Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 79 / VI / 2016

PERFEKTION – GEFÄHRLICH FÜR DIE WISSENSCHAFT

Mit der Auffindung der großen Nekropolen in Italien am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhundert setzte ein Run auf Antiken ein. Das vollständige oder vervollständigte Gefäß hatte Priorität: Perfektion war wichtig für das Schönheitsempfinden der Sammler und damit für den Absatz. Ausgräber, Restauratoren und Händler – oft in einer Person – haben daher zerbrochene und unvollständige Gefäße kunstvoll zusammengefügt, mitunter auch phantasievoll ergänzt, wobei man sowohl antikes Material (Böden, Henkel, Mündungen von antiken Vasen) als auch Ergänzungsmaterialen (Gips, Ton) einsetzte. Sorgfältige Be- und Übermalungen suggerieren die Intaktheit einer Vase.
An einigen Fallbeispielen aus der Berliner Antikensammlung soll hier diese Perfektion gezeigt werden, die aber zu Fehlschlüssen in der wissenschaftlichen Bewertung führen kann.
Die schwarzfigurige Schale F 1726 erschien intakt (Abb. 1). Beim Reinigen wurde klar, dass sie aus verschiedenen antiken Teilen zusammengefügt und mit Tonergänzungen komplettiert ist. Nach sorgfältigen Untersuchungen und Messungen gehört nach Profil und Dicke des Scherbens das Randfragment mit dem Frauenkopf auch nicht zu dem passend gesägten Wandungsstück mit der Töpfersignatur, an welches es scheinbar anpasste. Damit wurde ein Dilemma klar: Der Schalenkörper - inschriftlich von dem Töpfer Eucheiros – kann nicht verbunden werden mit dem Frauenkopf, in dem die Hand des Malers Sakonides erkannt wurde. Somit ist die in der Literatur benannte Werkstattgemeinschaft der beiden antiken Künstler mit der Schale als einzigem Zeugnis obsolet.
Wenn Beschädigungen der Oberfläche oder Fehlbrände von frühen Restauratoren übermalt wurden, konnte es zu neuen Deutungen oder Fehlinterpretationen kommen.
Die schwarzfigurige Amphora F 1684 zeigte ein seltenes antikes Bild (Abb. 2a): einen großen Schmetterling. Der Kontext, die Entstehung des Schmetterlings aus dem Samen des Flötenspielers, regte in der wissenschaftlichen Diskussion zu einem Disput über die Verbindung Schmetterling – Sexualität/Fruchtbarkeit bzw. Schmetterling als Seelenfalter an.


Bei der Reinigung der Vase „verschwand“ jedoch der Schmetterling – und es blieben Tonschlickerspritzer, die der antike Vasenmaler offenbar vor dem Brand verwischen wollte (Abb. 2b). Der findige Restaurator hatte den unschönen Fleck, der nach dem Brand noch sichtbar war, in einen Schmetterling verwandelt und weitere Tonspritzer als Samentropfen ergänzt.
Auch die Restaurierung des Glockenkraters F 2648 aus der alten königlichen Sammlung brachte eine große Überraschung. Bei der Reinigung der Vorderseite mit der Darstellung eines sitzenden Apollon mit Lorbeerzweigen und einem vor ihm stehenden Hermes (Abb. 3a) „verschwanden“ Lorbeerzweige und der für Hermes typische Reisehut. Zum Vorschein kamen der für Dionysos typische Thyrsosstab und die Glatze eines Silen, der das für den Dionysoskult typische Trinkgefäß, den Kantharos, hält (Abb. 3b). Offenbar wollte man aus einer der häufigeren Dionysos-Darstellungen eine seltenere Szene mit Apollon kreieren.


Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts setzte mit der Erforschung und Hinwendung zur Sammlungsgeschichte auch eine gesteigerte Wertschätzung der restauratorischen Leistungen der Vergangenheit ein. Es wird um Standards in der Restaurierungswissenschaft gerungen. Und in einem europäischen Netzwerk werden derzeit Vasenrestaurierungen des 18. und 19. Jahrhunderts erforscht und den einzelnen Restauratoren und Restauratorenschulen vor allem in Frankreich und Italien nachgespürt.
Die meisten Vasen unserer Sammlung scheinen wegen ihrer Herkunft aus Unteritalien in Neapel restauriert worden zu sein, wo die Restauratoren Onofrio Pacileo, Raffaele Gargiulo und Di Crescenzo in großem Umfang wirkten. Besonders bekannt und erforscht ist das Schaffen von Raffaele Gargiulo, der seine Karriere als Restaurator und Vorsteher der Werkstätten des Königlichen Museums, des Reale Museo Borbonico verband mit wissenschaftlichen Ambitionen: er schrieb mehrere Kataloge und nannte sich auch „Professore“. Er war tätig sowie als Händler, Künstler und freischaffender Restaurator . Mit den vorgenannten Pacileo und Crescenzo gründete er eine Firma, in der er Restaurierungen für bedeutende europäische Fürstenhäuser ausführte.
Interessant ist es, dass Gargiulo nicht nur Kataloge zeitgenössischer Neapler Sammlungen herausgab sondern auch 1843 eine Schrift „Cenni sulla maniera di rinvenire i vasi fittili Italo-greci, sulla loro costruzione, sulle loro fabbriche piu distinte, e sulla progressione e decadimento dell'arte vasaria“. Hierin beschreibt er die antike Herstellung von Vasen: das Töpfern, den Brand und die Bemalung. Diese darin beschriebenen Erkenntnisse, die er durch Experimente erworben hatte, setzte er auch bei der Restaurierung ein, beim Nachbrand von Scherben, bei der exakten Kopie einzelner Gefäßteile und bei der Kreation oder Kopie von Versatzstücken oder Vasenbildern. Somit hatten seine Restaurierungen eine umstrittene Bekanntheit, die James Millingen (1774-1845), der Nestor der modernen Archäologie 1813 mit „une perfection dangereuse pour la science“ (eine Perfektion gefährlich für die Wissenschaft) charakterisierte.
In diesem Zusammenhang steht die Erforschung eines Vasenkomplexes der seit dem frühen 19. Jahrhundert in der Berliner Antikensammlung ist. Es handelt sich um eine Gruppe apulisch rotfiguriger Vasen, deren Fundort mit „Caelia“ oder Ceglie angegeben wird. Dabei handelt es sich um Ceglie del Campo bei Bari.
Die Vasengruppe besteht aus 13, eigentlich vierzehn Gefäßen: drei Volutenkratere, zwei Hydrien, zwei Loutrophoren, sechs Amphoren panathenäischer Form, von denen eine Kriegsverlust ist, und eine Patera (Abb. 4).


