Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 87 / VI / 2018

MEHR ALS NUR EIN FRAGMENT – EINBLICKE IN DIE HERSTELLUNG EINES ANTIKEN MONUMENTALGEFÄSSES

Im Rahmen der Bearbeitung des Fragmentes eines spätgeometrischen Grabkraters, eines epitymbia-Kraters (Abb. 1), das sich in der Originalesammlung des Instituts für Archäologie der Universität Graz befindet [1], ergaben sich etliche Fragen zur Fertigungstechnik, wie z.B. Zeitaufwand für Töpfern und Bemalen, Verwendung der Wulsttechnik, Stabilität des Gefäßes (z.T. Wandstärke 1cm), Werkzeuge für die Ausführung der Glättung der Oberfläche, logistische Fragen nach dem Gewicht des Gefäßes im feuchten Zustand, Brenntechnik, Größe des Ofens. Ihnen kann am besten im Rahmen eines praktischen Experiments nachgegangen werden. Um dieses Experiment durchzuführen, konnte die Fachschule für Keramik und Ofenbau in Stoob (Burgenland) gewonnen werden [2]. Im Rahmen von Abschlussarbeiten der Schülerinnen und Schüler der Fachschule werden unter Anleitung von Mitgliedern des örtlichen Lehrkörpers und unterstützt von archäologischer Expertise Reproduktionen des Fragments sowie des rekonstruierten Ganzgefäßes hergestellt. Ziel ist es, sich der antiken Fertigungstechnik möglichst nahe anzunähern.

Fragment des Kraters Coldstream Nr. 11
Das mit Resten einer Hopliten-Reihe erhaltene Grazer Fragment G 741 gehört mit weiteren Fragmenten (Abb. 2), die sich in Göttingen, im Louvre und im Athener Nationalmuseum erhalten haben, zu einem Krater der Dipylon-Werkstatt, der im Standardwerk zur geometrischen Keramik von John N. Coldstream in der diesbezüglichen Liste unter der Nummer 11 geführt wird [3]. Dieser Krater kann trotz des fragmentarischen Zustandes und der Dislozierung seiner Fragmente auf mehrere Museen (disiecta membra) gut aus den erhaltenen und bislang bekannten Fragmenten rekonstruiert werden [4].


Zusammen mit dem bei diesem Kratertyp anzunehmenden, hohen Fuß dürfte der Krater eine Gesamthöhe von ca. 125cm, einen maximalen Bauchdurchmesser von ca. 95cm und einen Randdurchmesser von ca. 85cm besessen haben. Das Gefäßbecken ist im oberen Bereich, d.h. in der Hauptzone zwischen den beiden Doppelhenkeln, sog. Stierkopfhenkeln, auf der Vorderseite mit einer Prothesisszene und auf der Rückseite mit einer Kampfszene auf Schiffen und einem Kriegerzug – aufgeteilt in zwei Registern – bemalt. Den unteren Bereich des Gefäßbeckens unterhalb der Doppelhenkel umlaufen zwei Friese. Der obere Fries zeigt einen Wagenumzug mit neun oder zehn Zweigespannen. Der untere Fries, zu dem das Grazer Fragment gehört, kann bereits vollständig rekonstruiert vorgelegt werden (Abb. 3). Nahezu die Hälfte des Umfanges wird von zwei Kriegsschiffen eingenommen, dazwischen marschieren je neun Hopliten.


Bei einem Durchmesser des Frieses am oberen Abschluss von 67cm und am unteren von 55,6cm beträgt die Höhe des Frieses nur 10,1cm (Abb. 4). Neben der Größe des Gefäßes wird für die moderne Stoober Reproduktion vor allem die möglichst getreue Umsetzung der vielfigurigen, eher miniaturhaften, mit feinen Pinselstrichen durchgeführten Bemalung eine spezielle Herausforderung sein.


Stilistisch kann der Krater der Phase Spätgeometrisch Ia zugewiesen werden und um 760 v.Chr. datiert werden. Er ist vom Krater Louvre A 517 (in Coldstreams Liste Nr. 4) stilistisch nicht zu trennen. Er kann demnach dem Diplyon-Meister selbst zugeschrieben werden bzw. dem Maler von Louvre A 517.

Rekonstruktion des Kraters
Das Endziel des Experiments soll eine reale Rekonstruktion des gesamten Kraters in originaler Größe sein. Um sich diesem Ziel schrittweise anzunähern, wurden drei Etappen konzipiert:

  1. Vorstudien mit Stoober Ton; Nachbildung des Fragmentes sowie Einpassung in einen Ring originaler Größe; Brennversuche
  2. Vorstudien mit attischem Ton; Herstellung des Schlickers; Vorstudien zur geometrischen Maltechnik; Brennversuche
  3. Herstellung des gesamten Gefäßes inklusive rekonstruierter Dekoration

Ad 1. Als Vorbereitung und Einführung für die praktische Arbeit hielt St. Karl in Stoob einen Einführungsvortrag über die Dipylongefäße. Darüber hinaus konnte Eleni Aloupi-Siotis für einen Vortrag mit dem Titel „Athenian Vase Painting Revisited“ an der Karl-Franzens-Universität gewonnen werden, in dem sie insbesondere auf die antiken Fertigungstechniken einging.
Die ersten Arbeiten wurden im Schuljahr 2017/18 von Oliwia Ferner, Helena Kandelsdorfer und Elias Karner durchgeführt, die damit ihre Abschlussarbeit an der Fachschule für Keramik und Ofenbau in Stoob erfolgreich absolvierten. Die drei Kandidaten stellten auf der Basis der Rekonstruktionszeichnung (Abb. 4) auf der Töpferscheibe einen Tonring her (Abb. 5). Dieser Ring entspricht dem oben beschriebenen, unteren Fries des Kraters Coldstream Nr. 11. Seine Maße sowie die Neigung wurden anhand der Rekonstruktionszeichnungen (Abb. 3 und 4) beim getöpferten Ring exakt umgesetzt. Dieser Ring ermöglicht eine gewisse Vorstellung von der Monumentalität des originalen Gefäßes.


