Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 99 / VI / 2021

GEOPHYSIKALISCHE PROSPEKTIONEN IM NEUMARKTER HOCHTAL – EIN VORBERICHT

Das Neumarkter Hochtal zwischen der heutigen Kärntner Landesgrenze im Süden und dem oberen Murtal im Norden ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der provinzialrömischen Forschung in der Steiermark gerückt. Eingebettet zwischen den Seetaler Alpen mit dem Zirbitzkogel als höchste Erhebung im Osten und dem Höhenzug der Grebenzen im Westen ist die Passlandschaft mit ihren sanften Erhebungen aufgrund der räumlichen Nähe zum wichtigen Rohstoffabbaugebiet des Hüttenberger Erzreviers im Südosten als Siedlungs- und Wirtschaftsgebiet in der römischen Kaiserzeit prädestiniert. Zudem fungierte sie als Durchzugsgebiet der norischen Hauptstraße, einer der wichtigsten Alpentransversalen im Südostalpenraum und war somit Bindeglied zwischen dem aus Virunum kommenden Streckenabschnitt im Süden und der Trassenführung über das obere Murtal und den Triebener Tauern im Norden [1].
Trotz dieser verkehrsgeographisch und wirtschaftlich bedeutenden Position wurde das Neumarkter Hochtal wie auch die Region des oberen Murtals lange Zeit von der provinzialrömischen Forschung im Vergleich zu den bekannten Siedlungszentren der südlichen Steiermark wenig beachtet. Frühe archäologische Maßnahmen fanden bereits im 19. Jahrhundert in Lind bei St. Marein nahe des Schlosses Lind statt, wo 1858 eine große römische Grabanlage von rechteckiger Form freigelegt wurde. Eine spätere Nachgrabung von Walter Schmid 1931 dürfte aufgrund eines völlig abweichenden Grundrisses ebenso auf den Linder Feldern, aber an anderer Stelle stattgefunden haben [2]. Ein Jahr zuvor hatte derselbe Ausgräber bei Wildbad Einöd ein Teilstück der römischen Straße sowie ein Gebäude mit trapezförmigem Grundriss ergraben, das von ihm als Straßenstation gedeutet wurde. Auch diese Fundstelle war bereits im 19. Jahrhundert aufgrund von Altfunden bekannt geworden [3]. Diese Maßnahmen sollten bis in das 21. Jahrhundert die einzigen archäologischen Grabungen in römischen Siedlungsstellen bleiben. Zahlreiche provinzialrömische Einzelfundstellen sowie auch die große Menge an als Spolien verbauten römischen Grabdenkmälern indizieren jedoch eine rege Siedlungstätigkeit in diesem Gebiet [4].
Neuen Aufschwung für die Forschungstätigkeit im Neumarkter Hochtal erbrachten Luftbilder, die in dem besonders trockenen Sommer 2013 vom Land Steiermark [5] aufgenommen wurden. Auf ihnen waren über die gesamte Region des oberen Murtals verteilt zahlreiche, bisher unbekannte Bewuchsanomalien abgekommener Gebäude zu erkennen, bei welchen aufgrund des erkennbaren Aufbaus größtenteils eine Datierung in die römische Kaiserzeit vermutet werden darf. Sie stellen den Ausgangspunkt des mehrjährig geplanten Forschungsprojektes „Die Römerzeit im oberen Murtal und seinen Nebentälern“ dar, das vom Institut für südostalpine Bronze- und Eisenzeitforschung (ISBE) durchgeführt wird. In dessen Rahmen sollen unter der Leitung des Autors der Großteil der entstandenen Fundverdachtsflächen in den Bezirken Murau und Murtal systematisch mittels geophysikalischer Prospektionen, Surveys und auch punktueller Feststellungsgrabungen untersucht und aufgearbeitet werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollen schließlich in ihrer Gesamtheit, nach Möglichkeit unter Einbeziehung von Aufarbeitungen bekannter Altfundstellen, als Dissertation des Autors vorgelegt werden.
In einer ersten Phase (15.-19. März 2021) wurden sieben signifikante Fundverdachtsflächen im Raum des Neumarkter Hochtals in Kooperation mit dem Historischen Arbeitskreis Neumarkter Hochtal (HISTAK) [6] und durch eine Förderung des Bundesdenkmalamtes mittels Bodenmagnetikmessungen [7] untersucht (Abb. 1). Die Auswahl der Messflächen erfolgte hierbei zum einen auf Basis der Bewuchsmerkmale und zum anderen aufgrund der räumlichen Nähe zu bereits bekannten Fundstellen. Nach einer Erstbeurteilung der Messergebnisse kann festgestellt werden, dass die auf den Luftbildern sichtbaren Gebäudereste an allen Stellen mit Erfolg verifiziert werden konnten, wobei durch die Prospektion das Wissen über deren äußere und innere Struktur erheblich erweitert wurde.


