Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 79 / VI / 2016

WIE SCHMECKTE OPFERFLEISCH IN DER GRIECHISCHEN ARCHAIK?

Fleisch war für den Großteil der Bevölkerung Griechenlands im 8. und 7. Jahrhundert v.Chr. ein seltenes Nahrungsmittel [1]. Getreidebrei, Hülsenfrüchte, Gemüse und Maza (ein Gerstenbrot) waren der Normalfall [2]. Das Verzehren des Fleisches nach einem Tieropfer war für viele eine der seltenen Gelegenheiten, Fleisch zu konsumieren [3]. Geopfert und anschließend gegessen wurden in dieser Zeit vor allem Rinder, Schafe, Ziegen, Hühner, Schweine [4] und (besonders für Demeter [5]) Ferkel [6]. Das Tieropfer diente nicht nur der Verehrung der Götter, es konnte anscheinend auch in erster Linie der Fleischgewinnung dienen [7]. Sowohl Homer in „Ilias“ und „Odyssee“, als auch Hesiod in „erga kai hemerai“ („Werke und Tage“) sprechen von Fällen, wo der Fleischverzehr offenbar das primäre Ziel einer Schlachtung war. Allerdings wurde auch da immer ein Teil den Göttern geopfert [8]. In diesen Fällen kam auch das Schwein zum Zug [9].
Heute essen wir nie schlachtwarmes Fleisch dieser Tiere, es ist in der Regel gekühlt und im Kühlraum einige Tage „abgehangen“ – bei Rindfleisch sogar bis zu zwei Wochen – das heißt gereift. Fleisch ist unmittelbar nach der Schlachtung im Prinzip essbar, dann setzt die Totenstarre ein, ab der das Fleisch ungenießbar und hart ist [10]. Erst jetzt beginnt die Reifung des Fleisches und es nimmt mit der Zeit den Geschmack und die Konsistenz an, die wir heute gewöhnt sind [11]. Diese Vorgänge sind durch vielfältige chemische Prozesse und bakterielle Einflüsse, die teils gleichzeitig, teils nacheinander ablaufen, bedingt:

Tierart
Eintritt der Totenstarre
nach ca.
Erreichen der Fleischreifung
nach ca.
 Rind
 10 h
 10-14 Tagen
 Schwein
2 h
2-4 Tagen
 Schaf
5-7 h
7-10 Tagen
 Lamm
5 h
4-5 Tagen
 Huhn
10 min-2 h
8-24 h

Diese Angaben beziehen sich auf in Kühlräumen (ca. 1-7°C), den modernen Hygienevorschriften entsprechend, gelagertes Fleisch [12].

