Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 63 / VI / 2012

ZWISCHENLAND - ZUR GRENZE ZWISCHEN NORICUM UND PANNONIEN ABSEITS DES WIENERWALDES

Die Beschäftigung mit antiker Grenzziehung ist ein viel diskutiertes Thema. Geht man aber allein von den erhaltenen antiken Quellen für den Bereich Noricum und Pannonien aus und sucht nach geographischen Angaben, stößt man bald an deren (inhaltliche) Grenzen.
Strabon (4,6,1-12 p.202C-209C) beschreibt zwar den Alpenraum, geht aber nicht weiter nach Osten; Velleius Paterculus (2,109,5) nennt Carnuntum einen norischen Ort; Cassius Dio, der einzige römische Schriftsteller mit Ortskenntnissen in Pannonien, sagt nichts über die Landeskunde.
Nur Plinius (nat. 3,146f. bzw. 3,27) und Ptolemaios (2,13-15) sind ergiebiger. Während Plinius die Alpen als Nord-Süd-verlaufende Grenze zwischen den beiden Provinzen sieht, nennt Ptolemaios den Kετιον ὂρος / Cetius Mons (Cetius-Gebirge) (2,13,1 bzw. 2,14,1) welcher im Süden durch die Kαρουάγκα (Karawanken) ergänzt wird als eindeutige Trennlinie. Die genaue Lage dieses Gebirgszuges wird mit 37°30´/46°50´ bis 37°30´/45°30´ angegeben, drei Flüsse (Savarias, Dravus, Savus) durchqueren das bzw. entspringen innerhalb des Gebirges.
Basierend auf diesen Angaben haben seit der Renaissance immer wieder Forscher versucht, eine Grenze zwischen den beiden Provinzen zu (re)konstruieren [1]. Dabei galt immer das Cetius-Gebirge als eindeutige Grenzlinie, die von der Donau in einer annähernd Nord-Süd-verlaufenden Linie bis zur Drau verlief.
Die durch die Forschungen Kaspar Harbs [2] und Richard Knabls [3] erfolgte Identifizierung von Wagna/Leibnitz mit dem Solva des Plinius führte erstmals zu Problemen, da bis dahin außer Frage stand, dass das Gebiet um Leibnitz zu Pannonien gehörte [4]. Knabl [5] nahm sich des Themas später an und schloss anhand der Angaben bei den antiken Autoren, dass sich der Grenzverlauf zwischen Noricum und Pannonien in römischer Zeit mehrmals geändert habe. Diese Meinung vertrat auch Viktor von Geramb [6] (Abb.).

Leider fand diese These keinen Widerhall in die Forschung, stattdessen wurde die Frage der Grenze zwischen den beiden Provinzen je nach machtpolitischer Interessenslage (Habsburgermonarchie, 1. Republik, Ständestaat, Drittes Reich, 2. Republik, Kalter Krieg) instrumentalisiert.
Noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammt das Buch Géza Alföldys zur Geschichte Noricums [7], dessen Grenzziehung bis heute nicht hinterfragt und nahezu unverändert verwendet wird, obwohl der Autor die geographischen Angaben des Ptolemaios bewusst ignoriert, indem er nur den nördlichsten Teil (Wienerwald) als Mons Cetius bezeichnet. Die Karte, die Alföldy seinem Buch beigegeben hat, wird seit ihrem Erscheinen als Standardkarte verwendet, ohne sie auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Man sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass es während der fast 500jährigen Zugehörigkeit zum Imperium Romanum nur eine einzige gültige Grenzlinie zwischen Noricum und Pannonien gegeben hat. Es wäre somit wünschenswert, dass bei Überblickswerken (die ja einen längeren Zeitraum behandeln) auch diachrone Karten beigegeben werden, die auf geänderte Grenzbeziehungen Rücksicht nehmen.

[1] Etwa Philip Clüver (1616): http://mapy.mzk.cz/mzk03/001/045/174/2619265502_00_06/; Christoph Weigel (1720): http://mapy.mzk.cz/mzk03/001/045/177/2619265503/ ; unbek. Autor (1751): http://mapy.mzk.cz/mzk03/001/051/637/2619316317_07/; Adrien Hubert Brue (1826): http://www.davidrumsey.com/luna/servlet/view/search?q=List_No=0096.012&showFirstDetail=1.
[2] Siehe St. Karl – G. Wrolli, Der Alte Turm im Schloss Seggau zu Leibnitz. Historische Untersuchungen zum ältesten Bauteil der Burganlage Leibnitz in der Steiermark, Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 55 (Wien 2011) 133-236.
[3] R. Knabl, Wo stand das „Flavium Solvense“ des C. Plinius? Eine historisch-kritische Untersuchung als Beitrag zur Berichtigung der alten Erdkunde, Schriften des historischen Vereines für Innerösterreich, Heft 1, Graz 1848, 1-108.
[4] s. A. Muchar, Geschichte des Herzogthums Steiermark. Erster Theil (Graz 1844), Kartenbeilage.
[5] R. Knabl, Der Cetius als Grenze zwischen Noricum und Pannonien, Mitteilungen des historischen Vereines für Steiermark 14, 1866, 72-85.
[6] V.v. Geramb, Grenze zwischen Österreich und Ungarn in ihrer historischen Entwicklung. 1. Teil (handschriftliche Diss. Universität Graz, 1907). Diese Arbeit wird z.Z. von Verf. und Johannes Steiner für eine Publikation vorbereitet.
[7] G. Alföldy, Noricum (London 1974).

© Susanne Lamm
e-mail: susanne.lamm@uni-graz.at

This article should be cited like this: S. Lamm, Zwischenland – Zur Grenze zwischen Noricum und Pannonien abseits des Wienerwaldes, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).



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