Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 79 / VI / 2016

STONEHENGE. EINE VERBORGENE LANDSCHAFT WIRD SICHTBAR

MAMUZ ist der Name, der das Urgeschichtemuseum Asparn/Zaya und das Museumszentrum Mistelbach zu einem Erlebnis- und Wissenszentrum für Urgeschichte, Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie vereint. Hinter MAMUZ steckt mehr als eine marketingtechnische Überlegung, um die Urgeschichte auf innovative Weise dem Kulturtourismus des 21. Jahrhunderts anzunähern. Es ist ein Schauplatz der jahrtausendealten Geschichte des heutigen Niederösterreichs, reich an Inhalten und neuen Ideen, die über das reguläre Angebot eines Museums hinausgehen sollen.
Die Bezeichnung „MAMUZ“ enthält die Elemente Mistelbach, Asparn, Museumszentrum, Ur- und Frühgeschichte und ist geeignet, positive Reaktionen wie Neugier und Interesse auszulösen. Das verbindende Element ist der Kreis sowie die Kernaussage des Museums: 40.000 Jahre Mensch.
Dieses standortübergreifende Museum zeigt die Landesgeschichte von der Altsteinzeit bis ins Hochmittelalter auf anschauliche und plastische Weise. Im Vordergrund stehen neben der Präsentation der archäologischen Sammlung des Landes erlebnisorientierte und didaktisch gestaltete Sonderausstellungen, wie etwa Stonehenge im Jahr 2016. In Verbindung mit der Dauerausstellung und den Sonderausstellungen ist das archäologische Freigelände des MAMUZ mit seinen Rekonstruktionen urgeschichtlicher Gebäuden von der Stein- bis in die Eisenzeit eine wesentliche Attraktion für die Besucher.


Ausstellung „Stonehenge. Verborgene Landschaft“
Das Erlebnismuseum MAMUZ setzt mit der Ausstellung „Stonehenge. Verborgene Landschaft“ den gestalterischen Weg, der mit der Neuaufstellung der ur- und frühgeschichtlichen Landessammlung im MAMUZ Museum Asparn begonnen wurde, konsequent fort. Dem Besucher wird nicht nur Wissen vermittelt, vielmehr wird Geschichte ganzheitlich erlebbar gemacht. Noch bis 27. November 2016 zeigt das MAMUZ Museum Mistelbach weltweit erstmalig eine Ausstellung über die faszinierende Kultanlage Stonehenge und die umgebende Landschaft.
Die neuesten Erkenntnisse des Stonehenge Hidden Landscape Projects wurden vom Forscherteam des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) und der Universität Birmingham ans Licht gebracht. Co-Leiter des Forschungsprojektes und Wissenschaftler des Jahres 2015, Wolfgang Neubauer, kuratierte die Ausstellung. Mit geomagnetischer Prospektion und Bodenradarmessungen wurde auf rund 15 km² der Untergrund rund um den Steinkreis untersucht. Dabei wurden neue Entdeckungen gemacht, die ein weiteres Stück zum Verständnis der Kultlandschaft um Stonehenge beitragen. Jene sensationellen Ergebnisse macht das MAMUZ Museum Mistelbach in einer Ausstellung erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich. Dem Ausstellungs-Team zur Seite steht einer der renommiertesten Stonehenge-Forscher selbst, Julian Richards. Als Autor etlicher Fachbücher und Leiter zahlreicher Grabungen rund um Stonehenge trägt sein Wissen wesentlich zum Gelingen der Ausstellung bei.
Kombiniert werden die Forschungsergebnisse mit Originalfunden aus Stonehenge, die die Britischen Inseln bislang noch nie verlassen haben. Als Partner konnten neben den Universitäten Birmingham und Buckingham mehrere britische Museen, wie das Dorset Country Museum, das Salisbury Museum und das Wiltshire Museum in Devizes gewonnen werden. Aber auch zahlreiche Museen und Institutionen aus Österreich, wie die Landessammlungen Niederösterreich, das Bundesdenkmalamt, das Vienna Institute for Archaeological Science (VIAS) der Universität Wien, das Naturhistorische Museum Wien, das Oberösterreichische Landesmuseum und das Urzeitmuseum Nussdorf-Traisental, stellen als Partner des MAMUZ Leihgaben zur Verfügung.
Die innovative Ausstellungsgestaltung sowie beeindruckende Visualisierungen machen es möglich, dass man sich in der Ausstellung inmitten von lebensgroßen Repliken der Steine von Stonehenge wiederfindet. Eine 27m lange Videowall gibt einen beeindruckenden Einblick in die Landschaft rund um Stonehenge. Auch originales Steinmaterial, wie es vor Jahrtausenden für den Bau der Anlage verwendet wurde, kann aus nächster Nähe betrachtet und berührt werden. In einem 3D-Modell der gesamten Landschaft wird das Ausmaß dieser prähistorischen Kultlandschaft und ihrer Entwicklung durch die Zeit erfahrbar gemacht.

