Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 91 / VI / 2019

GLADIATOREN UND LÖWEN AUF EINER REIBSCHÜSSEL AUS BRIGANTIUM/BREGENZ

Im Jahr 1974 wurde von Elmar Vonbank im Vorfeld des Baus des Bundesgymnasiums Blumenstraße eine Ausgrabung in Bregenz auf der sog. Gmeinerwiese durchgeführt. Die Funde und Befunde dieser Ausgrabung konnten im Rahmen des DACH-Projekts „Limites inter Provincias[1] – Roms Innere Grenzen " bearbeitet werden und bildeten auch den Ausgangspunkt des Dissertationsprojekts [2] der Autorin. Unter den zahlreichen Funden befanden sich auch einige Stücke, die aufgrund der spezifischen Fragestellungen der Dissertation, die sich vor allem mit der Entwicklung der römischen Siedlung Brigantium befassten, nicht ausreichend besprochen werden konnten. Eines dieser Stücke stellt eine bemerkenswerte Reibschüssel dar, die neben ihrer Größe auch durch ihre außergewöhnliche Verzierung auffällt.

Die Reibschüssel mit Terra-Sigillata-Punzverzierung
Es handelt sich um eine Reibschüssel aus orangebraunem, recht weichen Ton mit Ziegelsplitt- und Glimmermagerung. An der Innenseite ist sie mit einer Reibfläche aus dicht gestreuten, 0,25–2,5mm großen Steinchen versehen. Sowohl in Fabrikat als auch in Größe (Randdurchmesser: 36cm, Höhe: 14cm, Bodendurchmesser: 24cm) hebt sie sich deutlich von den lokal produzierten mortaria ab. Diese sind in der Regel in einem beigen bis gelblichen, mitunter hellrosa Fabrikat ausgeführt und gut 20 Prozent kleiner. Formal entspricht sie mit einem überhängenden Kragenrand und einer aufgestellten Randleiste den Reibschüsseln vom Typ Haltern 60, wobei der Kragenrand, ähnlich demjenigen der „rätischen Reibschüsseln“ [3], durch eine tiefe Rille gegliedert ist (Abb. 1).

Ein weiteres, besonderes Charakteristikum dieser Schüssel ist die Verzierung des überhängenden Kragenrandes: Der Rand ist durchgehend mit Abdrücken von Sigillata-Punzen versehen (Abb. 2). Es handelt sich dabei um Motive, die in helvetischen Terra Sigillata-Töpfereien verwendet wurden [4]: Ein nach links schreitender Gladiator M5, der – da er im Negativ auftritt – spiegelverkehrt und somit nach rechts schreitend vorliegt, sowie ein nach links (im Negativ nach rechts) laufendes Tier, bei dem es sich wahrscheinlich um einen Löwen handeln dürfte T24. Über dem Löwen befindet sich ein nicht näher bestimmbares Ornament. Beide Figuren sind jeweils unter einem doppelten Halbkreisbogen KB3 dargestellt. Die Punzen sind derart am Kragen angebracht, dass zumindest ein Drittel des Randes durchgehend mit der Gladiatorenpunze versehen ist und im Anschluss daran eine Reihe aus Abdrücken der Tierpunze beginnt, wovon noch zwei erhalten sind. In welchem Verhältnis die Verteilung der Motive auf dem Kragen zueinander standen und ob noch weitere Motive verwendet wurden, lässt sich aufgrund der Erhaltung nicht gesichert sagen. Denkbar wäre jedoch, dass der Gladiator rundum angebracht war, wohingegen das laufende Tier nur den Ausguss der Schüssel flankierte, der etwa in dem Bereich ansetzt, wo die Löwenpunze angebracht ist.

Werke des Cestius
Auch wenn dieses mortarium im Bregenzer Fundspektrum recht außergewöhnlich und sonderbar erscheint, finden sich vor allem im Schweizer Raum einige Parallelen. Eine Reibschüssel mit vergleichbarer Verzierung wurde 1931 bei Ausgrabungen in der römischen Villa von Leuzigen (Kt. Bern/CH) gefunden [5]. Diese weist am Rand eingedrückte Punzen eines Bestiarius M7, das Hinterteil eines Löwen sowie einzelne Eierstab-Punzen zwischen den Motiven auf. Der Ausguss dieser Reibschüssel ist von besonderer Bedeutung, da hier zum einen das gleiche Motiv des laufenden Löwen T24, das auch auf der Bregenzer Schüssel zu finden ist, verwendet wurde; zum anderen, da auf den beiden Leisten rechts und links des Ausgusses der Töpferstempel CESTIVS. F. A. zu finden ist (Abb. 3). Sämtliche verwendete Punzen, sowohl die auf der Bregenzer als auch die der Leuzigener Schüssel kommen in Kombination mit dem Eierstab E1 vor, wodurch sie dem Umkreis/dem Einfluss der Werkstätten bei Westerndorf zugeschrieben werden können [6]. Einen Hinweis auf die mögliche Lokalisierung des Töpfers Cestius findet sich im Stempel selbst, das A hinter F(ecit) könnte als A(venticum) zu lesen sein [7]. Es mutet jedoch unwahrscheinlich an, dass dieser Cestius tatsächlich auch an der Sigillata-Produktion beteiligt war. Vielmehr dürfte es sich bei ihm um einen Reibschüsseln-Töpfer handeln, der im gleichen Betrieb tätig war, in dem die Terra Sigillata-Produktion stattfand. Dadurch hatte Cestius die Gelegenheit, die Punzen (mit)zu verwenden [8].

