Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 7 / VI / 1998

DIE TERRA SIGILLATA DES DEPOTFUNDES VOM
RATHAUSPLATZ IN ST. PÖLTEN / NIEDERÖSTERREICH




Abb.1: Terra Sigillatagefäße des Depotfundes

Während der Ausgrabungen auf dem Rathausplatz in St.Pölten/Aelium Cetium[1] 1988/89 wurde ein Depot mit Terra Sigillata und Gebrauchskeramik aufgedeckt. Es wurden ca. 3800 Fragmente von verzierter und glatter Sigillata in und unmittelbar um das Haus X/II gefunden, die alle mehr oder weniger stark verbrannt waren, d.h. das Depot wurde durch Feuer zerstört, und es teilt somit das Schicksal aller aus der Literatur bekannten Sigillatadepotfunde.
Es müssen sich im Depot bei der Zerstörung mindestens 193 Sigillatagefäße befunden haben, von denen 49 Gefäße der Form Drag. 37 und 144 Gefäße der glatten Sigillata zuzurechnen sind, von denen es wiederum 12 Formen gibt. Bemerkenswert ist, daß von den glatten Gefäßen nur zwei Stück einen Bodenstempel und ein Stück einen Rosettenstempel aufweisen.
Alle hier angeführten Gefäße sind aus Rheinzabern importiert.
Weiters wurde ein Gefäß von nordafrikanischer Sigillata gefunden, das - ebenfalls verbrannt - sicher zum Depot zu rechnen ist.

Betrachtet man nun den Umfang anderer Depots, so schwankt dort die Mindeststückzahl zwischen 12 in Vindonissa (es handelt sich hierbei um ein Depot mit italischer Ware) und ca. 900 in Gauting (mit mittelgallischer Ware)[2]. Die drei bisher publizierten Depots mit Rheinzaberner Ware aus Kempten, Zugmantel und Langenhain, haben den in Tabelle 1 angeführten Umfang.

FundplatzGefäße TypenTöpfernamen
Kempten
228
10
8/10
Zugmantel
58
5
15
Langenhain[3]
230
12
5
Tabelle 1: Depots mit Rheinzaberner Ware

Üblich ist auch das gleichzeitige Auftreten von Gebrauchskeramik in einem Depot[4], Beispiele dafür gibt es unter anderem aus Eschenz, Gauting und Langenhain.
Die Anfangsdatierung des Hauses steht in direktem Zusammenhang mit der Datierung einer Planierschicht, die unmittelbar vor der Erbauung des Hauses X/II erfolgt sein muß. Da der Befund nur eine ungefähre Datierung der Planierschicht in das erste Drittel des 3.Jhs. n.Ch. zuläßt, sollen auch die Sigillaten aus dieser Planierschicht zur Datierung herangezogen werden.
Die mittelgallischen Sigillaten der Töpfer Quintilian, Docilis, Criciro, Cinnamus und Paternus aus der Planierung sind auch in dem 1949 von Saria gefundenen zweiten Depotfund aus St.Pölten enthalten.