Die Basis für eine Ausstellungsgestaltung bilden in der Regel Funde, Objekte und Rekonstruktionen. Die zentrale Basis für die Ausstellung „Stonehenge. Verborgene Landschaft“ bilden aber technische Daten sowie deren Auswertungen, somit fast abstrakte wissenschaftliche Ergebnisse. Hier kommt der Ausstellungsgestaltung eine Schlüsselrolle zu: Der Gestalter muss die wissenschaftlichen Ergebnisse so anreichern, dass sie für den Besucher nicht nur rational bergreifbar sind, sondern auch als Gesamtausstellungserlebnis erfahrbar werden. Die Wahrnehmung und der Genuss einer Ausstellung mit möglichst vielen, wenn nicht gar allen Sinnen, steigert deren Attraktivität sowie die Nachhaltigkeit der Wissensvermittlung. Die Ausstellung wird damit für den Besucher umfassend begreifbar.
Für einen Bühnenbildner ist die Gestaltung einer solchen speziellen Ausstellung eine willkommene Herausforderung. Wie in der Oper gilt es das Erzählen einer Geschichte zu unterstützen und räumlich möglich zu machen. Der Kurator stellt den inhaltlichen roten Faden zusammen und es liegt am Gestalter aus dem roten Faden assoziative Räume entstehen zu lassen, Räume, die den „Stars“ der Ausstellung eine Bühne bieten. Beim Projekt Stonehenge sind die „Stars“, nämlich die Objekte bzw. Funde, oft nicht wirklich sichtbar, trotzdem entstehen sie in der Auswertung profunder wissenschaftlicher Ergebnisse. Am Gestalter und seinem Team liegt es nun, das Unsichtbare sichtbar und somit für den Besucher erlebbar zu machen. Die Herausforderung besteht darin, einer „technischen“ Ausstellung wie „Stonehenge“ eine Aura zu verleihen und die enorme wissenschaftliche Dimension deutlich zu machen.
Die Ausstellung hat unterschiedliche erzählerische Ebenen: 1. die realen Funde; 2. die wissenschaftlichen Auswertungen der neusten Forschungsergebnisse; 3. die virtuelle Rekonstruktion basierend auf den neusten wissenschaftlichen Ergebnissen; 4. der heutige Ist-Zustand der rituellen Landschaft rund um Stonehenge; 5. die künstlerische Übersetzung in eine räumliche Gestaltung und in Rauminstallationen.
Der Besucher soll auf begrenztem Raum die Entwicklung, Nutzung und Gestaltung einer riesigen Landschaft spüren, ohne dass diese Landschaft real nachgebildet wird. Sie wird mit künstlerischen Mitteln erzählt. Das Abbild der Natur wird künstlerisch verfremdet und übersetzt. Mittels Papprohren wird eine amorphe Ausstellungslandschaft geschaffen, ein Parcours für Besucher und eine Präsentationsfläche für die Vitrinen.
Den zentralen Aspekt der Ausstellung bildet die Landschaft im Naturzustand, die Veränderungen durch die Eingriffe der Menschen ab der mittleren Steinzeit bis hin zur Gestaltung einer rituellen Landschaft. Die über die Jahrtausende wechselnden Bedeutungen und Funktionen der geschaffenen Monumente werden in der Ausstellung erstmals in diesem Umfang verdeutlicht und durch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in Gesamtzusammenhänge gesetzt.
Die Ausstellung ist in zwei Ebenen gegliedert. Im ebenerdigen Bereich, der dem Element Erde zugeordnet ist, bilden die Farben braun und grün das Zentrum der Farbgebung und stellen eher klassisch Objekte und deren Zusammenhänge in den Fokus. Wissenschaftliche Ergebnisse werden hier mittels Multimediatechnik aufgearbeitet und verdeutlicht. Der Besucher begibt sich auf die Reise durch die abstrakte Papprohrlandschaft beginnend mit den ersten Jägern und Sammlern um 8.500 v.Chr. über die monumentalen Erdanlagen (causewayed enclosures) bis hin zu den ersten henges, die als Holzbauten ausgeführt wurden. Eine solche Anlage – Woodhenge - wird als Installation in der Ausstellung präsentiert. Von der Decke hängen mächtige Papprohre mit integrierten Scheinwerfern, die den Boden anstrahlen. Diese Lichtkreise stehen für die Pfostenlöcher, welche durch die Georadarmessungen des LBI ArchPro entdeckt wurden und die eine virtuelle Rekonstruktion ermöglichen. Die amorphe Papprohrlandschaft mit einer Höhe von 3m ermöglicht eine Blickleitung des Besuchers: zuerst ist die Landschaft dicht, öffnet sich immer weiter, bis sie den Besucher zu einem Aha-Erlebnis führt – plötzlich wird ein Ausschnitt des Steinkreises von Stonehenge sichtbar.
Die Höhe der Ausstellungshalle des MAMUZ Museum Mistelbach bietet die einmalige Möglichkeit, die Steine von Stonehenge im Maßstab 1:1 zu präsentieren. Es war den Kuratoren ein besonderes Anliegen, dass die möglichst naturgetreuen Nachbauten im Zentrum der Ausstellung stehen und einen spektakulären Blickfang bilden. Der Betrachter kann, anders als heutzutage in Stonehenge möglich, ganz an die Steine heran, sie betasten und erfahren. Einige Steine erstrecken sich über beide Geschosshöhen, andere Steine wachsen scheinbar in der zweiten Ausstellungsebene (Galerie) aus dem Boden. Insgesamt bildet der Ausschnitt des Steinkreises mit seinen Trilithen eine besondere Klammer der Ausstellung. Die 1:1-Rekonstruktionen beruhen auf genausten wissenschaftlichen Vermessungen und wurden von Spezialisten umgesetzt. Auch originales Steinmaterial, wie es vor Jahrtausenden für den Bau der Anlage verwendet wurde, kann aus nächster Nähe betrachtet und berührt werden.
Durch die Galerie in der Ausstellungshalle hat der Betrachter die Möglichkeit, einen Teil der Schau aus der Vogelperspektive zu betrachten und somit weitere Eindrücke zu gewinnen. Das Zentrum der oberen Ausstellungsebene, welche dem Thema Luft und Himmel (Farbe Blau) zugeordnet ist, bildet die Videowall mit der Animation der rituellen Landschaft von Stonehenge. Der Besucher ist eingeladen, sich - sitzend oder liegend - auf einem großen Rundmöbel, dessen Entwurf von einer Kreisgrabenanlage inspiriert wurde, zu entspannen und ganz in die Landschaft einzutauchen. Meditatives Entspannen und gleichzeitige Wissensvertiefung stehen hier im Fokus.
Ein besonderes Highlight im MAMUZ ist das Grab eines Bogenschützen, der mit dem größten bisher auf den britischen Inseln gefunden Kupferdolch bestattet wurde. Das verwendete Kupfer stammt aus den österreichischen Alpen. Die Grabausstattungen der am Ende der Steinzeit in ganz Europa aktiven Menschen der Glockenbecherkultur werden mit gleichzeitigen, reichen Gräbern aus Niederösterreich präsentiert.
Einer der zentralen Aspekte der Ausstellung ist es, dem Besucher Dimensionen und Proportionen zu veranschaulichen. In welchen Dimensionen haben Menschen vor tausenden von Jahren mit einfachsten Werkzeugen große Dinge geschaffen, riesige Erdmassen und gigantische Steine bewegt? In welchem Verhältnis steht der Mensch zu den Steinen von Stonehenge? In welchem Verhältnis steht der Steinkreis von Stonehenge zur gesamten rituellen Landschaft? In einem 3D-Modell der gesamten Landschaft wird das Ausmaß dieser prähistorischen Kultlandschaft und ihrer Entwicklung durch die Zeit erfahrbar gemacht.

