Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 95 / VI / 2020

STADTTOR OHNE STADTMAUER – FREISTEHENDE HOFTORE IN PERGE UND SIDE (PAMPHYLIEN)

Lange wurden die pamphylischen Hoftore, wie das „Hellenistische Südtor“ von Perge, das Haupttor und das Osttor von Side, sowie das etwas kleinere Westtor von Sillyon zu den klassisch-hellenistischen Hoftoren gezählt [1]. Als früheste Beispiele für monumentale Toranlagen sind das Dipylon Tor [2] in Athen, das als Vorhoftor mit doppeltem Eingang gilt, sowie das Eetioneia-Tor, das Asty-Tor und das Mitteltor von Piräus zu nennen, die bereits im 5.Jh. v.Chr. errichtet wurden [3]. Im Zusammenhang mit der erweiterten Entwicklung der Befestigungstechnik, die mit Dionysios I. mit der Errichtung der Befestigungsanlage Euryalos in Syrakus [4] am Ende des 5.Jhs. v.Chr. beginnt, entstanden im 2. Viertel des 4.Jhs. v.Chr. in Griechenland eine Reihe von Befestigungsanlagen, von denen vor allem Messene mit monumentalen Toren ausgestattet wurde, nämlich dem Arkadischen Tor und dem Südtor [5]. Bei diesen Toren handelt es sich um Vorhoftore mit einem doppelten stadtseitigen Eingang [6], wie es bereits am Dipylon-Tor vorkommt. Diese monumentalen Anlagen weisen keine fortifikatorischen Neuerungen auf. Aus diesem Grund wird bei der Errichtung dieser Tore bereits der Repräsentationscharakter im Vordergrund gestanden sein.
In Kleinasien sind zu den monumentalen Hoftoren vor allem das Westtor von Assos und das Myndos-Tor in Halikarnassos [7] zu nennen, die in klassisch-hellenistische Zeit zu datieren sind. Auch diese Tore können als Vorhoftore mit flankierenden Türmen bezeichnet werden, obwohl der Hof noch nicht diese Monumentalität erreicht hat wie bei den beiden Toren in Messene. Etwas später wurde das Magnesischen Tor in Ephesos errichtet, das in seiner frühesten Phase in der 2. Hälfte des 2.Jhs. n.Chr. ebenfalls als Vorhoftor konzipiert war, jedoch in augusteischer Zeit an der Feldseite durch drei Eingänge zu einem sogenannten Binnenhoftor wurde [8].
Als gemeinsame Merkmale gelten bei all diesen Toren die Anlage von zwei flankierenden Türmen (rund oder eckig) und ein axial angelegter größerer anschließender Hof (auch oval, halbrund oder eckig).
Das Befestigungssystem von Side besteht aus der sogenannten Landmauer mit dem Osttor und dem Haupttor, sowie der Seemauer. Die archäologischen Untersuchungen an der Landmauer schließen eine hellenistische Datierung aus und weisen an das Ende des 1. bis Anfang des 2.Jhs. n.Chr. [9]. Die archäologischen Untersuchungen am Osttor erbrachten einen Grundriss, der eine Weiterentwicklung eines Hoftores darstellt, indem es von Beginn an als Binnenhoftore konzipiert waren, die in die römische Kaiserzeit zu datieren sind [10].
Während der letzten Forschungskampagne in Side im Sommer 2019 sollte für das Haupttor ein neuer Grundrissplan erstellt werden. Im Zuge der Neuvermessung wurden auch einzelne Mauern der Anlage dokumentiert. Das Haupttor von Side stellt sowohl in der Antike als auch in der heutigen Zeit den Hauptzugang zur Stadt dar (Abb. 1).