Die Gesamtheit der vorläufigen Ergebnisse zeichnet ein deutliches und zum Teil überraschendes Bild der römischen Besiedlung im Neumarkter Hochtal: Auf der größten untersuchten Fläche [8] in Vockenberg (KG Adendorf, Parz. 1684/1) wurden Mauerstrukturen eines weitläufigen römischen Siedlungsareals nachgewiesen. Hier sind Überreste von zumindest sechs Gebäuden deutlich zu erkennen, die sich an beiden Seiten einer ca. 7m breiten Wegtrasse mit Südwest-Nordost-Orientierung gruppieren, welche dann eine Kurve in Richtung Südosten beschreibt. Die drei Gebäude an der Südseite des Weges weisen eine Größe von bis zu ca. 15x15m und eine deutliche Innenunterteilung auf. Drei weitere Bauten an der Nordseite sind auf den Messbildern aufgrund von Störungsbereichen schwer auszumachen, wenngleich sie auf den Luftbildern deutlich zu erkennen sind. Vor allem das westlichste Exemplar mit Maßen von etwa 8x6m wird durch eine großflächige Anomalie überlagert, die auf eine Hypokaustierung hinweisen könnte. Die Mehrheit der Bauten scheint hierbei am Straßenverlauf orientiert zu sein. Im Norden und Westen ist das Areal durch eine Umgrenzung in Form einer Umfassungsmauer oder einer Holzpalisade abgegrenzt und eine auffallend große Zahl an sich im Messbild abzeichnender negativer Störungsbereiche könnte auf Grubenkomplexe ehemaliger Holzbauten im gesamten Siedlungsgebiet hinweisen. Die wahrscheinlich als römischer Vicus zu interpretierende Ansiedlung dürfte den gesamten Bereich der im Gelände erkennbaren Erhöhung einnehmen und konnte noch nicht vollständig erfasst werden.
Auch im Gemeindegebiet von Mariahof (KG Adendorf, Parz. 719, 720, 1360) an der heutigen Bundesstraße (Abb. 2) konnten die auf den Luftbildern erkennbaren Gebäude nachgewiesen werden. Im Osten scheint hier ein Komplex aus zumindest fünf Gebäuden auf, die von einer Steinmauer umfasst waren, von welcher vor allem die nördliche Ecke noch im Messbild erkennbar ist. Innerhalb dieser befindet sich ein in mehrere Räume unterteiltes Gebäude mit Ausmaßen von etwa 20x40m. Ein weiteres Mauergeviert mit einer Größe von etwa 30x35m und einem an die Nordostseite angebauten, kleineren Raum könnte als Hauptgebäude der Anlage interpretiert werden. Drei im Luftbild deutlich sichtbare kleine Mauergevierte auf der gegenüberliegenden Straßenseite (bis zu 4x4m) waren wiederum im Messbild durch starke Störungen überlagert. Bei diesen dürfte es sich um die zur Anlage gehörigen Grabbezirke gehandelt haben. Anhand deren einheitlichen Ausrichtung wird man die ehemalige römische Trassenführung unter der heutigen Bundesstraße vermuten dürfen. Aufgrund der Gesamtgröße und des Aufbaus der Anlage könnte es sich bei dem Komplex um eine villa rustica handeln.


