stellen Graffiti dar, die auf Steinen der Bühnenfront eingeritzt sind.


© I. Ataç



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