Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 7 / VI / 1998

DIE "ANAGLYPHA HADRIANI" IN ROM


Im September des Jahres 1872 wurden bei Grabungen auf dem Forum Romanum skulptierte Marmorplatten gefunden, die zu zwei fast vollständigen Schranken zusammengesetzt werden konnten (Abb. 1. 2). Auf der einen Seite sind jeweils die drei Tiere des klassischen Opfers an Mars (suovetaurilia), abgebildet, auf der anderen bildet eine Architekturkulisse Hintergrund für eine Versammlung von Personen vor dem Kaiser. Inhalt dieser Szenen und vor allem die Benennung des zweimal dargestellten Kaisers sind seit der Auffindung der als ‘Anaglypha’ bezeichneten Platten umstritten.


Abb. 1: Anaglypha Hadriani, Platte I (Photo Verf.)


Abb. 2: Anaglypha Hadriani, Platte II (Photo. Verf.)

Die Architekturkulisse auf den ‘Anaglypha Hadriani’ kann eindeutig als die Südseite des Forum Romanum identifiziert werden (Abb. 3). Der fünfsäulige Bau auf Platte I (Abb. 1) ist der Dioskurentempel. Daß nur fünf der acht Säulen wiedergegeben sind, widerspricht dieser Benennung nicht. Auch auf einem Relief des Hateriergrabes ist Architektur radikal verkürzt gezeigt. Die beiden Tempel rechts auf Platte II (Abb. 2) sind jene des Saturn und des Vespasian. In der Realität stehen die beiden Kultbauten in rechtem Winkel zueinander, für die Darstellung auf dem Relief wurde die Perspektive ‘aufgeklappt’. Die basilica Iulia wird auf beiden Platten gezeigt, was durch den unterschiedlichen Abschluß der Enden der Halle deutlich wird: Die letzten Pfeiler mit vorgestellten Halbsäulen sind neben dem Feigenbaum jeweils in der Mitte abgeschnitten, während sie an den anderen Enden voll ausgeführt sind. Die Rednerbühne auf Platte I ist jene vom Dioskurentempel, auf Platte II sind die rostra Augsti gezeigt. Beide Tribünen werden aus kompositorischen Gründen um 90 Grad gedreht dargestellt.


Abb. 3: Forum Romanum am Beginn des 2. Jhs. n.Chr.: 1: Caesartempel; 2: Augustusbogen; 3: Dioskurentempel; 4: basilica Iulia; 5: Tiberiusbogen; 6: Saturntempel; 7: porticus deorum consentium; 8: Vespasianstempel; 9: tabularium; 10: Concordiatempel; 11: rostra Augusti; 12: curia; 13: basilica Aemilia; 14: Möglicher Standort der ‘alimenta-Gruppe’; 15: Möglicher Standort von ficus und Marsyasstatue (nach H. Kähler, Das Fünfsäulendenkmal für die Tetrarchen auf dem Forum Romanum, MAR 3 [1964] 33 Abb. 7).

Mit dem Bogen rechts auf Platte I ist der südliche Durchgang des dreitorigen Augustusbogens gemeint; auch hier ist im Relief eindeutig angegeben, daß das Monument über die Plattengrenze hinaus fortgesetzt zu denken ist. Nicht zu identifizieren ist der Bogen zwischen Saturn- und Vespasianstempel auf Platte II. Die unterschiedliche Ausführung der beiden Enden des Gewölbes scheint durch einen Fehler in der Raumaufteilung des Reliefs bedingt zu sein.

Abb. 4: Anaglypha Hadriani, Platte I: alimenta-Gruppe (Photo Verf.)

Die Anaglypha zeigen auf Platte I eine Statuengruppe auf einem Sockel, die ‘alimenta-Gruppe’, die sonst nur von Münzbildern bekannt ist (Abb. 4)[1]. Die Legende erklärt die Szene: Italia streckt dem Kaiser Traian Kinder entgegen, die durch die Einrichtung der alimenta der Fürsorge des Herrschers unterstellt werden. Den einzigen Hinweis zur Lokalisierung der Statuengruppe, die auf den Münzen und den Anaglypha wiedergegeben ist, stellt das Relief selbst dar; die Statuengruppe muß etwa im Bereich des entfernten equus Domitiani nördlich der basilica Iulia gestanden haben.
Den Abschluß beider Platten bildet eine identes Ensemble, bestehend aus einem Feigenbaum und einer Marsyasstatue. Letztere ist in mehreren schriftlichen Quellen auf dem Forum Romanum überliefert. Feigenbäume sollen nach antiken Texten mehrere auf dem römischen Forum gestanden haben. Welcher auf dem Relief gemeint ist, wird nicht ersichtlich. Die Darstellung eines Sockels, auf der die ficus steht, spricht für die Annahme, daß es sich um eine Plastik handelt, die unmittelbar südöstlich der Marsyasstatue gestanden haben muß. Für beide Monumente läßt sich nur ein ungefährer Standort östlich der rostra Augusti rekonstruieren.

