Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 95 / VI / 2020

ANGELOS CHANIOTIS, DIE ÖFFNUNG DER WELT. EINE GLOBALGESCHICHTE DES HELLENISMUS
Aus dem Englischen übersetzt von Martin Hallmannsecker, Darmstadt 2019

Unter dem Titel „Age of Conquests. The Greek World from Alexander to Hadrian (336 bc – ad 138)“[1] erschien im Jahre 2018 die englischsprachige Originalausgabe des hier zu besprechenden Buches von Angelos Chaniotis, derzeit unbestritten einer der weltweit besten Kenner der hellenistischen Geschichte. Chaniotis hat sein Buch für „eine breite Leserschaft“ (7) geschrieben, weshalb die nur ein Jahr nach dem englischen Original erschienene und etwa 500 Textseiten umfassende deutsche Übersetzung durchweg als Gewinn zu betrachten ist. Sie dürfte sich sowohl an interessierte Laien also auch an Studierende der Altertumswissenschaften richten, handelt es sich bei der Epoche des Hellenismus doch um einen politisch durchweg komplexen, wegen der teils nur lückenhaften Überlieferung historisch schwierigen, aber dennoch zentralen Abschnitt der griechisch-römischen Geschichte.
Gleich am Beginn sei daher vorweggenommen: Chaniotis gelingt es, die Fülle der Ereignisse und Komplexität der Entwicklungen mit einer Leichtigkeit und Souveränität darzustellen, die beeindruckt und im Kreise der zunehmenden Zahl an ‚Überblickswerken’ (nicht nur) zur hellenistischen Geschichte deutlich hervorsticht. Chaniotis beschränkt seine Darstellung dabei keineswegs nur auf den gemeinhin bekannten Abschnitt der hellenistischen Epoche von Alexander dem Großen bis zum Ende des Ptolemäerreiches, also dem Sieg des nachfolgenden Kaisers Augustus gegen Marc Anton und Kleopatra, sondern er fasst sie weiter, nämlich – wie aus dem englischen Originaltitel ersichtlich – bis zur Zeit des Kaisers Hadrian und teils noch darüber hinaus bis zu Marc Aurel. Als Grund für dieses Vorgehen führt der Autor in Vorwort und Einleitung an, dass das Ende des Ptolemäerreiches und das Jahr 30 v.Chr. in der Gesellschafts-, Wirtschafts-, Religions- und Kulturgeschichte keine signifikante Zäsur darstelle und sich diesbezügliche Entwicklungen der hellenistischen Zeit auch in den zwei Jahrhunderten danach fortsetzten bzw. sich diese Strukturen in den ersten beiden Jahrhunderte der Kaiserzeit im griechischen Osten erst unter Berücksichtigung ihrer hellenistischen Wurzeln verstehen ließen (bes. S. 11f.). Zurecht betont Chaniotis daher, dass es für die Zeit der Römerherrschaft einer eigenständigen griechischen Geschichte bedürfe. Diese nimmt in seiner Darstellung – auch hinsichtlich des Seitenumfanges – die zweite Hälfte des Buches ein. Beide Abschnitte zusammen, also die Zeit des ‚klassischen’ Hellenismus sowie die der griechischen Geschichte in den beiden ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit nennt Chaniotis „das lange hellenistische Zeitalter“ (S. 12). Seine Darstellung im wesentlichen mit Hadrian enden zu lassen, begründet Chaniotis damit, dass ein übergreifendes Thema seines Buches die Einheit der Griechen sei und gewissermaßen sich der ‚Kreis’ vom Korintherbund des Makedonenkönigs Philipp II. am Beginn des Hellenismus mit Hadrians Einrichtung des Panhellenions und dem Versuch, damit ein Ratsgremium zu schaffen, an dem – zumindest theoretisch – alle griechischen Städte teilhaben konnten, schlösse (S. 12).