Zum zeitlichen Ablauf dieser Prozesse unter den antiken Begleitumständen (keine Kühlung, Hitze, mangelhaftes Ausbluten etc.) konnte der Verfasser keine aktuellen schriftlichen Quellen finden, jedoch hat sich Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Friedrich Bauer – Veterinärmedizinische Universität Wien, Institut für Fleischhygiene – auf Anfrage mit diesem Problem auseinandergesetzt (Mail 6.2.2016): „Zu Dauer und Beginn des Rigor mortis ohne Kühlung: Auf alle Fälle geht es schneller als normal, aber dadurch zieht sich der Muskel auch stärker zusammen, was zu zäherem Fleisch führt, möglicherweise kommt es auch zu Geruchsabweichungen (stickige Reifung, Geruch nach Schwefelwasserstoff und kupferrote Farbe des Fleisches)“ und: „Zu Verderb ohne Kühlung: Bei 20 °C beginnt der Verderb nach ca. 2 Tagen, bei höheren Temperaturen wird das schneller sein, aber es hängt sicher auch von der Luftfeuchtigkeit ab. Wenn diese niedrig ist, wird das Fleisch außen abtrocknen, was den Verderb verzögern kann.“ Wenn man diese Fachauskunft mit den oben angeführten Zeitangaben für ordnungsgemäß geschlachtetes und gekühltes Fleisch in Relation setzt, so kann man davon ausgehen, dass unter den antiken Begleitumständen (Hitze über 20°C, mangelhaftes Ausbluten etc.) das Fleisch (ausgenommen das Huhn) sicher bereits vor dem Ende der Reifezeit im Fettanteil ranzig und insgesamt bakteriell verdorben war [13].
Im archaischen Griechenland gab es keine Möglichkeit einer gekühlten Lagerung, und speziell bei einem Opfer in einem Temenos (heiliger Bezirk) durfte zu dieser Zeit im Allgemeinen nichts, was in diesen hineingekommen war, wieder herausgebracht werden [14]. Das heißt, die gesamte Fleischmenge musste, nach der Tötung des Tieres und dem Brandopfer der Schlachtabfälle für die Götter (mehr bekamen diese nämlich nicht) [15], wohl im Rahmen eines Festes [16], rasch verzehrt werden [17]. Wie hat man das Fleisch zubereitet, und – was uns vor allem wichtig war – wie hat dieses schlachtfrische Fleisch geschmeckt?
Um das festzustellen, startete der Verfasser mit Hilfe von insgesamt sieben Doktoratsstudentinnen und Studenten eine Versuchsreihe. Dazu organisierte er schlachtwarme Fleischstücke unterschiedlicher Qualität von verschiedenen Tieren. Ein Teil jedes der Stücke wurde auf verschiedene Weise zubereitet: in jedem Fall wurden kleine Fleischstücke am Spieß (obolos) gebraten. Diese Zubereitung ist am häufigsten überliefert [18]. Ebenso wurde – was ebenfalls überliefert ist – jeweils ein Stück gekocht [19]. Mangels weiterer Überlieferungen aus dieser Zeit wurden zusätzlich je nach Fleischart Zubereitungen versucht, die dem (wesentlich jüngeren) römischen Kochbuch des Apicius entnommen wurden, das aber (zumindest teilweise) auf griechische Vorläufer zurückgehen dürfte [20].
Zum Vergleich wurden Stücke des gleichen Tieres nach der heute üblichen Abhänge– beziehungsweise Reifezeit zubereitet und verkostet.
Es wurden nur Zutaten verwendet, von denen man ausgehen kann, dass sie in der Zeit der Archaik verfügbar waren: Olivenöl, Salz, Rosmarin, Oregano, Zwiebel, Lauch, Sellerie, Lorbeer und Karotten.
Der Vorgang der Zubereitung und das Ergebnis, was Geschmack und Konsistenz betrifft, sind das Thema dieses Beitrags. Es geht dabei allein um den praktischen Aspekt von Genießbarkeit beziehungsweise Genuss, der bisher, nach Kenntnis des Verfassers, nicht besonders beachtet oder überprüft wurde. Es ist jedoch nicht das Ziel des Beitrags, die spätere Entwicklung des Umgangs mit Opferfleisch zu untersuchen oder gar die Opferpraxis und deren Hintergründe zu beleuchten. Dazu gibt es genügend umfassende, fundierte Fachliteratur.

Das erste Versuchsobjekt war ein

Stier

und zwar ein Jungstier, der von der Almweide kam. Das Tier war knapp zwei Jahre alt und wog etwas über 350 kg (Abb. 1). Ältere Stiere werden heute nicht mehr als Bankfleisch zum Verzehr, sondern nur zur Verarbeitung (z.B. Wurstwaren) verwendet.
Es wurden sofort nach dem Ausbluten und Abziehen der Haut Teile von drei verschiedenen Fleischstücken entnommen (Abb. 2):
• Rostbraten
• Schulterscherzel
• Meisl
Jedes dieser Stücke wurde – noch schlachtwarm – auf drei Arten zubereitet:
• in kleinen Stücken am Spieß (obolos) gebraten
• im Ganzen gekocht
• in Stücken gekocht und dann gebraten


