Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 7 / VI / 1998 |
Das Problem der Raubgräberei, das immer aggressiver in immer größeren Gebieten um sich griff, und dessen Abhängigkeit vom (illegalen) Antikenhandel nahmen Archäologen lange Zeit meist nur am Rande zur Kenntnis. Die Klassische Archäologie verstand sich in früheren Jahren selbst in den Herkunftsländern von Antiken weniger als ‘Bodenforschung’ denn als ‘Antike Kunstgeschichte’. Neue Strömungen bzw. Entwicklungen in der Wissenschaft fanden ihre Reflexionen bei Sammlern und im Kunsthandel, wie am Beispiel der etruskischen Kunst, der Kykladenidole oder der apulischen Keramik belegbar ist[5]. Erst die Diskussionen um die UNESCO-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung des illegalen Imports, Exports und Eigentumsübergangs an Kulturgut von 1970 und aufsehenerregende Fälle wie die geplante Versteigerung eines griechischen Bronzepanzers aus Olympia aus dem 7.Jh. v.Chr. in Basel im Jahre 1969 oder der Ankauf des Euphronioskraters durch das Metropolitan Museum in New York 1972 sensibilisierten die Archäologen wie auch die Öffentlichkeit.
Abb. 1-2: Euphronioskrater, New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. 1972.11.0, Seite A + B (aus: Euphronios. Der Maler. Ausstellung in Berlin-Dahlem 20.3. - 26.5.1991 (1991) 94. 99 Kat.Nr. 4)
Vor allem der instruktiven Wanderausstellung „Fundort: unbekannt. Raubgrabungen zerstören das archäologische Erbe", die von D. Graepler und M. Mazzei konzipiert wurde und seit 1993 in mehreren Städten Deutschlands, der Schweiz und jüngst auch in Wien zu sehen war[7], ist es zu verdanken, daß diesem Thema in der Öffentlichkeit breiter Raum gewährt wurde.
Abb. 3: Blick auf die Gräberfelder von Arpi im Herbst; jeder Erdhügel markiert ein ausgeraubtes Grab (aus: Bollettino d’Arte (Allegato al N.89-90, 1995) „Antichità senza provenienza" 64 Abb. 4)
Abb. 4: Baggerarbeiten in der denkmalgeschützten Nekropole von Salapia (aus: Bollettino d’Arte (Allegato al N.89-90, 1995) „Antichità senza provenienza" 66 Abb. 9)
Die Ausstellung beleuchtet am Beispiel einer der archäologisch reichsten Regionen Italiens, Apulien, die verschiedenen Facetten dieser Problematik. Sie stellt keine moralisch idealen Forderungen auf, denn wer andere moralische Werte vertreten würde, wäre dadurch nicht zu belehren. Hingegen belegt die Ausstellung mit Fakten, Zahlen und Bildern das Ausmaß der Verwüstungen und die Verquickung von Raubgrabungen und illegalem Kunsthandel. Namentlich der Norden Apuliens, das Gebiet der antiken Städte Arpi, Salapia und Ordona im Umfeld der modernen Provinzhauptstadt Foggia, wurde in den letzten Jahren regelrecht ausgeplündert.
Abb. 5-6: Arpi bei Foggia, ‘Grab der Medusa’, Fassade. 1984 von Raubgräbern demontierter und später von der Polizei sichergestellter Fassadengiebel (aus: D. Graepler, Fundort unbekannt! Eine Wanderausstellung über Raubgrabungen, Antike Welt 26, 1995, 223 Abb. 4. 222 Abb. 2).