Weitere mortaria mit derart verziertem Rand konnten in Cambodunum/Kempten (Allgäu/D) sowie in Augusta Raurica/Augst (Kt. Basel-Landschaft/CH) gefunden werden [9]. Das Randfragment der Kemptener Schüssel (Abb. 4a) zeigt einen Bestiarius und einen Löwen, jeweils unter einem einfachen, gekerbten Halbkreisbogen dargestellt, sowie dekorative Füllmotive zwischen diesen Punzen. Auf der Augster Schüssel (Abb. 4b) ist ebenso das Motiv des Bestiarius zu sehen. Die Punze ist, ähnlich der Gladiator-Darstellung von Bregenz, mehrmals aneinandergereiht unter einem doppelten Halbkreisbogen eingedrückt. An den Enden der Bögen findet sich jeweils eine einzelne Eierstabpunze, wie es in gleicher Weise auch auf der Leuzigener Schüssel zu sehen ist. Diese weisen zwar die gleichen Motive bzw. Motive aus dem Umkreis der Terra Sigillata-Töpfer mit Eierstab E1 auf, können jedoch nicht gesichert Cestius zugewiesen werden, da es sich nicht um die identen Punzenstempel handelt. Ebenso unsicher ist die Zuweisung der Bregenzer Reibschüssel zu diesem Töpfer, obschon sich das Motiv des Löwen und der Halbkreisbogen sich auch auf den Schüsseln des Cestius wiederfinden. Die Darstellung des Gladiators scheint bisher zwar singulär auf den Reibschüsseln zu sein, findet sich jedoch wiederum im Punzenrepertoire der E1-Eierstab-Töpfer [10]. Eine Verbindung der Reibschüsseln über das Fabrikat lässt sich auch nur bedingt herstellen, da hierzu kaum Angaben vorliegen: Die Reibschüssel aus Leuzigen wird als aus orangerotem, leicht mehligen, sichtbar gemagerten Ton beschrieben [11], für das Augster Exemplar wird ein oranger Ton mit Ziegelschrotmagerung und feinsten Glimmerpartikeln angegeben [12]. Diese Beschreibungen entsprechen in etwa der Reibschüssel aus Brigantium. Auch wenn die Bregenzer Schüssel bedeutend kleiner ist als die übrigen Exemplare, die einen Randdurchmesser von 70–80cm aufweisen [13], dürften sie aufgrund der formalen Ähnlichkeiten, dem gleichen Aufbau der Verzierungen sowie dem einheitlichen Punzenrepertoire aus derselben Werkstätte stammen.

Eine einzige weitere Reibschüssel wird gesichert dem Töpfer Cestius zugeschrieben: Sie stammt aus Aventicum/Avenches (Kt. Waadt/CH), dem angenommenen Wirkungsbereich des Cestius (Abb. 5). Auf dem Kragenrand der Schüssel kommen ebenso der Löwe, der Bär und der Bestiarius vor, jedoch variiert die Anordnung der Motive stark im Vergleich zu den zuvor gezeigten Beispielen. Während die Punzen auf den anderen Schüsseln durch Halbkreisbögen gegliedert sind, finden sie sich hier lose nebeneinander bzw. interagieren miteinander. Auch die Gestaltung der Randleiste fällt besonders auf, da diese nicht glatt belassen wurde, sondern mit regelmäßigen Kerben versehen ist. Trotz der abweichenden Komposition der Motive wird die Schüssel dem Cestius zugewiesen, da nicht nur die gleichen Motive, sondern auch die identen Punzenstempel wie auf der Schüssel aus Leuzigen verwendet wurden [14].

