Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 11 / VI / 1999

RÖMISCHE RECHTSARCHÄOLOGIE

Ein von der Österreichischen Nationalbank finanziertes Forschungsprojekt Römische Rechtsarchäologie ist an der Lehrkanzel von Professor Peter PIELER im Institut für römisches Recht und antike Rechtsgeschichte in Wien beheimatet. Das Projekt Römische Rechtsarchäologie umfaßt:
1. Die Untersuchung von Bildquellen nach ihrem rechtlichen Sinngehalt.
2. Ihre systematische Erschließung nach rechtshistorischen Gesichtspunkten.
3. Die Schaffung eines Dialogs zwischen so unterschiedlichen Fächern wie der Klassischen Archäologie und des römischen Rechts.
Am Beispiel von drei Themenbereichen werden hier Möglichkeiten und Grenzen einer römischen Rechtsarchäologie illustriert:
I. Einschlägiges Bildmaterial mit Bezug zum römischen Strafrecht ist in erstaunlich großer Zahl erhalten. Gerade Darstellungen von Exekutionen (Abb. 15) sind durch Neufunde der letzten Jahrzehnte überdies stark vermehrt worden. Ferner eröffnen paläopathologische Untersuchungen an Leichenteilen und naturwissenschaftliche Untersuchungen an Märtyrerreliquien und des Turiner Leichentuchs ein weites, neues Forschungsgebiet [1].

Abb. 15: Hinrichtung mittels Leoparden (Mosaik von El Djem, Tunesien)
(C. Vismara, Il supplizio come spettacolo [Vita e costumi dei romani antichi 11, 1990] Titelblatt)

II. Der römische Rechtsgestus der antestatio, bei dem der Kläger einen Zeugen am Ohr faßt und ihn mit den Worten "licet antestari" bittet, zu bezeugen, daß er einen unwilligen Beklagten zu Recht eigenmächtig vor Gericht bringt, erscheint Jahrhunderte später in mittelalterlichen germanischen Rechtsbüchern mit genereller Bedeutung wieder. Handelt es sich hier um zwei unabhängige Rechtsgesten oder liegt eine Abhängigkeit der germanischen Rechtsgeste von der römischen vor? Diese Frage helfen kaiserzeitliche Gemmen zu beantworten, welche die Darstellung "eine Hand zupft mit Daumen und Zeigefinger ein Ohrläppchen" und die Inschrift "erinnere Dich" tragen. Die Schmuckstücke zeigen, daß die Germanen eine im Mittelmeerraum allgemein gebräuchliche Geste kreativ ihren rechtlichen Notwendigkeiten angepaßt haben [2].
III. Die rechtlichen Institutionen der Römer stehen in wechselseitiger Beziehung mit Institutionen und Ämtern der Italiker. Die literarischen Nachrichten der Griechen und Römer über die italische Zivilisation sind zwar gering, aber numismatische, epigraphische und vor allem archäologische Quellen der Italiker selbst präsentieren ein Bild über Institutionen und Ämter wie z. B.: touta, decima, vereia, meddices, und ver sacrum. Ob die altitalischen und römischen Institutionen auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen sind oder zwei unabhängigen Traditionen vorliegen, das ist Aufgabe der laufenden Forschungen [3].

[1] Vgl. R. Selinger, Frauenhinrichtung: Ideologie und Wirklichkeit, in: Actes, 51ème Session de la Société Fernand de Visscher pour l'Histoire des Droits de l'Antiquité, Crotone & Messina 16-20 September 1997 (in Druck); Experimente mit dem Skalpell am menschlichen Körper in der griechisch-römischen Antike, in: Saeculum: Zeitschrift für Universalgeschichte (in Druck).
[2] R. Selinger, Das Ohrläppchenzupfen als Rechtsgeste: Licet antestari? im römischen Recht und testes per aures tracti in den germanischen Rechten, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde (in Druck).
[3] Loredana Cappelletti, La Lega dei Brettii secondo gli autori antichi. Una questione di definizioni, SPFB 2, 1997, 47-52; Il giuramento degli Italici sulle monete del 90 a.C., ZPE (in Druck); Königtum bei den Oskern?, SPFB (in Druck); Autonius Justinianus rector provinciae Samnitium (p.C. 357?), Tyche (in Druck).

© Reinhard Selinger
e-mail: reinhard.selinger@univie.ac.at



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