Das Haupttor ist auf einer sidetischen Münze des Gallienus dargestellt [11]. Es wurde in einer Inschrift als Μεγάλη Πύλη, also »Großes Tor« bezeichnet und die Bewohner im Bereich des Tores als megalopuleitai [12]. Arif Müfid Mansel legte 1949 die gesamte Anlage frei. Eine ausführliche Darstellung und Publikation seiner Forschungen am Haupttor blieb er uns allerdings schuldig, es blieb bei einem kurzen Vorbericht [13].
Die Mauern der Anlage sind teilweise sehr massiv errichtet und bis zu einer Höhe von ca. 3,5m erhalten. Das Haupttor (Abb. 2) ist von zwei rechteckigen Türmen (11,5 x 11,8 m) flankiert, zwischen denen sich ein massiver feldseitiger Torbau befindet, der an der Außenseite durch zwei segmentförmig abgerundete Räume auffällt, die auch die Fassade bilden. In der Mittelachse liegt ein ca. 4m breiter Durchgang, der sich zu einer gepflasterten Kammer öffnet. Auf beiden Seiten dieser Torkammern befinden sich schmale Zugänge, sodass das Tor insgesamt von der Feldseite durch drei Durchgänge betreten werden kann. Dahinter schließt ein halbrunder mit Platten gepflasterter Hof an, der einen Durchmesser von 28m aufweist. Dieser Hof wird von einer Mauer gebildet, die an ihrer Außenseite durch relativ eng gesetzte Strebepfeiler verstärkt ist, um vermutlich den Wehrgang zu verbreitern bzw. überhaupt zu ermöglichen. In der Hauptachse beim stadtseitigen Ausgang befindet sich eine weitere kleine Torkammer.
Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Torhof mit einer zweistöckigen Architekturfassade ausgestattet. Dafür wurde die Hofmauer durch eine angebaute Sockelmauer verbreitert, auf der noch Spuren von Wandputz und Wandverkleidung erhalten sind (Abb. 3). Die Architekturfragmente aus Marmor lassen auf eine Nischenarchitektur schließen, die von Pilastern mit korinthischen Säulen und Bögen gerahmt ist [14]. Mansel möchte diesen Ausbau zu einem Prunktor in das späte 2.Jh. n.Chr. setzen, wobei Christian Gliwitzky aufgrund verschiedener stilistischer Merkmale der Architekturfragmente eine Datierung um 220/230 n.Chr. bevorzugt [15]. Demnach erfolgten der repräsentative Umbau und Ausbau gleichzeitig mit der Errichtung des benachbarten Nymphäums.

Bemerkenswert sind zwei massiv gemauerte Mauerfluchten, die die Torkammern flankieren und als Verbindung zwischen den Türmen und den Hofmauern fungieren, wobei die einzelnen Elemente in keinem Mauerverband stehen (Abb. 4). Mansel bezeichnet diese Elemente als „Pylon [16]“. Sie sind je 1,80m breit und 4,70m lang. Die Travertinblöcke bestechen durch ein einheitliches Maß von 0,60 x 0,45 x 1,20m und folgen somit einem Maß von 2 x 1,5 x 4 Fuß. Dem entspricht auch die regelmäßige Läufer- und Binderabfolge: In einer Reihe sind jeweils eine Lage Läufer und eine Lage Binder kombiniert, die in der nächsten Reihe umgekehrt angeordnet sind. Für diese Art der Lagenanordnung gibt es einen Vergleich bei der Peribolosmauer für das Mausoleum in Halikarnassos [17], wo nicht nur die Lagenabfolge übereinstimmt, sondern auch das Blockmaß von 2 x 1,5 x 4 Fuß. Das ist auch insofern interessant, da das Blockmaß der restlichen Travertinblöcke am Haupttor meistens 0,60 x 0,55 x 0,80 (0,90 oder 1,20) m betragen, was dem gängigen Maß der Blöcke in Side entspricht [18].