Die einzigen Abbildungen dieser Vasen sind – mit Ausnahme der Patera – in dem 1845 erschienenen Werk von Eduard Gerhard „Vases Apuliennes“, veröffentlicht, und Adolf Furtwängler hat sie in dem Berliner Vasenkatalog 1885 ausführlich beschrieben. Arthur Dale Trendall und Alexander Cambitoglou haben sie gesehen und als „stark übermalt“ unter Vorbehalt klassifiziert. Somit blieben diese an sich bedeutenden großen Grabvasen fast von der Fachwelt vergessen.
Grund dafür war ihr Erhaltungszustand. Dazu muss kurz auf ihre Geschichte eingegangen werden.
Nach einem Bericht des niederländischen Reisenden Humbert von 1830 wurden die Gefäße einige Jahre vorher zerscherbt in drei aneinander liegenden Gräbern in Ceglie dl Campo aufgefunden und an den böhmischen Baron von Koller verkauft.
Dieser beauftragte die Neapler Restauratoren Raffaele Gargiulo und Onofrio Pacileo mit der Restaurierung. Das Ergebnis waren perfekt restaurierte Gefäße, die kaum den fragmentierten Zustand erkennen ließen. Große Fehlstellen wurden ergänzt und phantasievoll übermalt.
Koller war ein österreichisch-böhmischer Baron, General-Intendant und Militärattaché am Hof von Neapel und galt als ausgezeichneter Diplomat; u.a. eskortierte er Napoleon zur Insel Elba. Er galt als Kunstliebhaber, sammelte Antiken und ließ Grabungen durchführen.
Koller besaß in Böhmen ein Schloss in Obřistvi nördlich von Prag, wo er seine Sammlung aufstellen ließ und ein öffentliches Museum einrichten wollte. Sein früher Tod im Jahr 1826 vereitelte jedoch diese Pläne, und die Familie war gezwungen, die Sammlung vorteilhaft zu verkaufen. Nachdem der Direktor des Wiener Museums, Anton Rheinwall von Meirbüchel, der eigentlich eine Art Vorkaufsrecht hatte, da Koller ja in österreichischen Diensten stand, keinen Erlaubnis zum Ankauf bekam, erwarb der preußische König Friedrich Wilhelm III. schließlich eine Sammlung von ca. 3000 Objekten, darunter 1348 Vasen, für das im Bau befindliche Königliche Museum in Berlin. Darunter befanden sich auch die 14 großen apulischen Grabvasen, die nun zusammengesetzt und perfekt restauriert waren.
Die Vasen waren ab 1828 in Berlin im Alten Museum, später im Neuen Museum ausgestellt bis zum Beginn des 2. Weltkrieges. Wie die anderen Kunstwerke wurden sie in Bunker inner- und außerhalb Berlins gebracht zum Schutz vor Bomben. Vier der Vasen gelangten dann durch die Alliierten in das West-Berliner Antikenmuseum.
Die anderen Vasen blieben in Berlin, wo sie von der Roten Armee nach Moskau und Leningrad gebracht wurden. 1958 gab die Sowjetunion einen großen Teil der verlagerten Kunstschätze an die DDR zurück – darunter waren auch neun der Ceglie-Vasen – mit Ausnahme einer Amphora, die sich heute noch im Staatlichen Museum der Bildenden Künste A.S. Puschkin in Moskau befindet. Durch die vielen Transporte während und nach dem Krieg sind einige dieser Vasen ganz oder teilweise zerbrochen und manchmal provisorisch repariert worden – entweder in Leningrad oder nach Ankunft der Transporte hier in Berlin. Meistens wurden jedoch alte Ergänzungen und Klebeschichten belassen. Das eröffnete die Möglichkeit, in großem Umfang Altrestaurierungen zu untersuchen und zu datieren.
Nachdem 2004-06 für ein Ausstellungsprojekt in Brasilien zwei der Amphoren in der nun wiedervereinigten Antikensammlung einer gründlichen Untersuchung und Restaurierung unterzogen wurden, reifte der Plan, den gesamten Komplex wiederherzustellen. In einem Kooperationsprojekt mit dem J.P. Getty Museum wurden in den Jahren 2008-2014 acht Vasen untersucht und restauriert; zusätzlich mit den zuvor behandelten Vasen haben wir nun Erkenntnisse über die gesamte Vasengruppe.
UV-Aufnahmen zeigten bei allen Gefäßen oder –fragmenten starke Übermalungen. Auch zwei noch intakt aussehende Gefäße – eine Amphora und eine Loutrophoros – wurden durch UV-Fotos und Röntgenaufnahmen eindeutig als stark zusammengesetzt und ergänzt identifiziert. Dabei wurden vorzugsweise Tonergänzungen vorgenommen, entweder kleine auf Vorrat gefertigte gebrannte Tonquader, mit denen man in einer Art „Iglu-Bauweise“ großere Rundungen aufbaute oder passgenau gefertigte und gebrannte Tonstücke, die unregelmäßige größere Fehlstellen kaschierten. Jedoch wurden keine Pasticci aus antiken nicht zugehörigen Scherben beobachtet, wie sie eingangs bei der schwarzfigurigen Schale und anderen Restaurierungen des 19. Jahrhunderts bekannt sind. An und in einigen Gefäßen wurden Messingklammern nachgewiesen, die zusätzlich stark belastete und geklebte Teile (Fuß, Gefäßboden) stabilisierten.
Diese Restaurierungspraxis war im 19. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Wir haben jedoch Grund, diese speziellen Restaurierungsverfahren mit dem Namen Raffaele Gargiulo zu verbinden. Dieser spielte eine maßgebliche Rolle für die Geschichte unserer Vasengruppe. Er war sowohl ein renommierter Restaurator am Königlichen Bourbonischen Museum (heute Archäologisches Nationalmuseum Neapel) als auch ein bekannter Händler auf dem Neapler Kunstmarkt mit internationalen Verbindungen. Ausgebildet an den Königlichen Porzellanwerkstätten, begann Gargiulo seine Museumskarriere 1808 als Restaurator für antike Tongefäße. Bald war er auch für die Bronzen verantwortlich und wurde in die Verwaltung der Institution eingebunden. Gargiulos keramische Arbeiten genossen große Wertschätzung, aber seine Restaurierungen, besonders die kompletten Übermalungen und Ergänzungen, waren so verblüffend, dass es oft schwierig war, antike und moderne Teile zu unterscheiden. Diese „gefährliche Perfektion“ sorgte für Aufsehen, sodass 1818 eine Verordnung zur Reduzierung der Vasenrestaurierungen erlassen wurde. Gargiulo empfand das neue Gesetz als Eingriff in sein künstlerisches Schaffen. Doch er fand Wege, um seine spezielle Restaurierungstechnik weiter zu praktizieren, besonders bei Aufträgen durch private Sammler wie den Baron von Koller.

