Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 11 / VI / 1999

EIN 'VERGESSENES' HEILIGTUM DER ACHÄMENIDENZEIT IN BYBLOS

Vor genau 130 Jahren war bei Pflanzarbeiten in der Oberstadt der antiken Siedlung von Byblos die fast vollständig erhaltene Stele des einheimischen Königs Jehaumilk aus der Mitte des 5. Jhs. v.Chr. gefunden worden, die schließlich der Louvre erworben hat. Sie berichtet über Baumaßnahmen am Heiligtum der Stadtgöttin Ba'alat. Erst 70 Jahre später fand sich im Rahmen der französischen archäologischen Grabungen die bis dahin noch fehlende rechte untere Ecke dieses Monuments. Damit war der ursprüngliche Standort der Stele innerhalb des Heiligtums annähernd lokalisierbar geworden.
Wie man sich allerdings den Tempel für die Ba'alat von Byblos, der mindestens seit dem 23. Jh. v.Chr. existierte, in der Achämenidenzeit vorzustellen hat, dazu erteilt die Fachliteratur bis dato kaum eine Auskunft. Dieser Umstand besitzt auch seine besonderen Gründe. Denn zum einen zeichnen sich die Grabungsarbeiten an diesem Hauptheiligtum, die unter Pierre Montet von 1921 bis 1924 begonnen und von Maurice Dunand von 1926 bis 1932 weitergeführt worden sind, nicht gerade durch ein besonders starkes Interesse an den jüngsten Bauphasen in dieser phönizischen Metropole aus. Entsprechend rudimentär blieb deshalb auch deren Dokumentation. Weiters pflegte man damals, beim schrittweisen Tiefergehen die jüngeren Bauschichten zur Gänze abzutragen. Außerdem dokumentierte man keine Grabungsprofile, sondern veröffentlichte für diesen Sektor nur Planungspläne, welche die architektonischen Befunde jeweils innerhalb eines zwei Meter starken Schichtpaketes festhielten.
Da sich das Heiligtum der Stadtgöttin zudem in einer Hanglage befindet, lassen sich aus den betreffenden Schichtplänen keine Bauphasengrundrisse ablesen. Will man also den Grundriß des Heiligtums zu einem bestimmten Zeitpunkt eruieren, so bedarf es in einem ersten Arbeitsgang der Rekonstruktion der Profile mit ihren Bauhorizonten. Eine solche wird durch die in den Plänen festgehaltenen Nivellements von Ober- und Unterkanten der Mauerzüge zumindest in grundlegender Hinsicht möglich. Eine gewisse Kontrolle und manch wichtige, ergänzende Aufschlüsse für die so wiederzugewinnende Stratigraphie bieten die Grabungsfotos. Alle diese Informationen sind aber über mehrere Publikationen verteilt und müssen somit erst zusammengetragen werden.
Drei Basen in situ, zwei für Säulen und die dritte scheinbar für einen Obelisken, die sich typologisch der Perserzeit zuweisen lassen, gestatten zusammen mit den Resten einer an die Basen anschließenden Bodenpflasterung sowie mit einer Schwelle und weiteren angrenzenden und von West nach Ost absteigenden Bauresten, zu denen auch ein aufgemauerter quadratischer Altar am Westrand des Heiligtums gehört, den betreffenden Bauhorizont (Nivellements zw. 28,04 und 28,44) in diesem Heiligtum zu fixieren und die Zusammengehörigkeit der betreffenden Bauglieder zu erkennen.