Die vorläufigen Beobachtungen ergaben, dass das Tor mindestens zwei Bauphasen aufweist. Das Tor steht außerdem mit der Landmauer in seiner ursprünglichen ersten Ausführung in keinem Verband und musste demnach eine freistehende Anlage gewesen sein. Die Türme sind mit der Landmauer durch Zungenmauern verbunden, die allerdings in einer späteren Phase an die Turmrückwand angesetzt wurden. Das spricht dafür, dass das Tor vor der Landmauer, die in das 1.–2.Jh. n.Chr. datiert werden kann, errichtet wurde. Nachdem die einzelnen Bauteile wie die Türme, die Pylone, die Torkammern und die Hofmauer in keinem baulichen Verband stehen, ist es schwierig ohne Ausgrabung unterschiedliche Phasen für die frühere Torausstattung zu unterscheiden. Die entlang der früheren Hofmauer angelegte Sockelmauer und der damit verbundene zweistöckige Nischenaufbau können eindeutig einer späteren Phase im Ende des 2./Anfang des 3.Jhs. n.Chr. zugeordnet werden. Einige der Zugänge wurden zu späteren Zeitpunkten durch Zumauerungen geschlossen.
Daraus resultiert für das Haupttor ein Grundriss, wie er von anderen Anlagen nicht bekannt ist. Vergleichbar ist die Struktur am ehesten mit dem „Hellenistischen Südtor in Perge“ [19]. Hier konnte nach Ausgrabungen im Hof und an der Hofmauer festgestellt werden, dass das Tor in seiner ersten Phase aus augusteischer Zeit aus den beiden Rundtürmen und einem kreisrunden Hof bestand. Im 2.Jh. n.Chr. erfolgte der Ausbau zu einem Prunktor, indem der kreisrunde frühere Hof durch einen ovalen, zur Stadt hin offenen Hof ersetzt wurde, der dann auch mit einer Nischenarchitektur und Skulpturenausstattung versehen war. Bemerkenswert für das „Hellenistische Südtor“ in Perge ist auch, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass das Tor mit einer Kurtine verbunden war. Demnach handelte es sich um ein freistehendes Tor, das an keine Stadtmauer angebunden war.
Bemerkenswert ist außerdem die Ausführung des Haupttors von Side: es wurde nicht wie bei allen anderen Bauten in Side das örtlich anstehende Konglomeratgestein als Baumaterial verwendet, sondern Travertingestein, was den Bau allein durch seine hellere Farbe hervorstechen lässt. Die Mauern sind am Haupttor konsequent im Läufer-Binder System und teilweise mit einem regelmäßigen Blockmaß errichtet, wie wir das an anderen Bauten in Side nicht beobachten können.
Sowohl beim „Hellenistischen Südtor“ in Perge, als auch beim Haupttor in Side handelt es sich in ihrer ersten Phase um freistehende Tore. Das bedeutet, das Tor war mit keiner Kurtine verbunden. Dieses bauliche Konzept widerspricht nun offensichtlich jeglichem fortifikatorischen Aspekt und weist den Bau als alleinstehendes Bauwerk aus. Neben dem Hellenistischen Südtor in Perge sind monumentale freistehende Tore im Osten des römischen Reiches bekannt. Zu nennen ist hier das monumentale Südtor von Tiberias [20] im heutigen Israel, das in das 1.Jh. n.Chr. datiert wird, sowie das Westtor I-III in Gadara im heutigen Jordanien, die von der frühen Kaiserzeit bis in das 3.Jh. n.Chr. datiert werden und jeweils an den Hauptstraßen der jeweiligen Städte angelegt wurden [21].
Ähnlich kann man sich das auch beim Haupttor von Side vorstellen, das ursprünglich auch als freistehender Bau konzipiert war – ebenfalls an der wichtigsten Straße, wo man nicht zur Repräsentation, sondern auch um vielleicht Zölle einzuheben und den Verkehr zu regeln, zuerst das Tor angelegt hat, das man dann aber in einem späteren Bauvorgang mit den Kurtinen der Landmauer verbunden hat.