Das Sigillataspektrum der Rheinzaberner Ware deckt sich - mit Ausnahme der Ware des Comitialis III und des Helenius - mit dem des Kastells Ellingen, das als Schlußmünze einen kaum abgegriffenen Denar des Septimius Severus von 193/211 hat, dessen Ende auf Grund der von Bernhard vorgeschlagenen Spätdatierung von Ianu II W. Zanier jedoch um 230 n.Chr. ansetzt[5] . A. Schaub hat nun wieder eine frühere Datierung von Ianu II vorgeschlagen[6], die aus folgenden Gründen plausibel scheint:
1) wurde beobachtet, daß Ianu II und Iulius II-Iulianus I, dessen Ware im Depot fast ein Drittel der verzierten Sigillata ausmacht, auf der Grabung am Rathausplatz von St.Pölten / Aelium Cetium in Fundkomplexen nie vergesellschaftet sind und
2) hat M. Kronberger[7] alle Fundkomplexe, in denen sich Ware des Ianu II befand, auch hinsichtlich der Gebrauchskeramik bestimmt. Daraus war ersichtlich, daß die Ware des Ianu II schon in Fundkomplexen des ausgehenden 2.Jh. enthalten war.
Was nun die Ware des Helenius aus Rheinzabern betrifft, so wurde zuletzt von D. Gabler[8] eine ganz allgemeine Datierung der Ware des Helenius in die Zeit von 179 bis 233 vorgeschlagen mit dem Zusatz, daß Helenius wahrscheinlich erst in der Severer - Zeit in Rheinzabern produzierte.
In einem Brunnen in Frankfurt - Heddernheim wurde Helenius zusammen mit Ware des Lupus und des Attillus - alle diese drei Töpfer fanden wir auch in der Planierschicht - gefunden. Ein Denar der Plautilla von 202/204 n.Chr. geben einen terminus postquem für diese Brunnenverfüllung[9].
Die Sigillataspektren von Ellingen und Frankfurt-Heddernheim, die mit dem der Planierschicht von St. Pölten vergleichbar sind und mit ihrer jeweiligen Schlußmünze von Septimius Severus bzw. Plautilla in die Zeit um 210 weisen, machen für die Planierschicht von St.Pölten eine Datierung um 210/220 n.Chr. wahrscheinlich.

Nun aber zur Datierung der Sigillaten des Depots selbst:
Das Haus X/II wurde im Zuge oder kurz nach der Planierung um 220 n.Chr. gebaut und fiel - wie P. Scherrer auf Grund des Befundes nachweisen konnte - einer Zerstörung zwischen 260 und 270 n.Chr. zum Opfer.

Die verzierte Sigillata
Überprüft man nun die verzierte Sigillata, die ja immer noch die meisten Anhaltspunkte für eine absolute Datierung bietet, so zeigt sich folgendes Bild (Tabelle 2): Die meisten Dekorationsserien gehören der Gruppe Bernhard III a an und hier wiederum ist die Ware des Iulius II-Iulianus I mit 18 Gefäßen am stärksten vertreten.

TöpferBernhard-GruppeStückzahl
Ware mit Eierstab E25/26
Be IIa
1
Iulius I
Be IIb
1
Victorinus I
Be IIb
1
Regulinus
Be IIc
1
Primitivus I
Be IIc
4
Primitivus IV
Be IIc
2
Ware B mit O 382/383
Be IIc
4
Iulius II - Iulianus I
Be IIIa
18
Victorinus III
Be IIIa
1
Respectinus I
Be IIIa
1
Respectinus II
Be IIIa
5
Perpetuus
Be IIIb
1
Ware mit Eierstab E 34/30
Be IIIb
1
Pervincus
Be IIIc
5
Ware mit Eierstab E 31
Be IIIc
2
n.b.
Be IIIc
1
Tabelle 2: Liste der Dekorationsserien des Depotfundes

Für die Datierung der letzten Lieferung aus Rheinzabern ist jedoch grundsätzlich die späteste Gruppe, nämlich Bernhard IIIc ausschlaggebend.Am besten stimmt die Sigillata des Depots mit der von Fundplätzen überein, die um 259/60 n.Chr. zerstört wurden - wie die Kastelle Altenstadt und Holzhausen.
Einzig und allein die Ware mit Eierstab E 31 ist dort nicht vertreten. Was nun die Ware mit Eierstab E 31 betrifft, so ist ein Stück aus Mangolding-Mintrarching bekannt, das von Th. Fischer publiziert wurde und der dazu anmerkte, das es von einem Fundplatz stammt, wo auch die Münzreihe während der 2. Hälfte des 3.Jhs. n.Chr. nicht abreißt[10].
Ein weiteres Stück der Ware mit Eierstab E 31 ist für Inheiden belegt, dort endet die Münzreihe erst in den 80er Jahren des 3.Jhs. n.Chr.[11]. Dies läßt den Schluß zu, daß der Zerstörungshorizont des Geschirrdepots zeitlich später als der von Niederbieber und Holzhausen anzusetzen ist. Die Zerstörung des Depots nicht vor 270 n.Chr. anzusetzen, scheint so gerechtfertigt.