Ergebnisse (Qualitätsurteil der Testerinnen und Tester)
Rostbraten:
• Braten am Spieß: Geschmack sehr gut, gut zu schneiden, innen zunächst (15 min.) rosa und zäh; nach weiterem Durchbraten (5 min.) – gut zu beißen, aber sehr grobfaserig.
• Kochen: nach 50 min. Geschmack mittelmäßig, faserig, hart; weitere 10 min. kochen keine Verbesserung.
• Kochen+Braten (45 min. + 10 min.): weich und mürb, aber völlig geschmacklos.
Schulterscherzl:
• Braten am Spieß: Geschmack nach 20 min. gut, aber hart, zäh und faserig; nach weiteren 10 min. noch zäher.
• Kochen: Geschmack gut, zunächst (50 min.) hart; erst nach weiteren 45 min. weich, grobfaserig.
• Kochen+Braten (50 min. + 6 min.): geschmacklos, zäh, faserig, schlecht zu schneiden.
Meisl:
• Braten am Spieß (20 min.): Geschmack gut, aber zäh, hart, grobfaserig.
• Kochen: Geschmack gut, zunächst (50 min.), aber sehr zäh, hart, grobfaserig, dann (weitere 45 min.) etwas weicher.
• Kochen+Braten (50 min. + 10 min.): Geschmack mittelmäßig, trocken, hart, grobfaserig.
Besonderheiten:
• Suppe: schmeckte nicht schlecht, aber überhaupt nicht nach Fleischsuppe, auch hatte sie keine Fettaugen.
• Die Mehrzahl der Testpersonen stellte bereits nach geringen verzehrten Fleischmengen ein starkes (eher unangenehmes) Völlegefühl fest, das relativ lang anhielt. Dazu passt auch die Aussage von Hippokrates: „Das Fleisch vom Rind ist kräftig und schwer verdaulich“ [20].
Nach 11 Tagen Lagerung wurde ein Stück Schulterscherzl (gleiches Tier) gekocht:
• Der Fleischgeschmack war sehr gut, das Fleisch weich und nicht faserig.
• Die Suppe schmeckte wie gute Rindsuppe und hatte Fettaugen.
• Keine Probleme mit Völlegefühl.

Schwein

Mageres, weibliches Schwein aus Maststall, ca.6 Monate alt, Lebendgewicht 105 kg (Abb. 3). Bei modernen Mastschweinen gibt es beim Fleisch praktisch keinen Unterschied zwischen einem weiblichen und einem – immer bereits als Ferkel kastrierten – männlichen Mastschwein.
Es wurden sofort nach dem Ausbluten Teile von zwei verschiedenen Fleischstücken mit Schwarte entnommen (Abb. 4):
• Dünne Schulter
• Dicke Schulter

Jedes dieser Stücke wurde – noch schlachtwarm – auf vier Arten zubereitet:
• in kleinen Stücken am Spieß (obolos) gebraten.
• Braten im Ganzen.
• Kochen von großen Stücken (Abb. 5).
• Anbraten und anschließend Dünsten (Schmoren) von kleinen Stücken (2x).

Ergebnisse (gereiht nach dem Qualitätsurteil der Testerinnen und Tester)
• Braten am Spieß (Dicke Schulter): nach 25 min. Geschmack sehr gut, saftig, bissfest aber nicht zäh (Bewertung 1).
• Dünsten von kleinen Stücken (Dünne Schulter): nach 60 min. Geschmack sehr gut, bissfest, mit Fett durchzogene Stücke sind weicher (Bewertung 2).
• Dünsten von kleinen Stücken (Dicke Schulter): nach 1 h 15 min. Geschmack sehr gut, bissfest, mit Fett durchzogene kleine Stücke eindeutig weicher (Bewertung 2); nach weiteren 25 min.: Fleisch ist jetzt zäh; insbesonders ein größeres Stück mit Fett und Schwarte (die längere Garzeit war ungünstig!) (Bewertung 3).
• Braten im Ganzen (Dicke Schulter mit Schwarte): nach 1 h 15 min. Geschmack OK, aber sehr zäh (wird mit weiteren 15 min. Bratzeit immer zäher), keine typische Schweinebratenfarbe (Bewertung 3).
• Kochen von kleineren Stücken (Dünne Schulter): nach 35 min. eher geschmacklos, sehr bissfest; nach weiteren 20 min. sind nur die Stücke mit Fettanteil jetzt sehr weich; der Rest ist hart und zäh; nach weiteren 10 min. nicht weicher, sondern noch zäher geworden (Bewertung 4).
Überlegung zu diesem Versuch:
• mit Fett durchzogene Stücke sind generell weicher.
• wahrscheinlich waren die Schweine damals fetter als heute (das Fleisch daher mehr durchzogen und deshalb weicher).
Nach 2 Tagen Lagerung wurde ein Stück Dicke Schulter mit Schwarte (gleiches Tier) im Ganzen gebraten:
Der Fleischgeschmack war sehr gut, das Fleisch weich und nicht faserig.