Chaniotis beginnt seinen Überblick über die hellenistische Epoche mit einem kurzen Überblick über die Leistungen Philipps II., um dann mit ausreichender Ausführlichkeit, aber zugleich gebotener Kürze auf die Taten Alexanders einzugehen. Der Ereignisgeschichte folgend schließt sich danach ein Kapitel zu den Diadochen an, in dem vielleicht am besten die Stärke dieser Überblicksdarstellung ersichtlich wird. Ohne sich in den zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen und machtpolitischen Konstellationen zu verlieren, gelingt es dem Autor bei einer durchaus beibehaltenden Faktenfülle, leicht verständlich die roten Linien des komplexen, sich über etwa 40 Jahre hinziehenden Kampfes der Nachfolger Alexanders bis zur weitgehenden Konsolidierung der neuen Großreiche darzulegen. Kennzeichnend ist dabei auch, dass Chaniotis bereits in diesem zweiten Kapitel den Blick nach Westen öffnet und den Epiroten Pyrrhos im Kontext der Diadochenkämpfe darstellt und somit früh die Verflechtung von hellenistischer und römisch-unteritalischer bzw. sizilischer Geschichte einleitet – ganz im Sinne des deutschen Untertitels einer Globalgeschichte des Hellenismus.
Im Gegensatz zu vielen anderen Darstellungen dieser Epoche richtet Chaniotis im Folgenden den Blick zunächst auf das ‚alte Griechenland’ in der Zeit des 3.Jhs. und hebt dabei zurecht die Allgegenwärtigkeit des Krieges in dieser Welt hervor. Die Bedrohung durch die Gallier, meist nur eine Randnotiz in solchen Darstellungen, wird hinsichtlich des globaleren Verständnisses ebenfalls stärker in den Mittelpunkt gerückt, zumal diese Bedrohung zuvor auch für das später dominierende Rom bestand. Ein eigenes Kapitel widmet Chaniotis anschließend – und im Gegensatz zu den anderen hellenistischen Großreichen – den Ptolemäern, deren Herrschaft er im 3.Jh. als „Goldenes Zeitalter“ versteht. Nachfolgend werden die verschiedenen Ausprägungen und Aspekte der hellenistischen Königsherrschaft dargelegt, dem er im nächsten Kapitel die Welt der Bürger und Stadtstaaten gegenüberstellt; ein Aspekt der hellenistischen Welt, der besonders in älteren Darstellung meist unbeachtet blieb, durch die intensivere jüngere Forschung auf diesem Gebiet aber zurecht eine notwendige Berücksichtigung erfahren hat. Im Gegensatz zu den vielbehandelten Themen der hellenistischen Geschichte, die in solchen Gesamtdarstellungen meist wenig Neues darlegen lassen, zeigt der Abschnitt zur Welt der Bürger die grundsätzliche Schwierigkeit eines ‚Überblickswerkes’ zum Hellenismus. Zwar gelingt es Chaniotis auch hier, zahlreiche Aspekte der stadtstaatlichen Gemeinschaft in einer „Welt voller poleis“ (S. 149), die die hellenistische zweifellos war, nachdrücklich und knapp darzustellen, allerdings zeigen sich bei genauerem Hinsehen in gesellschaftlicher, politischer und machtpolitischer Hinsicht eben doch sehr klare Unterschiede und Charakteristika einzelner Stadtstaaten zueinander, die bei Chaniotis zugunsten eines eher großen Ganzen weitestgehend zurücktreten. Legt man in Darstellungen und Forschung zur hellenistischen Zeit ansonsten gerade Wert auf eine Hervorhebung von Unterschieden und Besonderheiten etwa der jeweiligen Monarchien oder Bünde, wäre eine solche Berücksichtigung freilich auch für die Welt der Stadtstaaten wünschenswert gewesen. Die fehlende Detailschärfe dürfte im vorliegenden Fall mit einer sich noch durchweg im Fluss befindenden Forschung zu erklären sein. Mit dem ausgehenden 3.Jh. folgt Chaniotis jedenfalls in seinen Kapitel 7-10 dann bis zum Ende der hellenistischen Epoche weitgehend der Ereignisgeschichte. Hier werden die weithin bekannten Ereignisse und Zusammenhänge des römischen Ausgreifens auf den hellenistischen Osten, die römischen Provinzeinrichtungen, der Niedergang der hellenistischen Königreiche in Asien und Ägypten sowie zuletzt die innerrömischen Auseinandersetzungen im Osten im 1.Jh. v.Chr. bis zur Niederlage von Marc Anton und Kleopatra gegen Octavian dargelegt.