Die glatte Sigillata
Was die glatte Ware betrifft (Tabelle 3), möchte ich nur einige mir wichtig erscheinende Details hervorheben.

FormMindeststückzahl
Drag. 32
75
Drag. 33
25
Drag. 43
12
Drag. 41
14
Niederbieber 27
4
Niederbieber 6a
3
Niederbieber 19
2
Drag. 54
9
Lud.VM3
6
Drag. 36
1
Drag. 39
1
Curle 15
1
Platte
1
Tabelle 3: Die Formen der glatten Sigillata

Die Teller der Form Drag. 32 sind mit mindestens 75 Stücken am stärksten vertreten. Es gibt den Teller in drei verschiedenen Größen. Die Form der großen, mittleren und kleinen Teller ist so einheitlich, daß man versucht ist, an eine Serie zu denken.
Auffällig ist das Fehlen jedwelchen Bodenstempels. Schon Simon meinte , daß ab der 2. Hälfte des 2.Jhs. die Zahl der Bodenstempel abnahm[12]. In einer Ofenfüllung aus Rheinzabern sind immerhin noch 21 Töpfernamen auf glatter Ware belegt[13]. Auch das kann meiner Meinung nach als Indiz für die von mir vorgeschlagene Zeitstellung des Geschirrlagers in die 60er Jahre des 3.Jhs. angesehen werden.
Sollte es sich nun bestätigen, daß das Stempeln der Ware auch mit der Organisation der Rheinzaberner Betriebe zusammenhängt, so wie es F. Reutti vermutet[14], dann wäre das Fehlen der Stempel möglicherweise ein Hinweis auf eine Umstrukturierung der Betriebe um die Mitte des 3.Jhs.
Der Teller Niederbieber 6 a gilt als einer der spätesten in Rheinzabern zur Produktion gelangten Formen. Von den Tellern mit einer Hohlkehle unter der Wandleiste sind mir nur zwei Stücke bekannt: In Holzhausen hat B. Pferdehirt eines publiziert mit der Anmerkung, daß der Scherben in Fundzusammenhang mit Ware des IuliusII-Iulianus I war[15]. Das zweite Stück stammt aus der Kellergrube 5 aus Pocking mit einer - so Kellner - fast prägefrischen Schlußmünze Gordians III. von 243 n.Chr. Auch hier war der Teller mit Ware des Iulius II - Iulianus I vergesellschaftet[16].
Das Vorkommen von Reibschüsseln der Form Drag. 43 mit Hängekragen und Ausguß und nicht mit Löwenköpfen überrascht, da bis dato mit einem Auslaufen der Form Drag. 43 in der ersten Hälfte des 3.Jhs. n.Chr. gerechnet wurde. In diesem Sinne wurde zuletzt das Fehlen der Form Drag. 43 im Geschirrlager von Langenhain, welches in das erste Drittel des 3.Jhs. datiert wird, interpretiert[17].
Jedoch gibt es sehr wohl Hinweise für eine Produktion dieser Ware auch noch um und nach der Mitte des 3.Jhs.: Ein Fragment wurde im Dendrophorenkeller von Nida-Heddernheim gefunden, dessen Verfüllung durch einen Antoninian des Gallienus (258/259 n.Chr.) sich zeitlich eingrenzen läßt[18]. Ebenso sind Stücke aus einem Brunnenschacht von Frankfurt-Heddernheim geborgen worden, dessen Münzreihe mit einem Antoninian des Philipp I f.Octacilla von 246/248 n.Chr. endet[19].
Interessant im Zusammenhang mit sog. Altstücken ist die gut erhaltene Platte Drag. 39, die ganz allgemein in die 2. Hälfte des 2.Jhs. bis in das 3.Jh. n.Chr. datiert wird. Das Stück ging schon vor der Zerstörung in Brüche und wurde, wie die Bohrlöcher zeigen, in der Antike wieder zusammengesetzt, das heißt wiederum, daß das Stück schon über einen längeren Zeitraum im Lager war. Darüber hinaus wies es einen Stempel auf, wovon aber nur mehr die letzten zwei Buchstaben FE für Fecit erhalten sind.

