Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 63 / VI / 2012

NOREIA – ATLANTIS DER BERGE?

P. Gleirscher, „Mythenknacker“ und „Österreichs größter Spielverderber“ (so Kleine Zeitung 20.6.2010), hat mehrfach in der Presse den Vorwurf erhoben, H. Dolenz sei als der für den Magdalensberg zuständige Ausgräber „wissenschaftlich überfordert“ und fröne einem „Keltenwahn“ [1]. Dabei ist gerade Gleirscher, der als wissenschaftlich Verantwortlicher für die „Keltenwelt“ im frühhallstattzeitlichen Frög auftritt („vor rund 3000 Jahren begruben Kelten [!] in Frög ihre Toten mit kostbarem Schmuck und Waffen unter riesigen Grabhügeln“, „das Frög der Kelten [!] war eine erste Hauptstadt Kärntens“, „Feuerzeremonie am rekonstruierten heiligen Hain der Noreia“, „Zaubertrank und Keltengräber“ etc.), geschichtsverfälschende Keltomanie und Kniefall vor der neokeltischen Esoterik und einem zwar oft enthusiastischen, aber zu einem falschen Geschichtsverständnis à la Asterix führenden Re-enactment (natürlich mit finanziellen Interessen im Hintergrund) vorzuwerfen [2]. In Frög findet sich ein extremes Beispiel von erfundenem Keltentum. Dort zeige man mit Fürstenhalle, Kultstätte, Heiligem Hain, Orten der Kraft „Lebensweise, Kult, Weltbild und Gesellschaftsstruktur unserer Vorfahren“, die natürlich unter dem Etikett „Kelten“ verkauft werden. So erscheint in Gleirschers „Mystisches Kärnten“ (2006) der „heilige Hain für die Muttergottheit Noreia“ im sogenannten archäologischen Park der „Keltenwelt Frög-Rosegg“ in dem Kapitel „Im Schutze der Göttin Noreia“, eine Zusammenfassung seiner in der Fachwelt zu Recht abgelehnten Thesen zur Göttin, im Bild und zwar mit dem Anspruch, originalgetreu nachgebaut zu sein. Zugleich wird suggeriert, dass die Göttin Noreia bereits mit Frög und seiner Epoche verbunden sei. Den Anspruch auf das abschließende Wort zu Noreia erhebt Gleirscher schließlich in seinem Buch „Noreia – Atlantis der Berge. Neues zu Göttin, Stadt und Straßenstation“ (2009): „Die Favoritin: Die große Höhensiedlung auf der Gracarca am Klopeiner See“. Um dies zu begründen, fährt Gleirscher eine dreifache Strategie: Einmal darf es keine keltische Siedlung auf dem Magdalensberg geben, zum anderen wird mit philologisch, historisch und geographisch fragwürdigen ‚Hilfskonstruktionen‘ versucht, die vorhandenen antiken Angaben für die Gracarca-These einzubringen. Zum dritten werden Funde ungeklärter Herkunft bedenkenlos der Gracarca zugeordnet.
Seine These, die vorrömischen Wallbefunde am Magdalensberg seien eine „türkenzeitliche Befestigung“, ist nun endgültig ad absurdum geführt [3]. Der nördliche Annexwall wurde auf der Innenseite von einer befestigten Straße begleitet, die in einer Serpentine zum Hauptwall hinaufführte; Vorwall und Straße wurden durch die bald nach der römischen Okkupation zum Gipfel geführte Straßenrampe mit ihrer massiven hangseitigen Terrassierungsmauer geschnitten bzw. überbaut. Über diese Straßenrampe wurde das Baumaterial aus den Steinbrüchen zur Gipfelbebauung herangeschafft. Das Steinmaterial der Vorwallbekrönung wurde wohl in der Straßenrampe verbaut. So kann Gleirscher seine fragwürdigen Versuche aufgeben, Befunde renommierter Kollegen und sogar eigene umzudatieren.
Der als herausragend auf die Gracarca bezogene keltische Fundkomplex ist in Süddeutschland ohne gesicherte Herkunftsangaben angekauft. Letzteres gilt auch für die stets präsentierte Eberstatuette. Befremdlich ist, wie Gleirscher seine Nachgrabung in dem von F.X. Kohla bereits bis auf das Skelett weitgehend geborgenen Grab eines reich ausgestatteten Reiterkriegers um 700 n.Chr. mit enormen Mediengetöse [4] zu seinem „kolossalen Grabfund auf der Gracarca“ eines „Karantanenfürsten“ gemacht und dabei restaurierte bzw. von E. Szameit und P. Stadler publizierte Fundstücke erneut eingegraben und dann medienwirksam ‚geborgen‘ hat, wie eine Fotodokumentation belegt. Die suggerierte Kontinuität der Gracarca vom 9.Jh. v. – 8.Jh. n.Chr. ist reine Fiktion.

[1] Krone 19.10.2011, 14f.
[2] www.Keltenwelt.at; Prospekt Landesmuseum Kärnten. Auf der Esoterikwelle schwimmt Gleirscher vor allem bei Vorträgen vor Nichtfachleuten, bis hin zur religiösen Deutung der Schalensteine („Vulva“) anhand der prädynastischen Statue des leider ityphallischer ägyptischen Gottes Min.
[3] H. Dolenz, Rudolfinum 2009/2010, 105-121.
[4] Österreich-Journal 14.8.2003; Pressemitteilungen in Kronenzeitung und Kleiner Zeitung.

© Karl Strobel
e-mail: Karl.Strobel@aau.at

This article should be cited like this: K. Strobel, Noreia – Atlantis der Berge?, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).



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