Die zweite Hälfte des Buches umfasst mit den Kapiteln 11-16 – wie oben angesprochen - den griechischen Osten bis zur Zeit von Hadrian bzw. Marc Aurel und damit das Fortleben der hellenistischen Welt unter der römischen Vorherrschaft der Kaiserzeit –Chaniotis’ „langes hellenistisches Zeitalter“. Der Autor gibt hier zunächst einen Überblick über die wesentlichen Veränderungen und Eingriffe römischer Kaiser im griechischen Osten von Augustus bis Hadrian, berücksichtigt dabei aber auch eine entgegengesetzte Beeinflussung wie etwa eine Integration von Griechen in die Reichselite unter den Flaviern (Kap. 11). Dabei fügt er mitunter längere Erläuterungen zur römischen Herrschaft ein, wenn er für das Zielpublikum, eben eine breite Leserschaft, etwa die Herausbildung des Prinzipats oder die politische Organisation des römischen Ostens erläutert. Er betont dabei zurecht, dass im Osten die neuen Hauptdarsteller und Initiatoren von Entwicklungen vor allem die Kaiser, Senatoren und Statthalter waren und nur noch in geringem Maß griechische Staatsmänner, sich also die Situation im Vergleich zur hellenistischen Zeit grundlegend geändert hatte (S. 273).
Im nachfolgenden Kapitel werden in diesem Sinne das kaiserliche Regieren und seine Sichtbarkeit im griechischen Osten, die Verwaltung der Provinzen und das politische Leben in den Städten dargelegt. Neben den politischen Machtstrukturen entwickelten sich unter einer römischen Oberherrschaft neue soziale Hierarchien und Möglichkeiten eines sozialen (überregionalen) Aufstiegs, die zumeist von ökonomischen Faktoren bestimmt waren und von Chaniotis anhand mehrerer Teilaspekte ausgeleuchtet werden (Kap. 13). Nachfolgend zeigt der Autor gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen insbesondere innerhalb der Gemeinschaften auf, die sich aus der veränderten Herrschaftssituation ergaben. Da Aspekte wie das Vereinswesen, der Euergetismus oder die ephebeia mit der Welt des Gymnasiums auf Entwicklungen der hellenistischen Zeit zurückgehen und bereits in der vorrömischen Zeit eine deutliche Verbreitung besaßen, bietet Chaniotis hier – wie auch in den weiteren ‚kaiserzeitlichen’ Kapiteln – immer auch die Rückblicke auf deren hellenistische Grundlagen. Insbesondere diese gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen im griechischen Osten über die althergebrachte Epochengrenze zur römischen Kaiserzeit hinweg verleihen Chaniotis’ Ansatz eines langen hellenistischen Zeitalters eine notwendige Überzeugungskraft. Ebenso lassen sich auch hinsichtlich der Kulte, Religionen und des Festwesens klare Entwicklungslinien von hellenistischer Zeit bis weit in die Kaiserzeit ziehen (Kap. 15), durch die in mehrfacher Hinsicht eine Kontinuität offensichtlich wird.
Letztlich führt all dies zu der resümierenden Frage, inwiefern die Griechen der ehemaligen hellenistischen Welt sich an die veränderten Bedingungen unter römischer Oberherrschaft anpassten oder aber ihre alte ‚Identität’ bewahren konnten. Chaniotis nutzt diese Frage, um in seinem abschließenden Kapitel nochmals wesentliche Entwicklungen Revue passieren zu lassen und dabei hervorzuheben, das zahlreiche Veränderungen mit Alexanders Perserfeldzug in Gang gesetzt wurden, aber eben nicht mit dem Ende des Hellenismus abgeschlossen waren, sondern in vielfacher Weise die Welt des griechischen Ostens noch in der Kaiserzeit bestimmten.

