Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 99 / VI / 2021

DAS VERKLÄRTE ANTIKE FRAUENBILD IM NATIONALSOZIALISMUS [1]

Seit dem mittleren 19. Jh. war die Emanzipation der Frau ein angestrebtes und zum Teil auch erreichtes Ziel der Frauenrechtlerinnen. Mit großer Mühe und Zielstrebigkeit hatten es Frauen wie Clara Zetkin, Helene Lange, Alice Salomon und Berta Kipfmüller geschafft, ihre Rechte auf Mutterschutz bzw. auf gleichberechtigte gymnasiale Bildung und auf das Studium zu erhalten. Erst in der Weimarer Republik, im Jahr 1919, hatten die Frauen in Deutschland das Wahlrecht erhalten. Ebenfalls in jener Zeit stieg die Zahl der Studentinnen und der Forscherinnen an den deutschen Universitäten, sowie der Lehrerinnen, auch wenn sie sehr viel weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen. Diese Erfolge der Frauenbewegung waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Die Nazis verstanden die Frauenemanzipation als Werk der Feinde, des Judentums, des Parlamentarismus und des Kommunismus.
Gegen die Emanzipation setzten die Nationalsozialisten ihre rassistische Ideologie der arischen Frau. Diese Frau war hellhäutig, blond und blauäugig, kräftig und gehörte ganz und gar der Parteiführung. In ihrer Jugend sollte sie sich durch Leibesübungen gesund und stark halten, um dem Vaterland viele Arier gebären zu können. Der Sportunterricht gehörte auch für Mädchen zum Lehrplan, die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen sowie an Märschen zu Ehren der Parteiführung war obligatorisch [2].
Von den bürgerlichen Frauen wurde erwartet, dass sie frühere Erwerbsarbeit nach der Eheschließung aufgaben. Verheiratete Frauen sollten zu Hause bleiben, wo sie sich um das Wohl ihrer arischen Familie kümmerten, und die wiederum um das Wohl der Partei und der Parteiführung [3]. Die Parteiführung machte das vor: so z.B. hatte die Ehefrau von Martin Bormann, dem engsten Vertrauten Hitlers, zehn Kinder innerhalb von dreizehn Jahren – zwischen 1930 und 1943 – geboren. Schwere körperliche Arbeit außerhalb des Haushaltes wurde von Zwangsarbeitern erledigt. Intellekt und Charakterstärke waren Defizite für Frauen; Personen wie Rosa Luxemburg waren gefährlich. Erklärtes Ziel der Nationalsozialisten war, die Welt von den ihrer Propaganda nach minderwertigen Rassen zu bereinigen und mit echten Ariern zu ersetzen. Deshalb mussten die arischen Männer so viele Kinder wie möglich zeugen, gegebenenfalls auch außereheliche, Hauptsache die Partnerin war eine Arierin.
Mit dem Beginn des Kriegs und in Folge des zunehmenden Arbeitskräftemangels wurde allerdings die Erwerbstätigkeit jeder Frau als denkbar und zunehmend wünschenswert betrachtet [4]. Allerdings war die Frau von jeglicher Beschäftigung in der Landesverteidigung, im Rechtswesen oder der Politik ausgeschlossen, „da für diese Aufgaben pure Objektivität vonnöten sei, über die Frauen nicht verfügten“ [5].
Um diesen gesellschaftlichen Rückschritt der Bevölkerung schmackhaft zu machen, versprachen die Nationalsozialisten Ehrungen, Preise und Privilegien für die Kinderreichen. Weiter konstruierten sie ein antikes Frauen- und Familienbild, das ihnen den Rückgriff auf eine alte Tradition ermöglichte, um die vollkommene Abhängigkeit der Frau von dem Mann zu rechtfertigen. Sicher war in der Antike der Nachwuchs von großer Bedeutung, aber das galt gleichermaßen für Frauen und für Männer: denken wir an die zahlreichen Muttergottheiten, Hera, Rhea, Demeter, Meter Theon und den Vatergott Zeus. Die Frau war aber nicht in der Rolle der Reproduktion reduziert.