Auf Platte I erscheint auf den rostra ein togatus, der durch Stellung, Kleidung und den adlocutio-Gestus als Kaiser ausgewiesen ist. Das Fehlen des Kopfes macht eine Identifizierung durch das Porträt unmöglich. Der Imperator wird von sechs Liktoren begleitet, deren vier fasces tragen. Vor der Rednerbühne sind Zuhörer versammelt, die durch ihre Kleidung in togati und paenulati geteilt sind.

Die Szene zeigt, ausgewiesen durch die Hervorhebung der ‘alimenta-Gruppe’, die Erneuerung und Erweiterung der von Traian eingerichteten alimenta durch Hadrian. Es ist möglich, die togati als Stadtrömer, die paenulati aber als Italiker zu verstehen; beide Gruppen sind in gleichem Maße von der Wohltat des Kaisers betroffen. Auf die italischen Städte weist zusätzlich die prominente Darstellung der Marsyasstatue hin. Der Unterschied im Schuhwerk zwischen togati und paenulati ist noch nicht ausreichend untersucht, er widerspricht aber der oben genannten Theorie bei heutigem Kenntnisstand nicht.

Abb. 5: Anaglypha Hadriani, Platte II: Liktor, den Tafelhaufen entzündend (Photo Verf.)
Auf Platte II tragen uniformierte Soldaten Tafeln auf einen Haufen vor dem Saturntempel, ein Soldat legt einen Holzscheit obenauf. Rechts neben ihm entzündet ein Beamter in Fellstiefeln und sagum den Stapel mit einer (abgebrochenen) Fackel (Abb. 5). Gemeint ist die hadrianische Schuldenvernichtung von 118 n.Chr., die den terminus post quem für das Denkmal liefert.
Ikonographischer Beleg dafür ist eine Münze, die einen Liktor zeigt, der im selben Gestus und vor dem gleichen Publikum den Tafelhaufen entzündet[2]. Spuren der fasces bestätigen die Identifizierung der Figur auf Platte II als Liktor. Liktoren mit Fellstiefel (etwa auf dem Traiansbogen von Benevent und dem Großen traianischen Schlachtenfries) wurden immer als numina interpretiert, allerdings ist bei den Anaglypha eine Deutung der Figur als numen nicht wahrscheinlich.

Ganz rechts saß auf einer heute verlorenen Platte eine Figur auf den rostra, sie muß wegen ihrer Position als Kaiser erkannt werden. Die erhaltenen Reste des Gewandes sprechen nicht dagegen.

Eine im Einsiedelner Codex überlieferte Inschrift und die Historia Augusta nennen als Ort der genannten Schuldenvernichtung ausdrücklich das Forum Traiani[3]. Es ist nicht auszuschließen, daß dieser Akt im Gegensatz zur Realität auf den Reliefs auf das Forum Romanum ‘verlegt’ worden ist. Der Hauptplatz des römischen Imperiums steht dabei als Vokabel für das politische Zentrum des Reiches.
Tatsächlich gibt es Beispiele für historisch bewußt unrichtig wiedergegebene Details. Der Triumphbogen, durch den der Beutezug auf dem Durchgangsrelief des Titusbogens zieht, kann während des Triumphes 71 n.Chr. noch nicht existiert haben[4]. Auch die Begrüßung des Vespasian durch Domitian hat nicht, wie auf den Cancelleriareliefs durch die Präsenz der Vestalinnen angegeben, in Rom, sondern in Benevent stattgefunden[5].
Es ist möglich, daß ein Teil der Belege für die Schulden, nämlich derer an die staatliche Kasse, tatsächlich auf dem Forum Romanum verbrannt worden ist. Sowohl die Inschrift als auch die Historia Augusta sprechen nur von Rückständen an den fiscus. Cassius Dio, der als einziger ausdrücklich zwischen staatlicher und kaiserlicher Kasse scheidet, nennt den Ort der Verbrennung nicht[6]. Die Annahme eines zweiten Verbrennungsaktes würde die Ungereimtheit des dargestellten Hintergrundes aufheben, kann aber bei der gegebenen Quellenlage nur eine Theorie bleiben.

