Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 71 / VI / 2014

EINE BEFESTIGTE HÖHENSIEDLUNG AUF DEM GIPFEL DES TOÇAK DAĞI: NEUE FORSCHUNGEN IM UMLAND VON LIMYRA (LYKIEN) [*]

Im Gipfelbereich des Toçak Dağı unmittelbar nördlich der ostlykischen Polis Zẽmuri/Limyra (Abb. 1) war bereits 1984 von G. Stanzl die Überreste einer befestigten Anlage entdeckt worden, die dieser der klassischen Epoche zuschrieb. Aufgrund des nahezu undurchdringlich dichten Bewuchses war bislang allerdings weder eine Vermessung des sichtbaren architektonischen Gefüges noch eine Untersuchung des restlichen Gipfelplateaus unternommen worden. Demnach waren nicht nur diese Strukturen, deren Bedeutung zweifellos im militärischen Bereich zu sehen ist, sondern auch die gesamte nördliche Chora von Limyra weitgehend terra incognita.


Das entsprechende Areal im Gipfelbereich des Toçak Dağı wurde im Jahr 2013 erstmals systematisch untersucht. Dabei standen Fragen nach der Ausdehnung, dem Charakter und der chronologischen Stellung der befestigten Anlage im Vordergrund. Um den Verlauf der Befestigungsmauer sowie gegebenenfalls Binnenstrukturen sichtbar zu machen, wurden partielle Rodungsmaßnahmen durchgeführt; die architektonischen Befunde wurden mittels Tachymeter vermessen und fotografisch dokumentiert.
Der Bergstock des Toçak Dağı erhebt sich im Norden beherrschend über der Küstenebene von Finike, an seinen südlichen Ausläufern befinden sich der Burgberg und die Nekropolen von Limyra. Im Westen wird der Toçak Dağı vom Tal des Arykandos (Aykır Çayı) und im Osten von jenem des Alakır Çayı begrenzt, während im Norden eine Bergkette ins Hochgebirge der Bey Dağları überleitet. Der Toçak Dağı hat zwei Gipfel, die etwa 300m voneinander entfernt gelegen und durch einen kleinen Sattel getrennt sind. Während der nördliche Hauptgipfel (1223m) nur wenig Platz bietet, bildet der südliche Nebengipfel (1197m) ein Plateau mit einer Ost-West Erstreckung von etwa 80m und einer Nord-Süd Erstreckung von ca. 50m. Westlich der beiden Gipfel liegt auf einer Höhe von 1100m eine etwa 7 Hektar große Geländeterrasse. Der Gipfelbereich ist ca. 3,5km von der Oberburg Limyras entfernt. Etwa 1,7km nördlich des Nordgipfels befindet sich ein ca. 870m hoher Pass, der sich als Übergang zwischen dem Arykandostal und dem Tal des Alakır Çayı anbietet.


Die Befestigungsmauer auf dem Südgipfel läuft an der Geländekante um das Plateau unterhalb des Gipfels und bildet auf diese Weise ein unregelmäßiges Fünfeck mit einer Fläche von etwa 2800m2 (Abb. 2). Die verschiedenen Seiten des Mauerringes sind unterschiedlich gut erhalten: Die Nordseite mit einer Länge von 77m und die Nordostseite mit einer Länge von 28m stehen mit ihrer Außenschale zumeist noch zwischen 1,5 und knapp über 2m hoch an. An der 63m langen Süd- und der 37m langen Südostseite ist die Befestigungsmauer stark verstürzt, der Verlauf der Befestigung an der 32m langen Westseite lässt sich lediglich über die abgearbeiteten Bettungen im anstehenden Fels nachvollziehen. Der Grund für den schlechten Erhaltungszustand der Westseite scheint in der geomorphologischen Situation zu liegen, da die Neigung der Felsplatten nach Südwesten ein Abrutschen der Mauer – z.B. im Fall eines Erdbebens – begünstigte. Unterhalb der Mauerbettung am dicht bewachsenen Hang sind folgerichtig mehrere Versturzblöcke der Mauer zu beobachten. Der Charakter des Mauerwerks lässt sich am besten an der Nord- und Nordostseite erkennen: Es handelt sich um eine mächtige, zweischalige Mauer aus grob quaderförmig oder polygonal behauenen Bruchsteinen mit einer Größe von bis zu 1,5m und einer Stärke von etwa 2,5m (Abb. 3). Für die Süd- und Südostseite wurde kleinteiligeres Bruchsteinmaterial verwendet als im Norden, auch die Mauerstärke war hier wohl etwas geringer. Die verhältnismäßig breiten Fugen sind an manchen Stellen mit Kalk geschlossen und waren teilweise wohl auch mit Lehm verfüllt, von dem an der Südost-Seite noch Reste erhalten sind. Die relativ einheitlich erhaltene Höhe der Nord- und Nordostseite sowie die verhältnismäßig geringe Menge von Versturzblöcken in ihrem Vorfeld lassen vermuten, dass die Mauer darüber ursprünglich aus einem anderen Material – etwa Holz oder Lehmziegeln – aufgebaut war.


