Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 63 / VI / 2012

DIE RÖMISCHE LATRINE IM SCHLOSS PETRONELL IN CARNUNTUM [1]
Ein Einblick in die antike Wirtschaftsgeschichte - Projektvorstellung

Im Frühjahr 2011 wurde im Nordosten der Zivilstadt Carnuntum im Schloss Petronell eine römische Latrine archäologisch untersucht [2], die nur kurze Zeit verwendet wurde. Im 1. Drittel des 2. Jahrhunderts wurde in den anstehenden Donauschotter ein viereckiger Schacht gegraben und an den Seitenwänden mit Holz verschalt. Einmal wurde ein kleiner Bereich im oberen Teil ausgeschöpft, dazwischen immer wieder mit Kalk desinfiziert und mit Baumaterial versiegelt. Küchenabfall und kleinteiliger Kehricht wurden hier bewusst entsorgt. Neben zerbrochenem Geschirr wurden auch Tierknochen als Speisereste und über 240 beschriftete Bleietiketten mit Preisangaben und eine große Bleiplatte (47x65cm) weggeworfen. Münzen und diverse Kleinfunde wie Haarnadeln, Perlen oder Zierbeschläge sind unabsichtlich verloren gegangen. Die Münzdatierungen [3] ergeben einen Zeitrahmen von Traianus (98/117) bis Marcus Aurelius (161/176) für die Verfüllungsschichten. Die Bleietiketten sind kleine, dünne, ca. 3x4cm große römische Preisschilder. Vor– und/oder Rückseiten wurden in lateinischer Kursive mit 2 bis 4mm großen Buchstaben beschriftet. Die Texte selbst sind kurz, drei- bis vierzeilig, bestehen aus Personennamen und Wirtschaftsnotizen mit Angaben zu Waren oder handwerklichen Dienstleistungen und den Preisangaben.
Im Zuge eines Forschungsprojektes [4] sollen nun der Latrinenbefund und dessen Inhalt wissenschaftlich untersucht und ausgewertet werden. Diese interdisziplinären Studien werden anhand der Etiketten mit Preis- und Warenangaben neue Erkenntnisse über Kaufverhalten, Preisgefüge und Warenvielfalt sowie über die Bewohner mit ihren Status und Herkunft während des 2.Jhs n.Chr. in Carnuntum erbringen. Ebenso wird man Informationen über die antike Wirtschaft, deren Entwicklung, Inflation, Handelsbeziehungen und den Im- und Export in Oberpannonien bekommen [5].

Um die Etiketten bestmöglichst lesen, auswerten und restaurieren/konservieren zu können, wurden sie im Vorfeld am Institut für Ur- und Frühgeschichte Universität Wien röntgenisiert. Die Oberflächen der Plättchen sind durch das kalk- und phosphatreiche Milieu in der Latrine stark angegriffen und die Ritzungen oft nur mehr sehr seicht vorhanden. Darüber hinaus sind sie durch Mehrfachbeschriftungen sowie eigenwilligen Ligaturen schwer lesbar. Außerdem wurden alte Texte durch Klopfen getilgt und die Buchstaben dadurch zu haarfeinen Linien zusammengedrängt, anschließend wurde der neue Text wieder eingeritzt. Um alle Möglichkeiten der Bearbeitung optimal auszuschöpfen, sollen die Etiketten mit einem Computer-Tomographiegerät gescannt werden.
Da keine Schriftquellen zum Wirtschaftsleben aus dieser Zeit in Carnuntum vorhanden sind, und noch keine Latrine aus Carnuntum publiziert wurde, ist dieser Befund von größter wissenschaftlicher Bedeutung.
Aus den menschlichen Fäkalien lässt sich auf den Parasitenbefall [6] und somit auf den Gesundheits- und Hygienezustand der Bevölkerung in Carnuntum im 2. Jahrhundert schließen. Durch die Speiseabfälle erfahren wir den Speiseplan, das Kulturpflanzen- und Wildtierspektrum, über Umwelt und Ackerbau, sowie über Tier und Tierprodukte in der Wirtschaft [7].

[1] Herzlichen Dank dem Schlossherrn für die Finanzierung und die Möglichkeit der wissenschaftlichen Aufarbeitung.
[2] Grabung, Befund: Dr.Beatrix Petznek, Mag.Michael Raab, Thomas Böhm, ARDIG Archäologischer Dienst GesmbH.
[3] Numismatik: Priv.- Doz.Mag.Dr.Ursula Schachinger, ÖAW Graz
[4] Sponsoren: BMWF, FWF- Wissenschaftsfonds, Kultur Niederösterreich, Archäologisches Museum Zagreb, Veterinärmedizinische Universität Wien, Medizinische Universität Wien, ÖAW, List Group, AS-Archäologie Service, ARDIG.
[5] Epigraphik: Ivan Radman-Livaja PhD, Archäologisches Museum Zagreb
[6] Parasitologie: Univ.-Prof.Dr.Horst Aspöck Medizinische Universität Wien
[7] Archäobotanik: Ao.Univ.-Prof.Mag.Dr.Ursula Thanheiser VIAS. Archäozoologie: Univ.Ass.Mag.Dr.Alfred Galik Veterinärmedizinische Universität Wien, Fischknochen im FWF-Projekt NR. I 450-B 16: “Long-term dynamics in fish populations and equal systems of European rivers: Data, methodology and management applications.” Projektleiter O.Univ. Prof.Dr.phil.Mathias Jungwirth, Cooperation des Instituts für Hydrobiologie und Gewässermanagement Department Wasser - Atmosphäre-Umwelt, Universität für Bodenkultur Wien und des Instituts für Mikro- und Makroanatomie Abteilung für Makroanatomie (Anatomie), Veterinärmedizinische Universität Wien.

© Beatrix Petznek
e-mail: beatrix.petznek@gmx.at

This article should be cited like this: B. Petznek, Die römische Latrine im Schloss Petronell in Carnuntum. Ein Einblick in die antike Wirtschaftsgeschichte - Projektvorstellung, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).



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