Schon im 19.Jh., 1861, sprach der Altertumswissenschaftler Johann Jacob Bachofen von einem ursprünglichen Matriarchat in der griechischen Antike in seiner Studie über das Mutterrecht in der Antike [6]. Seine These basierte vorwiegend auf der Interpretation griechisch-römischer Mythen als Spiegelung des Kampfes zwischen den matriarchalen und patriarchalen Prinzipien. Theorien über die Verehrung der Mutter-Erde, sowie von weiblichen Muttergottheiten wurden auch von Frauen vertreten, die sich der NSDAP angeschlossen hatten, wie z.B. Mathilde Ludendorff (die dritte Ehefrau von General Erich Ludendorff, die zusammen mit ihrem Mann 1927 aus der Partei ausgeschlossen wurde). Ein Schlussstrich mit der Theorie des Matriarchats zog Alfred Rosenberg, der führende Ideologe des Nationalsozialismus, mit seinem Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ (1930). Er hielt Bachofens Matriarchatstheorie für marxistisch, weil sie die 'völkische', maskulinistische Sicht auf die germanische Geschichte untergrabe.
So wurde in der NS-Zeit ein verklärtes Frauenbild konstruiert, worin die Rolle der antiken Frau in der Öffentlichkeit verschwiegen und im Privatleben ihre vollkommene Abhängigkeit von Mann propagiert wurde. Bevor aber hier einige Aspekte dieses Bildes vorgestellt werden, müssen wir erläutern, wie das Entstehen eines solchen Bildes möglich war. Dies war möglich, da Politik, Wissenschaft, Medien und nicht zuletzt die nationalsozialistische Kunst alles daransetzten, die rassistische, antifeministische, antisemitische, ableistische und allgemein gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit der Nazis zu verbreiten.

1. Politik
Nehmen wir jeden einzelnen Akteur dieser Manipulation kurz unter die Lupe. Und wir fangen mit der Politik an. Im Rahmen des Berufsbeamtengesetzes [7] – erlassen kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 7. April 1933 – wurden Wissenschaftler in allen Wissenschaftsbereichen aus politischen Gründen entlassen. Bei den Altertumswissenschaften, und dazu gehört die Klassische Archäologie, betrug die Zahl der entlassenen Mitarbeiter ca. 22% aller angestellten Wissenschaftler. Betroffen waren vor allem Juden, Sozialisten und Pazifisten. Andere wurden aus den gleichen Gründen gleich von vornherein vom Auswahlverfahren bei der Besetzung freier Stellen (Mitarbeiter, Leiter) ausgeschlossen.
Eine große Einschränkung für die Wissenschaft war auch der Erlass des Reichsministeriums für Wissenschaft am 20.10.1939, in dem das Zitieren jüdischer Autoren in Dissertationen verboten wurde. Sollte dies wissenschaftlich unumgänglich sein, mussten die jüdischen Autoren im Literaturverzeichnis gekennzeichnet und gesondert aufgeführt werden.
Die Politiker hätten ihre perversen Ziele nicht durchsetzen können, wenn sie nicht Wissenschaftlern selbst aktiv unterstützt worden wären. Für die Archäologie, wo die Beamtenstellen sowieso knapp waren und immer noch sind, bedeutet dies, dass alle Beamtenstellen und Führungspositionen diejenigen Personen innehatten, die Mitglieder der NSDAP waren [8] oder der Partei sehr nahestanden und Andersdenkende verfolgten [9]. Mittels der Berufsbeamten-Gesetze fanden viele zweit- und drittklassige Wissenschaftler die Gelegenheit aufzusteigen, nachdem sie Kollegen wegen ihrer jüdischen Abstammung, ihrer Ehe mit einem Juden/einer Jüdin oder wegen ihrer kritischen Haltung dem Regime gegenüber denunzierten. Besonders hart traf dies die wenigen weiblichen Vertreterinnen des Fachs, wie die deutsche Archäologin jüdischer Abstammung väterlicherseits Margarete Bieber (1879–1978), die im Juli 1933 auf Grundlage des „Berufsbeamtengesetzes“ § 4 („politische Unzuverlässigkeit“) von den deutschen Universitäten entlassen wurde und kurz darauf nach Amerika auswanderte.

2. Wissenschaft
Nachdem die Wissenschaft von unerwünschten Wissenschaftler*innen „bereinigt“ worden war, diente die Archäologie größtenteils der Nazi-Ideologie und Propaganda [10]. Und so selektiv wie die Nazis mit den Personen umgingen, gingen sie auch mit den antiken literarischen und antiquarischen Quellen um. Sie ignorierten gezielt literarische und archäologische Quellen, rissen ausgewählte Zitate aus antiken Schriften und Mythen aus ihrem Kontext, interpretierten sie ihren Zwecken entsprechend und verkauften sie als Wissenschaft und Wahrheit, damit sie ihre Ideologie verbreiten und verfestigen konnten.