Weitere Einzelbeobachtungen wurden an folgenden Vasen gemacht:
Bei der Restaurierung der Amphora F 3241 wurden die Ergänzungsmaterialien mit OSL-Analysen datiert werden. Dabei wurde eine Datierung um 1833 +/- 16 Jahre erreicht. Wenn wir davon ausgehen, dass 1827 die Vase restauriert war (lt. Inventar), so muss die Ergänzung, also auch die Restaurierung, zwischen 1817 und 1827 erfolgt sein. Das würde mit den Daten von Kollers Aufenthalten in Neapel und mit der Tätigkeit Gargiulos übereinstimmen.
Beim Pendantstück F 3242 war der fehlende Originalfuß durch eine Ergänzung aus gebranntem Ton ersetzt. Diese Ergänzung wurde nach dem Auseinandernehmen, Reinigen, Entsalzen und Neuaufbau des Gefäßes wieder angesetzt, da die Proportionen durchaus denen der anderen gleichzeitigen Amphoren entsprechen. Auch an dieser Amphora wurden im Zuge der Restaurierung TL-Analysen durchgeführt. Die Datierung des Fußes ist demnach 1816 +/- 30 Jahre, das heißt zwischen 1786 und 1827, wenn wir dieses Datum wieder als Fixpunkt annehmen, da dann das Inventar von Gargiulo erstellt wurde. Deutlich lassen sich aber zwei Restaurierungen unterscheiden, die ältere (u.a. Fuß), bei der eine rötliche feste Masse verwendet wurde, bestehend aus Massicot (rotes und gelbes Bleioxid), rotem Ocker und Tonerde, gebunden mit Schellack. Dies könnte der von Gargiulo patentierten „colla“ entsprechen.
Die Amphora F 3244 scheint weitgehend intakt durch die fast geschlossene Oberfläche. Eine Untersuchung unter UV-Licht zeigt jedoch (Abb. 5), dass Hals und Henkel neu im 19. Jahrhundert angesetzt wurden und dass der Gefäßbauch viele Brüche aufweist, die breit übermalt sind. Nach eingehenden Untersuchungen und Diskussionen und sorgfältigen Untersuchungen haben wir uns entschieden, diese Vase soweit zu stabilisieren, dass sie als Zeugnis der Restaurierungskunst des 19. Jahrhunderts bzw. Gargiulos die alten Übermalungen und Ergänzungen behält.


Der Volutenkrater F 3256 mit einer ursprünglichen Höhe von 1,10m war im oberen Bereich stark gebrochen, der Gefäßkörper wirkte dagegen fast intakt (Abb. 6).


Deutlich wird das Ausmaß der Alt-Restaurierung bei einem Blick ins Innere (Abb. 7): die gesamte Innenfläche war mit einer dicken gleichmäßigen Schicht überzogen, die das darunter liegende textile Gewebe – eine Art Rupfen oder Sackleinen – verdeckt, das zur Stabilisierung der einzelnen Scherben bei der Restaurierung im 19.Jh. aufgebracht wurde. Nach Abnahme dieser Schicht und auch im Röntgenbild kamen im Boden Messingklammern zum Vorschein, die den gebrochenen Krater zusätzlich stabilisieren sollten.
Und es wird auch deutlich, dass ein großes Stück des Bauchbildes, das mit der Athena, eine Ergänzung ist. Diese phantasievolle Zutat lässt nun freien Raum zu Spekulationen über die ursprüngliche, leider verlorene Szene. Wir haben lange mit den Kollegen im Getty, die diesen Krater restaurierten, überlegt, wie wir verfahren: ob die Gargiulo‘sche Ergänzung wieder eingesetzt werden soll. Der schlechte Zustand der Ergänzung und das nicht exakte Anpassen gab aber dann doch den Ausschlag: die Ergänzung wurde durch ein neutrales Schließen der Fehlstelle ersetzt (Abb. 8).
Der Volutenkrater F 3257 weist viele Ergänzungen auf: Hals und Henkel sowie große Teile der Rückseite sind – wie es hier leicht zu sehen ist, nicht im Original erhalten. Die Bauchseite A zeigt die Hochzeit von Herakles und Hebe: die Braut, umgeben von verschiedenen Gottheiten. Auf der Seite B sind nur ein Pädagoge, Poseidon und ein weiblicher Kopf mit Flügeln erhalten. Dafür sind die sehr sorgfältig ausgeführten Figuren namentlich gekennzeichnet, u.a. Aphrodite. Eine Zeichnung im Gerhardschen Apparat belegt, dass ein Entwurf für die Ergänzung der Seite B vorhanden war, der jedoch offenbar nicht zur Ausführung kam.
Dieser Krater wurde wieder ergänzt: Der Fuß wurde dem des wenig jüngeren Kraters F 3256 nachgebildet, und der Hals mit den Henkeln soll eine Vorstellung von dem ganzen Gefäß als Form geben, ohne, dass hier Bemalungen erfolgen.