Niederösterreichische Kreisgrabenanlagen
Fast 2000 Jahre älter als Stonehenge sind die monumentalen Kreisgrabenanlagen in Niederösterreich. Gekennzeichnet durch Wälle und Gräben mit bis zu fünf Eingängen wird ihnen ritueller Charakter zugesprochen. In Niederösterreich gibt es über 40 Anlagen und keine gleicht der anderen. Die niederösterreichischen Kreisgrabenanlagen waren mindestens ebenso monumental wie Stonehenge, hingegen sind sie nur mehr mit technischen Hilfsmitteln erkennbar, denn von den Anlagen ist keine Holzarchitektur mehr vorhanden – sie wird nur durch archäologische Grabungen und durch geomagnetische Prospektion erkennbar. So bildet neben der Modelle der Stein-Trilithen ein Schnitt durch die Kreisgrabenanlage von Hornsburg im Maßstab 1:1 - künstlerisch als Wandrelief übersetzt - ein zweites imposantes Beispiel zur Verdeutlichung der räumlichen Dimensionen. Das Relief wurde als nach oben hin schmäler werdender Baukörper gestaltet. Die unterschiedlichen Erdschichten wurden mittels verschiedenfarbiger Lackspachtelungen frei übersetzt. Auch hier wieder die Frage: In welchem Verhältnis steht der Mensch zu einer Kreisgrabenanlage? Wie in die amorphe Papprohrlandschaft wurden auch in die Kreisgrabenwand Vitrinen mit Originalobjekten archäologischer Grabungen integriert.