Sie betonten, dass die antike Gesellschaft eine patriarchalische war, verschwiegen aber die Eigenmächtigkeit der Frau in den Bereichen Religion und Kultur, sowie ihr selbstständiges Mitwirken in vielen Situationen sowohl des Alltags als auch der Politik. Es ist literarisch überliefert und archäologisch belegt, dass Frauen Priesterinnen werden durften. Als Priesterinnen hatten sie eine führende Funktion in ihrer Gesellschaft und traten selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf. So war die Priesterin im Apollon-Orakel in Delphi, die Pythia, während der gesamten Antike eine weltweit hochgeschätzte Persönlichkeit. Bei allen wichtigen Staatsangelegenheiten wurde sie nach ihrer Meinung gefragt. Kein offizieller Vertrag konnte beschlossen und kein Krieg geführt werden, wenn diese Frau ihre Zusage nicht erteilte.
Die Priesterinnen durften heiraten und Kinder bekommen. Diese Tatsache blendeten die Nationalsozialisten vollkommen aus. Literarisch überliefert (Herodot, Hist. I 31) ist folgendes die Priesterin der Göttin Hera von Argos und ihre Söhne betreffende Ereignis. Die Priesterin sollte eines Sommernachmittags zum Hera-Tempel in Argos fahren, der ca. 8km entfernt von ihrem Haus war, um die Messe zu halten. Aber die Zugtiere ihres Wagens hatten den ganzen Tag auf dem Acker gearbeitet, waren erschöpft und hätten die lange Strecke nicht zurücklegen können. Die Söhne der Priesterin, zwei kräftige Jungen mit den Namen Kleobis und Biton, übernahmen die Aufgabe der Zugtiere und brachten ihre Mutter zum Tempel.
Heute betrachtet ein großer Teil der Forschung die Tatsache, dass Frauen Priesterinnen waren, als eine Reminiszenz eines prähistorischen Matriarchats [11]. Darüber hinaus ist durch literarische Quellen sowie archäologische Befunde bewiesen, dass der Kult von männlichen Gottheiten anstelle von weiblichen mütterlichen Gottheiten in mehreren Orten erst in die historische Zeit gekommen ist, wie z.B. in Olympia [12]. Dort war der Kult von Hera älter als der Kult des Vatergottes Zeus. Sehr bewusst lenkten Nazi-Archäologen und Politiker den Blick von der ursprünglichen Verehrung von weiblichen Gottheiten in Olympia ab und und lenkten ihn auf die Votive von Waffen und Helme. Dazu dienten die Inszenierung der olympischen Spiele in Olympia sowie der gleichnamige Film von Riefenstahl.
Die verheiratete Frau in der griechischen Antike durfte nicht nur Priesterin, sondern auch Hebamme oder Ärztin und Marktfrau werden. Eine bekannte Hebamme war die Mutter des Philosophen Sokrates. Frauen durften Geld erben. Wichtiges Zeugnis dafür ist die Gerichtsrede Κατά Διογείτωνος (32, 11) des antiken Redners Lysias. Eine Frau hatte den Bruder ihres verstorbenen Mannes beschuldigt, er habe die Erbschaft ihres Mannes unterschlagen. Ihre Aussage war von entscheidender Bedeutung für den Gerichtsprozess. Im gleichen antiken Text findet sich, dass diese Frau und ihre Tochter, genauso wie die Söhne des Verstorbenen testamentarisch als Erben bestimmt wurden.