Der Volutenkrater F 3258 ist völlig zerbrochen 1958 aus der Sowjetunion zurückgekommen (Abb. 9a). Insgesamt wurden 240 Fragmente gezählt. Auch hier wurden im Fuß Metallklammern entdeckt und breite Fugen der Abraspelung, die während der ersten Restaurierung durch Gargiulo entstanden sind (Abb. 9b).


Die beiden Loutrophoren F 3263 und F 3264 (Abb. 10) bilden- wie die beiden Hydrien und die jeweiligen Amphoren ein Paar. Eine Besonderheit ist es, dass die Gefäße aus zwei Teilen bestehen, dem zylindrischen Körper und den mit Volutenhenkeln geschmückten Hals, auf den vielleicht noch ein Deckel aufgesetzt war, der heute jedoch nicht erhalten, aber von anderen Loutrophoren her bekannt ist.
Die Loutrophoros F 3264 zeigt im unteren Bildstreifen eine ikonografisch interessante Darstellung (Abb. 11): die Kämpfe zwischen Griechen und Italikern, kenntlich an der Kleidung und den Kopfbedeckungen.


Es ist allerdings tragisch, dass nur wenig von dieser Darstellung original antik ist. UV-Aufnahmen zeigen starke Übermalungen (Abb. 10b) und die Röntgenaufnahmen enthüllen, dass große Partien des Gefäßkörpers mit kleinen gebrannten Tonquadern in „Iglu-Technik“ aufgebaut sind (Abb. 12).


Diese waren unter einer ähnlich dicken Gewebe-Gipsschicht verdeckt (Abb. 13), wie wir sie von den Krateren kennen.
Nach eingehenden Untersuchungen haben wir uns entschlossen, auch diese Vase, neben der Loutrophoros F 3244, nicht auseinanderzunehmen sondern zu stabilisieren und sie als Zeugnis einer „gefährlichen Perfektion“ auch nachfolgenden Generationen zu bewahren.

Damit soll die Vorstellung der Vasen aus Ceglie del Campo hier beendet werden. Die Probleme, die sich auftun, sind deutlich geworden: Wir haben Antiken, die bald nach ihrer Ausgrabung zusammengesetzt und restauriert und dabei mehr oder minder stark ergänzt wurden. Im Laufe von fast zwei Jahrhunderten sind einige erneut repariert oder auch teilweise restauriert worden. Andere sind instabil geworden – die Instabilität des Klebstoffes und die Ermüdung von Unterstützungsmaterial machten Restaurierungen dringend notwendig.
Wir haben uns dabei für ein unterschiedliches Herangehen an die Frage, welche Priorität dem griechischen Original oder der Ergänzung des 19. Jahrhunderts zugemessen wird entschieden. Von Fall zu Fall wurden Restaurierungen, aber auch Zerstörungen des 19. Jahrhunderts sichtbar gemacht und die originalen Fragmente oder Teile mit stabileren modernen Ergänzungen versehen, die aber durch eine neutrale Retusche die Grenze zwischen Original und Zutat verdeutlichen. Immer aber werden abgenommene nachantike Ergänzungen verwahrt und inventarisiert. In zwei Fällen wurde der Künstlerschaft des 19. Jahrhunderts und damit der Handschrift einer namentlich bekannten Restaurierungswerkstatt Referenz erwiesen.

„Gefährliche Perfektion. Antike Grabvasen aus Apulien“
Berlin, Altes Museum
17. Juni 2016 – 18. Juni 2017

Zur Ausstellung erschienen folgende Publikationen:
U. Kästner – D. Saunders (Hrsg.), Dangerous Perfection, Ancient Funerary Vases from Southern Italy , Los Angeles: Getty Publications 2016
U. Kästner – D. Saunders, Gefährliche Perfektion. Kurzführer durch die Ausstellung, Berlin: Staatliche Museen zu Berlin 2016

© Ursula Kästner
e-mail: u.kaestner@smb.spk-berlin.de

This article should be cited like this: U. Kästner, Perfektion – gefährlich für die Wissenschaft, Forum Archaeologiae 79/VI/2016 (http://farch.net).



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