Literatur
Beste 2016
H.-J. Beste, The Castle Euryalos of Syracuse, in: in: R. Frederiksen – S. Müth – P. Schneider – M. Schnelle (Hrsg.), Focus on Fortification: New Research on Fortifications in the Ancient Mediterranean and the Near East. Papers of the Conference on the Research of Ancient Fortifications, Athens 6–9 December 2012, Fokus Fortifikation Studies 2, Monograph of the Danish Institute at Athens 18 (Oxford 2016) 193-206
Bührig 2006
C. Bührig, Die Architektur des Stadteingangs in den östlichen Provinzen des Römischen Reiches. Stadttor und Bogenmonument, in: Th. G. Schattner – F. Valdés Fernández (Hrsg.) Stadttore. Bautyp und Kunstform – Puertas de ciudades. Tipo arquitectónico y forma artística, Akten der Tagung in Toledo vom 25.–27. September 2003 (Mainz 2006) 131–152
Von Eickstedt 1991
Klaus-Valtin von Eickstedt, Beiträge zur Topographie des antiken Piräus (Athen 1991)
Gliwitzky 2010
Ch. Gliwitzky, Späte Blüte in Side und Perge. Die pamphylische Bauornamentik des 3. Jahrhunderts n. Chr. (Bern 2010)
Gruben 1964
G. Gruben, Die Ausgrabungen am Kerameikos, AA 1964, 385–419
Lohner-Urban 2020
U. Lohner-Urban, Das Osttor von Side – Entwicklungslinien der pamphylischen Hoftore am Übergang vom Späthellenisums zur römischen Kaiserzeit, in: U. Lohner-Urban – U. Quatember (Hrsg.), Zwischen Bruch und Kontinuität – Architektur in Kleinasien am Übergang vom Hellenismus zur römischen Kaiserzeit / Continuity and Change – Architecture in Asia Minor during the transitional period from Hellenism to the Roman Empire, Tagung an der Universität Graz, 26.–29. April 2017, Byzas 25 (Istanbul) 2020, 251–269
Mansel 1956
A.M. Mansel, Bericht über die Ausgrabungen in Pamphylien in den Jahren 1946–1955, AA 1956, 1956, 34–120
Mansel 1963
A.M. Mansel, Die Ruinen von Side (Berlin 1963)
Martini 2016
W. Martini, Form, Funktion und Bedeutung der Stadtmauern von Perge in Pamphylien, in: R. Frederiksen – S. Müth – P. Schneider – M. Schnelle (Hrsg.), Focus on Fortification: New Research on Fortifications in the Ancient Mediterranean and the Near East. Papers of the Conference on the Research of Ancient Fortifications, Athens 6–9 December 2012, Fokus Fortifikation Studies 2, Monograph of the Danish Institute at Athens 18 (Oxford 2016) 220–231
Nollé 2001
J. Nollé, Side im Altertum. Geschichte und Zeugnisse 2. Griechische und lateinische Inschriften (5–16). Papyri-Inschriften in sidetischer Schrift und Sprache, Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 44 (Bonn 2001)
Pedersen 2019
P. Pedersen, Emplekton – Thea Art of Weaving Stones, in: E.C. Partida – B. Schmidt-Dounas (Hrsg.), Listening to the Stones: Essays on Architecture and Function in Ancient Greek Sanctuaries in Honour of Richard Alan Tomlinson (Summertown 2019) 1–10
Schwertheim 2010
U. Schwertheim, Monumentale Hoftore in Messene, in: J. Lorentzen – F. Pirson – P. Schneider – U. Wulf-Rheidt (Hrsg.), Aktuelle Forschungen zur Konstruktion, Funktion und Semantik antiker Stadtbefestigungen, Kolloquium Istanbul 2007, Byzas 10 (Istanbul 2010) 97–106
Sokolicek 2009
A.Sokolicek, Zwischen Stadt und Land: Neues zum Magnesischen Tor in Ephesos. Erste Ergebnisse, ÖJh 78, 2009, 321–347

[1] Zuletzt: Lohner-Urban 2020, 259 Abb. 7.
[2] Gruben 1964, 385–419.
[3] Überblick bei: Von Eickstedt 1991: Asty-Tor und Mitteltor: 50–60 mit Abb. 25–36; Eetioneia-Tor: 34–44 mit Abbildungen 16–20 (vor der Restaurierung).
[4] Zuletzt: Beste 2016, 193-206.
[5] Ausführlich bei: Schwertheim 2010, 97–106.
[6] Schwertheim 2010, 98 Abb. 1, 100 Abb. 3.
[7] P. Pedersen, Halikarnassos 1998, in: KST 21/2 (Ankara 2000) 306-308. 311 Abb.5.
[8] Sokolicek 2009, 341 f. Abb. 23.
[9] Für Pamphylien ist es anhand der Keramik noch schwierig für die frühe Kaiserzeit und flavische Zeit Datierungen vorzunehmen, da gesicherte Typologien fehlen. Zieht man die cypriot sigillata zur Datierung heran, so ist es entscheidend, wie man gewisse Formen zeitlich einordnet, die in Side nachweislich in verschiedenen fabrics auftauchen. Die Untersuchungen an der zypriotischen Keramik in Side sind noch nicht abgeschlossen, weisen aber in einen Zeitraum ab dem Ende des 1.Jhs. n.Chr.
[10] Zuletzt: Lohner-Urban 2020, 251–269.
[11] Mansel 1963, 37 Abb. 23.
[12] Nollé 2001, 398–407 Nr. 105.
[13] Mansel 1956, 69–73 Abb. 27–29.
[14] Mansel 1956, 71 Abb. 29; Gliwitzky 2010, 128–130.
[15] Mansel 1956, 71; Gliwitzky 2010, 130.
[16] Mansel 1963, 37.
[17] Pedersen 2019, 5 Abb. 3; 6 Abb. 4.
[18] Eine Blockhöhe von 0,45m ist für die Bauten in Side eher ungewöhnlich.
[19] Martini 2016, 230; zuletzt: Lohner-Urban 2020, 259–261 Abb. 7
[20] Bührig 2006, 137–139 Abb. 7. 8.
[21] Bührig 2006, 142–150 Abb. 11.

© Ute Lohner-Urban
e-mail: ute.lohner@uni-graz.at

This article should be cited like this: U. Lohner-Urban, Stadttor ohne Stadtmauer – Freistehende Hoftore in Perge und Side (Pamphylien), Forum Archaeologiae 95/VI/2020 (http://farch.net).



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