Abb. 3: Byblos, Ba'alat-Heiligtum, Grundriß zur Achämenidenzeit

Im Gegensatz zu dem von Dunand 1941 veröffentlichten Plan (in unserer Abb. 3 mit gelber Farbe markiert), müssen in den perserzeitlichen Grundriß dieses Heiligtums aber auch diejenigen Bauteile einbezogen werden, die schon vor dem 5. Jh. errichtet und im 4. Jh. noch immer in Funktion gestanden hatten. Dazu gehört die trotz späterer Ausplünderungen noch bis zum Niveau von 27,60 erhaltene monumentale Stütz- und Fundamentmauer. Die Art ihrer Bossierung findet sich an entsprechenden Bauten der frühen Achämenidenzeit, so z.B. an der Terrassenstützmauer am Palast von Pasargadai, am monumentalen Tempelpodium im Eschmun-Heiligtum von Bostan esch-Schech bei Sidon wie an der perserzeitlichen Tempelterrassenmauer in Jerusalem. Nicht zuletzt bieten die Außenmauern der achämenidischen Festung am Ostrand der Oberstadt in Byblos selbst eine entsprechende Parallele.
Folglich erstreckte sich der Hauptbau des damaligen Ba'alat-Heiligtums in Form einer 36 Meter langen und 17 Meter breiten Halle, in deren annähernd Nord-Süd verlaufender Längsachse im Inneren des Gotteshauses eine Säulenstellung die Dachkonstruktion trug. Aufgrund der Geländeformation kann der Eingang in das Tempelhaus nur auf dessen Westseite gelegen haben. Da sich die Südmauer mindestens um einen halben Meter weiter nach Westen erstreckte als die Nordmauer und im Gegensatz zu letzterer keine Einbindung der Westmauer, sondern eine Lücke aufweist, wo einst auch die Stele des Königs Jehaumilk gestanden ist, dürfte dies ein gewichtiger Hinweis darauf sein, daß sich der Eingang in den Tempel am Südende der Westmauer befunden haben wird.
Damit würde dieser Kultbau die alte einheimische Tradition eines Knickachsentempels bewahrt haben.
An diesen Bau schloß nach Westen zu ein gepflasterter Hof an, in dem sich eine stufenförmige Basis in situ und in unmittelbarer Nähe die abgebrochene Spitze eines Obelisken fand.
Weiters führte in Richtung Westen ein kurzer Treppenlauf zu dem schon oben genannten quadratischen Altar empor. Die dort verrichteten Opferhandlungen waren also in Richtung Sonnenuntergang vollzogen worden.
Gegen Norden zu führte eine Schwelle in das sogenannte westliche Heiligtum, in dessen breitem Eingang zwei Säulen gestanden hatten. Die Lage seiner West-, Nord- und Ostmauer zu eruieren, fällt deswegen schwer, weil die äußersten, das Heiligtum insgesamt begrenzenden Mauerzüge einen trapezförmigen Raum umfassen, dessen Nordmauer in Richtung Osten nicht an den großen Tempel anbindet. Deshalb gehörten wohl jene inneren Mauerzüge, die bis zum Niveau 28,11 erhalten waren und zusammen eine Nordostecke bilden, wobei die Nordmauer zudem parallel zur besagten Schwelle verläuft, zur Zellabegrenzung des westlichen Kultbaus. Von der Dachbekrönung dieses Tempels stammt wohl auch der Uräenfries, der nur wenige Meter nordwestlich davon in verworfener Lage ans Licht gekommen war.
Schließlich informiert uns König Jehaumilk selbst über die von ihm am Heiligtum der Stadtgöttin in Auftrag gegebenen Baumaßnahmen. So wurde ein "bronzener Altar" errichtet. Dies kann ein tragbarer Brandopferaltar, aber ebenso eine mit Bronzeplatten verkleidete, steinerne Ara gewesen sein.
Weiters hatte der König hier ein "goldenes Tor" gestiftet, "welches sich gegenüber diesem meinem Tor" befand. Der letztgenannte Eingang war also der des Königs schlechthin, womit entweder das Palastportal oder ein aus dem Palastareal in den Tempelbezirk führendes Tor angesprochen ist. Da sich der Königspalast auf der höchsten Kuppe der Oberstadt und damit westlich des Ba'alat-Tempels befunden hat, müßte ein in der Westmauer des Heiligtums sitzendes Tor existiert haben. Und tatsächlich fand sich knapp nördlich des besagten quadratischen Altares eine Lücke in der Westmauer des Heiligtums, welche, sofern sie nicht erst durch späteren Steinraub entstanden ist, die Stelle eines Westeingangs darstellen müßte. Da sich westlich desselben keine Spuren einer Toranlage ausmachen lassen, wäre in dem westlichen Temenoseingang das Königstor zu sehen.
Das "goldene Tor" gegenüber müßte dann mit dem bereits oben erschlossenen Eingang in den großen Tempel identisch sein. Dafür sprechen sowohl der Standort der Stele als auch die weiteren Angaben im Text der Weihestele. Denn Jehaumilk berichtet zudem, daß er "über diesem goldenen Tor" eine "goldene Flügelsonne mitten auf dem Stein", also zweifellos auf dem steinernen Türsturz, hatte anbringen lassen und zudem "diese Säulenhalle, ihre Säulen und die Kapitelle auf ihnen sowie ihr Dach" errichtete.
Die Tatsache, daß die Stele des Jehaumilk ursprünglich an der Südwestecke des großen Tempels aufgestellt war, ergibt dann einen besonderen Sinn, wenn sich dort der Eingang zu dem Gotteshaus befunden hat, dessen Tor, Säulenstellung und Dachkonstruktion er hatte erneuern lassen, denn von einem Neubau insgesamt ist ja nicht die Rede.
Dabei an das westliche Heiligtum zu denken, ist grundsätzlich möglich, doch bleiben dabei einige Fragen offen. Denn zum einen besaß das über die besagte Schwelle betretbare Sanktuarium an dieser Stelle kein Tor. Weiters kennen wir außer den beiden Säulen im Eingangsbereich keine Überreste von solchen im Inneren der Zella. Zwei oder vier weitere Säulen dort zu rekonstruieren, bleibt genauso hypothetisch wie die Stelle der von Dunand angesetzten südlichen Hofmauer, welche gleichzeitig die Begrenzung dieses Heiligtums im Süden darstellen müßte. Sollte dann dort das "goldene Tor" zu suchen sein? Dann müßte das Königstor in der südlichen Temenosmauer gesessen haben, wofür kein Argument beizubringen ist.
So ergibt sich bei unserem derzeitigen Wissensstand dann die harmonischste Lösung, wenn wir die vom byblischen König Jehaumilk durchgeführten Baumaßnahmen im Heiligtum der Ba'alat von Byblos am großen Gotteshaus dieser Stadtgöttin und nicht am sogenannten westlichen Heiligtum lokalisieren.

© Peter W. Haider
e-mail: peter.haider@uibk.ac.at



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