Die militärische Bedeutung der Nordseite der Siedlung zeigt sich vor allem an vier Türmen mit rechteckigem Grundriss, die in einem Abstand von jeweils etwa 20m die Mauer in diesem Bereich bewehrten. Alle vier weisen in etwa einen rechteckigen Grundriss auf und zeigen dieselbe Technik wie die Befestigungsmauer, in die sie auch einbinden. Ihre Breite beträgt ca. 4–5m und springen etwa 3,5–4m nach Norden vor. Lediglich beim größten von ihnen, dem dritten von Nordwesten, lässt sich eine Kammer erkennen; die übrigen sind zu stark verschüttet, um Details feststellen zu können. Die Reste dreier weiterer Türme konnten an der Nordostseite, an der Südostecke und an der Südwestecke der Anlage festgestellt werden, wobei diese Strukturen teilweise einen zu schlechten Erhaltungszustand aufweisen, als dass nähere Rückschlüsse auf ihre Gestalt zu ziehen wären.
Knapp östlich des nordwestlichen Eckturmes ist ein 1,3m breites Tor erhalten. Es handelt sich um einen axialen Mauerdurchlass, der einem in der lykischen Wehrarchitektur klassischer Zeit gängigen Tortypus entspricht (Abb. 4). Ob die Anlage weitere Tore aufwies, lässt sich aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes der Mauer nicht einwandfrei erkennen. Da der Anschluss der Südmauer an die Ecke im Südwesten wie auch im Südosten nicht sichtbar ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in diesen Bereichen weitere Eingänge in die Siedlung befanden. Auch die Fehlstelle etwa auf der halben Höhe der Ostmauer könnte darauf hindeuten, dass sich an dieser Stelle ein Tor befand.
An mehreren Stellen im Inneren der Anlage konnten Reste von Binnenbebauung beobachtet werden, die jedoch zumeist so stark verstürzt und durch Erosion beeinträchtigt sind, dass sich keine Mauerverläufe mehr nachvollziehen lassen: An der Nordwestecke ließen sich oberflächliche Spuren von verhältnismäßig kleinteiliger Innenbebauung feststellen. Es handelt sich hier um einen Komplex aus mindestens vier annähernd rechteckigen Räumen, die in ihrer Orientierung Rücksicht auf die nördliche Befestigungsmauer nehmen, an die sie unmittelbar angebaut sind. Ein weiteres Gebäude ist an die Innenseite des Nordostschenkels der Befestigungsmauer angebaut; dieses besteht aus einem einzigen Raum mit einem rechteckigen Grundriss von ca. 7x4m.


Auf dem Plateau des Südgipfels konnten nur geringe Mengen von Oberflächenkeramik beobachtet werden, lediglich an der Südost-Ecke und der Westseite der Anlage konnte Fundkeramik an der Oberfläche festgestellt werden. Unter den Funden lassen sich mehrere Fragmente von Schwarzfirnisware z.T. attischer Provenienz erkennen, die eine Nutzung des Platzes bereits in klassischer Zeit belegen.
Im Zuge einer Begehung der unmittelbaren Umgebung der Anlage wurden auf dem etwa 300m entfernten Nordgipfel des Toçak Dağı (1223m) die Reste einer weiteren Befestigungsanlage entdeckt (Abb. 5). Aus Zeitgründen konnte 2013 lediglich eine erste Erkundung erfolgen; eine systematische Untersuchung und Vermessung der Anlage sind für das Jahr 2014 geplant. Ein vierseitiger Mauerring mit einer Länge von ca. 35m und einer Breite von ca. 25m umgibt den Gipfelbereich und folgt – wie auch die Befestigung des Südgipfels – einer Geländekante. Der Befestigungsring des Nordgipfels ist stärker beschädigt als die Anlage im Süden; die am besten erhaltenen Abschnitte befinden sich an der südöstlichen und südwestlichen Seite. Die Mauertechnik entspricht jener des Befestigungsringes auf dem Südgipfel. Es handelt sich um zweischaliges Mauerwerk aus großen, z.T. grob behauenen Bruchsteinen, deren Inneres mit kleineren Bruchsteinen verfüllt wurde. Binnenbebauung konnte im Rahmen dieser ersten Begehung nicht festgestellt werden, doch fand sich im Inneren des Befestigungsringes Oberflächenkeramik von klassischer bis in die kaiserzeitliche Periode, die einen ersten Anhaltspunkt für eine grobe Datierung der Anlage gibt.