Abb. 2: Rekonstr. Haus X/II (Rekonstr. Ch. Ertel)
Die letzte Rheinzaberner Sigillata aus dem Depot, die hier vorgestellt werden soll, ist eine Platte, für die es in der Literatur keine Vergleiche gibt. Dies betrifft sowohl die Form wie auch den Bodenstempel Iustianus.
Wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich, war das Haus X/II (Abb. 2) von seiner Erbauung um 220 n.Chr. an bis zur Zerstörung durch Brand in den 60er Jahren des 3.Jhs. n.Chr. als Depot bzw. Lagerraum für Sigillata wie auch für Gebrauchskeramik bestimmt, die letzte Ware aus Rheinzabern traf kurz vor der Zerstörung des Hauses in St.Pölten - in den 60er Jahren des 3.Jhs. - ein. Dies belegt eindeutig, daß in Rheinzabern mindestens bis in diese Zeit Bilderschüsseln produziert wurden und daß Noricum noch in dieser späten Produktionsphase zu den Absatzmärkten der Rheinzaberner Produkte zählte.




[1] Die Grabungen standen unter der Leitung von P. Scherrer.
[2] Eine Zusammenstellung von der Größe aller bis 1982 publizierten Depots findet man bei W. Czysz, Der Sigillata-Geschirrfund von Cambodunum-Kempten. Ein Beitrag zur Technologie und Handelskunde mittelkaiserzeitlicher Keramik, Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 63, 1982, 339.
[3] H.G. Simon - H.J. Köhler, Ein Geschirrdepot des 3. Jahrhunderts. Grabungen im Lagerdorf des Kastells Langenhain, Materialien zur römisch-germanischen Keramik 11 (1992), 98.
[4] Die Gebrauchskeramik wird von M. Kronberger bearbeitet.
[5] W. Zanier, Das römische Kastell Ellingen, Limesforschungen 23, 1992, 162.
[6] A. Schaub, Markomannenkriegszeitliche Zerstörungen in Sulz am Nekar - Ein tradierter Irrtum. Bemerkungen zur reliefverzierten Terra Sigillata vom Ende des zweiten Jahrhunderts, Markomannenkriege - Ursachen und Wirkungen (1994) 442.
[7] Es sei an dieser Stelle meiner Kollegin M. Kronberger herzlichst gedankt.
[8] D. Gabler - H.J. Kellner, Die Bildstempel von Westerndorf II. Helenius und Onniorix, Bayerische Vorgeschichtsblätter 58, 1993, 267.
[9] H.U. Nuber, Zum Ende der reliefverzierten Terra-Sigillata-Herstellung in Rheinzabern, Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 67, 1969, 145.
[10] Th. Fischer, Das Umland des römischen Regensburg (1990) 49. [11] H. Blechschmidt - W. Strack, Neue Terra Sigillata-, Münz- und Ziegelfunde vom Limeskastell Inheiden (Kr. Gießen), Saalburg Jahrbuch 22, 1965, 16.
[12] H. Schönberger - H.G. Simon, Die Mittelkaiserzeitliche Terra Sigillata von Neuss, Limesforschungen 7, 1966, 10. 14.
[13] F.K. Bittner, Zur Fortsetzung der Diskussion um die Chronologie der Rheinzaberner Relieftöpfer, Bayerische Vorgeschichtsblätter 51, 1986, 250.
[14] F. Reutti, Neue archäologische Forschungen im römischen Rheinzabern (1984) 25f.
[15] B. Pferdehirt, Die Keramik des Kastells Holzhausen, Limesforschungen 16, 1976, 74.
[16] H.J. Kellner, Die römische Ansiedlung bei Pocking (Niederbayern) und ihr Ende, Bayerische Vorgeschichtsblätter 25, 1960, 142.
[17] Simon - Köhler a.O. 99.
[18] P. Fasold, Die Keramik aus dem Dendrophorenkeller von Nida - Heddernheim, Saalburg Jahrbuch 47, 1994, 71f.
[19] Nuber a.O. 147.

© Ch. Riegler
e-mail: riegler@bev.gv.at



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