Erlebnisreich, farbenfroh und wissenschaftlich - so facettenreich wie das MAMUZ selbst, so sollen auch seine Besucher sein. So ist Urgeschichte, Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie gleichermaßen für Geschichtefans und für Familien spannend aufbereitet. Junge und Junggebliebene können dank interaktiven Stationen die Urgeschichte auch spielerisch erleben. Beim Memory Spielen zeigt sich, wer in der Ausstellung aufgepasst hat und mit dem Quad geht es virtuell durch die Landschaft um Stonehenge und zu den einzelnen Fundorten.

AUSSTELLUNG 2016 im MAMUZ Museum Mistelbach
Stonehenge. Verborgene Landschaft | 20. März – 27. November 2016 | DI-SO 10-17 Uhr
MAMUZ Museum Mistelbach, Waldstraße 44-46, 2130 Mistelbach, www.mamuz.at
Zur Ausstellung ist eine reich bebilderte Broschüre erschienen, die um 5 Euro im MAMUZ Museum Mistelbach zu erwerben ist.

© Christof Cremer, Matthias Pacher
e-mail: matthias.pacher@mamuz.at

This article should be cited like this: Ch. Cremer – M. Pacher, Stonehenge. Eine verborgene Landschaft wird sichtbar, Forum Archaeologiae 79/VI/2016 (http://farch.net).



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