Anhand skalierter Fotos wurde mittels Gipsform eine Kopie des in Graz verwahrten Fragments angefertigt (Abb. 1). Diese wurde in den Tonring an jener Stelle eingesetzt, an der das Bruchstück sich im Original befunden haben muss (Abb. 6). Die Bemalung des Fragments erfolgte in diesem Fall noch durch Farbkörper (kristalline, synthetische Farbstoffe), im Weiteren wird die Bemalung mit Tonschlicker notwendig. Die über das Fragment hinausgehende Bemalung mit der rekonstruierten weiterführenden Darstellung steht noch aus.


Die sich bei der Fertigung ergebenden Schwierigkeiten bestanden vor allem in dem Erreichen einer möglichst großen Nähe zu der Farbe des Originals. Das lag einerseits am unterschiedlichen Ausgangsmaterial, andererseits muss der Brennvorgang (und auch das Brennverfahren) experimentell erprobt werden, um die gewünschte Nähe zum Original zu erreichen. Auch in diesem Punkt lassen die beiden kommenden Jahre auf der Basis der heuer gewonnenen Erkenntnisse weitere Fortschritte erwarten.

Ad 2. Die zweite Etappe wird im Schuljahr 2018/19 durchgeführt werden.
Aus attischem Ton [5] wird, unter Einbeziehung der Kennnisse des vorangegangenen Schuljahrs, neuerlich ein Ring in der Dimension des Frieses mit ergänzender Bemalung angefertigt. In diesem Fall wird auch Schlicker für den Dekor verwendet werden. Dadurch erwarten wir beim optischen Eindruck eine größere Nähe zum Original.

Ad 3. Die dritte Etappe ist für das Schuljahr 2019/20 geplant.
Das gewonnene Wissen über die Materialeigenschaften und die geeigneten Verarbeitungstechniken sowie die Brenntemperatur ermöglichen es, die Herstellung eines Ganzgefäßes zu versuchen. Abgesehen von der Größe des Gefäßes, die einen erheblichen töpferischen Aufwand bedeutet und wodurch sich auch die Bemalung der großen Oberfläche durchaus zeitaufwendig gestaltet, ist es vor allem der Brand des Gefäßes, bei dem Neuland betreten werden wird.

Fazit & Ausblick
Im Rahmen einer auf drei Jahre ausgelegten Kooperation zwischen Universität Graz und der Fachschule für Keramik und Ofenbau in Stoob soll schrittweise ein geometrischer Krater rekonstruiert und in realiter nachgebaut werden. Es ist angestrebt, möglichst authentische Materialien und der Antike nahe Techniken dafür einzusetzen.
Nach Abschluss des Experiments wird das der Antike nachempfundene Gefäß im Mittelpunkt einer Ausstellung an der Universität Graz stehen. In dieser werden auch die Dokumentation der Herstellung des Nachbaus begleitet von den materialtechnischen Erkenntnissen für die archäologische Forschung sowie eine Vorstellung der geometrischen Epoche, in der das Monumentalgefäß einst entstand, gezeigt werden.

[1] Graz, Universität G 741: CVA Graz, Universität 1 Taf. 11, 5f.; 79.
[2] Als Mitglieder des Lehrkörpers waren Andreas Widhalm und Manfred Ringhofer beteiligt; die Direktorin Christa Pichler unterstützt das Projekt tatkräftig.
[3] J.N. Coldstream, Greek Geometric Pottery. A Survey of Ten Local Styles and Their Chronology 2(Exeter 2008), 31 Nr. 11.
[4] E. Kunze, Disiecta Membra attischer Grabkratere, AEphem 1953/54, 162–171, bes. 167f. Taf. 5f. (Krater IV); S. Karl, Die Dipylon-Werkstatt – Wer ist der Dipylon-Meister? Überlegungen zu Grabkrateren aus dem unmittelbaren Kreis seiner Werkstattkollegen, in: N. Eschbach – S. Schmidt (Hrsg.), Töpfer – Maler – Werkstatt. Zuschreibungen in der griechischen Vasenmalerei und die Organisation antiker Keramikproduktion, Kolloquium, München, Bayerische Akademie der Wissenschaften, 29.–31. Oktober 2014, Corpus Vasourm Antiquorum Deutschland, Beiheft 7 (München 2016) 69–79; S. Karl, Ein Vogel im Fluge – Eine außergewöhnliche Darstellung an zwei Krateren vom Maler des Kraters Louvre A 517, in: G. Koiner – U. Lohner-Urban (Hrsg.), “Ich bin dann man weg”. Festschrift für einen Reisenden, Thuri Lorenz zum 85. Geburtstag. Veröffentlichungen des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz 13 (Wien 2016) 85–92.
[5] Den Ton stellte uns freundlicher Weise Eleni Aloupi-Siotis zu Verfügung.

© Stephan Karl, Martina Itzinger, Elisabeth Trinkl
e-mail: stephan.karl@chello.at, martina.itzinger@edu.uni-graz.at, elisabeth.trinkl@uni-graz.at

This article should be cited like this: St. Karl – M. Itzinger – E. Trinkl, Mehr als nur ein Fragment – Einblicke in die Herstellung eines antiken Monumentalgefäßes, Forum Archaeologiae 87/VI/2018 (http://farch.net).



HOME