Schaf

Weibliches Schaf von der Almweide, ca. 6 Jahre alt, Lebendgewicht ca. 80 kg (Abb. 6).
Es wurden sofort nach dem Ausbluten und Abziehen der Haut Teile von zwei verschiedenen Fleischstücken entnommen (Abb. 7):
• Vordere Stelze
• Schulter: Diese wurde dann zur weiteren Verarbeitung zerteilt. Einzelne Stücke der Schulter haben – vermutlich weil diese vergleichsweise nur klein ist – keine eigenen Namen.


Diese Stücke wurden – noch schlachtwarm – auf drei Arten zubereitet:
• Schulter: in kleinen und größeren Stücken am Spieß (obolos) gebraten.
• Vordere Stelze: Knochen herausgelöst (Abb. 8), und die Fleischstücke angebraten und dann gedünstet (geschmort).
• Schulter: Fleischstücke angebraten und dann gedünstet (geschmort).
• Schulter: großes Stücke im Ganzen gekocht (Abb. 9).
• Vordere Stelze: Knochen herausgelöst und Fleisch im Ganzen gekocht.



Ergebnisse (gereiht nach dem Qualitätsurteil der Testerinnen und Tester)
• Braten am Spieß, kleine und große Stücke von der Schulter: nach 30 min. (medium) schmecken die kleineren Stücke gut, sind nicht faserig, bissfest bis hart (Bewertung 2). Ein großes Stück ist nach 45 min. Bratzeit trockener und härter (Bewertung 3). Am Fleisch anhaftende Fettstücke haben einen unangenehmen Schafgeschmack.
• Gedünstetes Fleisch von der Stelze: nach 50 min. sind die Stücke wohlschmeckend, aber kurzfaserig und hart; die Soße schmeckt ausgezeichnet (Bewertung 2-3).
• Gedünstetes Fleisch von der Schulter: nach 50 min. sind die Stücke wohlschmeckend, aber faseriger und härter als beim Vorderlauf; die Soße schmeckt ausgezeichnet (Bewertung 3).
• Kochen von Stücken von Stelze (1 h) und Schulter (1 h 10 min.): Fleisch (sieht aus wie gekochtes Rindfleisch) ist geschmacklos, hart und faserig; die Suppe ist wohlschmeckend (Bewertung 4).
Besonderheiten
• es erscheint ganz wichtig, das Fett möglichst komplett vom Fleisch zu entfernen. Für unseren heutigen Geschmack schmeckt und riecht es sonst gar nicht gut.
• Es erwies sich als vorteilhaft – wie empfohlen – das Fleisch kräftig zu würzen.
Eine Woche nach dem Versuch wurden – nun abgelagerte – kleine Stücke am Spieß gebraten: Das Fleisch war praktisch unverändert, eher etwas härter.

Lamm

Lamm von der Almweide ca. 6 Monate alt, bereits auf Grasfutter umgestellt; Lebendgewicht 40 kg (Abb. 10).
Zwar ist das Lamm nicht als klassisches Opfertier angeführt, weil es aber – wie oben erwähnt – verzehrt wurde und sich die Gelegenheit bot, unter den gleichen Bedingungen ein Jungtier zu testen, ergriffen wir die Möglichkeit, das Verhalten jungen, schlachtfrischen Fleischs vergleichsweise zum Fleisch erwachsener Tiere zu testen.

Es wurde sofort nach dem Ausbluten und Abziehen des Fells eine Schulter samt Vorderlauf herausgeschnitten (Abb. 11):
• Vordere Stelze
• Schulter: Diese wurde dann zur weiteren Verarbeitung zerteilt. Einzelne Stücke der Schulter haben – vermutlich weil diese vergleichsweise nur klein ist – keine eigenen Namen.


Diese Stücke wurden – noch schlachtwarm – auf drei Arten zubereitet:
• Vordere Stelze: Knochen herausgelöst und die Fleischstücke angebraten und dann gedünstet (geschmort).
• Schulter: in kleinen und größeren Stücken am Spieß (obolos) gebraten (Abb. 12).
• Schulter: im Ganzen gekocht (Abb. 13).