Etwa 900m nordwestlich davon im Ortsgebiet des heutigen Adendorf (KG Adendorf, Parz. 1920) wurde ein weiterer Gebäudekomplex von etwa 85x60m nachgewiesen (Abb. 3), dessen Funktion noch nicht gesichert ist, bei welchem es sich aber dem Aufbau nach um eine römische villa rustica handeln könnte. Nahe der Einmündung des Neumarkter Sattels in das Murtal konnten auch im Ortsgebiet von Lessach im Raum St. Blasen (KG St. Blasen, Parz. 728/1) die als römisch anzusprechenden Strukturen durch die Geomagnetik verifiziert werden. Diese bestanden zumindest aus einem etwa 13x13m großen Gebäude mit in Richtung Südwesten verlaufender, anschließender Mauer sowie mindestens drei kleinerer Mauergevierte in Richtung Südwesten (in etwa 3x3m), die ebenfalls als Gräberbezirke gedeutet werden können. In Wildbad Einöd (KG Dürnstein, Parz. 109/2), nur etwa 200m nordöstlich der bereits von Walter Schmid ergrabenen römischen „Straßenstation“ bestätigten und ergänzten die Messungen die auf dem Orthofoto gut sichtbaren Bewuchsmerkmale eines mindestens 20x16m messenden Gebäudes mit Innenunterteilung und vermuteten Risalitbauten an der Nord- und Ostseite [9], dessen Funktion jedoch ohne weitere Untersuchungen unklar bleiben muss. Zuletzt wurden zwei weitere Verdachtsflächen im südöstlichen Bereich des Neumarkter Hochtals an der Wegverbindung in das Görtschitztal untersucht. Sowohl in Kalsdorf (KG Kulm, Parz. 571/1) als auch in Tauchendorf (KG Kulm, Parz. 1006) konnten die vermuteten Überreste abgekommener Bauten bestätigt werden, deren zeitliche Einordnung jedoch ohne weitere Untersuchungen offen bleiben muss.


Insgesamt lassen bisherige Untersuchungen sowie die nun durchgeführten Geoprospektionen eine wesentlich höhere Siedlungsdichte in der römischen Kaiserzeit im Bereich des Neumarkter Hochtals vermuten als bisher angenommen. Gerade die verifizierten Siedlungsstellen in Vockenberg und Mariahof sollen hierbei einer genaueren archäologischen Betrachtung unterzogen werden. Im Bereich beider Grundstücke wird bereits eine fortlaufende Prospektion mit Metallsonde durchgeführt, um etwaige Informationen über Aktivitätszonen anhand von Fundkonzentrationen herausfiltern zu können. Zudem sind für den August und September 2021 mehrere Feststellungssondagen in Vockenberg in Kooperation mit der von dem Universalmuseum Joanneum [10] geleiteten Lehrgrabung des Instituts für Antike der Karl-Franzens-Universität Graz anberaumt sowie anschließend eine ähnliche Maßnahme in Kooperation mit dem Verein Erlebnis Archäologie im Gebiet der Siedlung von Mariahof. In weiterer Folge sollen auch die übrigen auf den Luftbildern des oberen Murtals erkennbaren Strukturen im Zuge weiterer geophysikalischer Prospektionen untersucht werden. Somit sollen die im Rahmen des Forschungsprojektes geschaffenen Ergebnisse eine fundierte Grundlage für weitere archäologische Maßnahmen zur Untersuchung der römerzeitlichen Besiedlung schaffen, die das Bild dieser bisher in Bezug auf die provinzialrömische Archäologie stark unterrepräsentierten Region deutlich verändern werden.