Wie schon erwähnt, durften die Frauen Geld, sowie Immobilien oder Mobiliar erben. Land erbten sie nicht, und zwar aus dem Grund, dass bei den meisten griechischen Stadt-Staaten, nur der erstgeborene Sohn erben durfte, damit das Land nicht geteilt wurde. Die Teilung des Landes auf viele Nachkommen hatte im 8. und 7.Jh. v.Chr. zum Besitz von kleinen Grundstücken geführt, die nicht zu dem zum Überleben erforderlichen Ertrag reichten. Jedes Ehepaar bemühte sich deshalb nicht viele Kinder auf die Welt zu bringen, denn man wusste, dass dies anderenfalls zu Versorgungsschwierigkeiten führen könnte, anders als das nationalsozialistische Ideal. Diese Tatsachen ignorierten die Nationalsozialisten, die die Frauen auf ihre gebärende Eigenschaft und ihre Rolle in der Reproduktion reduzierten. Deshalb haben sie auch hier ein Zerrbild der Antike propagiert. Die Ehe hatte zwar in der Antike tatsächlich einen hohen Stellenwert, war aber wie die zahlreichen Darstellungen von Eheleuten auf Grabreliefs bezeugen (Abb. 1) eher eine Partnerschaft zum gegenseitigen Schutz und zur Bewältigung von Nöten und keine Gemeinschaft mit der Fortpflanzung als einziges Ziel [13]. Xenophon schildert diese Gemeinschaft so: „Denn mir scheinen die Götter dieses Paar, das Mann und Frau genannt wird, mit größter Umsicht zusammengefügt zu haben, damit es sich selbst möglichst nützlich sei bei seinem gemeinsamen Leben.“ (Xenophon, Οικονομικός 7, 18-21).
Da Frauen selbst Geld verwalten durften, konnten sie als Auftraggeberinnen von Bau- oder Kunstwerken in der Öffentlichkeit auftreten. So z.B. ist die älteste inschriftlich belegte Auftragsarbeit des Abendlandes die Statuenstiftung einer Frau namens Nikandre. Es geht um eine weibliche Statue aus den Jahren um 660 v.Chr. aus dem Heiligtum der Göttin Artemis auf Delos. An der Seite der 1,75m hohen Statue steht die Inschrift mit dem Namen der Stifterin [14].
Wie schon oben gesagt wurde, sollten die „arischen“ Ehefrauen vor dem Krieg jegliche Erwerbstätigkeit ablegen und sich der Reproduktion inclusive Care-Arbeit (Haushalt und Kindererziehung) widmen, während der Ehemann das Geld verdiente. Entsprechend glaubten Nazi-Archäologen, dass dies auch in der Antike der Fall war. So entstand folgendes Konstrukt der „spinnenden Hetäre“, das bis heute noch in manchen archäologischen Seminaren zu hören ist. Der Archäologe Gerhard Rodenwaldt, der seit 1932 Professor für Klassische Archäologie an der Universität Berlin und gleichzeitig Stellvertretender Direktor des DAI in Berlin war, behauptete, dass die Abbildungen von Frauen bei der Herstellung von Textilien in Anwesenheit von Männern in der antiken Vasenmalerei, die Abbildungen von Hetären mit ihren Freiern seien [15].
Ausgangspunkt für diese Interpretation war das Motiv des Mannes mit Geldbörse, die er einer Frau übergibt. Nach Nazi-Ideologie ist der Mann der Verwalter der Haushaltskasse und er versorgt seine Familie. Die arische Hausfrau kümmert sich zwar um Kinder und Familie, verwaltet aber nicht das Geld ihres Mannes und hat auch selbst kein Geld. Genau dieses Verhalten wurde auf die Antike übertragen und aus dieser Perspektive hat Rodenwaldt einen Mann, der einer Frau eine Geldbörse entgegenstreckt, als einen Freier betrachtet, der die Liebesleistungen einer Hetäre in Anspruch nimmt bzw. nehmen will. Ähnliche Szenen mit Mann und Frau beim Spinnen oder Weben interpretierte er entsprechend: die Frau beim Weben oder Spinnen ist eine Hetäre, die Kunstfertigkeit und Häuslichkeit vortäuscht, damit sie vom Freier mehr Geld bekommt! Bei dieser antifeministischen Interpretation wird die arbeitende Frau als listige Prostituierte gedeutet. Speziell für diese Szene führte Rodenwaldt einen neuen Begriff ein, der auch in der Nachkriegsforschung etabliert blieb: den Begriff der „spinnenden Hetäre“.