Auf der Geländeterrasse westlich des Südgipfels (ca. 1120m) konnten keine Spuren antiker Bebauung festgestellt werden. Zahlreiche Keramikfragmente an der Oberfläche belegen jedoch die antike Nutzung des Areals, wohl zu landwirtschaftlichen Zwecken. Nahe der Befestigung des Südgipfels konnten an mehreren Stellen Spuren von Steinbruchtätigkeit beobachtet werden, die auf die Gewinnung des Baumaterials aus der unmittelbaren Umgebung schließen lassen.
Der Zusammenhang zwischen der Siedlung auf dem Südgipfel und der Festung auf dem Nordgipfel des Toçak Dağı sowie ihre Zugehörigkeit zur Chora von Limyra sind aufgrund der topographischen Situation evident. Die Anlage auf dem Südgipfel setzt eine Befestigung des Nordgipfels aus militärischen Erwägungen voraus, so dass – auch angesichts der technischen Ähnlichkeit beider Befestigungsmauern – eine gleichzeitige Errichtung postuliert werden kann. Diese erfolgte bereits in klassischer Zeit, wie der Charakter des Mauerwerks und die an der Oberfläche festgestellten Keramikfunde nahelegen.
Auf dem etwas höheren und prominenteren Nordgipfel wurde eine etwa 700m2 große Festung errichtet, die wohl ausschließlich militärische Funktion hatte: Von hier ließen sich das gesamte obere Arykandostal überwachen und der Pass nördlich des Toçak Dağı kontrollieren. Das Plateau des Südgipfels wurde ebenfalls mit einem Mauerring befestigt. Angesichts der Ausdehnung der Anlage von ca. 2800m2 kann eine rein militärische Interpretation ausgeschlossen werden, die dokumentierten Reste von Binnenbebauung legen vielmehr nahe, dass es sich bei der Anlage auf dem Südgipfel um eine befestigte Höhensiedlung handelt. Befestigte Siedlungen klassischer Zeitstellung an topographisch exponierten Punkten kommen in Lykien häufig vor, die extreme Lage in beinahe 1200m Seehöhe ist allerdings bemerkenswert. Es ist anzunehmen, dass die Siedlung die Versorgung der Besatzung der Festung auf dem Nordgipfel gewährleistete. Die Wohnbebauung beschränkt sich nach dem derzeitigen Forschungsstand auf den Bereich innerhalb der Befestigung. Als agrarische Grundlage für die Siedlung kommt zunächst die etwa 7ha große Geländeterrasse unweit westlich infrage, deren antike Nutzung durch Oberflächenkeramik belegt ist. Zieht man auch Bewirtschaftung weniger steiler Hanglagen in Erwägung, könnte die landwirtschaftlich genutzte Fläche in der Umgebung noch deutlich größer gewesen sein. In Ermangelung von Quellen auf dem Toçak Dağı muss die Wasserversorgung wie in zahlreichen anderen lykischen Siedlungen durch in Zisternen gesammeltes Regenwasser erfolgt sein, allerdings konnte bisher keine Zisterne entdeckt werden.
Die Kenntnis des nördlichen Umfeldes von Limyra konnte bereits durch die ersten Ergebnisse des Surveys beträchtlich erweitert werden, stellt die Anlage auf dem Toçak Dağı doch ein bedeutendes Element des limyräischen Verteidigungskonzeptes in klassischer Zeit dar. Gemeinsam mit einer Reihe von Herrensitzen klassischer Zeitstellung an den Hängen ergibt sich ein dichtes Netz an Besiedlungs- und Landnutzungsaktivität am gesamten Bergstock des Toçak Dağı bis in seinen Gipfelbereich.

[*] Der Dank der Autoren gilt der Generaldirektion für Kulturgüter und Museen des Ministeriums für Kultur und Tourismus für die Erteilung der Surveygenehmigung. Der Christoph Kiefhaber Art Foundation (Österreich) danken wir für die großzügige Finanzierung des Projektes, Herrn Fatih Özden (Antalya) für das Interesse, das Entgegenkommen und die Hilfe, die er der Unternehmung als Vertreter der Türkischen Regierung entgegenbrachte. Auch den Arbeitern von Saklı Su Köyü, Celal Aydın, İsmail Kocabaş und Alican Topalşahin, ohne deren tatkräftige Mithilfe der Survey nicht stattfinden können hätte, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Literatur
T. Marksteiner, Kastell oder Herrensitz? Zur Besiedelung der Chora der befestigten Siedlung Zẽmuri/Limyra im Lykien der klassischen Zeit, ÖJh 63, 1994, 95-120, bes. 100
M. Seyer – H. Lotz – P. Brandstätter, The Survey on Toçak Dağı, News of Archaeology from Anatolia’s Mediterranean Areas 12, 2014 (im Druck)
M. Seyer – H. Lotz – P. Brandstätter, Die Kampagne 2013 des archäologischen Surveys auf dem Toçak Dağı, 32. Araştırma Sonuçları Toplantısı 2014 (im Druck)
G. Stanzl, Untersuchungen zum Verteidigungssystem des Stadtgebietes von Limyra, in: J. Borchhardt, Bericht der Limyra-Grabung 1984, 7. Kazı Sonuçları Toplantısı 1985, 440–442


© Martin Seyer, Helmut Lotz, Pascale Brandstätter
e-mail: martin.seyer@oeai.at, helmut.lotz@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: M. Seyer - H. Lotz - P. Brandstätter, Eine befestigte Höhensiedlung auf dem Gipfel des Toçak Dağı: neue Forschungen im Umland von Limyra (Lykien), Forum Archaeologiae 71/VI/2014 (http://farch.net).



HOME