ZDer Dekor all dieser Reibschüsseln weist ein gemeinsames Thema – Gladiatorenspiele – auf, was als weiteres Indiz für denselben Töpfer gesehen werden kann. Es gibt zwei weitere punzverzierte mortaria, die jenen zwar stilistisch nahestehen, sich thematisch jedoch stark unterscheiden: Aus dem Vicus von Marsens (Kt. Freiburg/CH) ist ein Exemplar einer besonders großen (Randdurchmesser: 96cm) Reibschüssel mit Sigillata-Punzen bekannt (Abb. 6a). In Form und Fabrikat gleicht die Schüssel den zuvor vorgestellten, lediglich der Dekor weicht von diesen ab [15]. Diese zeigt das Motiv einer nach rechts schreitenden bekleideten Frau, dargestellt unter einem tordierten Halbkreisbogen, das ebenso wie bei der Bregenzer Schüssel sich immer wiederholend aneinandergereiht ist. Das Motiv findet sich auch bei den helvetischen Terra Sigillata-Töpfern wieder [16], weswegen diese Schüssel nichtsdestotrotz aus der gleichen Produktion stammen dürfte. Parallelen zur Reibschüssel aus Aventicum sind gegeben, da auch hier die Randleiste mit regelmäßigen Kerben versehen ist. Die Reibschüssel aus dem Vicus von Mogontiacum/Mainz-Weisenau weist dagegen kaum noch Gemeinsamkeiten mit all den gezeigten Exemplaren auf: Ihren Kragenrand ziert lediglich eine doppelte Reihe einzelner Eierstabpunzen (Abb. 6b). Da es sich bei dieser Punze um denselben Eierstab handelt, der auch auf der Schüssel aus Leuzigen zu sehen ist [17], wird angenommen, dass es sich um ein weiteres Werk desselben Töpfers handelt. Auch die Größe (Randdurchmesser: 70cm) und die Beschreibung des Fabrikats (tongrundig, glimmerhaltig, beige Oberfläche, im Kern orange, Quarz und kalkige Partikel [18]) sprechen für die Verwandtschaft der Mainzer Reibschüssel mit denen des Cestius.

Datierung
Mangels datierter Fundkontexte ist die chronologische Einordnung dieser Reibschüsseln nicht gesichert anzugeben. Die Reibschüssel aus Bregenz stammt aus einer Altgrabung und lässt sich keiner datierten Schicht zuweisen. Der Datierungsrahmen kann lediglich recht grob mit dem Nutzungszeitrahmen des Fundortes in römischer Zeit angegeben werden, der sich über mehrere Jahrhunderte – von tiberischer Zeit bis in das 3. Jahrhundert – spannt. Lediglich anhand der Mainzer Schüssel kann ein konkreterer Datierungsansatz oder zumindest ein terminus ante quem angegeben werden, da sie zusammen mit Töpfereiabfällen und Fehlbränden aus dem zweiten Viertel des 3. Jahrhunderts in einer Grube deponiert wurde [19]. Da anzunehmen ist, dass die tatsächlichen Punzenstempel zur Verzierung der Kragenränder verwendet wurden und nicht die Punzen von Terra Sigillata-Gefäßen erneut abgeformt wurden, ist von einer gleichzeitigen Produktion auszugehen. Da die Punzen am ehesten zum Repertoire der helvetischen Terra Sigillata-Manufakturen passen, die vor allem in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts tätig waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass in dieser Zeit auch die Reibschüsseln mit punziertem Kragenrand hergestellt wurden [20].

Fazit
Abschließend lässt sich sagen, dass es sich bei der Reibschüssel um einen besonderen Fund in Bregenz handelt. Es finden sich zwar einige vergleichbare Stücke – vor allem im Schweizer Raum, was auch durch ihre Produktion in dieser Gegend gegeben ist – das Interessante an der Bregenzer Schüssel ist jedoch, dass es sich nicht nur um ein singuläres Stück handelt, sondern dass außer dieser Schüssel keine oder zumindest kaum Importe aus den Schweizer Töpfereien nach Bregenz gelangt sind [21]. Die geographische Nähe sowie auch die großen Parallelen in der materiellen Kultur der Fundorte lassen zumindest auch eine stärkere Handelsbeziehung vermuten. Es fehlt jedoch fast gänzlich an helvetischen Sigillaten vor Ort, weshalb die Reibschüssel nicht nur durch ihren Dekor, sondern auch durch ihre Herkunft heraussticht.