Die Deutung von Rodenwaldt wurde Jahrzehnte lang nicht hinterfragt. Im Rahmen der Gender Studies wurde aber in den letzten Jahren diese Theorie auf ihre Richtigkeit geprüft [16]. Durch die Betrachtung von zahlreichen Vasenmalereien, Reliefbildern und schriftlichen Quellen wurde festgestellt, dass die webende oder spinnende Frau keinesfalls eine listige Hetäre ist. Als sicherer Beweis für diese These gilt die Inschrift καλή bei der Darstellung einer jungen spinnenden Frau auf einer attischen Kanne im British Museum (Abb. 2). Diese Bezeichnung, καλή, trugen in der griechischen Antike nur freie Frauen, keine Sklavinnen (genannt χρηστή) und keine Hetären. Unter diesem Aspekt darf heute das Motiv der spinnenden Frau mit dem Mann mit Geldbeutel nicht mehr als Hetäre mit ihrem Freier interpretiert werden. Auf eine sichere Deutung des Motivs wird hier aber verzichtet.
Dieses Motiv taucht sehr häufig in der attischen Vasenmalerei auf und die Interpretation von Rodenwaldt hatte den Eindruck geschaffen, dass die antike Vasenmalerei keine durchschnittlichen sterblichen Frauen, sondern entweder Göttinnen und Heldinnen oder Hetären darstellte [17], was vollkommen falsch ist. Rodenwaldt nahm sich und seiner Frau das Leben kurz vor der Ankunft der Roten Armee in Berlin am 27. April 1945 [18].
Systematisch ignoriert und verschwiegen von den Nationalsozialisten war das Bild der Frau, das in den antiken Theaterstücken präsentiert wird. Die Aufführung von antiken Tragödien und Komödien war verboten, obwohl antikisierende Dramen von Schiller und Goethe weiter aufgeführt wurden. Die Nazi Propaganda schrieb vor, dass im Mittelpunkt der Theaterstücke das Volk, die Rasse und der Führerkult und nicht das Individuum stehen sollte. Als Folge der Blut- und Bodenideologie wurde eine ganze Reihe von Heimatstücken für das sog. Thing Theater geschrieben. Auch Dialekttheater wurde gefördert. Dementsprechend waren die antiken Dramen für die Verbreitung dieser Ideologie ungeeignet. Darüber hinaus tragen zahlreiche antike Tragödien die Namen von Heldinnen, die ein vielfältiges Profil (sowohl psychologisches als auch soziales) der Frau in der Antike liefern. Sie verkörperten positive sowie negative Eigenschaften und agierten oft außerhalb der Grenzen der politischen oder sozialen Ordnung (Antigone, Medea, Klytaimnestra, Lysistrata). Ihre Handlungen und ihre Schicksale dienten als Vorbilder für alle demokratischen Menschen. Weitere Beispiele, die den Unterschied zwischen dem nationalsozialistischen Frauenbild und dem Frauenbild in der Antike belegen, bieten die Komödien Aristophanes Ekklesiazousai und vor allem Lysistrata.
Nicht nur mythologische oder literarische weibliche Persönlichkeiten, sondern auch reale Frauen hatten oft eine führende Rolle in der Politik inne. Obwohl die Nationalsozialisten davon überzeugt waren, dass alle hohen Kulturen der Antike, darunter auch die ägyptische, aus der schöpferischen Kraft der Arier entsprungen sind, verschwiegen sie die Tatsache, dass bei den Ägyptern Pharaoninnen und Königinnen genauso häufig wie Männer eigenmächtig regierten.
Die Archäologen und die Historiker im Nationalsozialismus schenkten diesen Persönlichkeiten niemals Interesse. Stattdessen konzentrierten sie sich auf die männlichen Herrscher, wobei ihr Augenmerk darauf lag, ihre Politik anhand ihrer „rassischen“ bzw. genetischen Merkmale zu interpretieren. So z.B. hatte man das Ende der Republik in Rom nicht als Ergebnis von falschen politischen Handlungen und Entscheidungen Cäsars gesehen, sondern seinen Genen zugeschrieben, dass er „ein wenig vermischter Nordländer war“ [19]. Solche Erklärungsansätze gelten heute als unhistorisch und unwissenschaftlich, damals waren sie aber gängige Methode.
Nicht nur Pharaoninnen, Königinnen und Kaiserinnen blieben außer Betracht, sondern auch alle gebildeten Frauen, wie z.B. die Dichterin Sappho aus Lesbos: einerseits, weil sie für homosexuell gehalten wurde und die Homosexualität seit 1933 ein Verbrechen darstellte, andererseits weil sie eine intellektuelle Frau war und solche Frauen im Dritten Reich unerwünscht waren.