Abb. 7: Arpi bei Foggia, 1982 geplündertes ‘Grab der Reiter’ (aus: D. Graepler, Fundort unbekannt ! Eine Wanderausstellung über Raubgrabungen, Antike Welt 26, 1995, 222 Abb. 3)
Abb. 8: Beschlagnahmte daunische und griechische Vasen aus einer illegalen Privatsammlung in Foggia, April 1993 (aus: Bollettino d’Arte (Allegato al N.89-90, 1995) „Antichità senza provenienza" 67 Abb. 10)
Ein Bekenntnis zu internationalen rechtlichen Bestimmungen bringt mit sich, den Schutz archäologischer Befunde nicht ausschließlich den Herkunftsländern zu überlassen, sondern Personen und Institutionen, die Antiken verkaufen, erwerben oder begutachten, zu verpflichten, den Herkunftsnachweis zu publizieren. Wohl aus diesem Bewußtsein heraus werden zur Zeit im Archäologischen Rat, ein den österreichischen Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr in Angelegenheiten der Archäologie beratendes Gremium, Fragen eines Publikationsverbots für Objekte ungesicherter Provenienz besprochen.
Was darüber hinaus im vorliegenden Fall dringend benötigt wird, ist die Umkehr der Beweislast. Nicht der geschädigte Besitzer oder Staat sollte in Hinkunft nachweisen müssen, daß er der rechtmäßige Eigentümer eines Kulturgutes ist, sondern der jeweilige Eigentümer hätte den rechtmäßigen Erwerb durch Vorlage gültiger Herkunftspapiere (Exportlizenzen, Vorbesitzernachweise etc.) zu beweisen. Eine derartige Umkehr der Nachweispflicht schien bis vor kurzem noch undenkbar, ist nun aber in einer EU-Richtlinie über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts[14] und in einer EU-Richtlinie zum Konsumentenschutz[15] verankert, sodaß auch für Fragen des Kulturgüterschutzes eine Änderung der Rechtsgrundlagen ins Auge zu fassen sein wird.
Das aktive Eintreten für einen wirkungsvollen Schutz von Kulturgütern ergibt sich für Archäologen – oder allgemeiner für die Altertumswissenschaftler – aus der kritischen Reflexion über das eigene Fach und den eigenen Standpunkt ganz von selbst. Sie erkennen mehr und mehr, daß sie durch ihre zahlreichen nationalen und internationalen Ausgrabungen, durch die ihnen auch moralische Verpflichtungen gegenüber den Gastgeberländern erwachsen, die Aufgabe haben, ihre Anliegen und Forderungen den zuständigen Behörden und Ministerien mitzuteilen sowie Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten, nach außen wie auch innerhalb des Faches. Es geht dabei nicht darum, privaten wie öffentlichen Antikenbesitz zu kriminalisieren oder die Herkunftsländer zur besseren Durchsetzung ihrer Gesetze anzuhalten, wozu ihnen ja oft auch die finanziellen wie personellen Möglichkeiten fehlen. Es geht vielmehr um eine neue Form der Solidarität mit den Objekten und mit den Aufgaben unserer Wissenschaft, die sich seit Winckelmann und Schliemann – unübersehbar für alle – entscheidend gewandelt haben.
Luca Giuliani sprach einmal vom „schwarzen Peter", der bei uns Archäologen liege: Wir sollten nicht versuchen, ihn leichtfertig loszuwerden, indem wir ihn an einen fachexternen Sündenbock, etwa den bösen Antikenhandel, weitergeben[16]. Und wenn man beobachtet, wie verbissen der Kunsthandel in beinahe allen Ländern die Ratifizierung der UNIDROIT-Konvention bekämpft – es geht immerhin um geschätzte 80-100 Milliarden Schilling jährlichen Umsatz aus illegaler Handelstätigkeit mit steigender Tendenz –, so würde man nur zu gerne auch Archäologen sehen, wie sie gemeinsam den Kampf für ihr Fach, für das zentrale Problem der Erkenntnisfähigkeit der Wissenschaft aufnehmen.
Ein Blick auf die Auswirkungen der „Berliner Erklärung", auf den Erfolg, den die Ausstellung „Fundort: unbekannt" bereits in Deutschland und der Schweiz und nun auch in einer italienischen Version in Italien verzeichnen kann, auf die Diskussionen innerhalb des Deutschen Archäologen-Verbandes und des Deutschen Archäologischen Instituts, das in seinen Publikationsorganen ab nun keine Erstveröffentlichung von Stücken ohne klare Provenienz mehr zulassen will, ein Blick schließlich auf den Sonderband des Bolletino d’Arte aus dem Jahr 1995 („Antichità senza provenienza") zeigt, daß die internationalen Bemühungen der Archäologen und Juristen um den Kulturgüterschutz keineswegs umsonst waren.