Bibliographie
Ettlinger / Roth-Rubi 1979
E. Ettlinger / K. Roth-Rubi, Helvetische Reliefsigillaten und die Werkstatt Bern-Enge. Acta Bernensia 8 (Bern 1979)
Fünfschilling 1994
S. Fünfschilling, Eine Reibschüssel mit Stempeldekor aus Augst. Jahresber. Augst u. Kaiseraugst 15, 1994, 219–223
Heising 1998/99
A. Heising, Eine „helvetische“ Reibschüssel des CESTIVS (?) aus Mainz-Weisenau. Mainzer Arch. Zeitschr. 5/6, 1998/99, 176–172
Jauch 2017
V. Jauch, Die ,Rätische Reibschüssel´ –Eine Erfindung aus Rätien? Rätische Elemente im obergermanischen Gutshof Seeb-Winkel (Kt. Zürich, CH) und anderen Teilen der Nordprovinzen. Fundber. Baden-Württemberg 37, 2017, 89–179
Kellner 1962
H.-J. Kellner, Die raetischen Sigillata-Töpfereien und ihr Verhältnis zu Westerndorf. Zur Sigillata-Töpferei von Westerndorf III. Bayer. Vorgschichtsbl. 27, 1962, 115–127
Meylan Krause u. a. 1999
M.-F. Meylan Krause / C. Augustoni / D. Bugnon, En marge de l’exposition „Des goûts et des couleurs. Céramiques gallo-romaines, modes d’emploi“.Freiburger H. Arch. 1, 1999, 2–13
Rabitsch 2018
J. Rabitsch, Zur Siedlungsgenese am Nordostrand von Brigantium/Bregenz. Auswertung der Ausgrabungen auf der Gemeinerwiese 1974, auf Gmeiners Gut 1889, 1894 und 1898 sowie an der Ölrainstraße 3 1937/38 [Dissertation Univ. Innsbruck 2018)
Ricken / Fischer 1963
H. Ricken / C. Fischer, Die Bilderschüsseln der römischen Töpfer von Rheinzabern. Textband mit Typenbildern zu Katalog VI der Ausgrabungen von Wilhelm Ludowici in Rheinzabern 1901-1914. Mat. Röm.-Germ. Keramik 7 (Bonn 1963)
Suter u.a. 1992
P. J. Suter / R. Bacher / F. E. König, Leuzigen-Kiesgrube/Thürner. Dokumente zur römischen Villa, Arch. Kanton Bern, Fundber. u. Aufsätze 2B, 1992, 277–294

[1] Lead agency: Univ. Zürich (CH): Ph. Della Casa, A. Kolb, Partner: Univ. Freiburg i. Breisgau (D): A. Heising und Univ. Innsbruck (A): G. Grabherr. (FWF Projekt-Nr. I 1161-G19).
[2] Rabitsch 2018.
[3] Insbes. Typ 1.2/1.3 nach Verena Jauch (Jauch 2017, 95).
[4] Die Bestimmung der helvetischen Punzen erfolgte nach Elisabeth Ettlinger und Katrin Roth-Rubi (Ettlinger / Roth-Rubi 1979).
[5] Suter u.a. 1992, 284 Abb. 10.
[6] Ettlinger / Roth-Rubi 1979, 14.
[7] Suter u.a. 1992, 281.
[8] Ettlinger / Roth-Rubi 1979, 14.
[9] Fünfschilling 1994; Kellner 1962, 122.
[10] Ettlinger / Roth-Rubi 1979, 12.
[11] Suter u. a. 1992, 281.
[12] Fünfschilling 1994, 219.
[13] Fünfschilling 1994, 219; Suter u.a. 1992, 286.
[14] Fünfschilling 1994, 222.
[15] Meylan Krause u. a. 1999, 10f.
[16] Motiv M 16b (Ettlinger / Roth Rubi 1979, 49).
[17] Bei dieser Punze handelt es sich jedoch nicht um E1 der helvetischen Töpfer, sondern E3. (Heising 1998/99, 170; Fünfschilling 1994, 222 Anm. 5). Diese Punzen sind einander zwar ähnlich, doch während E1 komplett glatt ausgeführt ist, weist E3 eine tordierte Zunge sowie ein ebenso tordiertes angelehntes Stäbchen an der rechten Seite auf. Beides ist jedoch nur bei guten Ausformungen wirklich erkennbar (Ettlinger / Roth-Rubi 1979, 70).
[18] Heising 1998/99, 167–169.
[19] Heising 1998/99, 171.
[20] Fünfschilling 1994, 223; Meylan Krause u.a. 1999, 12.
[21] Hierbei wurde lediglich publiziertes Material berücksichtigt. Das Vorhandensein helvetischer Sigillaten oder einer weiteren punzierten Reibschale dieser Art im noch unbearbeiteten Fundmaterial der Siedlung ist nicht vollends auszuschließen.

© Julia Rabitsch
e-mail: Julia.Rabitsch@uibk.ac.at

This article should be cited like this: J. Rabitsch, Gladiatoren und Löwen auf einer Reibschüssel aus Brigantium/Bregenz, Forum Archaeologiae 91/VI/2019 (http://farch.net).



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