3. Kunst
Weil der Nationalsozialismus antifeministisch und sexistisch war, war auch die Kunst der Nationalsozialisten im Grunde genommen sexistisch [20]: sie konzentrierte sich auf das Geschlecht und bei Frauen, die vorwiegend nackt abgebildet wurden, besonders auf deren „gebärende Funktion“ [21]. Eklatantes Beispiel für diese Einstellung war die statuarische Gruppe von Josef Thorak „Das Urteil des Paris“, 1941, hergestellt für das Münchener Nazi-Museum „Haus der Deutschen Kunst“. Inspiriert wurde der Bildhauer von dem gleichnamigen griechischen Mythos.
Die Gruppe von Thorak entsprach dem Mythos nur in einem Punkt, nämlich in der Anzahl der abgebildeten Personen: die statuarische Gruppe bestand aus vier Figuren, drei weiblichen und einer männlichen. Allerdings waren alle nackt, was weder der antiken Kunst noch dem Mythos entsprach. Die drei Frauen präsentierten sich dem Mann, der sie aus einem gewissen Abstand intensiv betrachtete. Im Gegensatz zu den selten weiblichen nackten Figuren aus der Antike, die ihr Geschlecht oft mit der Hand verdeckten oder sich nur deshalb entkleideten, weil sie sich unbeobachtet fühlten, stellten die Frauen von Thorak ihren nackten Körper direkt zur Schau, während sie ihr Gesicht vom Betrachter abwandten, was ihre Unterordnung unterstreichen sollte. „Der Körper wird als ganzer präsentiert, geöffnet, mit markiertem Schamdreieck und vor allem mit immer wieder betonten, geradezu erigierten Brüsten“ [22].
Den weiblichen Körper stellte die antike Kunst seltener zur Schau als den männlichen. Mit Ausnahme wohl der Spartaner und der Amazonen hielten die anderen Griechen nichts von einem sportlich trainierten Mädchenkörper. Während die Männer schon im frühen 1. Jahrtausend v.Chr. in der Kunst nackt abgebildet wurden, waren die Frauen stets angezogen; nur verwundete Amazonen, ein kriegerisches Volk, wurden mit nackter Brust dargestellt. Sogar Aphrodite, die Liebesgöttin, wurde bis zum mittleren 4.Jh. v.Chr. nur mit einer nackten Schulter abgebildet. Die Darstellung der ersten nackten weiblichen Figur in der griechischen Bildkunst provozierte einen riesigen Skandal: es war die Statue der Aphrodite Knidia, gefertigt vom Bildhauer Praxiteles aus dem 4.Jh. v.Chr., d.h. fast 600 Jahre nach den ersten nackten Männerdarstellungen.
Die erotische Anziehungskraft des weiblichen Körpers wurde in der griechischen Kunst wenig thematisiert. Dass Frauen in der griechischen Bildkunst größtenteils angezogen waren, geschah nicht nur aus ethischen Gründen wie Scham und Respekt vor der Frau, sondern auch aus sozioökonomischen Gründen: im Mittelpunkt der Betrachtung stand das Gewand, denn dieses zeigte einerseits den gesellschaftlichen und finanziellen Status der Frau und andererseits ihren kreativen, schöpferischen und intellektuellen Charakter. Das Herstellen von Stoffen, Gewändern, Decken, Teppichen und allgemein allen Textilien war jedem freien Haushalt und speziell den Frauen jeden Alters selbst überlassen. Die Quantität und die Qualität der Gewänder, sowie der materielle und der zeitliche Aufwand bei ihrer Herstellung zeugten von den Fähigkeiten einer Bürgerin, sich selbst und ihre Angehörigen schön zu kleiden (Abb. 3). Die antiken Statuen sind heute weiß und farblos, in der Antike aber waren sie bunt und man konnte sehen, wie schöne und wie viele Motive, Muster und Farben die selbst gewebten und genähten Gewänder hatten. Nicht umsonst präsentierten freie Frauen ihre Kleider in der Öffentlichkeit sehr stolz.