Literatur
Deringer 1950
H. Deringer, Die römische Reichsstraße Aquileia-Lauriacum. Ein Beitrag zur Verkehrsgeschichte Österreichs in der Röerzeit, Carinthia I 140, 1950, 171–228
Eitler 2013
J. Eitler, Zwei Römersteine aus Wildbad Einöd bei Dürnstein, Steiermark, FÖ 52, 2013, 127–132
Glaser 2014
F. Glaser, Die Straßenstationen Candalicae und Noreia, Rudolfinum - Jahrbuch des Landesmuseums für Kärnten, 2014, 157–186
Gleirscher 2009
P. Gleirscher, Noreia - Atlantis der Berge. Neues zu Göttin, Stadt und Straßenstation (Klagenfurt 2009)
Gutscher 1909
H. Gutscher, Neumarkt in Steiermark und seine Umgebung in archäologischer Hinsicht, Jahresbericht des k. k. Staatsgymnasiums in Leoben (Leoben 1909)
Hinker – Peitler 2010
Ch. Hinker – K. Peitler, Die Norische Hauptstraße in der Steiermark unter besonderer Berücksichtigung der Neufunde im Bezirk Judenburg, in: G. Grabherr - B. Kainrath (Hrsg.), conquiescamus! longum iter fecimus. Römische Raststationen und Straßeninfrastruktur im Ostalpenraum. Akten des Kolloquiums zur Forschungslage zu römischen Straßenstationen Innsbruck 4. und 5. Juni 2009, IKARUS 6 (Innsbruck 2010) 305–336
Knabl 1859
R. Knabl, Epigraphische Excurse im Jahre 1858, Mittheilungen des Historischen Vereins für Steiermark 9, 1859, 85–138
Kramer 1985
D. Kramer, Vor- und Frühgeschichte des Bezirkes Neumarkt, in: W. Brunner, Geschichte von Neumarkt in der Steiermark (Graz 1985) 35–60
Kremer 2001
G. Kremer, Antike Grabbauten in Noricum. Katalog und Auswertung von Werkstücken als Beitrag zur Rekonstruktion und Typologie, SoSchrÖAI 36 (Wien 2001)
Modrijan 1962
W. Modrijan, Das Aichfeld. Vom Steinbeil bis zur römischen Poststation, Judenburger Museumsschriften 3 (Judenburg 1962)
Tiefengraber 2007
G. Tiefengraber, Archäologische Funde vom Fuße des Falkenberges bei Strettweg. Ein Beitrag zur Besiedlungsgeschichte des Aichfeldes, Berichte des Museumsvereines Judenburg 40 (Judenburg 2007)
v. Czoernig 1859
K. v. Czoernig (Hrsg.), Mittheilungen der Kaiserl. Königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 4 (Wien 1859) 51
Vrabec 2018
H. Vrabec, Das obere Murtal als römische Siedlungslandschaft - eine Bestandsaufnahme, ZHVSt 109, 2018, 7–44
Wagner 2001
J. Wagner, Zur ostentativen Wiederverwendung römerzeitlicher Spolien in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kirchenbauten in der Steiermark. Bannung, Exorzismus und humanistische Intentionen im Spiegel der Interpretatio christiana, FÖ 40, 2001, 345–479

[1] Vgl. hierzu: Vrabec 2018, 17–19.
[2] Knabl 1859, 89; v. Czoernig 1859, 51; Gutscher 1909, 14f.; Kramer 1985, 40; Kremer 2001, 310; Hinker – Peitler 2010, 310; Vrabec 2018, 14.
[3] Gutscher 1909, 11–13; Deringer 1950, 207f.; Modrijan 1962, 28; Kramer 1985, 37–39; Tiefengraber 2007, 12; Gleirscher 2009, 180–182; Hinker – Peitler 2010, 308f; Eitler 2013, 127; Glaser 2014, 173, 176–178; Vrabec 2018, 14f.
[4] Vrabec 2018, 11–27; Wagner 2001, 345–479.
[5] Abt. 17 Referat Statistik und Geoinformation.
[6] An dieser Stelle sei dem HISTAK und allen voran Christa Fürnkranz und Werner Fest für die kontinuierliche und tatkräftige Unterstützung gedankt.
[7] Ausführung: Volker Lindinger/ARDIG Archäologischer Dienst GesmbH.
[8] 28 Quadranten zu je 900m2.
[9] Vgl. hierzu: Glaser 2014, 174f.
[10] Leitung: Marko Mele.


© Helmut Vrabec
e-mail: helmut.vrabec@isbe-archaeologie.at

This article should be cited like this: H. Vrabec, Geophysikalische Prospektionen im Neumarkter Hochtal – ein Vorbericht, Forum Archaeologiae 99/VI/2021 (http://farch.net).



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