Ergebnisse (gereiht nach dem Qualitätsurteil der Testerinnen und Tester)
• Gedünstetes Fleisch von der Vorderen Stelze: nach 30 min. sind die dünnen Stücke wohlschmeckend, zart und sehr weich – das Fleisch kann mit der Zunge zerdrückt werden (Bewertung 1).
• Braten am Spieß (Schulter): nach 40 min. schmecken die kleineren Stücke gut, sind einigermaßen weich, gutes Kauen ist allerdings notwendig. Ein großes Stück (aus einer anderen Stelle der Schulter) ist nach der gleichen Bratzeit härter (Bewertung 2).
• Kochen von kleineren Stücken (Schulter): nach 40 min. weich und zart (Scheiben ca. 1 cm dick) Fleisch aus dem Bereich der Knochen überdies sehr wohlschmeckend (Bewertung 2). Nach 60 min. wirkt das Fleisch (durch das Auskochen?) bissfester und zäher, ist aber noch gut essbar (Bewertung 3).
Eine Woche nach dem Versuch wurde ein – nun abgelagertes – Stück angebraten und gedünstet: Das Fleisch war geschmacklich ausgezeichnet und gut zu essen.
Auffallend: das nach einwöchiger Ablagerung zubereitete Fleisch war etwas fester, als das im schlachtwarmen Zustand zubereitete.

Ziege

Leider war es nicht möglich, ein geeignetes Testobjekt aufzutreiben. Lediglich in der Osterzeit sind ganz junge Tiere – Kitze – erhältlich.
Allerdings genießt das Fleisch erwachsener Ziegen keinen guten Ruf (sehr zäh, kein guter Geschmack), sie werden in der Regel hauptsächlich zur Milchproduktion (Käseerzeugung) gehalten [24], aber in der Archaik dennoch offenbar, zumindest gelegentlich, auch geopfert und gegessen [25].

Huhn

Bei Hühnern spielt die (nur sehr kurze) Totenstarre in der Praxis kaum eine Rolle, Hühnerfleisch ist daher schlachtfrisch essbar [26]. Allenfalls macht ein Tag Lagerung auch dieses Fleisch zarter [27].
Da es dazu schon Ergebnisse gibt und keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren, haben wir in diesem Fall auf einen Versuch verzichtet.

Fazit

Das schlachtwarm zubereitete Fleisch erwachsener Tiere ist essbar, allerdings je nach Zubereitungsart mehr, weniger oder gar nicht geschmackvoll. Härte und Faserigkeit variieren ebenfalls, sind aber generell wesentlich ausgeprägter als bei abgelagertem Fleisch. Ein Genuss, wie wir ihn heute gewöhnt sind, war es jedenfalls nicht. Wobei man noch berücksichtigen muss, dass bei den Versuchen (mit Ausnahme des Schafs) nur Qualitätsfleisch von jungen, hochwertigen Tieren verwendet wurde.

Versuch, eine „Gourmet-Reihung“ der Tiere zu erstellen

• Platz 1: das Schwein
• Platz 2: knapp dahinter das Schaf
• Platz 3 allerdings mit sehr großem Abstand der Stier