Nach dem Krieg
In der deutschen archäologischen Forschung änderte sich leider nach dem Krieg wenig, zumal kaum ein Elitenwechsel stattfand. „Zahlreiche Personen, die während der NS-Zeit Karriere gemacht hatten, blieben auf ihren Posten. Es herrschte unter den Verantwortlichen ein Korpsgeist, der Fragen und eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unmöglich machte. In manchen Bereichen waren nach 1945 sogar mehr Personen mit NS-Vergangenheit tätig als vorher. Verbrechen wurden nur in wenigen Fällen gesühnt, Emigrantinnen und Emigranten selten zurückgeholt. Linksgerichtete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren unerwünscht und galten und gelten noch als Nestbeschmutzer. Der Hauptfeind lag während der Nachkriegszeit eindeutig im Osten (Sowjetunion).“[23]
Unter dem Druck und der Beweiskraft der internationalen Altertumswissenschaft sind die Theorien der autochthonen Germanen, der Arier und der dorischen Wanderung heute gänzlich widerlegt. Themen aus dem Bereich der Gesellschaft und besonders aus der Frauenwelt wurden aber bis vor dreißig Jahren kaum behandelt und an dem verklärten Bild der antiken Frau hat sich kaum etwas geändert. So schrieb der Archäologe K. Christ noch im Jahr 1993, dass das Frauenbild in der römischen Antike „mit direkter Aktivität der Frau in Staat und Gesellschaft, Politik und Armee weithin unvereinbar schien“ [24].
Die Gender Studies, d.h. die Geschlechterforschung, ist seit der Jahrtausendwende immer noch ein neues Terrain in der Archäologie, das nur vorsichtig und nicht ohne Rückschläge vor allem von weiblichen Vertreterinnen des Fachs betreten wird [25]. So wird der Forschung heute bewusst, dass die Frau in der Antike eine wichtige gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Rolle spielte und dadurch direkt bei Entscheidungen oder im Hintergrund eine wirksame politische Rolle spielte. Diese Erkenntnis ist aber in der breiten Gesellschaft noch nicht angekommen, denn in den Latein-, Altgriechisch- und Geschichtsschulbüchern wird immer noch das altbekannte, teilweise nationalsozialistische Modell der Antike wiedergegeben.

[1] Für die sprachlichen Korrekturen bedanke ich mich bei meinen Töchtern, Sophia und Eleni Gleißner.
[2] Hans Surén, Mensch and Sonne. Arisch-olympischer Geist (Berlin, Scherl) (1924, Neuauf. 1936 und 1940) 15; Johann Chapoutot, Der Nationalismus und die Antike (Übers. aus dem Französischen Philipp-von-Zabern Verlag, Mainz 2014) 193.
[3] Heike Pantelmann, Die Fabrikation der deutschen Frau als Humanressource im Nationalsozialismus (Diss. Berlin 2019) 127–129. 139–141 (auch unter: www.refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/25314/Dissertation_Pantelmann.pdf?sequence=1&isAllowed=y, zuletzt gelesen 14.02.2021).
[4] Pantelmann 136 f.
[5] Magda Goebbels, Die berufstätige Frau im nationalsozialistischen Staat. Abgedruckt in: Die Handels- und Büroangestellte 39 (5) (1933) 46; Pantelmann 139.
[6] Johann Jacob Bachofen, Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur (Stuttgart 1861, 9. Auflage Suhrkamp 1997).
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Wiederherstellung_des_Berufsbeamtentums (zuletzt gelesen 14.02.2021).
[8] Das Deutsche Archäologische Institut bemühte sich in den letzten Jahren um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus, diese blieb aber mit wenigen Ausnahmen wenig erfolgreich. Vgl. Gunnar Brands – Martin Maischberger, Menschen – Kulturen – Traditionen. Forschungscluster 5 – Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert, Bd. 2,2 (Rahden 2016).
[9] Typisches Beispiel einer solchen Haltung liefert Ludwig Curtius, der zwar 1937 von Hitler zwangspensioniert wurde, aber den Pazifisten „Julius Gumbel verfolgte, antisemitische Klischees pflegte und als deutscher Faschist, also Anhänger Mussolinis, in Erscheinung trat“: Matthias Willing: Rezension zu: Brands, Gunnar; Maischberger, Martin (Hrsg.): Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus, Bd. 2. Rahden 2016. ISBN 978-3-86757-394-8, in: H-Soz-Kult, 19.06.2017, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-24935.
[10] Martijn Eickhoff, Replik auf Klaus Junker, oder: Warum die Geschichte der Klassischen Archäologie im "Dritten Reich" nicht gleichzeitig Fachgeschichte sein kann, JdI 130, 2015, 415.
[11] In der minoischen und mykenischen Zeit waren vor allem Frauen Priesterinnen und diese Tradition wurde wohl auch in der historischen Zeit praktiziert: Oliver Dickinson, The Aegean from Bronze Age to Iron Age. Continuity and change between the twelfth and eighth centuries BC (Albington 2006) 223.