Die Ratifizierung der UNIDROIT-Konvention von 1995 – auch durch Österreich – muß das Ziel sein.
[1] A. Herda, Faszination der Antike – und ihre Folgen. Gedanken anläßlich der Ausstellung der „George Ortiz Collection" im Alten Museum zu Berlin 6.3. - 30.6.1996, in: Homo Faber 1.1, 1997, 31ff. bes. 37 mit Anm. 84.
[2] Royal-Athena Galleries: http://www.antiquities-on-line.com/dealers/athena/intro/introind.html.
[3] Zur Situation im Irak vgl. J.M. Russell, Stolen Stones: The Modern Sack of Nineveh, Archaeology Online.
[4] B. Calonego, Genug für ein ganzes Museum. Die Genfer Polizei ist einem riesigen Kunstschmuggel auf der Spur, Süddeutsche Zeitung, 24. Januar 1997, 14; jüngst dazu: http://www.archaeology.org/online/features/geneva/index.html.
[5] Für den Fall der Kykladenidole verweise ich auf D.W.J. Gill - Ch. Chippindale, Material and Intellectual Consequences of Esteem for Cycladic Figures, AJA 97, 1993, 601ff. bes. 625: „Thus, some 85% of the funerary record of the Early Bronze Age Cyclades may have been lost through this unscientific search for figurines. And, of course, for that large portion of the graves with figures that were emptied by looters, we have only the figures, or other saleable artifacts, without knowledge of their association or context".
[6] D. Graepler, Raubgrabungen und Archäologie, in: H.G. Niemeyer (Hrsg.), Archäologie, Raubgrabungen und Kunsthandel, Schrift XIII des Deutschen Archäologen-Verbandes e.V. (1995) 23.
[7] Katalog zur Ausstellung: D. Graepler - M. Mazzei, Fundort: unbekannt. Raubgrabungen zerstören das archäologische Erbe (1993). – Eine Kurzinformation ist unter http://www.oeaw.ac.at/news/1998/fundort_d.html mit einer Link-Liste zu weiterführenden Informationen erhältlich.
[8] Von Österreich ratifiziert: s. BGBl. 1974/239.
[9] Frankreich hat am 7. Jänner 1997 die UNESCO-Konvention ratifiziert: vgl. Brief der Nationalen Schweizerischen UNESCO-Kommission bezüglich der Unterzeichnung der UNIDROIT-Konvention, MDAVerb 28, 1997, H. 1, S. 47. Damit wären es nun 86 Signatarstaaten.
[10] Mitteilungen des Deutschen Archäologen-Verbandes 27, H. 1, 1996, 48.
[11] Bulletin der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Klassische Archäologie, H. 1, 1996, 66f.
[12] Herda a.O. 40f. Anm. 99; vgl. L. Giuliani, Nocheinmal UNIDROIT: Das Schweigen der Lämmer, Mitteilungen des Deutschen Archäologen-Verbandes e.V. 28, H. 2, 1997, 4ff.
[13] S. die Parlamentarische Korrespondenz bezüglich der Sitzung des Kulturausschusses des Parlaments vom 17. März 1998 (http://www.parlinkom.gv.at/pd/pk/1998/PK0159.html).
[14] Vgl. Salzburger Nachrichten vom 18. April 1998, S. 22, s. http://www.salzburg.com/zeitung/98/04/18/gericht-14742.html.
[15] Vgl. Salzburger Nachrichten vom 24. April 1998, S. 11, s. http://www.salzburg.com/zeitung/98/04/24/wirtschaft-18242.html.
[16] Luca Giuliani, Von der braven Wissenschaft, dem bösen Markt und der Zerstörung archäologischer Fundkontexte, in: Niemeyer (Hsrg.) 7ff. bes. 9, Archäologie, Raubgrabungen und Kunsthandel, Schrift XIII des Deutschen Archäologen-Verbandes e.V. (1995) 7ff. bes. 9.
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