Das Fleisch des Lamms schmeckte sicher weitaus am besten, allerdings außer Konkurrenz, denn es wurde zwar gern gegessen, war in dieser Zeit aber kein „klassisches“ Opfertier.
Auffällig sind Ungereimtheiten bei der – gemäß manchen literarischen (zum Beispiel bei Homer [28]) und bildlichen [29] überlieferten – verbreiteten Vorstellungen der „prächtigen“ [30], vielfach männlichen [31] Opfertiere [32] in der Archaik:
Rind: ein prächtiger (= alter) Stier hat hartes, praktisch kaum essbares Fleisch [33].
Schwein: ein Eber hat (schon als Jungtier) unangenehm riechendes Fleisch, alte (stattliche) Tiere zusätzlich hartes Fleisch [34]. Hier wäre es denkbar, dass damals die Hausschweine dem Wildschwein noch näher waren, und es auf Grund der häufigen Freilaufhaltung in Wäldern immer wieder zum Einkreuzen von Wildtieren kam. Beim Wildschwein treten nämlich der unangenehme, geschlechtsspezifische Fleischgeruch und Geschmack nur in der Brunft auf. Möglicherweise war es damals bei nicht zu alten domestizierten Tieren deshalb auch noch so [35]. Allerdings spricht bereits Hesiod vom „Verschneiden“ der Eber [36].
Schaf: ein Widder hat (schon als Jungtier) unangenehm riechendes Fleisch (was bereits in der Antike als unangenehm empfunden wurde [37]), alte Tiere zusätzlich hartes Fleisch [38]. Auch hier spricht Hesiod vom „Verschneiden“.
Ziege: ein Ziegenbock hat (schon als Jungtier) unangenehm riechendes Fleisch, alte Tiere zusätzlich hartes Fleisch [39].
Hahn: ein prächtiger (= alter) Hahn hat zähes Fleisch („Suppenhuhn“).
Die Tatsache, dass männliche Tiere (Rind, Schwein, Schaf, Ziege) bereits in der Archaik verschnitten (kastriert) wurden [40], lässt den Schluss zu, dass auch damals das Fleisch männlicher Tiere nicht geschätzt wurde. Es gibt auch Berichte von der Opferung von Ochsen, z.B. in Athen [41]. Auch scheint Kastration ein männliches Tier nicht immer als Opfer ungeeignet gemacht zu haben [42]. Denkbar ist in diesem Zusammenhang, dass man unter „prächtigen Tieren“ in Wirklichkeit gut gebaute junge Tiere verstand, oder dass die „prächtigen (alten)Tiere“ in der Praxis nur selten – zum Beispiel bei feierlichen Staatsakten – geopfert wurden [43]. Obwohl anscheinend auch alte Tiere geopfert und verzehrt wurden [44], erscheint es wahrscheinlich, dass in der Realität wohl vielfach eher junge und weibliche Tiere [45] oder sogar Jungtiere (Lamm, Zicklein, Ferkel) herangezogen wurden [46]. Das könnte vor allem bei jenen – oben erwähnten – Opfern der Fall gewesen sein, bei denen der Fleischverzehr das primäre Ziel und das Opfer quasi ein „Nebenprodukt“ war [47]. Es ist auch bei der gleichzeitigen Opferung mehrerer Tiere vorstellbar, dass da nur ein (nicht kastriertes) „Vorzeigetier“ dabei war und der Rest nach der zu erwartenden Fleischqualität ausgewählt wurde [48].

Dass man in der Antike mit der Qualität des frischen Fleisches nicht immer zufrieden war, zeigen die vielen Rezepte im oben erwähnten (wesentlich jüngeren) römischen Kochbuch des Apicius, bei denen Marinieren des Fleisches auf viele Arten, Einlegen in Olivenöl, Lagern im eigenen Bratenfett, Soßen mit Essig, Wein, Honig und Ähnlichem empfohlen werden. Das alles sind Verfahren, mit denen man Fleischreifung über einige Zeit ohne Verderb erzielen kann [49]. Dazu braucht man allerdings relativ viel Zeit für die Reifung, die beim Opferritual nicht vorgesehen war. Zusätzlich sind nicht alle Fleischsorten gleichermaßen dafür geeignet. Eine diesbezügliche Auswahl setzt wohl eine kommerzielle Fleischbewirtschaftung und Fleischhandel voraus, die es zwar später bei den Römern [50], in der griechischen Archaik aber wohl noch nicht gab.

Danke an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Mag. Dr. Margot Biebl, Mag. Ramona Blecha, Mag. Ingrid Hanspeter, Mag. Sieglind Hinterhuber, Gerald Pichler BA, Elisabeth Prettner, MMag. Ulrike Wiedner.