[12] Martin A. Guggisberg, Frühgriechische Tierkeramik. Zur Entwicklung und Bedeutung der Tiergefäße und der hohlen Tierfiguren in der späten Bronze- und frühen Eisenzeit. Diss. Basel (Mainz 1996) 338 f. 359.
[13] Daniela S. Ziegler, Hausfrau, Ehefrau, Lebensgefährtin, Mutter. Die sozialen Rollenbilder der Frau auf attischen Vasen klassischer Zeit (Diss. Erlangen 2007) 88.
[14] „Nikandre hat mich der Fernhintrefferin, der Schützerin der Pfeile geweiht, die Tochter des Deinodikos, des Naxiers, hervorragend unter den Frauen, Schwester des Deinomenes, Frau des Phraxos“: Werner Eckschmitt, Geometrische und archaische Zeit (Mainz 1986) 85.
[15] Gerhard Rodenwaldt, Spinnende Hetären, Archäologischer Anzeiger 1932, 7–21.
[16] Ziegler a.O. (Anm. 13) 127–131; Maria Xagorari-Gleißner, Das Motiv der Frau mit Kalathos auf attischen Grabreliefs klassischer Zeit und seine Deutung im Wandel des archäologischen Denkens, in: St. Wefers – J. E. Fries u.a. (Hrsg.), Bilder – Räume – Rollen, Beiträge zur gemeinsamen Sitzung der AG Eisenzeit und der AG Geschlechterforschung (Bremen 2011) 45–52.
[17] Ziegler 130 spricht richtig von einer „Hetärenmanie“ in der archäologischen Forschung.
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhart_Rodenwaldt (zuletzt gelesen 14.02.2021).
[19] Ludwig Schemann, Die Rasse in den Geisteswissenschaften, Bd. II. Hauptepochen und Hauptvölker der Geschichte in ihrer Stellung zur Rasse (München 1930) 157; Chapoutot a.O. (Anm. 2) 74.
[20] Vgl. Birgit Bressa, Nach-Leben der Antike. Klassische Bilder des Körpers in der NS-Skulptur Arno Brekers (Diss. Tübingen 2001) 119–142; https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/46163/pdf/promotion.pdf?sequence=1&isAllowed=y
[21] Chapoutot a.O. (Anm. 2) 198.
[22] Silke Wenk, Aufgerichtete weibliche Körper. Zur allegorischen Struktur im deutschen Faschismus, in: Inszenierung der Macht, Ausstellungskatalog (Berlin, 1987) 116; Chapoutot a.O. (Anm. 2) 198 mit Anm. 128.
[23] Alexandra Kankeleit, Athen, Griechenland. Aufarbeitung der Geschichte des DAI Athen. Die Arbeiten der Jahre 2017 und 2018, in: www.kankeleit.de/pdfs/eDAI-F_2019_akankeleit.pdf (zuletzt abgerufen 07.03.2021) 43.
[24] Karl Christ, Die Frauen des Triumvirn, in: Il triumvirato costituente alla fine della repubblica romana. Scritti in onore di Mario Attilio Levi (Como 1993) 153.
[25] Die Schrift von Bachofen zu Matriarchat ist im Jahr 1997 in einer 9. Auflage erschienen. Eine Neubewertung der Bewegungsfreiheit der athenischen Ehefrau erfolgte durch Christine Schnurr-Redford, Frauen im klassischen Athen. Sozialer Raum und reale Bewegungsfreiheit (Berlin 1996) 119–132. Einen wichtigen Forschungsbeitrag leistete Daniela Ziegler mit ihrer Erlanger Dissertation 2007, die leider nie gedruckt wurde, aber heutzutage glücklicherweise im Internet allen zugänglich ist. Nicht zuletzt ist meine Tübinger Forschung, Meter Theon. Die Göttermutter bei den Griechen (Ruhpolding 2008) ein Ansatz, den Kult von maternalen Gottheiten im historischen Griechenland als prähistorisches Reminiszenz zu betrachten.

© Maria Xagorari-Gleißner
e-mail: m.xagorari@gmx.net

This article should be cited like this: M. Xagorari-Gleißner, Das verklärte antike Frauenbild im Nationalsozialismus, Forum Archaeologiae 99/VI/2021 (http://farch.net).



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