Wie eingangs betont, gelingt Chaniotis mit seinem Werk ein beeindruckender, vielschichtiger und leicht verständlicher Überblick sowohl über die Epoche des Hellenismus als auch über die ostmediterrane griechische Welt in den ersten beiden Jahrhunderten der Kaiserzeit. Will man Kritik äußern, so sticht freilich zunächst die verschiedene Titelgebung von englischem Original und deutscher Übersetzung hervor. Unter „Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus“ ist nicht nur auf den ersten Blick etwas anderes zu verstehen als unter einem „Age of Conquests. The Greek World from Alexander to Hadrian“. Wenn der englische Haupttitel weitaus treffender für die Entwicklungen der hellenistischen Zeit ist und mit dem Untertitel gewissermaßen versucht wird, auch das ‚lange hellenistische Zeitalter’ (das freilich im Osten kein „Age of Conquests“ mehr war) einzufangen, verhält sich dies beim deutschen Titel gerade umgekehrt, denn man wird mit ihm vielmehr Aspekte der Konsolidierung in den Vordergrund rücken müssen, die längerfristig erst unter der römischen Oberherrschaft zum Tragen kamen. Eine einprägsame Titelwahl mag sicherlich als Zugeständnis für die Vermarktung des Buches für eine breite Leserschaft gesehen werden, jedoch zeigt sie im vorliegenden Fall eben auch die grundsätzliche Verschiedenheit beider Epochen. Chaniotis selbst hebt ja hervor, dass sich mit der römischen Vorherrschaft die „neuen Hauptdarsteller und Initiatoren der Entwicklungen“ (s.o.) nun auf römischer und nicht mehr wirklich auf griechischer Seite befanden. Der Hellenismus als Epoche ist in herrschaftspolitischer Hinsicht zweifellos grundverschieden von einem folgenden langen hellenistischen Zeitalter, dessen Relevanz sich wiederum durch gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen und Kontinuitäten begründet herleiten lässt.
Es wäre daher naheliegend zu fragen, ob der signifikante Einschnitt am Ende des Hellenismus nicht bereits in der Mitte des 2.Jhs. v.Chr. gesetzt werden sollte. Jedenfalls änderten sich die Machtstrukturen im griechischen Osten bereits zu dieser Zeit derart signifikant, dass sie keineswegs mehr denen der vorangehenden hellenistischen Zeit entsprachen und mit Octavians Sieg über Marc Anton und Kleopatra auch kein grundlegender Wandel im hellenistischen Osten gerechtfertigt werden müsste. Wesentliche gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen, die in der Kaiserzeit – wie auch von Chaniotis dargelegt – noch die Kontinuitäten der griechischen Welt ausmachen, haben ihren Ausgangspunkt bereits im Verlauf des 2.Jhs. und nicht erst ab der augusteischen Zeit. Eine eigenständige griechische Geschichte für die Zeit der Römerherrschaft, wie sie Chaniotis berechtigt anmahnt, sollte daher naheliegend in dieser früheren Zeit einsetzen und ließe dann auch den Bruch zwischen beiden ‚Epochen’ im östlichen Mittelmeerraum klarer hervorheben. Eine gemeinsame Darstellung mit der vorangehenden hellenistischen Zeit wäre dabei keineswegs notwendig. Ob eine solche griechische Geschichte der späteren Zeit dann mit Hadrian bzw. Marc Aurel enden müsste, bliebe freilich dahingestellt und bedarf einer ausführlicheren Diskussion.
Auch der Begriff der „Globalisierung“, auf den Chaniotis an mehreren Stellen, aber für die gesamte von ihm dargestellte Zeit verweist, ließe sich gewinnbringender auf den Abschnitt der römischen Vorherrschaft anwenden. Jedenfalls war die Eroberung des Perserreiches durch Makedonen und Griechen weniger eine Globalisierung, als vielmehr zunächst eine Umkehr der großräumigen Machtverhältnisse mit der territorialen Einbeziehung des alten Griechenlands. Die hellenistische Zeit bis zur Mitte des 2.Jhs. v.Chr. ist daher zutreffend als „Age of Conquests“ zu bezeichnen, was die römische Eroberung des griechischen Ostens einschließt und das auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder hervortretende imperialistische Machtstreben charakterisiert, das mit der römischen Dominanz und Herrschaftskonsolidierung schließlich unterbunden war und so auf längere Sicht überhaupt erst (positive) Effekte einer ‚Globalisierung’ nachhaltig hervortreten ließen.

Die hier angeführte Kritik ist hinsichtlich des Zielpublikums, nämlich einem breiten und sicherlich auch auf Studierende abzielenden Leserkreis, allerdings marginal und betrifft vielmehr fachinterne Diskussionen. In keiner Relation steht sie zu der Leichtigkeit, mit der es Chaniotis versteht, die Fülle und Komplexität der historischen Entwicklungen im griechischen Osten von Alexander bis Hadrian darzustellen. Hieran müssen sich zukünftige Überblickswerke mit einer vergleichbaren Zielsetzung messen lassen. Hinsichtlich einer Darstellung der griechischen Geschichte unter römischer Herrschaft hat der Autor mit der zweiten Hälfte seines Werkes eine Grundlage geschaffen, die auch von vielen Fachleuten als Referenz herangezogen werden dürfte.

Angelos Chaniotis, Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus
Aus dem Englischen von Martin Hallmannsecker
Hardcover mit Schutzumschlag 528 Seiten, 38 Illustrationen, schwarz-weiß
wbg Theiss, ISBN 978-3-8062-3993-5 € 35 [D]

[1] Angelos Chaniotis, Age of Conquests. The Greek World from Alexander to Hadrian (336 bc – ad 138). Cambridge MA: Harvard University Press, 2018. xxxii, 446. ISBN 9780674659643, $31.50.

© Volker Grieb
e-mail: volker.grieb@uni-graz.at

This article should be cited like this: V. Grieb, Angelos Chaniotis, Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus. Aus dem Englischen übersetzt von Martin Hallmannsecker, Darmstadt 2019, Forum Archaeologiae 95/VI/2020 (http://farch.net).



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