Die Darstellung der rostra Augusti zu weit westlich vor dem Vespasianstempel bietet neben dem Gewinn von Platz für die auftretenden Personen die Möglichkeit, den Stapel der Schuldtafeln unmittelbar vor dem Saturntempel zu positionieren. Damit ist die Verbindung zum aerarium Saturni verbildlicht. Der Kaiser auf Platte I spricht vom Dioskurentempel aus, auch hier kann der Bezug zu den im Keller des Tempels verwahrten Kassen des fiscus hergestellt werden.
Gegen eine Deutung der Platten als Darstellung einer traianischen Schuldenvernichtung spricht v.a. die Tatsache, daß die genannte Inschrift Hadrian bescheinigt, primus omnium et solus einen solchen Erlaß durchgeführt zu haben, ein Passus, der undenkbar wäre, hätte Traian, der optimus princeps, ähnliches kurz vorher getan - um so mehr, als daß Hadrian zu Beginn seiner Herrschaft die Ungereimtheiten seines Regierungsantrittes vergessen machen wollte. Die Darstellung der suovetaurilia paßt stilistisch zur zeitlichen Einordnung der Anaglypha. Inhaltlich ist das Opfer als feierliche lustratio anläßlich des Einzuges Hadrians in Rom und der Vernichtung der Schuldenlast zu verstehen.

Stilistisch stehen die Anaglypha den Reliefs des Traiansbogens von Benevent nahe, auch die Ornamentik des Gesimses weist in die traianisch-hadrianische Zeit. Eine genauere Einordnung läßt sich anhand stilistischer Vergleiche nicht gewinnen.
Für die Annahme, die Anaglypha stammen aus der gleichen Werkstatt wie der Traiansbogen von Benevent, gibt es m.E. zu wenig Hinweise. Läßt die unterschiedliche Breite der Dekorationselemente des Gesimses zunächst an verschiedene Künstlerhände denken, so spricht die Gleichheit der Faltenbehandlung, der Architektur im Hintergrund und des Ensembles von ficus und Marsyasstatue auf beiden Platten dagegen. Die unterschiedliche räumliche Staffelung der Figuren auf den beiden Platten ist thematisch bedingt und auch kein Indiz für verschiedene Handwerker.
Die durchgehende Kulisse und die Ausrichtung der Sockel spricht dafür, daß die Platten nebeneinander und nicht einander gegenüber gestanden sind. Der ursprüngliche Aufstellungsort der Anaglypha muß freilich weiterhin unklar bleiben.

[1] RIC 461.
[2] RIC 590-593; P.L. STRACK, Untersuchungen zur römischen Reichsprägung des zweiten Jahrhunderts II (1933) 60f. Nr. 555-558.
[3] CIL VI 967 = ILS 309; H.A. Hadr. 7, 6.
[4] M. PFANNER, Der Titusbogen (1983) 71f.
[5] A. LINFERT, KölnJbVFrühGesch 10, 1969, 56ff.
[6] Cass. Dio 69, 8, 1 (2).

Bibliographie: E. BRIZIO, Due bassorilievi in marmo rappresentanti scene del foro romano, AnnInstCorrArch 44, 1872, 309ff.; G. HENZEN, Rilievi di marmo scoperti sul foro romano, BullInstCorrArch 1872, 273ff.; E. PETERSEN, Die Reliefschranken auf dem Römischen Forum (1897); C.L. VISCONTI, Deux actes de Domitien en qualité de censeur représentés dans les bas-reliefs du double pluteus découvert en 1872 au Forum Romain (1873); A. Spalding JENKINS, The ‘Trajan-Reliefs’ in the Roman Forum, AJA 5, 1901, 58ff.; P.L. STRACK, Untersuchungen zur römischen Reichsprägung des zweiten Jahrhunderts I-II (1931-1933); W. SESTON, Les ‘Anaglypha Trajani’ du Forum Romanum et la politique d´Hadrian en 118, MEFRA 44, 1927, 154ff.; M. HAMMOND, A Statue of Traian Represented on the ‘Anaglypha Traiani’, MemAmAc 21, 1953, 127ff.; S. STUCCHI, I monumenti della parte meridionale del Foro (1958); U. RÜDIGER, Die Anaglypha Hadriani, AntPl 12 (1973) 161ff.; M. TORELLI, Typology and Structure of Roman Historical Reliefs (1982); G.M. KOEPPEL, Die historischen Reliefs der römischen Kaiserzeit IV, BJb 186, 1986, 1ff.; C.F. GIULIANI - P. VERDUCHI, L´area centrale del foro romano (1987); G.A. PLATTNER, Die ‘Anaglypha Hadriani’ in Rom. Ein Beitrag zur Ikonographie und chronologischen Einordnung Römischer Historischer Reliefs, Dipl. Wien (1998).

© G.A. Plattner
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