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[1] Dalby 1998, 47; Gebauer 2002, 449; Giebel 2003, 35.
[2] Dalby 1998, 47. 49. 131-135; Schwarz 1995, 27. 39. 55–57.
[3] Dalby 1998, 16. 45; Ekroth 2014, 324; Gebauer 2002, 449; Gruber 2012, 3.1; Lane–Fox 2013, 56; Mylonopoulos 2006, 208.
[4] Burkert 1985, 55; Ekroth 2014, 326. 330. 343; Gebauer 2002, 33. 34. 38. 57; Giebel 2003, 32; Schwarz 1995, 66.
[5] Gebauer 2002, 38.
[6] Ekroth 2014, 333.
[7] Gebauer 2002, 7f.; Heinrichs 1998, 60; Ekroth 2014, 342.
[8] Hes. erg. 1991, 590; Hom. I.l 1983, IX, 228–230; Hom. Od. 1961, XII, 359–362; XIV, 419–430. Gebauer 2002, 7f. 19.
[9] Hom. Il. 1983, IX, 208; Hom. Od. 1961, XIV, 72–82, 419–430.
[10] Bauer 2015; Schweizer Fleisch 2013, 2.
[11] Bauer 2015; Grashorn 2010; Schweizer Fleisch 2013, 3f.
[12] AMA 2014; Grashorn 2010; Troeger 2008.
[13] Bauer 2015.
[14] Gebauer 2002, 448; Mylonopoulos 2006, 201.
[15] Burkert 1997, 13; Dalby 1998, 44; Ekroth 2014, 323. 326. 338; Gebauer 2002, 6f. 290. 353; Giebel 2003, 33. 36; Heinrichs 1998, 41f. Mylonopoulos 2006, 144. 208.
[16] Burkert 1977, 103; Gebauer 2002, 448; Giebel 2003, 35; Heinrichs 1998, 60.
[17] Hom., Od. 1961, III, 449–460; XII, 359–362; XIV, 419–430.
[18] Hom. Il. 1983, I, 465; II, 428; VII, 317; IX, 210; Hom. Od. 1961, III, 461; XII, 364, XIV, 430; XX, 276. Schwarz 1995, 16; Dalby 1998, 95; Gebauer 2002, 291; Giebel 2003, 36.
[19] Blome 1998, 75; Ekroth 2014, 326f. 338; Gebauer 2002, 291. 535; Giebel 2003, 35.
[20] Schwarz 1995, 186.
[21] Schwarz 1995, 23.
[22] Hom. Od., 1961, XIV, 419–430.
[23] Bauer 2015.
[24] Hes. erg. 1991, 589. München 2015; Lebensmittel-Lexikon 2015; Seel 1902, 63.
[25] Hom. Il. IX, 207–220. Gebauer 2002, 19. 39. 47. 50.
[26] Bauer 2015; Ekroth 2014, 334; Jenik 2009.
[27] AMA 2014, 1; Jenik 2009.
[28] Hom. Il. 1983, IX, 315–317.
[29] v. Straten 1995, Abb. 2. 8. 16. 28. 55. 93. 113. 114.
[30] Gebauer 2002, 22.
[31] Gebauer 2002, 19f. 21. 31. 39. 42. 50. 61. 73f. 124. 126 Abb. 15. 20. 21. 34.
[32] Ekroth 2014, 327f.
[33] Bauer 2015.
[34] Bauer 2015; Junkelmann 1997, 162f.
[35] Bauer 2015.
[36] Hes. Erg. 1991, 784–791.
[37] Burkert 1997, 81.
[38] München 2015; Lebensmittel-Lexikon 2015; Seel 1902, 63.
[39] München 2015; Seel 1902, 63.
[40] Hes. Erg. 1991, 784–791.
[41] Gebauer 2002, 21; Burkert 1997, 154f.
[42] Ekroth 2014, 332; Gebauer 2002, 20f.
[43] Ekroth 2014, 331, 335.
[44] Od. 1961, XIV, 419.
[45] Hes. Erg 1991, 590; Hom. Od., 1961, III, 445–448. Ekroth 2014, 335; Gebauer 2002, Abb. 4; Giebel 2003, 32; v. Straten 1995, Abb. 6 25. 28.
[46] Hes. Erg. 1991, 590; Hom. Od. 1961, XIV, 72–81. Gebauer 2002, 21.
[47] Hes. Erg. 1991, 590; Hom. Il. 1983, IX, 228–230; Hom. Od. 1961, XII, 359–362; XIV, 419–430.
[48] Ekroth 2014, 334.
[49] AFZ 2013; Bauer 2015.
[50] Ekroth 2014, 343.

© Hannes Lehar
e-mail: hannes.lehar@aon.at

This article should be cited like this: H. Lehar, Wie schmeckte Opferfleisch in der griechischen Archaik?, Forum Archaeologiae 79/VI/2016 (http://farch.net).



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